Entscheidungsstichwort (Thema)

Verleihung der Tariffähigkeit an Handwerksinnungen, Innungsverbände: kein Verstoß gegen Grundgesetz

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verleihung der Tariffähigkeit an die Handwerksinnungen und die Innungsverbände verstößt nicht gegen das GG. Für dieses Ergebnis ist es unerheblich, ob diese Zusammenschlüsse den rechtlichen Erfordernissen einer Koalition iS des TVG § 2 Abs 1 voll genügen und schon aus diesem Grunde tariffähig sind oder ob sie erst auf Grund der zur Prüfung gestellten Bestimmungen (HwO § 54 Abs 3 Nr 1 und § 82 S 2 Nr 3) die Tariffähigkeit erlangt haben. Entscheidend ist allein, ob gerade GG Art 9 Abs 3 die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungen und die Innungsverbände durch den einfachen Gesetzgeber ausschließt. Diese Frage ist zu verneinen.

Diese Entscheidung hat Gesetzeskraft.

 

Normenkette

TVG § 2 Abs. 1; HwO § 54 Abs. 3 Nr. 1, § 82 S. 2 Nr. 3; GG Art. 9 Abs. 3

 

Tenor

§ 54 Absatz 3 Nummer 1 und § 82 Satz 2 Nummer 3 der Handwerksordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Dezember 1965 - Bundesgesetzbl. 1966 I S. 1 - (§ 49 Absatz 3 Nummer 1 und § 76 Satz 2 Nummer 3 der Handwerksordnung vom 17. September 1953 - Bundesgesetzbl. I S. 1411 -) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Gründe

A.

– I.

Die Tariffähigkeit bedeutet die Fähigkeit, durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler unter anderem die Arbeitsbedingungen des Einzelarbeitsvertrags mit der Wirkung zu regeln, daß sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und unabdingbar wie Rechtsnormen gelten. Nach dem Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949 (WiGBl. S. 55, 68) – TVG – sind tariffähig „Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern” (§ 2 Abs. 1).

Die Handwerksordnung vom 17. September 1953 (BGBl. I S. 1411), jetzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Dezember 1965 (BGBl. 1966 I S. 1) – HandwO –, bestimmt in § 54 Abs. 3 Nr. 1 (früher § 49 Abs. 3 Nr. 1):

„Die Handwerksinnung kann

1. Tarifverträge abschließen, soweit und solange solche Verträge nicht durch den Innungsverband für den Bereich der Handwerksinnung geschlossen sind.”

§ 82 (früher § 76) lautet:

„Der Landesinnungsverband kann ferner die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der den Handwerksinnungen angehörenden Mitglieder fördern. Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1. u. 2. …

3. Tarifverträge abschließen.”

Handwerksinnungen sind die freiwilligen Zusammenschlüsse der selbständigen Handwerker des gleichen Handwerks (oder einander nahestehender Handwerke) innerhalb eines bestimmten Bezirks; in diesem kann nur eine Handwerksinnung für jedes Handwerk gebildet werden (§ 52 Abs. 1), ein Beitrittszwang besteht nicht. Die Handwerksinnung ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 53 Satz 1). Sie hat die Aufgabe, „die gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder zu fördern” (§ 54 Abs. 1). Der Landesinnungsverband ist der freiwillige Zusammenschluß von Handwerksinnungen des gleichen Handwerks (oder einander nahestehender Handwerke) im Bezirk eines Landes und eine juristische Person des privaten Rechts (§ 79 Abs. 1 und § 80 Satz 1).

II.

1. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens betreibt das Malerhandwerk und ist Mitglied der Maler- und Lackierer-Innung Frankfurt/Main. Sie ist vom Arbeitsgericht zur Zahlung von Restlohn und Aufwendungsersatz an einen früheren Arbeitnehmer, den Kläger, verurteilt worden. Ihre Berufung gegen dieses Urteil hat für sie der Geschäftsführer der Innung eingelegt und begründet, der zugleich Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes des Malerhandwerks für Hessen ist.

2. Die Zulässigkeit dieser Berufung hängt nach der Ansicht des Landesarbeitsgerichts davon ab, ob die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungen und Innungsverbände mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Landesarbeitsgericht hält die diese Verleihung aussprechenden Bestimmungen der Handwerksordnung für verfassungswidrig und hat um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierüber gebeten.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sind zur Vertretung von einzelnen Arbeitgebern vor den Landesarbeitsgerichten die Vertreter „von Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände” befugt. Das Landesarbeitsgericht legt diese Bestimmung dahin aus, daß darunter nur tariffähige Verbände zu verstehen sind. Den Innungen und den Innungsverbänden fehle aber die Tariffähigkeit; die sie gewährenden Bestimmungen der Handwerksordnung seien weder mit der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG noch mit Art. 2 Abs. 1 GG noch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar.

Die Koalitionsfreiheit überlasse die Bildung tariffähiger Vereinigungen dem freien Spiel der Kräfte und verbiete es dem Staat, ihr Zustandekommen zu regeln. Sie werde ausgehöhlt, wenn der Staat den Handwerkern von vornherein einen einzigen, wegen seiner beruflichen und wirtschaftlichen Vorteile ausgezeichneten Verband anbiete und ihnen nur die Möglichkeit lasse, nicht privilegierte Verbände zu bilden. Die Koppelung der Tariffähigkeit mit den allgemeinen Innungsaufgaben sei sachfremd. Im Bereich des Handwerks hätten die Innungen und Innungsverbände das Tarifmonopol; der einzelne Handwerker könne nur wählen, ob er diesem Monopolverband beitrete oder nicht. Im übrigen seien, wie das Landesarbeitsgericht im einzelnen ausführt, weder die Bildung noch die Betätigung der Innungen frei; die Innungen seien also keine Koalitionen. Die Gründe, die der Tariffähigkeit der Innungen im Wege stünden, gälten auch für die Innungsverbände.

III.

Die Bundesregierung hält die Vorlage für unzulässig, da die zur Prüfung vorgelegten Bestimmungen für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung unerheblich seien, jedenfalls aber für unbegründet. Die Innungen seien echte Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG und seit der Entwicklung des modernen Tarifvertragsrechts tariffähig gewesen. Diese Vorschrift verbiete dem Gesetzgeber nicht, anderen als den in § 2 Abs. 1 TVG bezeichneten Vereinigungen die Tariffähigkeit zu verleihen; die Tariffähigkeit der Innungen und Innungsverbände beeinträchtige nicht die Bestandsgarantie eines rechtlich geregelten Tarifvertragssystems, sondern trage zur Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens bei.

Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Tariffähigkeit der Innungen und der Innungsverbände als verfassungsmäßig angesehen, weil keine Zwangsmitgliedschaft bestehe und weil sie aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmungen tariffähig seien (BArbGE 3, 190 (192); 3, 358 (361); 7, 153 (156)).

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks und die Bundesvereinigung der Fachverbände des deutschen Handwerks haben ausgeführt: Das Reichsgericht und das Reichsarbeitsgericht hätten sogar die Tariffähigkeit der Zwangsinnungen anerkannt. Die aus der Zwangsmitgliedschaft hergeleiteten Bedenken gegen eine Tariffähigkeit der Innungen habe den Gesetzgeber der jetzt geltenden Handwerksordnung davon abgehalten, die Handwerker zum Beitritt zur Innung zu verpflichten. Auch anderen Zusammenschlüssen als „Koalitionen” könnte der Gesetzgeber die Tariffähigkeit verleihen, jedenfalls erfüllten die Innungen und die Innungsverbände entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Erfordernisse einer echten Koalition. Die Tariffähigkeit der Innungen und der Innungsverbände habe sich bewährt. Durch rund 1200 Tarifverträge für mehr als 400 000 Handwerksbetriebe und etwa 2 Millionen in ihnen beschäftigte Arbeitnehmer seien seit Jahren angemessene Arbeitsbedingungen festgelegt worden. Neben den Innungen gebe es auch besondere Arbeitgeberverbände für das Handwerk, z.B. für das Baugewerbe.

Diesen Ausführungen hat sich die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände angeschlossen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich einer Stellungnahme enthalten.

B.

Die Vorlage ist zulässig.

Für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung kommt es unmittelbar nur auf die Bestimmung des § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG an. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, die dort erwähnten Vereinigungen und Verbände müßten tariffähig sein, ist nicht offensichtlich unhaltbar. Danach kommt es mittelbar auch auf die Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Bestimmungen der Handwerksordnung an (vgl. BVerfGE 4, 178 (181)).

Auch die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe die Berufung gleichzeitig in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes des Malerhandwerks eingelegt, läßt einen offenbaren Rechtsirrtum nicht erkennen. Es kann also für die Zulässigkeit der Berufung auch auf die Verfassungsmäßigkeit der Tariffähigkeit der Innungsverbände ankommen.

C.

Die Verleihung der Tariffähigkeit an die Handwerksinnungen und die Innungsverbände verstößt nicht gegen das Grundgesetz.

Für dieses Ergebnis ist es unerheblich, ob diese Zusammenschlüsse den rechtlichen Erfordernissen einer Koalition im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG voll genügen und schon aus diesem Grunde tariffähig sind oder ob sie erst aufgrund der zur Prüfung gestellten Bestimmungen die Tariffähigkeit erlangt haben. Entscheidend ist allein, ob gerade Art. 9 Abs. 3 GG die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungen und die Innungsverbände durch den einfachen Gesetzgeber ausschließt. Diese Frage ist zu verneinen.

I.

Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet mit der Koalitionsfreiheit auch die sog. Tarifautonomie und damit den Kernbereich eines Tarifvertragssystems, weil sonst die Koalitionen ihre Funktion, in dem von der staatlichen Rechtsetzung frei gelassenen Raum das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge zu ordnen, nicht sinnvoll erfüllen könnten (BVerfGE 4, 96 (108); 18, 18 (28)). Eine solche Gewährleistung ist aber ganz allgemein und umfaßt nicht die besondere Ausprägung, die das Tarifvertragssystem in dem zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes geltenden Tarifvertragsgesetz erhalten hat. Sie läßt dem einfachen Gesetzgeber einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung der Tarifautonomie.

1. Die ihm dadurch gesetzten Grenzen hat der Gesetzgeber nicht überschritten, wenn er den Innungen und Innungsverbänden die Teilnahme an der Tarifautonomie gestattet, also die Tariffähigkeit verliehen hat. Das Grundgesetz hat auch die Voraussetzungen der Tariffähigkeit nicht ein für allemal abschließend festgelegt, etwa im Sinne des von ihm vorgefundenen Tarifvertragsgesetzes, sondern dem Gesetzgeber überlassen, sie im einzelnen zu normieren und der jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit so anzupassen, daß die Koalitionen ihre Aufgabe erfüllen können. Daher ist er nicht darauf beschränkt, die Tariffähigkeit jedenfalls auf der Seite der Arbeitgeber nur echten arbeitsrechtlichen Vereinigungen (vgl. BVerfGE 4, 96 (106 f.)) zuzuerkennen. Dies ergibt sich schon daraus, daß dem einzelnen Arbeitgeber, also einem Partner, der keine Koalition ist, von jeher (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918 - RGBl. S. 1456) und auch nach dem geltenden Recht (§ 2 Abs. 1 TVG) die Tariffähigkeit eignet. Durch eine solche Ausdehnung der Tariffähigkeit auf der Arbeitgeberseite will es das Gesetz den Koalitionen der Arbeitnehmer erleichtern, einen Tarifpartner zu finden und mit ihm durch den Abschluß eines Tarifvertrags die Arbeitsbedingungen zu regeln. Die Ausdehnung begünstigt also unmittelbar den Abschluß von Tarifverträgen und damit mittelbar auch die Realisierung der Koalitionsfreiheit.

Auch die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungen und die Innungsverbände ist geeignet, der Tarifautonomie zu dienen. Erfahrungsgemäß gelingt es schwer, die zahlreichen kleinen Handwerker mit nur einem oder wenigen Arbeitnehmern zum Beitritt zu einem besonderen Arbeitgeberverband zu bewegen. Da dann ein den Gewerkschaften entsprechender umfassender Tarifpartner nicht vorhanden wäre, würden die Ordnung der Arbeitsbedingungen und die Befriedung des Arbeitslebens im Bereich des Handwerks unvollständig bleiben. Seiner Innung beizutreten, ist dagegen auch der kleine Handwerker wegen der damit verbundenen sonstigen Vorteile, insbesondere der beruflichen Förderung, eher geneigt. Die Ausdehnung der Tariffähigkeit auf die Innungen und Innungsverbände begünstigt also das Zustandekommen einer umfassenden tariflichen Ordnung.

Auch die Gewerkschaften haben dadurch, daß sie in der Praxis die Innungen und Innungsverbände als geeignete Tarifpartner angesehen haben, zum Ausdruck gebracht, daß die zur Prüfung gestellte Regelung jedenfalls mit ihrer eigenen Koalitionsfreiheit nicht im Widerspruch steht.

Schließlich widerlegt die frühere und die jetzige gesellschaftliche Wirklichkeit die Ansicht, die Tariffähigkeit der Innungen sei mit der Koalitionsfreiheit unvereinbar. Die Innungen sind in der Zeit bis 1933, obgleich sie Zwangscharakter hatten, als tariffähig angesehen worden und betätigen sich seit 1953 wiederum als Tarifvertragsparteien; dadurch ist die den Koalitionen obliegende Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens nie behindert worden.

2. Daher ist der Gesetzgeber durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht gehindert, auch anderen als den in § 2 Abs. 1 TVG genannten Verbänden von Arbeitgebern die Tariffähigkeit zu verleihen. Auch das Landesarbeitsgericht entnimmt seine Rechtsansicht, die Tariffähigkeit der Innungen sei verfassungswidrig, nicht einem Tarifmonopol der Koalitionen. Dann sind aber seine Ausführungen unerheblich, die Innungen hätten deshalb nicht den Charakter einer Koalition, weil sie hinsichtlich ihrer Bildung und Betätigung von möglichen Einflüssen anderer Stellen, insbesondere des Staates, nicht völlig frei seien.

II.

Der Befugnis des Gesetzgebers, anderen Zusammenschlüssen als „Koalitionen” die Tariffähigkeit zu verleihen, sind gewisse Grenzen gesetzt. Die Koalitionsfreiheit ist nur dann sinnvoll, wenn die Rechtsordnung den Koalitionen auch die Erreichung ihres in Art. 9 Abs. 3 GG bezeichneten Zweckes, nämlich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern, gewährleistet und die Möglichkeit gibt, diesen Zweck durch spezifische koalitionsgemäße Betätigung, also durch Tarifverträge zu verwirklichen (BVerfGE 18, 18 (26)). Daher ist es dem Gesetzgeber verwehrt, die Tariffähigkeit der Koalitionen dadurch auszuhöhlen, daß er die ihnen vom Grundgesetz zugesprochenen Aufgaben andersartigen Zusammenschlüssen zuweist. Diese Grenze überschreitet jedoch die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungen noch nicht.

Rechtlich bleibt die Bildung und die Betätigung von Arbeitgeberverbänden im Bereiche des Handwerks frei. Auch der einzelne Handwerker ist rechtlich nicht gehindert, der Innung fernzubleiben und sich einem Arbeitgeberverband anzuschließen.

Auch die tatsächliche Wirkung, die die Tariffähigkeit der Innungen für sich allein auf die Möglichkeit der Bildung und Betätigung auch das Handwerk umfassender Arbeitgeberverbände ausübt, hat bei richtiger Würdigung der Gesamtheit der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge nicht die vom Landesarbeitsgericht ihr beigemessene Bedeutung, daß „im Bereich des Handwerks den Innungen ein Tarifmonopol gewährt” worden sei. Die Tariffähigkeit bedeutet lediglich eine rechtliche Möglichkeit, aber keinen rechtlichen Zwang zum Abschluß eines Tarifvertrages. Der Innung ist nicht etwa die Verpflichtung auferlegt, für ihren Handwerkszweig den Abschluß eines Tarifvertrages anzustreben.

Ob eine Innung von ihrer Tariffähigkeit durch den Abschluß von Tarifverträgen tatsächlich Gebrauch macht oder nicht, hängt also – abgesehen von der Bereitschaft der zuständigen Gewerkschaft, mit der Innung und nicht mit einem etwaigen besonderen Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag für die bei den Innungsmitgliedern beschäftigten Arbeitnehmer abzuschließen – allein von der Entschließung ihrer Organe, letztlich also ihrer Mitglieder ab.

Der Kreis der Innungsmitglieder fällt weitgehend mit dem der Arbeitgeber zusammen, die darüber entscheiden, ob ein besonderer Arbeitgeberverband gebildet werden soll. Die Entscheidung der Innung, die Arbeitsverhältnisse in ihrem Bereich selbst durch Tarifvertrag zu regeln, ist praktisch nicht zu trennen von der gleichzeitigen Entscheidung ihrer Mitglieder, keinen Arbeitgeberverband für den gleichen Zweck zu bilden. Wenn tatsächlich auf der Arbeitgeberseite überwiegend die Innungen als Tarifpartner auftreten, so beweist dies lediglich, daß die Ausnutzung der Tariffähigkeit durch die Innungen den Wünschen der Mehrheit der Handwerker zugleich in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber entspricht und die Innungen von den Gewerkschaften als geeignete Tarifpartner angesehen werden.

III.

Auch die Koalitionsfreiheit des einzelnen Handwerkers ist durch die Tariffähigkeit der Innungen weder rechtlich noch in einem ins Gewicht fallenden Umfange tatsächlich eingeengt.

1. Der einzelne Handwerker ist nicht gezwungen, der Innung beizutreten oder in ihr zu verbleiben (§ 52 Abs. 1 Satz 1 HandwO). Die Mitglieder der Innung, die den Abschluß eines Tarifvertrages durch die Innung für nicht wünschenswert erachten, behalten die Möglichkeit, einen besonderen Arbeitgeberverband zu bilden oder sich einem bestehenden anzuschließen und durch ihn einen Tarifvertrag abzuschließen. Gelingt dies einem wesentlichen Teil der Innungsmitglieder rechtzeitig, so wird in der Regel für einen von der Innung selbst abzuschließenden Tarifvertrag kaum noch Raum bleiben.

2. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß die Tariffähigkeit der Innungen auf die Koalitionsfreiheit des einzelnen Handwerkers einwirkt. Die Tariffähigkeit der Innungen hat für den einzelnen Handwerker die Bedeutung, daß seine Zugehörigkeit zu einem tariffähigen Zusammenschluß aufs engste verbunden ist mit der Teilnahme an den allgemeinen öffentlichen Aufgaben der Innung, insbesondere auch an der Förderung der gemeinsamen beruflichen Interessen. Der einzelne Handwerker, der sich der Tarifmacht der Innung entziehen, etwa einem besonderen Arbeitgeberverband beitreten oder überhaupt nicht sozialpolitisch organisiert sein will, muß zugleich auf die allgemeinen, durch die Handwerksordnung gewährten Vorteile der Zugehörigkeit zur Innung verzichten. Diese in der Handwerksordnung angelegte Koppelung der Zugehörigkeit zu einem tariffähigen Verband mit den Vorteilen einer öffentlich-rechtlichen Berufsorganisation kann für den einzelnen Handwerker einen gewissen Druck bedeuten, die Tarifmacht der Innung anzunehmen und von dem Beitritt zu einer besonderen Arbeitgeberorganisation abzusehen. Indes darf dies nicht überbewertet werden. Auch sonst sind der Freiheit des Einzelnen, einen Arbeitgeberverband zu bilden oder ihm beizutreten, enge Grenzen gesetzt. Anders als auf Arbeitnehmerseite kennt die Rechtswirklichkeit von jeher in der Regel für den einzelnen Wirtschaftszweig nicht mehrere, auf abweichenden sozialpolitischen oder weltanschaulichen Auffassungen beruhende Arbeitgeberverbände, die miteinander in einem gewissen Wettbewerb stehen, sondern nur einen Arbeitgeberverband. Der einzelne Arbeitgeber, der an dem sozialpolitischen Leben teilnehmen will, hat also in der Regel nur die eine praktische Möglichkeit, sich diesem einen Arbeitgeberverband anzuschließen und sich dem Willen der Mehrheit seiner Berufsgenossen unterzuordnen. Eine echte Möglichkeit, mit anderen Arbeitgebern einen konkurrierenden Arbeitgeberverband, etwa der Minderheit, zu bilden, besteht kaum.

IV.

Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes enthält die Tariffähigkeit der Innungen schon wegen der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Handwerks nicht. Gehört die Bestimmung über die Tariffähigkeit der Innungen zur verfassungsmäßigen Ordnung, so scheidet auch ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG aus.

Da die Tariffähigkeit der Innungen mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist auch die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungsverbände verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60541

BVerfGE 20, 312 (LT1)

BB 1966, 1267 (LT1)

NJW 1966, 2305 (LT1)

ARST 1968, 58 (LT1)

AP TVG § 2, Nr. 24 (LT1)

ArbuR 1967, 30 (LT1)

DÖV 1966, 863 (LT1)

DVBl 1967, 77 (LT1)

MDR 1967, 24 (LT1)

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