Entscheidungsstichwort (Thema)

Neuregelung des Kündigungsfristenrechts. Verfassungsmäßigkeit der Übergangsregelung des Art. 222 Nr. 2a EGBGB

 

Leitsatz (amtlich)

An der Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschrift des Art. 222 Nr. 2a EGBGB bestehen keine ernsthaften verfassungsrechtlichen Zweifel.

 

Normenkette

EGBGB Art. 222 Nr. 2a

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Entscheidung vom 05.11.1993; Aktenzeichen 4 Ca 632/93)

 

Gründe

A.

Gegenstand des Vorlageverfahrens ist die Frage, ob Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündigungsfristengesetzKündFG) vom 7. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1668), soweit dadurch nach Art. 221 des Einführungsgesetzbuchs zum Bürgerlichen Gesetzbuch Art. 222 (Übergangsvorschrift zum KündFG vom 7. Oktober 1993) Eingangssatz und Nr. 2 a eingefügt wurden, mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

I.

Für die ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen galten unterschiedliche gesetzliche Grundfristen.

In den alten Bundesländern konnte das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters mit einer Frist von zwei Wochen, das eines Angestellten mit einer Frist von sechs Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres oder bei einer entsprechenden einzelvertraglichen Vereinbarung mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß vom 30. Mai 1990 (1 BvL 2/83, 9, 10/84, 3/85, 11, 12, 13/89, 4/90 und 1 BvR 764/86 (BGBl. I S. 1727), BVerfGE 82, 126) entschieden, daß § 622 Abs. 2 BGB mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar ist, soweit hiernach die Kündigungsfristen für Arbeiter kürzer sind als für Angestellte. In den Gründen dieser Entscheidung wird unter anderem ausgeführt, daß der Gesetzgeber die Rechtslage unverzüglich – spätestens jedoch bis 30. Juni 1993 – mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen habe.

In den neuen Bundesländern galt nach dem Einigungsvertrag die Vorschrift des § 55 Arbeitsgesetzbuch weiter, der für Arbeiter und Angestellte einheitliche Kündigungsfristen vorsah, die denen für Arbeiter in den alten Bundesländern entsprachen. Demzufolge galten für alle Angestellten in den neuen Bundesländern kürzere gesetzliche Kündigungsfristen als für Angestellte in den alten Bundesländern.

Mittlerweile ist das Kündigungsfristengesetz in Kraft getreten. Art. 1 KündFG hat die Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten durch Änderung des § 622 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vereinheitlicht. § 55 des Arbeitsgesetzbuchs wurde aufgehoben. Nach Art. 221 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch wurde aufgrund Art. 2 Nr. 1 KündFG folgender Artikel eingefügt:

„Artikel 222 Übergangsvorschrift zum Kündigungsfristengesetz vom 7. Oktober 1993

Bei einer vor dem 15. Oktober 1993 zugegangenen Kündigung gilt Artikel 1 des Kündigungsfristengesetzes vom 7. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1668), wenn am 15. Oktober 1993

1. das Arbeitsverhältnis noch nicht beendet ist und die Vorschriften des Artikels 1 des Kündigungsfristengesetzes vom 7. Oktober 1993 für den Arbeitnehmer günstiger als die vor dem 15. Oktober 1993 geltenden gesetzlichen Vorschriften sind oder

2. ein Rechtsstreit anhängig ist, bei dem die Entscheidung über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängt von

a) der Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 erster Halbsatz des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung des Artikels 2 Nr. 4 des Ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes vom 14. August 1969 (BGBl. I S. 1106) oder

b) … .”

II.

Das Arbeitsgericht hat einen Kündigungsrechtsstreit ausgesetzt und beschlossen:

„Die Sache wird dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG vorgelegt zu Art. 2 des Kündigungsfristengesetzes vom 07.10.1993 = Art. 222 EGBGB n.F. Ziff. 1. (richtig: Nr. 2.) a.”

Das Arbeitsgericht vertritt die Auffassung, daß Art. 222 Eingangssatz mit Nr. 2 a EGBGB gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Denn im Anwendungsbereich und aufgrund dieser Übergangsvorschrift erreichten Arbeiter lediglich die für sie verlängerte vereinheitlichte Kündigungsfrist, nicht aber die früher geltende und durch die Vereinheitlichung reduzierte Angestelltenkündigungsfrist. Sachliche Gründe für diese neuerliche Ungleichbehandlung seien, ungeachtet der beschränkten Auswirkung der Übergangsregelung, nicht ersichtlich.

B.

Die Vorlage ist unzulässig.

Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG bedarf nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG der Begründung. Anderenfalls ist sie unzulässig. Aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG leitet das Bundesverfassungsgericht ab, daß sich das vorlegende Gericht eingehend mit der Rechtslage auseinanderzusetzen und dabei die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Rechtsauffassungen zu berücksichtigen hat, die für die Auslegung und Prüfung der vorgelegten Norm von Bedeutung sind (BVerfGE 74, 236 (242); 78, 1 (5); 80, 96 (100)). Danach muß sich das vorlegende Gericht erforderlichenfalls mit den Gründen auseinandersetzen, die im Gesetzgebungsverfahren für den Erlaß einer bestimmten gesetzlichen Regelung maßgeblich waren (BVerfGE 78, 201 (204); 81, 275 (276 f.)).

Auf das Gesetzgebungsverfahren ist das Arbeitsgericht nicht eingegangen, obwohl dazu Anlaß bestanden hätte: Mit der Neuregelung der gesetzlichen Kündigungsfristen sollte nicht nur die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten in den alten Bundesländern ausgeräumt werden. Zugleich sollten die Unterschiede bei den Kündigungsfristen für Arbeitnehmer in den alten und neuen Bundesländern beseitigt werden. Dazu sollten die unterschiedlichen gesetzlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte und für Arbeitnehmer in den alten und neuen Bundesländern vereinheitlicht werden. Zufolge der Begründung des Regierungsentwurfs des Kündigungsfristengesetzes erschien zur angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite nur eine Neuorientierung im Sinne eines mittleren Weges zwischen den derzeitig kürzeren Fristen für Arbeiter und den längeren Fristen für Angestellte realistisch (Regierungsentwurf des KündFG, BRDrucks. 310/93, S. 2). In diesem Zusammenhang dürfte die zur Überprüfung gestellte Norm zu sehen sein. Mit den Motiven des Gesetzgebers hat sich das Arbeitsgericht jedoch nicht auseinandergesetzt.

Übrigens dürften die verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts unbegründet sein: Zwar führt die Übergangsregelung, wie im Vorlagebeschluß dargelegt, zu einer Ungleichbehandlung. Die Ungleichbehandlung ist aber weniger gewichtig als die alte Regelung. Außerdem besteht sie nur noch temporär und betrifft die kleine Gruppe der Arbeitnehmer, deren Kündigungssachen bei Inkrafttreten des Gesetzes noch anhängig waren. Es gibt zudem einsehbare und hinreichend tragende sachliche Gründe dafür: Der Gesetzgeber wollte ersichtlich für die kleine Gruppe der betroffenen Arbeiter keine nur kurzfristig geltenden längeren Kündigungsfristen einführen, als das Gesetz im Endergebnis vorsieht. Das ist im Interesse einer stetigen – schrittweisen – Rechtsentwicklung sinnvoll. Dabei war auch die Gleichbehandlung mit denjenigen Arbeitern zu bedenken, die gerichtlichen Kündigungsschutz im fraglichen Zeitraum nicht in Anspruch genommen haben. Ihnen gegenüber werden die von der Übergangsregelung betroffenen Arbeiter ohnehin begünstigt. Entsprechendes gilt im Verhältnis zu gekündigten Arbeitnehmern in den neuen Bundesländern.

 

Fundstellen

NJW 1994, 1340

NZA 1994, 499

AP, 0

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge