Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 08.08.1996; Aktenzeichen 7 S 168/96)

 

Tenor

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg über die Nichtzulassung der Revision gegen seinen Beschluß vom 8. August 1996 wird aufgehoben.

Die Revision wird zugelassen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Gründe

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Revision gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 8. August 1996 nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 zugelassen werden könnte; jedenfalls ist sie nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil der angefochtene Beschluß von den in der Beschwerdeschrift genannten Urteilen des beschließenden Senats vom 21. Januar 1993 – BVerwG 5 C 3.91 – (BVerwGE 92, 1) und vom 30. Mai 1996 (BVerwG 5 C 4.95 und 5 C 14.95) abweicht.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn zu erwarten ist, daß die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (BVerwGE 13, 90 ≪91≫). Dies könnte zweifelhaft sein, weil die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage der Auslegung des § 3 Abs. 1 der RegelsatzVO durch die genannten Urteile des Senats bereits geklärt ist und weil die durch Art. 11 des insoweit am 1. August 1996 in Kraft getretenen Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 ≪BGBl I S. 1088≫ geänderte Regelung ausgelaufenes Recht ist, welchem nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine grundsätzliche Bedeutung regelmäßig nicht zukommt, weil eine für die Zukunft richtungsweisende Klärung von Rechtsfragen grundsätzlich nicht mehr erreicht werden kann (vgl. nur Beschluß vom 21. Dezember 1977 – BVerwG VII B 109.77 – ≪Buchholz, 310 § 132 VwGO Nr. 160≫; Beschluß vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – ≪Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 m.w.N.≫). Allerdings kann auch eine durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärte Rechtsfrage eine Zulassung der Revision rechtfertigen, wenn neue Gesichtspunkte vorgebracht werden (vgl. Beschluß vom 25. November 1992 – BVerwG 6 B 27.92 – ≪Buchholz 421.0 Nr. 306 m.w.N.≫). Einen neuerlichen Klärungsbedarf sieht die Beschwerde gerade im Zusammenhang mit der Neufassung des § 3 Abs. 1 der RegelsatzVO durch den Gesetzgeber, welcher das Berufungsgericht – auch für die nicht der Neuregelung unterliegenden Altfälle – die Bedeutung einer gesetzlichen Klarstellung entnommen hat, daß seine von der Rechtsprechung des erkennenden Senats abweichende Auslegung der Regelsatzverordnung der Intention des Gesetzgebers entspreche; die Beschwerde trägt demgegenüber vor, daß auch die gesetzliche Neuregelung im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats zu verstehen sei. Auch bei ausgelaufenem Recht kann eine grundsätzliche Bedeutung noch gegeben sein, wenn Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen dargetan und ersichtlich sind (vgl. Beschluß vom 19. April 1991 – BVerwG 5 CB 2.91 –. Ob die in der Beschwerde belegte große Zahl von Fällen, die allein in Baden-Württemberg noch im Widerspruchsverfahren bzw. in den gerichtlichen Tatsacheninstanzen anhängig und nach altem Recht zu entscheiden sind, der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu verleihen vermag oder ob darüber hinaus erforderlich ist, daß die als erneut klärungsbedürftig aufgeworfene Auslegungsfrage sich nicht nur für eine große, aber überschaubare Zahl von Altfällen, sondern für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiter stellen kann (vgl. Beschluß vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 11 PKH 28.94 – ≪Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4≫; Beschluß vom 20. Dezember 1995, a.a.O.), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil mit Blick auf die Abweichung der angefochtenen Entscheidung von den eingangs genannten Urteilen des Senats jedenfalls die Voraussetzungen der Divergenzrevision vorliegen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gelten die besonderen Voraussetzungen der Grundsatzrevision nicht auch für die Divergenzzulassung. Zwar stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Revisionszulassung wegen Abweichung einen besonderen Fall der Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache dar (vgl. Beschluß vom 26. Juni 1995 – BVerwG 8 B 44.95 – ≪Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 2 m.w.N.≫). Gleichwohl steht bei der Divergenzzulassung nicht die in die Zukunft gerichtete Weiterentwicklung des Rechts im Vordergrund, sondern der Gesichtspunkt der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsanwendungsgleichheit. Dieser rechtsstaatliche Grundwert wäre gefährdet, wenn Instanzgerichte bei der Anwendung ausgelaufenen, aber für Altfälle noch geltenden Rechts von höchstrichterlichen Entscheidungen ohne Möglichkeit revisonsgerichtlicher Überprüfung abweichen könnten.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Franke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1418680

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