Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Urteil vom 16.02.2001; Aktenzeichen 2 N 97.906)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 19.12.2002; Aktenzeichen 1 BvR 1402/01)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Februar 2001 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Die Beschwerde rügt zunächst, der Verwaltungsgerichtshof hätte entsprechend dem (vorsorglich) gestellten Beweisantrag einen Augenschein zu der Frage einnehmen müssen, ob sich das Grundstück der Antragsteller innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befindet. Das Normenkontrollgericht hat hierzu ausgeführt, auf die unter Beweis gestellte Tatsache komme es nicht an, da die Antragsgegnerin sich bei ihrer Abwägungsentscheidung nicht maßgeblich von der Erwägung habe leiten lassen, den Antragstellern durch die Ausweisung eines zusätzlichen Bauraums einen Ausgleich ihrer durch den Bebauungsplan erwachsenen Belastungen zu schaffen. Im Vordergrund habe vielmehr die Schaffung von Wohnraum und die dazu erforderliche Bereitstellung ausreichender Grünflächen an den von der Antragsgegnerin aus nachvollziehbaren planerischen Gründen für richtig erachteten Stelle gestanden.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte somit auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keine Veranlassung, durch einen Augenschein zu klären, ob das Grundstück der Antragsteller vor In-Kraft-Treten des Bebauungsplans rechtlich als Außenbereich oder als Innenbereich einzustufen war. Für eine Aufklärungsrüge kommt es aber ausschließlich auf die materiellrechtliche Auffassung des vorinstanzlichen Gerichts an. Denn ein Gericht braucht nur diejenigen Beweise zu erheben, die nach seiner Ansicht entscheidungserheblich sind.

Die Beschwerde meint zwar, vorliegend hätte die Antragsgegnerin bei ihrer Abwägung den Umstand berücksichtigen müssen, dass das Grundstück dem Innenbereich zuzurechnen sei. Damit erhebt sie jedoch keine zulässige Rüge gegen die materiellrechtliche Auffassung des Normenkontrollgerichts. Im Übrigen wird es insoweit auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls ankommen. Je nach Lage der Dinge kann die Frage, ob und in welchem Umfang ein Grundstück ohne Bebauungsplan (über den Bestand hinaus) bebaut werden dürfte, einen für die Abwägung erheblichen Belang darstellen oder vernachlässigt werden. Wenn eine Gemeinde – hier die Landeshauptstadt München – ein größeres Areal mit Wohngebäuden für über 1000 Wohneinheiten und einem Grünzug überplant, kann die Frage, ob ein einzelnes (großes) Grundstück ohne Bebauungsplan bebaubar wäre oder nicht, im Rahmen der Abwägung auch so sehr in den Hintergrund treten, dass es auf ihre Klärung nicht ankommt.

2. Eine Zulassung ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO geboten. Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt nicht den Anforderungen an eine Divergenzrüge (stRspr, vgl. beispielsweise BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26).

2.1 Die Beschwerde nimmt zum einen auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. November 1974 – BVerwG 4 C 38.71 – (BVerwGE 47, 144 = NJW 1975, 841) Bezug. Dort hat der Senat klarstellend hervorgehoben, es wäre ein Missverständnis des Abwägungsgebots, wenn schon allein aus dem Umstand, dass für den Plan öffentliche Belange sprechen und dass gegen ihn (nur) private Belange angeführt werden, Folgerungen zugunsten der Planfestsetzung gezogen würden. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Normenkontrollgericht einen entgegenstehenden Rechtssatz aufgestellt hätte. Selbstverständlich können die für einen Plan sprechenden öffentlichen Belange auch überwiegen, so dass eine Abwägung im Ergebnis zu Ungunsten der entgegenstehenden privaten Interessen ausgehen darf. Dies legt der Verwaltungsgerichtshof für den vorliegenden Einzelfall näher dar. Dass die Antragsteller mit diesem Ergebnis nicht einverstanden sind, begründet keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

2.2 Zum anderen bezieht sich die Beschwerde auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 1999 – 1 BvR 565/91 – (DVBl 1999, 704 = NVwZ 1999, 979 = BRS 62 Nr. 69). Auch insoweit zeigt sie keine Divergenz im oben dargestellten Sinn auf. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, in die gebotene Abwägung sei einzustellen, dass sich der Entzug der baulichen Nutzungsmöglichkeiten für den Betroffenen wie eine Teilenteignung auswirken könne und dass dem Bestandsschutz daher ein den von Art. 14 Abs. 3 GG erfassten Fällen vergleichbares Gewicht zukomme. Die Beschwerde meint, der Verwaltungsgerichtshof habe einen dieser Aussage entgegenstehenden Rechtssatz aufgestellt. Denn er habe darauf verwiesen, dass den Antragstellern nach teilweiser Überplanung ihrer Grundstücke mit einer öffentlichen Grünfläche ein immerhin ca. 1 500 m² großes Grundstück für das bestehende Wohnhaus oder für die Errichtung des durch den Bebauungsplan neu vorgesehenen viergeschossigen Wohngebäudes von ca. 38 m Länge und 12 m Breite verbleibe. Darin sieht die Beschwerde eine der Eigentumsgarantie nicht gerecht werdende „gleichmacherische Sichtweise”. Diese Wertung ändert aber nichts daran, dass auch der Verwaltungsgerichtshof seiner Entscheidung die Grundsätze des Abwägungsgebots zu Grunde gelegt hat und keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass die Überplanung auf einen teilweisen Entzug der Privatnützigkeit der Grundstücke hinausläuft (Urteil S. 16).

3. Die Rechtssache hat auch nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫; stRspr).

Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig, ob, inwieweit und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen mit Festsetzungen eines Bebauungsplans die Privatnützigkeit des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG aufgehoben werden kann. Auch in diesem Zusammenhang beziehen sich die Antragsteller auf die bereits dargestellte Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs, wonach ihnen ein hinreichendes großes Grundstück verbleibe. Sie wenden hierzu ein, dennoch dürfe die Privatnützigkeit ihres (gesamten) Grundstücks nicht aufgehoben werden. Mit ihrem Vorbringen wird eine Frage, die weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung bedürfte, jedoch nicht dargelegt.

Insbesondere verkennen die Antragsteller Folgendes: Festsetzungen in einem Bebauungsplan sind – soweit ist ihnen zu folgen – in verfassungsrechtlicher Sicht regelmäßig Bestimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. November 1988 – 1 BvR 1301/84 –, BVerfGE 79, 174; BVerwG, Beschluss vom 3. Juni 1998 – BVerwG 4 BN 25.98NVwZ-RR 1999, 425 = BRS 60 Nr. 8 = Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 97 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn sie die bisherige Rechtslage zum Nachteil bestimmter Grundeigentümer abändern und dies die Entschädigungspflicht nach § 39 ff. BauGB auslöst (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Februar 1999 – 1 BvR 565/91 – a.a.O.). Regelungen, die Inhalt und Schranken des Eigentums festlegen, enthalten auch dann keinen enteignenden Charakter, wenn sie im Einzelfall die Eigentümerbefugnisse über das verfassungsrechtlich zulässige Maß hinaus einschränken. Eine verfassungswidrige Inhaltsbestimmung stellt nicht zugleich einen „enteignenden Eingriff” im verfassungsrechtlichen Sinne dar und kann wegen des unterschiedlichen Charakters von Inhaltsbestimmung und Enteignung auch nicht in einen solchen umgedeutet werden (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1981 – 1 BvL 77/78; BVerfGE 58, 300 [Nassauskiesung]; Beschluss vom 2. März 1999 – 1 BvL 7/91BVerfGE 100, 226; Beschluss vom 16. Februar 2000 – 1 BvR 242/91 – BVerfGE 102, 1 = NJW 2000, 2573).

Auf der anderen Seite – und dies verkennt die Beschwerde – schließen Festsetzungen in einem Bebauungsplan nicht aus, dass es im weiteren Verlauf zu einem Eigentumswechsel kommt. Die Rechtsordnung sieht hierfür mehrere Möglichkeiten vor: Insbesondere kommt die Durchführung eines Umlegungsverfahrens nach §§ 45 ff. BauGB in Betracht; davon geht vorliegend auch das Normenkontrollgericht aus. Unter den gesetzlich näher geregelten Voraussetzungen ist auch eine Enteignung möglich (vgl. §§ 85 ff. BauGB). Schließlich sind freihändige Verhandlungen zwischen dem Eigentümer und der Gemeinde denkbar, an deren Ende eine Übereignung des Grundstücks steht. Die Gemeinde darf somit nicht nur die Einschränkung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG regeln, sondern kann bei im Übrigen fehlerfreier Abwägung auch in Betracht ziehen, dass es voraussichtlich in einer der geschilderten Formen zu einem Eigentumswechsel kommen wird. Sie darf dann bei ihrer Abwägung die Augen nicht davor verschließen, dass die Festsetzungen beispielsweise einer öffentlichen Grünfläche die Nutzbarkeit des Grundstücks (hier eines Teils) für den Eigentümer in weitem Umfang einschränken, es ihm insbesondere nicht mehr zur Befriedigung seiner Wohnbedürfnisse zur Verfügung steht und nach der Lebenserfahrung mit einer der genannten Formen des Eigentumswechsels zu rechnen ist. Dies bedeutet allerdings nach der Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Bundesverwaltungsgerichts nicht, dass der Bebauungsplan bereits eine enteignungsrechtliche Vorwirkung entfalten würde (vgl. u.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Februar 1999 – 1 BvR 565/91 – a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 11. März 1998 – BVerwG 4 BN 6.98 – BRS 60 Nr. 17 m.w.N.). Vor dem Hintergrund dieser gefestigten Rechtsprechung, die das Normenkontrollgericht übrigens auch nicht verkannt hat, lässt das Beschwerdevorbringen keine Frage erkennen, die in einem Revisionsverfahren der Antragsteller weiterer grundsätzlicher Klärung zugeführt werden könnte. Vielmehr verstellt sich die Beschwerde selbst die zutreffende differenzierte Sichtweise dadurch, dass sie insbesondere die im Baugesetzbuch vorgesehenen Instrumente der Umlegung sowie der Enteignung nicht in den Blick nimmt. Dem Gesetzgeber ist es von Verfassungs wegen jedoch nicht verwehrt, in einem Gesetz für unterschiedliche Sachverhalte Festsetzungen, die eine Inhalts- und Schrankenbestimmung darstellen, sowie eine Enteignung vorzusehen, wie dies im Baugesetzbuch der Fall ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Rojahn, Jannasch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1552218

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