Entscheidungsstichwort (Thema)

Bebauungsplan. Abwägung. Problembewältigung. Härten beim Vollzug von Festsetzungen. Zulässigkeit der Enteignung. keine enteignende Wirkung von Festsetzungen für eine öffentliche Nutzung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Gemeinde muß die mit der Durchführung eines Bebauungsplans absehbar verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Folgeprobleme nicht bereits im Bebauungsplan selbst oder in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit diesem verbindlich und abschließend regeln. Sie darf vielmehr Maßnahmen zur Milderung oder zum Ausgleich von Härten dem späteren, dem Planvollzug dienenden Verwaltungsverfahren überlassen, wenn sie im Rahmen der Abwägung realistischerweise davon ausgehen kann, daß die Probleme in diesem Zusammenhang gelöst werden können.

Der Bebauungsplan hat mit der Festsetzung von Flächen öffentlicher Nutzung (hier: öffentliche Grünfläche und Regenrückhaltebecken) rechtlich keine enteignende Vorwirkung derart, daß über die Zulässigkeit der Enteignung solcher Flächen bereits bindend entschieden wäre.

 

Normenkette

GG Art. 14 Abs. 3 S. 2; BauGB § 1 Abs. 5, § 2 Abs. 5, §§ 9, 40, 214 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 03.02.1997; Aktenzeichen 5 S 895/95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 3. Februar 1997 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller wendet sich im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan, der für eine 48,5 ha große Fläche u.a. ein allgemeines Wohngebiet, ein Mischgebiet, Dauerkleingärten, ein Regenrückhaltebecken und eine öffentliche Grünfläche festsetzt. Auf der Fläche, die für ein Regenrückhaltebecken und eine Grünfläche ausgewiesen ist, ist eine aus drei Wohnhäusern mit Nebengebäuden bestehende Splittersiedlung vorhanden. Eigentümer eines der Hausgrundstücke, dessen Bebauung in den fünfziger Jahren baurechtlich genehmigt worden ist, ist der Antragsteller. In der Begründung des Bebauungsplans ist ausgeführt, daß zur vollständigen Herstellung des Regenrückhaltebeckens und der Grünfläche die Beseitigung der vorhandenen Gebäude erforderlich sei. Dabei sollten die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Bewohner berücksichtigt und ihnen z.B. vorrangig im Besitz der Stadt befindliche Wohnungen als Ersatz angeboten, Umsetzungsmöglichkeiten im Rahmen eines Programms für kostengünstigen Wohnungsbau geschaffen und neben Entschädigungen auch Härteausgleich zugebilligt werden. Die Wohngebäude sollten jedoch den „jetzigen Bewohnern” so lange wie möglich als preisgünstiger Wohnraum erhalten bleiben. Das Normenkontrollgericht hat den Antrag abgelehnt und dazu insbesondere ausgeführt, daß die Einbeziehung der Splittersiedlung in die Grünfläche dem Abwägungsgebot entspreche.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Der von ihm allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Die Sache hat mit den in der Beschwerdeschrift formulierten Fragen keine grundsätzliche Bedeutung.

1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Auffassung des Normenkontrollgerichts, für die planerische Abwägung genüge es, wenn die Gemeinde sich mit den möglichen Härten des späteren Planvollzugs und damit, wie diese Härten vermieden oder ausgeglichen werden könnten, befaßt habe. Sie bezeichnet in diesem Zusammenhang als klärungsbedürftig sinngemäß die Frage, ob es über „unverbindliche Absichtsmaßnahmen” hinaus nicht der „Festlegung konkreter und bindender Vollzugsmaßnahmen” bedürfe. Diese Frage ist, ohne daß es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte, unschwer aus dem Gesetz und auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des beschließenden Senats zu beantworten:

Festsetzungen, zu denen das Bundesbaurecht, insbesondere § 9 BauGB sowie die aufgrund des § 2 Abs. 5 BauGB erlassene Baunutzungsverordnung, die Gemeinde nicht ermächtigt, dürfen im Bebauungsplan nicht getroffen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluß vom 31. Januar 1995 – BVerwG 4 NB 48.93 – DVBl 1995, 520 = NVwZ 1995, 696 = ZfBR 1995, 143). Soweit bei der Aufstellung eines Bebauungsplans absehbar ist, daß die künftige Durchführung Probleme auslöst – wie hier der mit dem Abriß bewohnter Gebäude verbundene Vollzug der Grünflächenfestsetzung –, zwingt das Abwägungsgebot auch nicht dazu, die Satzung erst zu beschließen, wenn zugleich die Bewältigung dieser Probleme durch anderweitiges Verwaltungshandeln rechtlich gesichert ist. Vielmehr kann die Gemeinde die Durchführung entsprechender Maßnahmen dem späteren, dem Vollzug der Festsetzung dienenden Verwaltungsverfahren überlassen, wenn sie im Rahmen der Abwägung realistischerweise davon ausgehen kann, daß die Probleme in diesem Zusammenhang gelöst werden können (vgl. z.B. Beschluß vom 28. August 1987 – BVerwG 4 N 1.86 – DVBl 1987, 1273 = NVwZ 1988, 351 = ZfBR 1988, 44). Daß die Verhältnisse hier anders lägen, kann den Feststellungen des Normenkontrollgerichts nicht entnommen werden.

2. Die Beschwerde wendet sich gegen die Auffassung des Normenkontrollgerichts, die Rechtmäßigkeit der Abwägung sei nicht dadurch berührt, daß besondere persönliche Belange des Antragstellers und seiner Rechtsvorgängerin, die im Verfahren der Auslegung des Planentwurfs nicht vorgetragen worden seien und die die Gemeinde auch nicht habe erkennen können, nicht berücksichtigt worden seien. In diesem Zusammenhang erwähnt der Antragsteller eine Äußerung des Stadtplanungsamtes aus dem Jahre 1984, das von der Grünflächenfestsetzung betroffene Gebäude genieße Bestandsschutz und bezeichnet als klärungsbedürftig die Frage:

„Verstößt es gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, wenn der Antragsgegner im Rahmen des Abwägungsvorgangs von privaten und öffentlichen Belangen den privaten Belangen deshalb weniger Gewicht zumißt, weil keine formellen Einwendungen gegen den Plan vorgebracht wurden, obwohl der Betroffene aufgrund von dem Planungsgeber zuzurechnenden Aussagen darauf vertraut hat, daß seinen Einwendungen im Kern Rechnung getragen würde?”

Mit dieser Frage ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon deshalb nicht dargelegt, weil sie lediglich die Rechtsanwendung im Einzelfall betrifft. Darüber hinaus unterstellt sie einen Sachverhalt, der so vom Normenkontrollgericht nicht festgestellt ist. Aus den den Senat auch in einem Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Normenkontrollgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ergibt sich nicht, daß die Beklagte oder einer ihrer Bediensteten im Verfahren der Aufstellung des Bebauungsplans bis zu dem für die Rechtmäßigkeit der Abwägung maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlußfassung über den Bebauungsplan (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) am 15. November 1988 gegenüber dem Antragsteller oder seiner Mutter als Rechtsvorgängerin zum Ausdruck gebracht hätte, das Haus könne trotz der Festsetzungen des Plans auf Dauer erhalten bleiben.

3. Die Frage, ob bei der Aufstellung eines Bebauungsplans „die Zulässigkeit einer etwa erforderlich werdenden Enteignung in den Abwägungsvorgang durch den Satzungsgeber einzustellen” ist, verleiht der Sache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Die Beschwerde unterstellt, daß der Bebauungsplan bereits enteignende Vorwirkung in dem Sinne habe, daß über die Zulässigkeit der Enteignung für Flächen öffentlicher Nutzung bereits im Bebauungsplan entschieden werde. Das trifft nicht zu (vgl. schon BVerwG, Beschluß vom 21. Februar 1991 – BVerwG 4 NB 16.90 – NVwZ 1991, 873 = Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 51). Das Baugesetzbuch enthält keine dem § 19 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FStrG entsprechende Regelung über eine enteignende Vorwirkung von Festsetzungen des Bebauungsplans. Eine solche wäre aber gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG erforderlich, wenn bereits mit der Festsetzung einer Fläche z.B. als öffentliche Grünfläche bindend entschieden wäre, daß zum Vollzug der Festsetzung die Enteignung zulässig ist. Mit der Festsetzung im Bebauungsplan ist lediglich bindend über die künftige Zweckbestimmung der Fläche entschieden. Ob der Vollzug der Festsetzung es auch erfordert, das Grundstück seinem bisherigen Eigentümer hoheitlich zu entziehen, ist erst in einem etwaigen Enteignungsverfahren zu entscheiden. Das Baugesetzbuch begründet in § 40 lediglich Entschädigungsansprüche, insbesondere Übernahmeansprüche, wegen faktischer Vorwirkungen bestimmter Festsetzungen, ohne daß sich daraus ergäbe, über die Zulässigkeit einer Enteignung zur Durchsetzung dieser Festsetzung bedürfe es keiner weiteren Verwaltungsentscheidung mehr. Soweit die Beschwerde darauf abstellt, daß die Vollzugsbehörden faktisch nicht mehr prüften, ob das Allgemeinwohl die Enteignung erfordert, sondern diese Frage mit dem Bebauungsplan als entschieden ansähen, führt das ebenfalls nicht zum Erfolg der Beschwerde; denn es bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, daß die Gemeinde bei der Aufstellung eines Bebauungsplans nicht künftiges rechtswidriges Verwaltungshandeln beim Vollzug des Bebauungsplans in die Abwägung einstellen muß.

Die Beschwerde könnte auch dann keinen Erfolg haben, wenn man die Frage dahin verstehen würde, ob bei der Aufstellung eines Bebauungsplans in die Abwägung einzustellen ist, daß die für eine öffentliche Nutzung festgesetzten Flächen möglicherweise nicht anders als im Enteignungswege beschafft werden können; denn diesen Gesichtspunkt hat die Gemeinde nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts in die Abwägung eingestellt, auch wenn sie sich in erster Linie das Ziel gesetzt hat, die Grundstücke nur langfristig und auf gütlichem Wege zu erwerben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Lemmel, Heeren

 

Fundstellen

Haufe-Index 1422530

DÖV 1998, 128

NuR 1998, 138

BRS 1997, 27

BRS 1998, 27

UPR 1998, 33

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