Verfahrensgang

BSG (Urteil vom 15.02.2005; Aktenzeichen B 2 U 3/04 R)

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 06.08.2003; Aktenzeichen L 17 U 245/02)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde hat Fragen des Datenschutzes im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zum Gegenstand. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen sozialgerichtliche Entscheidungen, mit denen aufgrund der Verwertung eines Sektionsbefundes als Beweismittel eine Klage auf Hinterbliebenenleistungen abgewiesen wurde.

I.

1. Der Ehemann der Beschwerdeführerin war bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte), einer Berufsgenossenschaft, gegen Arbeitsunfall und Berufskrankheit versichert. Die Beklagte erkannte mit Bescheid eine Berufskrankheit nach Nr. 4104 (Lungen- oder Kehlkopfkrebs aufgrund von Asbest) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 % an.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin verstarb im Krankenhaus. Auf Bitte des behandelnden Arztes stimmte die Beschwerdeführerin einer Obduktion zu Forschungszwecken zu. Auf Anforderung der Beklagten übersandte die Pathologie des Krankenhauses ihr den Sektionsbefund, nach dem der Ehemann der Beschwerdeführerin an Bauchspeicheldrüsenkrebs gelitten hatte und ein primäres Bronchialkarzinom nicht nachweisbar war.

Die Beklagte lehnte es in der Folge ab, der Beschwerdeführerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, da die Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (im Folgenden: SGB VII) widerlegt sei.

2. Die Beschwerdeführerin erhob Klage auf Hinterbliebenenleistungen. Das Sozialgericht gab der Klage mit der Begründung statt, die Verwertung des Sektionsbefundes als Beweismittel sei unzulässig, da die Beschwerdeführerin vor der Obduktion nur unzureichend ärztlich aufgeklärt worden sei.

a) Auf die Berufung der Beklagten änderte das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts und wies die Klage ab (NZS 2004, S. 655 ff.).

Die Beklagte habe auf die Durchführung der Obduktion keinen Einfluss genommen. § 63 Abs. 2 Satz 2 SGB VII verbiete nicht, Berichte einer tatsächlich ohne Veranlassung des Versicherungsträgers durchgeführten Obduktion beizuziehen und auszuwerten.

Die Beschwerdeführerin sei vor der Obduktion nicht mangelhaft aufgeklärt worden. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführerin nicht bewusst gewesen sei, dass der Leichnam geöffnet würde. Der behandelnde Arzt habe die Beschwerdeführerin nicht über mögliche sozialrechtliche Folgen der Obduktion aufklären müssen. Die Einwilligung der Beschwerdeführerin habe, nachdem ein Bronchialkarzinom nicht entdeckt worden sei, auch weitere Eingriffe umfasst, um den Primärtumor aufzufinden.

b) Das Bundessozialgericht wies die Revision der Beschwerdeführerin zurück (BSGE 94, 149 ff.).

Die Obduktion sei ohne Zutun der Beklagten durchgeführt worden, so dass ein Verstoß gegen § 63 Abs. 2 Satz 2 SGB VII nicht vorliege. Auch die Vorschriften des Sozialdatenschutzes stünden der Beiziehung und Verwertung des endgültigen Sektionsbefundes nicht entgegen.

Aus der Durchführung der Obduktion folge kein Beweisverwertungsverbot. Eine Obduktion bedürfe aufgrund des aus der Menschenwürde folgenden postmortalen Persönlichkeitsrechts eines Rechtfertigungsgrundes. Hier habe die Beschwerdeführerin eingewilligt. Dazu sei sie als nächste Angehörige des Verstorbenen befugt gewesen. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts habe die Einwilligung auch eine Obduktion und nicht lediglich die Entfernung des Tumors umfasst.

Die Einwilligung sei auch rechtmäßig zustande gekommen. Trotz der bei den Hinterbliebenen durch den Tod eines nahen Angehörigen entstandenen Ausnahmesituation gebe es zu deren Befragung keine Alternative. Die Beschwerdeführerin sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Der behandelnde Arzt sei nicht in der Lage und daher auch nicht verpflichtet gewesen, sie über die Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 Satz 1 SGB VII und deren Widerlegbarkeit aufzuklären.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Das Bundessozialgericht habe versäumt, eigene Grundrechte der Beschwerdeführerin zu prüfen. Durch den Missbrauch von Daten Verstorbener könnten auch deren Angehörige in ihren eigenen Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt sein. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schütze vor Zweckentfremdungen von Daten, die nicht auf einer zulässigen Beschränkung dieses Rechts beruhten.

Da nach § 63 Abs. 2 Satz 2 SGB VII eine Obduktion zum Zweck der Feststellung, dass zwischen dem Tod und der Berufskrankheit kein ursächlicher Zusammenhang bestehe, gesetzlich verboten sei und auch keine Einwilligung der Beschwerdeführerin vorliege, sei der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Beschwerdeführerin habe ihre Einwilligung nicht im Bewusstsein der rechtlichen Tragweite ihrer Entscheidung erteilt.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Die angegriffenen Urteile berühren nicht das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪41 ff.≫; 84, 192 ≪194≫; 96, 171 ≪181≫; 103, 21 ≪32 f.≫). Gegenüber einer datenbezogenen staatlichen Maßnahme kann sich derjenige auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen, über dessen persönliche oder sachliche Verhältnisse die fraglichen Daten eine Aussage enthalten.

Das ist hier hinsichtlich der Beschwerdeführerin nicht der Fall. Der Sektionsbefund enthält keine Informationen über die Beschwerdeführerin, sondern lediglich über ihren verstorbenen Ehemann. Der Umstand allein, dass die Angaben in dem Befund für das Rechtsverhältnis der Beschwerdeführerin zu der Beklagten von Bedeutung sind, macht diese Angaben nicht zu persönlichen Daten der Beschwerdeführerin.

2. Die Verwertung der in dem Sektionsbefund enthaltenen Daten durch die Beklagte und die im Ausgangsverfahren erkennenden Gerichte verstößt nicht gegen das aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG folgende postmortale Persönlichkeitsrecht des Ehemanns der Beschwerdeführerin.

a) Die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, endet nicht mit dem Tod. Demgegenüber wird ein Verstorbener nicht durch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, weil Träger dieses Grundrechts nur lebende Personen sind (vgl. BVerfGE 30, 173 ≪194≫).

Da der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts nur aus der Garantie der Menschenwürde folgt, sind die Schutzwirkungen nicht vergleichbar mit denen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG für lebende Personen ergeben. Geschützt sind zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, zum anderen der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat.

b) Auch in der Achtung des Leichnams äußert sich die nachwirkende Respektierung der Menschenwürde des Verstorbenen. Jedoch liegt nicht schon in jeder Obduktion eine entwürdigende Behandlung des Leichnams. So würdigt eine aufgrund von § 87 StPO wegen des Verdachts einer Straftat angeordnete Leichenöffnung den Toten in seinem allgemeinen Achtungsanspruch nicht herab und erniedrigt ihn auch nicht (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 27. Juli 1993 – 2 BvR 1553/93 –, NJW 1994, S. 783; Beschluss vom 18. Januar 1994 – 2 BvR 1912/93 –, NJW 1994, S. 783 ≪784≫). Gleiches gilt für eine Obduktion, die dem Willen des Verstorbenen entspricht oder die mit Einwilligung der für die Totenfürsorge zuständigen Person erfolgt.

c) Nach diesem Maßstab sind die angegriffenen Urteile verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Die Obduktion der Leiche des Ehemanns der Beschwerdeführerin verletzte dessen Menschenwürde nicht. Aus Art. 1 Abs. 1 GG folgt daher kein aus einer solchen Verletzung abgeleitetes Verbot, den Sektionsbefund als Beweismittel zu verwerten.

Das Bundessozialgericht hat im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der Obduktion vorrangig von dem Willen des Ehemanns der Beschwerdeführerin abhängig gemacht. Da sich dieser Wille nicht feststellen ließ, kam es auf die Einwilligung der Beschwerdeführerin als der für die Totenfürsorge zuständigen Person an. Die Beschwerdeführerin war dabei an den mutmaßlichen Willen ihres Ehemanns gebunden. Gegen dieses Kriterium, das an dem Selbstbestimmungsrecht des Verstorbenen orientiert ist und damit seinem personalen Achtungsanspruch postmortal Rechnung trägt, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass die erkennenden Gerichte von einer wirksamen Einwilligung der Beschwerdeführerin in die vorgenommene Obduktion ausgegangen sind. Die Auslegung der entsprechenden Erklärung der Beschwerdeführerin ist eine Frage der Würdigung des Sachverhalts. Das Bundesverfassungsgericht kann die fachrichterliche Würdigung insofern nur in Ausnahmefällen korrigieren (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; stRspr). Anhaltspunkte für einen derartigen Ausnahmefall, nämlich für die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts, sind hier nicht ersichtlich.

Insbesondere bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die erkennenden Gerichte die Wirksamkeit der Einwilligung nicht von einer vorherigen Aufklärung über die möglichen sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Obduktion abhängig gemacht haben. Die Gerichte durften insofern auf den unmittelbaren Obduktionszweck und den Kenntnishorizont des aufklärenden Arztes abstellen.

bb) Die Heranziehung des Sektionsbefundes als Beweismittel selbst berührte die Menschenwürdegarantie gleichfalls nicht. Ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG ergibt sich insoweit weder aus dem Inhalt des Befundes noch aus den Umständen, unter denen die Beklagte und die erkennenden Gerichte Kenntnis von ihm erlangt haben, noch aus der Art seiner Verwertung.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1573315

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