Verfahrensgang

BGH (Urteil vom 12.06.2001; Aktenzeichen 5 StR 606/00)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerden werden verbunden.

Sie werden nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerden betreffen Art. 315a EGStGB mit der Frage, ob die Regelung wegen ihrer Differenzierung nach im Beitrittsgebiet begangenen Straftaten gegen die Verfassung verstößt.

A.

I.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren verschiedener in der ehemaligen DDR im “Spezialkinderheim Erich Hartung” zum Nachteil dort untergebrachter sogenannter schwer erziehbarer Jugendlicher in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis Dezember 1990 begangener Taten. Am 15. Februar 1999 hatte die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Das Landgericht lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens am 6. September 1999 wegen eingetretener Verfolgungsverjährung ab. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Oberlandesgericht den angefochtenen Beschluss teilweise auf und eröffnete das Hauptverfahren vor dem Landgericht.

Nach Maßgabe des Eröffnungsbeschlusses lag dem Beschwerdeführer M.… die Verletzung von Erziehungspflichten in fünf Fällen (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB/DDR), davon in einem Fall tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen (§ 150 Abs. 1 StGB/DDR), sowie Freiheitsberaubung (§ 131 Abs. 1 StGB/DDR) zur Last, dem Beschwerdeführer H.… Verletzung von Erziehungspflichten in fünf Fällen und Freiheitsberaubung in zwei Fällen. Auf den Antrag der Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführer stellte das Landgericht das Verfahren durch Urteil vom 11. August 2000 gemäß § 260 Abs. 3 StPO wegen absoluter Verfolgungsverjährung ein. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück.

Zur Begründung führte der Strafsenat aus, dass die Verjährungsfristen für die Verletzung von Erziehungspflichten und für Freiheitsberaubung von fünf Jahren (§ 82 Abs. 1 Nr. 2 StGB/DDR) sowie von acht Jahren (§ 82 Abs. 1 Nr. 3 StGB/DDR) für den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen am 3. Oktober 1990 noch nicht verstrichen gewesen und an diesem Tag auf Grund der Regelung des Art. 315a Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 EGStGB unterbrochen worden seien. Ab diesem Zeitpunkt seien die §§ 78 ff. StGB anzuwenden mit der Folge, dass nach § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB für alle angelasteten Taten die § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB zu entnehmenden fünfjährigen Verjährungsfristen zu laufen begännen. Diese seien durch Art. 1 des 2. Verjährungsgesetzes bis zum 31. Dezember 1997 verlängert worden. Die in Art. 2 dieses Gesetzes normierte Voraussetzung, der Nichteintritt der Verjährung vor Ablauf des 30. September 1993, habe vorgelegen. Vor dem Inkrafttreten des 2. Verjährungsgesetzes sei in keinem Fall seit Beendigung der Tat durch Ablauf von zehn Jahren die absolute Verjährung eingetreten (§ 78c Abs. 3 Satz 2 StGB). Durch Art. 1 und 2 des 3. Verjährungsgesetzes seien die am 31. Dezember 1997 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen bis zum 2. Oktober 2000 verlängert worden.

Vor diesem Zeitpunkt habe auch die absolute Verjährung nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB nicht eintreten können. Art. 315a Abs. 2 EGStGB sei eine gegenüber § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB vorrangige Norm, die ohne sachliche Differenzierung wegen der im Gesetzgebungsverfahren diskutierten faktischen Verfolgungserschwernisse anzuwenden sei.

II.

Mit den Verfassungsbeschwerden greifen die Beschwerdeführer die Entscheidung des Bundesgerichtshofs und mittelbar Art. 315a EGStGB an. Die Norm sei in der Auslegung, wie sie der Entscheidung zu Grunde liege, verfassungswidrig. Die Entscheidung verletze sie in ihren Rechten aus Art. 103 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG.

1. a) Der Wortlaut der Verjährungsvorschriften in Art. 315a Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB widerspreche Art. 315a Abs. 2 EGStGB, da ersterer die Vorschrift des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB ausdrücklich unberührt lasse. Die absolute Verjährung trete danach ein, wenn seit Beendigung der Tat das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen sei. Im vorliegenden Fall sei daher jeweils zehn Jahre nach Begehung der vorgeworfenen Tat die absolute Verjährung eingetreten. Art. 315a Abs. 2 EGStGB sehe hingegen eine Verfolgungsverjährungsfrist von Taten, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht seien, frühestens mit Ablauf des 2. Oktober 2000 vor. Die sich aus dem Gesetzeswortlaut ergebenden unterschiedlichen Rechtsfolgen widersprächen dem Bestimmtheitsgrundsatz gemäß Art. 103 Abs. 2 GG, da die Rechtsfolge nicht bestimmbar sei. Infolge der Auslegung durch den Bundesgerichtshof werde das Gesetzlichkeitsprinzip verletzt, weil nur der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheiden dürfe und Gleiches für die Frage der Verfolgbarkeit gelte.

b) Mit der angegriffenen Entscheidung habe der Bundesgerichtshof gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen, weil diese nicht – wie vom Landgericht vorgezeichnet – die erforderliche verfassungskonforme Auslegung der Verjährungsvorschriften geleistet und damit die Rechtspositionen der Beschwerdeführer verletzt habe. Der Bundesgerichtshof habe eine bestehende Norm, Art. 315a Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB, ohne Begründung nicht angewandt. In diese Norm sei durch die Verjährungsgesetze gerade nicht eingegriffen worden; die Verjährungsgesetze regelten nicht das Rechtsinstitut der absoluten Verjährung. Nach der systematischen Auslegungsmethode wäre dem höherrangigen Gesetz mit Verfassungsrang (Einigungsvertrag) gegenüber dem einfachen Parlamentsgesetz (Verjährungsgesetz) der Vorrang einzuräumen. Der Einigungsvertrag erfülle die Kriterien des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG. Er sei ein völkerrechtlicher Vertrag, der auch den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand habe.

Die Entstehungsgeschichte der Verjährungsgesetze spreche zudem dafür, Art. 315a Abs. 2 EGStGB dahin auszulegen, dass er sich nur auf Vereinigungs- bzw. DDR-Regierungskriminalität beschränke.

Der Auffassung folgend, die Verfolgungsverjährung für die den Beschwerdeführern vorgeworfenen Taten betrage fünf Jahre, liefe die Vorschrift des Art. 315a Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB leer, wenn gleichzeitig eine frühestmögliche Verjährung zum 2. Oktober 2000 angenommen werde. Den Beschwerdeführern stünde dann das Rechtsinstitut der absoluten Verjährung nicht zur Verfügung. Der Begriff “frühestens” in Art. 315a Abs. 2 EGStGB setze ein “spätestens” denknotwendig voraus.

2. Art. 315a EGStGB in der Fassung nach dem 3. Verjährungsgesetz verstoße in der Auslegung durch den Bundesgerichtshof gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe eine Verjährungsverlängerung lediglich für gravierende Fälle der Regierungs- und Vereinigungskriminalität gewollt. Eine Ungleichbehandlung von Allgemeinkriminalität in West- und Ostdeutschland sei zur Vermeidung gespaltenen Bundesrechts nicht beabsichtigt gewesen.

3. Ein Gehörsverstoß liege darin, dass in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht auf den im Verfahren dargelegten Umstand eingegangen werde, dass ein Fall konkurrierender Gesetzesvorschriften vorliege, deren Widerspruch in den Rechtsfolgen durch Auslegung überwunden werden müsse. Der Strafsenat sei nicht darauf eingegangen, dass der Wortlaut des Art. 315a Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB auf § 78c Abs. 3 Satz 2 EGStGB verweise. Auch das Argument, die Vorschrift des Art. 315a Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB i.V.m. § 78c Abs. 3 Satz 2 EGStGB liefe ins Leere, wenn man annehme, dass frühestmöglicher Verjährungsbeginn der 2. Oktober 2000 sei, finde keine Berücksichtigung im angefochtenen Urteil.

III.

1. Das Bundesministerium der Justiz hat von der Möglichkeit einer Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

2. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden der Strafsenate eingereicht. Diese beziehen sich auf bisherige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Art. 315a EGStGB.

3. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Der Rechtsweg sei nicht erschöpft, weil das Strafverfahren nach Zurückverweisung der Sache an das Landgericht noch nicht abgeschlossen sei. Davon unabhängig seien die Verfassungsbeschwerden offensichtlich unbegründet. Art. 103 Abs. 2 GG betreffe lediglich die Voraussetzungen, unter denen ein Verhalten für strafbar erklärt werden könne, nicht jedoch die Frage, wie lange eine Straftat zu verfolgen und zu ahnden sei. Ein Verstoß der angefochtenen Entscheidung gegen das Willkürverbot sei nicht erkennbar. Die Auffassung des Strafsenats, Art. 315a Abs. 2 EGStGB sei eine gegenüber Art. 315a Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB, § 78c Abs. 3 StGB vorrangige Norm, die ohne sachliche Differenzierung hinsichtlich der im Gesetzgebungsverfahren diskutierten faktischen Verfolgungserschwernisse anzuwenden sei, sei ohne weiteres nachvollziehbar und damit auch nicht willkürlich. Gleiches gelte für die Annahme, es sei nicht geboten, nur die im 1. Verjährungsgesetz genannten Delikte von der nach Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich erforderlichen Gleichbehandlung der in den alten und neuen Ländern begangenen Straftaten auszunehmen.

IV.

Auf den Antrag des Beschwerdeführers M.… hat die Kammer mit Beschluss vom 1. August 2002 dem Landgericht aufgegeben, in dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer M.… solange keine Hauptverhandlung durchzuführen, bis über seine Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Diese einstweilige Anordnung ist durch Beschlüsse der Kammer vom 16. Januar 2003 und 15. Juli 2003 wiederholt worden. Die Hauptverhandlung ist auf Grund dessen gegen alle Angeklagten ausgesetzt worden.

B.

Art. 315a EGStGB hat in der seit 31. Dezember 1997 geltenden Fassung folgenden Wortlaut:

“(1) Soweit die Verjährung der Verfolgung oder der Vollstreckung nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik bis zum Wirksamwerden des Beitritts nicht eingetreten war, bleibt es dabei. Dies gilt auch, soweit für die Tat vor dem Wirksamwerden des Beitritts auch das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland gegolten hat. Die Verfolgungsverjährung gilt als am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts unterbrochen; § 78c Abs. 3 des Strafgesetzbuches bleibt unberührt.

(2) Die Verfolgung von Taten, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begangen worden sind und die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, verjährt frühestens mit Ablauf des 2. Oktober 2000, die Verfolgung der in diesem Gebiet vor Ablauf des 2. Oktober 1990 begangenen und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedrohten Taten frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 1995.

(3) …”

Die Regelung des Art. 315a EGStGB wurde in ihrem ursprünglichen Wortlaut, der sich auf die Sätze 1 und 3 des Absatzes 1 beschränkte, durch den Einigungsvertrag in das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch eingefügt, wonach bei im Beitrittsgebiet begangenen, am 3. Oktober 1990 nach dem Recht der DDR noch nicht verjährten, Straftaten die Verfolgungsverjährung als unterbrochen gilt. Seit dem Beitritt gelten nach Art. 8 des Einigungsvertrags für die Strafverfolgungsverjährung die Regelungen der §§ 78 ff. StGB. Für diese Taten begann daher nach § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB mit Wirksamwerden des Beitritts die – einfache – Verjährungsfrist von Neuem zu laufen. Für die absolute Verjährung bestimmt Art. 315a Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB a.F. allerdings ausdrücklich, dass § 78c Abs. 3 StGB unberührt bleibt. Die absolute Verjährung tritt ungeachtet der Unterbrechensregelung dann ein, wenn seit dem Beginn der Verjährung das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist (§ 78 StGB) vergangen ist. Das System der Verjährungsregelungen des Strafgesetzbuchs sollte durch Art. 315a EGStGB a.F. nicht verändert werden. Durch die Verjährungsunterbrechung sollte insbesondere sichergestellt werden, dass der Aufbau einer funktionsfähigen und rechtsstaatlichen Strafjustiz im Gebiet der neuen Länder nicht die Verfolgbarkeit von Teilen des sogenannten SED-Unrechts hindert.

Art. 315a EGStGB wurde zunächst durch das Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten vom 26. März 1993 (1. Verjährungsgesetz; BGBl I S. 392) und sodann durch das Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27. September 1993 (2. Verjährungsgesetz; BGBl I S. 1657; vgl. unten I.) um die zur Prüfung gestellte Regelung des Art. 315a Abs. 2 EGStGB ergänzt. Durch sie wurde der Eintritt der Verfolgungsverjährung für im Beitrittsgebiet vor Ablauf des 2. Oktober 1992 bzw. des 31. Dezember 1992 begangene, noch nicht verjährte, leichte bis mittelschwere Straftaten (mit drei- oder fünfjähriger Verjährungsfrist, vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 4 und 5 StGB) bis zum Ablauf des 31. Dezember 1995 (bei dreijähriger Verjährungsfrist) bzw. des 31. Dezember 1997 (bei fünfjähriger Verjährungsfrist) hinausgeschoben. Der letztgenannte Zeitpunkt wurde durch das Gesetz zur weiteren Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen und zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 22. Dezember 1997 (3. Verjährungsgesetz; BGBl I S. 3223, vgl. unten II.) ein zweites Mal verschoben auf den 2. Oktober 2000; zugleich entfiel die zeitliche Beschränkung der Anwendbarkeit auf Taten, die vor dem 31. Dezember 1992 begangen worden waren.

I.

Die Regelungen des am 30. September 1993 in Kraft getretenen 2. Verjährungsgesetzes ergänzten Art. 315a EGStGB a.F. um die Absätze 2 und 3. Absatz 2 lautete:

“(2) Die Verfolgung von Taten, die vor Ablauf des 31. Dezember 1992 in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begangen worden sind und die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, verjährt frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 1997, die Verfolgung der in diesem Gebiet vor Ablauf des 2. Oktober 1990 begangenen und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedrohten Taten frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 1995.”

Das Gesetz geht auf einen Entwurf des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 3. März 1992 (BRDrucks 147/92) zurück. Der Entwurf wurde damit begründet, dass eine wirksame Wahrnehmung des staatlichen Strafanspruchs im Hinblick auf Straftaten, die noch vor dem Beitritt begangen worden waren, und auf Straftaten der sogenannten “Vereinigungskriminalität” zeitnah nicht gewährleistet sei, weil die Justiz sich erst im Aufbau befinde. Gerichte und Staatsanwaltschaften seien insbesondere hinsichtlich berufserfahrener Richter und Staatsanwälte unterbesetzt. Ermittlungsmaßnahmen durch die Polizei würden auf Grund der auch dort im Auf- und Umbau befindlichen Organisation nicht mit der wünschenswerten Effektivität durchgeführt werden. Der Ausbildungsstand bei der Polizei in den neuen Bundesländern bleibe hinter dem der Beamten in den alten Bundesländern zurück. Diesen strukturellen Schwierigkeiten stehe ein erheblicher Bestand an unerledigten Verfahren gegenüber, der auch darauf zurückzuführen sei, dass die Strafverfolgung in der Endphase der DDR angesichts der anstehenden politischen Veränderungen nicht in der erforderlichen Weise funktioniert habe. Hinzu trete verstärkt Kriminalität vor allem Jugendlicher und Heranwachsender als Ausdruck sozialer Probleme. Die Staatsanwaltschaften seien überdies mit der Durchführung der Rehabilitierungs- und Kassationsverfahren belastet. Schließlich müsse in Folge der Einsichtnahme vieler Bürger in die vom Ministerium für Staatssicherheit über sie geführten Akten mit einer Vielzahl bisher unentdeckter Straftaten gerechnet werden. Ohne eine Verlängerung der Verjährungsfrist bestünde die Gefahr, dass den Tätern ein sachlich nicht gerechtfertigter Vorteil erwachsen würde. Daher sei es notwendig, die in großer Zahl drohende Verjährung von Straftaten durch ein Gesetz zur Verlängerung der Verjährungsfristen abzuwenden. Durch die beabsichtigte Regelung solle “nachgerade die faktische Ungleichheit zwischen der Strafverfolgung in den neuen und in den alten Bundesländern, die daraus resultiert, dass die Strafverfolgungseffizienz in den neuen Bundesländern vereinigungsbedingt hinter der der alten Bundesländer” zurückbleibe, ausgeglichen werden. Der Entwurf sah unter anderem vor, dass bei allen vor dem Beitritt begangenen Taten, die mit einer Höchststrafe von über einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind, die Verjährung nicht vor dem 2. Oktober 2000 eintreten solle (vgl. § 2 Abs. 1 des Entwurfs).

Mit der Regelung sollte bei der einfachen und der mittleren Kriminalität eine Verdoppelung der einfachen Verjährungsfrist erreicht und zugleich sichergestellt werden, dass auch die absolute Verjährung nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB nicht vor den im Gesetz aufgeführten Daten eintritt.

In § 3 des Entwurfs ist demgegenüber für Straftaten, die nach dem Beitritt begangen wurden, ausdrücklich eine abweichende Regelung zur absoluten Verjährungsfrist getroffen worden.

Der Rechtsausschuss des Bundesrats legte einen abweichenden Gesetzesentwurf vor, wonach die Verjährungsfristen für Taten mit einer Strafandrohung von maximal fünf Jahren von fünf auf acht Jahre verlängert werden sollten. Die Erforderlichkeit des Gesetzes wurde wie im Entwurf des Landes Mecklenburg-Vorpommern begründet (BRDrucks 319/1/93). Der Bundesrat beschloss am 9. Juli 1993, diesen Entwurf beim Deutschen Bundestag einzubringen (BR, PlPr 659 S. 325; BRDrucks 319/93; BTDrucks 12/5613). Ein von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. vorgelegter “Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung strafrechtlicher Verjährungsfristen” (BTDrucks 12/5637) brachte eine dritte Variante der Möglichkeiten zur Verlängerung der Verjährungsfristen in die Diskussion, indem der Beginn der Verjährung von vor dem 31. Dezember 1992 begangenen und mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Straftaten auf den 1. Januar 1993 gelegt wurde.

Der Rechtsausschuss des Bundestags folgte dem Entwurf in seiner Beschlussempfehlung für den Bundestag (BTDrucks 12/5701, S. 4) daher nicht. Er verband die beiden Entwürfe und fasste sie in einem neuen Entwurf zusammen, der vom Bundestag als “Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen (2. Verjährungsgesetz)” beschlossen worden und am 30. September 1993 in Kraft getreten ist.

II.

Die weitere Verlängerung der Verfolgungsverjährung durch das am 31. Dezember 1997 in Kraft getretene 3. Verjährungsgesetz vom 22. Dezember 1997 wurde damit gerechtfertigt, dass die Justiz in den neuen Bundesländern trotz großer Anstrengungen bei der Aufarbeitung des im Zuge der deutschen Einigung im Beitrittsgebiet begangenen strafbaren Unrechts, insbesondere der einigungsbedingten Wirtschaftskriminalität, an ihre Grenzen gestoßen sei. Auch die Aufarbeitung der DDR-Regierungskriminalität durch die Strafverfolgungsbehörden habe bisher noch nicht abgeschlossen werden können. Von einer Sonderregelung für diese Delikte wurde abgesehen. Der Aufschub der Verjährung sollte vielmehr alle im Beitrittsgebiet begangenen mittelschweren Delikte erfassen (BTDrucks 13/8962, S. 3). Zugleich entfiel die zeitliche Beschränkung auf Straftaten, die vor dem 31. Dezember 1992 begangen worden waren (Art. 2 des 3. Verjährungsgesetzes). Den im Gesetzgebungsverfahren gegen den Gesetzesentwurf erhobenen Bedenken, es würde zu einer Ungleichbehandlung ost- und westdeutscher Straftäter auch für die Bereiche der Alltagskriminalität kommen (vgl. BRDrucks 936/1/97), folgte der Gesetzgeber nicht.

C.

Die Verfassungsbeschwerden werden verbunden, weil sie die gleichen verfassungsrechtlichen Fragen aufwerfen (vgl. BVerfGE 11, 266 ≪270≫). Sie werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind entschieden (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerden haben keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Sie sind unbegründet.

Die vom Bundesgerichtshof der angegriffenen Entscheidung zu Grunde gelegte Auslegung des Art. 315a EGStGB bezüglich der Verlängerung der absoluten Verjährung für Delikte der Alltagskriminalität ist nach dem Wortlaut der Vorschrift, dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck der Regelung jedenfalls vertretbar (I.). Art. 315a EGStGB ist bei dieser vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Norminterpretation mit der Verfassung vereinbar (II.).

I.

Der Bundesgerichtshof hat angenommen, Art. 315a Abs. 2 EGStGB sei auch für Fälle der sogenannten Alltagskriminalität, zu der die angeklagten Taten gehörten, eine gegenüber Art. 315a Abs. 1 Satz 3 EGStGB in Verbindung mit § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB für die Bestimmung der absoluten Verjährung vorrangige Norm. Dies ist jedenfalls vertretbar.

1. a) Art. 315a Abs. 2 EGStGB erfasst nach seinem Wortlaut auch Fälle der Alltagskriminalität. Anders als im 1. Verjährungsgesetz erfolgt keine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Kriminalitätsgruppen. Die noch im 2. Verjährungsgesetz enthaltene zeitliche Beschränkung auf Straftaten, die vor dem 31. Dezember 1992 begangen wurden, wurde im 3. Verjährungsgesetz gleichfalls gestrichen, sodass die erfassten Taten auch nicht mehr vor oder alsbald nach dem Beitritt stattgefunden haben müssen.

Der Wortlaut des Art. 315a EGStGB steht der Annahme, Absatz 2 der Vorschrift regele nicht nur die einfache Verjährung, sondern auch die absolute, nicht entgegen. Nach Art. 315a Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB richtet sich die Prüfung der absoluten Verfolgungsverjährung nach § 78c Abs. 3 StGB; die Taten sind dann nicht mehr verfolgbar, wenn das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist verstrichen ist. Nach Art. 315a Abs. 2 EGStGB tritt die Verjährung solcher Taten jedoch frühestens mit Ablauf des 2. Oktober 2000 ein. Der Begriff “frühestens” kann nur dahin verstanden werden, dass eine wie auch immer geartete Verjährung vor diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht eintreten soll, mithin auch nicht die absolute Verjährung. Das von den Beschwerdeführern angeführte Argument, der Begriff “frühestens” setze denknotwendig auch ein “spätestens” voraus, sodass der Gesetzeswortlaut widersprüchlich sei und die Vorschrift nur in ihrem Sinne ausgelegt werden könne, greift nicht durch. Denn jedenfalls dann, wenn die Begriffe nur für einen bestimmten Zeitraum zusammenfallen und darüber hinaus Raum für ein “später” bleibt, macht die Begriffswahl “frühestens” Sinn. Bei einer Straftat mit fünfjähriger Verjährungsfrist, die nach dem 1. Januar 1988 im Beitrittsgebiet begangen wurde, träte die absolute Verjährung nach dem im 2. Verjährungsgesetz genannten Zeitpunkt (31. Dezember 1997) ein. Entsprechendes gilt nach dem 3. Verjährungsgesetz für Straftaten, die nach dem 2. Oktober 1990 begangen wurden. Es liegen somit keine einander widersprechenden Regelungen, sondern eine Grundnorm (Absatz 1) und eine Spezialnorm (Absatz 2) vor, sodass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit dem Wortlaut vereinbar ist.

b) Auch dem Gesetzgebungsverfahren lässt sich ein Wille des Gesetzgebers, mit Art. 315a Abs. 2 EGStGB entgegen dem Wortlaut nicht den Eintritt der absoluten Verjährung bei sogenannter Alltagskriminalität regeln zu wollen, nicht entnehmen.

(1) Der ursprüngliche Gesetzesantrag Mecklenburg-Vorpommerns zum 2. Verjährungsgesetz (BRDrucks 147/92, S. 7) enthielt lediglich eine Differenzierung zwischen Fällen der Regierungs- und Alltagskriminalität vor der Wiedervereinigung einerseits und Fällen der Vereinigungs- und Alltagskriminalität nach diesem Zeitpunkt. Die absolute Verjährung wurde für beide Bereiche unterschiedlich behandelt.

Fälle der Alltagskriminalität wurden in beiden Bereichen nicht ausgegrenzt, obwohl dies zumindest für die Altfälle durch eine Beschränkung auf den Bereich der Regierungskriminalität – entsprechend der Ruhensregelung des 1. Verjährungsgesetzes – ohne Weiteres möglich gewesen wäre.

Im Entwurf des Bundestagsrechtsausschusses (BTDrucks 12/5701, S. 4) wurde ebenfalls auf eine Unterscheidung der Straftatengruppen verzichtet. Der Begründung, es müsse “dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Verfolgungskapazitäten in den neuen Bundesländern eine rechtzeitige Aufarbeitung von Taten, die bis zum 31. Dezember 1992 begangen wurden, vor Eintritt der Verjährung nach bisher geltendem Recht nicht gewährleisten” (BTDrucks 12/5701, S. 6), kann nicht entnommen werden, dass von der Verjährungsverlängerung Taten der allgemeinen Kriminalität nicht erfasst werden sollten.

(2) Auch bei den Beratungen über das 3. Verjährungsgesetz wurde an dem Entwurf, der keine Unterscheidung nach Straftatengruppen vorsah, festgehalten.

Die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs widerspricht daher nicht dem Willen des Gesetzgebers.

c) Gesetzessystematik und Zweck der Verjährungsverlängerung widersprechen gleichfalls nicht dem Normverständnis, wie es der angegriffenen Entscheidung zu Grunde liegt.

(1) Bei Art. 315a Abs. 1 handelt es sich im Vergleich zu Abs. 2 nicht um höherrangiges Recht. Die Anwendung des Art. 315a Abs. 2 EGStGB verstößt daher nicht schon deshalb gegen das Rechtsstaatsprinzip. Art. 315a Abs. 1 ist zwar durch den Einigungsvertrag eingeführt worden, der selbst auch Verfassungsänderungen enthält (Art. 4 EV). Gleichwohl handelt es sich nicht um ein Gesetz mit Verfassungsrang; der Vertrag gilt, nach seiner Ratifizierung, als Bundesrecht fort (Art. 45 Abs. 2 EV). Das Besatzungsrecht wurde nicht durch den Einigungsvertrag, sondern mit dem “Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland” geregelt, sodass Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG nicht berührt ist.

(2) Art. 315 und Art. 315a EGStGB regeln die Geltung des Strafrechts für in der ehemaligen DDR begangene Straftaten und die Dauer ihrer Verfolgbarkeit. Mit diesen Normen sollte abschließend geklärt werden, in welchem Umfang insbesondere durch das SED-Regime gedeckte oder von ihm selbst begangene Straftaten noch verfolgt werden konnten. Bei einer undifferenzierten Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB auf die Verjährungsvorschriften wären Täter aus der ehemaligen DDR stets in den Genuss der jeweils kürzeren Verjährungsfrist gekommen. Diese verkürzte Verfolgungsbefugnis wäre zusätzlich den Erschwernissen des Aufbaus der Justiz unterworfen gewesen und hätte zu einer deutlichen Besserstellung für Täter von sogenannten DDR-Alttaten geführt (Otto, Jura 1994, S. 611). Damit ist eine spezielle Regelung der Verjährungsfrage von DDR-Alttaten, wie sie in Art. 315a EGStGB getroffen ist, gerechtfertigt.

(3) Sinn und Zweck der Gesetzesänderungen zu Art. 315a EGStGB sind durch die Ausführungen zum gesetzgeberischen Willen deutlich geworden. Nachdem das Ausmaß des Systemunrechts bekannt war und die Eingangszahlen auch der Alltagskriminalität weiter stiegen, sollten die Strafverfolgungsbehörden mehr Zeit haben, um insbesondere DDR-Alttaten und im Zuge der Wiedervereinigung begangene Straftaten sachgerecht verfolgen zu können.

Aus systematischen Gründen war die immer wieder betonte Differenzierung zwischen einfacher und absoluter Verfolgungsverjährung sinnvoll vor dem Hintergrund der Situation, die für den Erlass der Gesetze maßgeblich war: Straftaten, die als SED-Unrecht klassifiziert werden, wurden in der ehemaligen DDR naturgemäß, da staatlicherseits gesteuert, nicht verfolgt (sog. Alttaten). Für sie gilt daher die Ruhensregelung des 1. Verjährungsgesetzes. Bei den hier in Rede stehenden Taten mit drei- und fünfjähriger Verjährungsfrist wäre die – einfache – Verjährung mithin 1993 bzw. 1995 eingetreten, die absolute hingegen (soweit Unterbrechungshandlungen erfolgt sind) spätestens 1996 bzw. 2000. Da es bei den Verjährungsgesetzen stets um die Frage der mangelnden Kenntnis begangener Straftaten oder um die – aus der Überlastung der Justiz resultierenden – mangelnden Möglichkeiten verjährungsunterbrechender Maßnahmen ging, kam es auf die Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist nicht an, sondern nur auf die der einfachen Verjährungsfrist. Gleiches gilt für sog. Neutaten, d.h. Straftaten, die insbesondere im Zuge der Wiedervereinigung oder in der Zeit danach begangen worden sind (Vereinigungskriminalität). Da die einfache Verjährungsfrist mit Tatbeendigung begann, wäre diese frühestens Ende 1995, die absolute Verjährungsfrist also frühestens Ende 2000 eingetreten. Die Frage, ob das 2. und das 3. Verjährungsgesetz auch die absolute Verjährungsfrist verlängern wollten, stellt sich mithin nur bei Alttaten, die nicht als SED-Unrecht zu klassifizieren sind und daher nicht unter die Ruhensregelung des Verjährungsgesetzes fallen. Ein Bedürfnis, auch die Verjährung dieser Straftaten weiter hinauszuschieben, wurde in den Gesetzgebungsverfahren zwar nur ansatzweise deutlich. Ersichtlich besteht ein solches Bedürfnis jedenfalls für solche Taten, die nicht eindeutig als Systemunrecht gekennzeichnet werden können. Ein Grund liegt aber auch darin, dass die Situation der im Aufbau befindlichen Justiz in den neuen Ländern keine Besserstellung der Straftäter gegenüber solchen in den alten Ländern zur Konsequenz haben sollte.

Da einfache und absolute Verjährung “nur” in einem begrenzten Zeitraum von maximal sieben Jahren zusammentreffen (30. September 1993 – 2. Oktober 2000), läuft die Regelung des Art. 315a Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EGStGB nicht leer und ist die Annahme des Bundesgerichtshofs, Absatz 2 stelle die speziellere (Ausnahme-)Regelung zu Absatz 1 dar, vertretbar.

II.

Art. 315a EGStGB in der Fassung nach dem 3. Verjährungsgesetz ist in der vom Bundesgerichtshof vertretenen Norminterpretation, wonach Absatz 2 die absolute Verjährung für alle Deliktsgruppen bis zum 2. Oktober 2000 verlängert, mit der Verfassung vereinbar.

1. Als Verjährungsregelung ist Art. 315a Abs. 1 und Abs. 2 EGStGB nicht am Maßstab des Bestimmtheitsgrundsatzes gemäß Art. 103 Abs. 2 GG zu messen, denn Art. 103 Abs. 2 GG verbietet nur die rückwirkende Strafbegründung sowie die rückwirkende Strafverschärfung. Er besagt dagegen nichts über die Dauer des Zeitraums, während dessen eine in verfassungsmäßiger Weise für strafbar erklärte Tat verfolgt und durch Verhängung der angedrohten Strafe geahndet werden darf (vgl. BVerfGE 25, 269 ≪286 ff.≫; ferner bereits BVerfGE 1, 418 ≪423≫ und 50, 42 ≪47 f.≫).

2. Die Verjährungsregelung, die in der vom Bundesgerichtshof vertretenen Auslegung als verfassungswidrig angegriffen wird, ist in dieser Auslegung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Sie verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem auch Entscheidungen über die Strafverfolgung unterworfen sind (BVerfGE 92, 277 ≪326≫).

a) Das Institut der Verjährung hat eine lange Rechtstradition weit über das Grundgesetz hinaus. Den im Strafgesetzbuch geregelten beiden Verjährungsformen (Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung) ist gemeinsam, dass der Staat nach Ablauf einer von der Deliktsschwere abhängigen Zeitspanne darauf verzichtet, gegen den Straftäter mit den Mitteln des Strafrechts vorzugehen (vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor §§ 78 ff., Rn. 1). Eine wesentliche Ursache des Verzichts liegt im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; der Zeitablauf lässt die drohende Rechtsfolge, die sich als Eingriff in Freiheits- oder Vermögensrechte realisiert, sowohl unter spezialpräventiven als auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten als unverhältnismäßig erscheinen.

b) Unter Berücksichtigung der besonderen Situation der Justiz in den neuen Ländern nach der Wiedervereinigung Deutschlands erweist sich die verjährungsverlängernde Regelung des Art. 315a Abs. 2 EGStGB nicht als unverhältnismäßige Verkürzung der Rechte und Interessen der betroffenen Beschuldigten. Die Verjährungsgesetze haben im Ergebnis zwar dazu geführt, dass die absolute Verjährung bei Taten, die nach bundesdeutschem Recht unter die fünfjährige Verjährungsfrist fallen, im Einzelfall bis zu sieben Jahre später eintritt als nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB. So tritt die absolute Verjährung einer am 1. Oktober 1983 in der ehemaligen DDR begangenen Straftat, die gemäß DDR/StGB nach acht Jahren verjährt wäre, auf Grund der Verjährungsunterbrechung am 3. Oktober 1990 und den Regelungen im 2. und 3. Verjährungsgesetz erst mit Ablauf des 2. Oktobers 2000 ein, mithin 17 Jahre nach der Tatbegehung. Im vorliegenden Verfahren wurde die Frist zum Eintritt der absoluten Verjährung bezüglich der zuerst begangenen Taten aus dem Jahr 1986 auf rund 14 ¾ Jahre ausgedehnt.

Diese nicht unerhebliche Ausdehnung der Verjährungsfrist ist jedoch angesichts der konkreten Situation nicht unverhältnismäßig. Das Interesse des Straftäters, nach Ablauf der zur Tatzeit am Tatort geltenden Verjährungsregelung für die Straftat nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden zu können, wird bereits dadurch begrenzt, dass in der ehemaligen DDR, in der es keine Verjährungsunterbrechungen und mithin keine Unterscheidung zwischen einfacher und absoluter Verjährung gab (§ 82 StGB/DDR), die Verlängerung laufender Verjährungsfristen für statthaft erachtet wurde (vgl. Zimmermann, Strafrechtliche Vergangenheitsaufarbeitung und Verjährung, 1997, S. 199; BGHSt 39, 353 ≪356≫). Ferner ist zu berücksichtigen, dass es in der ehemaligen DDR Ruhensregelungen gab, die den Eintritt der Verjährung hemmten (§ 83 StGB/DDR). Danach ruhte die Verjährung etwa bereits dann, wenn sich der Täter außer Landes aufhielt, schwer erkrankt war oder das Gericht das Verfahren eröffnet hatte. Es war somit auch nach den zur Tatzeit geltenden Vorschriften nicht ausgeschlossen, dass Verjährung erst erhebliche Zeit nach Ablauf der im Gesetz genannten Zeitspanne eintrat.

Dem Interesse der Beschuldigten an der unveränderten Beibehaltung des absoluten Verjährungsendes steht das Interesse der Allgemeinheit, und insbesondere der Opfer, an einer wirksamen Strafverfolgung gegenüber (BVerfGE 33, 367 ≪383≫ m.w.N.). In der Umbruchsituation des Wiedervereinigungsprozesses kommt der Möglichkeit, in der ehemaligen DDR begangene Straftaten weiter verfolgen zu können, besondere Bedeutung zu. Dabei ist die durch die Wiedervereinigung entstandene singuläre strafrechtliche Situation mit ihren Auswirkungen auf den Justizaufbau mit zu berücksichtigen, die anschaulich in der Begründung des Gesetzesantrags des Landes Mecklenburg-Vorpommern dargestellt worden ist. Diese Situation dauerte nach Einschätzung des Gesetzgebers, dem insoweit eine Einschätzungsprärogative zukommt, bei Erlass des 3. Verjährungsgesetzes fort. Umstände, wonach diese Einschätzung offensichtlich fehlerhaft war, haben die Beschwerdeführer nicht vorgetragen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

3. Die verjährungsverlängernde Regelung in Art. 315a EGStGB verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Maßstab für die verfassungsgerichtliche Prüfung, ob das gefundene Ergebnis verfassungswidrig ist, weil es Straftäter in den neuen und den alten Ländern unterschiedlich behandelt, ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches nicht willkürlich gleich zu behandeln. Dabei bleibt ihm die Auswahl der Parameter überlassen, die für dieselben oder für unterschiedliche Rechtsfolgen den Ausschlag geben sollen, im Rechtssinne also “gleiche” und “ungleiche” Sachverhalte schaffen (vgl. BVerfGE 75, 108 ≪157≫; 78, 249 ≪287≫). Ihm kommt eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu, die erst dort endet, wo die ungleiche Behandlung der

Lebenssachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, weil ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung offensichtlich fehlt, es sich demnach um Regelungen handelt, die unter keinem sachlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt sind und damit als willkürlich erscheinen (vgl. BVerfGE, a.a.O.).

Art. 315a Abs. 2 EGStGB in der Fassung nach dem 3. Verjährungsgesetz hält diesen Maßstäben Stand. Soweit geltend gemacht wird, die Belastung der in den neuen Ländern noch im Aufbau befindlichen Justiz mit der Aufarbeitung von SED-Unrecht und vereinigungsbedingten Straftaten könne die Einbeziehung der Fälle “gewöhnlicher Alltagskriminalität” in die verjährungsverlängernde Regelung des Art. 315a Abs. 2 EGStGB nicht rechtfertigen, bleibt außer Acht, dass von der Überlastung der Strafverfolgungsbehörden in den neuen Ländern alle Straftäter, also auch “Alltagskriminelle”, profitiert haben und sich eine Konzentration der Strafverfolgung auf die Fälle der DDR-Regierungskriminalität und der vereinigungsbedingten (Wirtschafts-)Kriminalität für die übrigen Tätergruppen besonders vorteilhaft ausgewirkt haben kann.

Es war, wie bereits aus der Begründung des Gesetzentwurfs des Landes Mecklenburg-Vorpommern (BRDrucks 147/92) hervorgeht, ein wesentlicher Grund für die verjährungsverlängernde Regelung des Art. 315a Abs. 2 EGStGB, zu verhindern, dass Straftätern – gleich welcher Deliktsgruppe – aus den vereinigungsbedingten Schwierigkeiten der Justiz in den neuen Bundesländern “sachlich nicht gerechtfertigte Vorteile in Form einer Verfahrenseinstellung wegen Verjährung erwachsen”. Unter anderem wurde in dem Gesetzesantrag darauf hingewiesen, dass die Kriminalität Jugendlicher und Heranwachsender in den neuen Ländern erheblich an Bedeutung gewonnen habe. Im Gesetzesentwurf ist nachvollziehbar erörtert worden, ob die mit der vorgesehenen Verjährungsregelung verbundene Ungleichbehandlung von im Beitrittsgebiet begangenen gegenüber im gleichen Zeitraum im alten Bundesgebiet begangenen Taten mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sei. Der Annahme, bei Erlass des 3. Verjährungsgesetzes habe für eine unterschiedliche Verjährungsregelung in den alten und in den neuen Bundesländern kein sachlicher Grund mehr bestanden, weil zu dieser Zeit der Aufbau der Justiz in den neuen Ländern schon abgeschlossen gewesen sei, lässt sich die Argumentation aus den Gesetzesmaterialien entgegenhalten. Der Gesetzgeber ist ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs (BTDrucks 13/8962, S. 3) und der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags (BTDrucks 13/9252, S. 4 ff.) davon ausgegangen, dass zum einen die Aufarbeitung von DDR-regierungs- und vereinigungsbedingter Wirtschaftskriminalität noch nicht abgeschlossen und zum anderen die Justiz in den neuen Ländern nach wie vor in einer Notsituation und trotz großer Anstrengungen an ihre Grenzen gestoßen sei. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese gesetzgeberische Einschätzung unzutreffend war, haben die Beschwerdeführer nicht vorgetragen. Solche sind auch nicht ersichtlich.

Damit liegen sachlich vertretbare, am Gerechtigkeitsgedanken orientierte und nachvollziehbare Gesichtspunkte für die Schaffung unterschiedlicher Verjährungsfristen vor, die vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben.

III.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 ≪220≫; 83, 24 ≪35≫; stRspr). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich weder erwogen (vgl. BVerfGE 65, 293 ≪295 f.≫; 70, 288 ≪293≫; 85, 386 ≪404≫) noch in den Entscheidungsgründen verarbeitet hat (vgl. BVerfGE 47, 182 ≪189≫; 51, 126 ≪129≫; 58, 353 ≪357≫), wobei letztinstanzliche Entscheidungen von Verfassungs wegen grundsätzlich keiner Begründung bedürfen (BVerfGE 50, 287 ≪289 f.≫). Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass vor dem 2. Oktober 2000 die absolute Verjährung nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB für Delikte der Alltagskriminalität nicht habe eintreten können. Damit hat er deutlich gemacht, dass er der Argumentation der Beschwerdeführer nicht folgen wollte. Besondere Umstände, die nahe legten, dass der Bundesgerichtshof die Argumente der Beschwerdeführer nicht erwogen hat, liegen nicht vor.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Hassemer, Osterloh, Mellinghoff

 

Fundstellen

Haufe-Index 1083228

NPA 2004, 0

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