Entscheidungsstichwort (Thema)

Ankaufsrecht des Nutzers eines fremden Grundstücks im Beitrittsgebiet

 

Beteiligte

Rechtsanwalt Karl Petry

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Urteil vom 11.11.1997; Aktenzeichen 3 U 2409/97)

LG Zwickau (Urteil vom 01.08.1997; Aktenzeichen 3 O 2087/96)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Verfassungsmäßigkeit des dem Nutzer eines fremden, im Beitrittsgebiet belegenen Grundstücks eingeräumten Rechts auf Ankauf des Grundstücks.

I.

1. Mit dem als Art. 1 des Sachenrechtsänderungsgesetzes (SachenRÄndG) vom 21. September 1994 (BGBl I S. 2457) ergangenen Sachenrechtsbereinigungsgesetz (SachenRBerG) sollen Nutzungsverhältnisse, die in der Deutschen Demokratischen Republik begründet worden sind, und Rechtsverhältnisse, die dort aus der mit Billigung staatlicher oder gesellschaftlicher Organe erfolgten baulichen Nutzung fremder Grundstücke entstanden sind, an das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs angepasst werden. Dies geschieht grundsätzlich in der Weise, dass nach dem Gesetz berechtigte Grundstücksnutzer das Recht haben sollen, zwischen der Bestellung eines Erbbaurechts an dem von ihnen bebauten Grundstück und dessen Ankauf zu wählen (vgl. § 15 Abs. 1 i.V.m. §§ 32 ff., §§ 61 ff. SachenRBerG). Wirtschaftlich führt das, weil der regelmäßige Erbbauzins die Hälfte des für die entsprechende Nutzung üblichen Zinses und der Ankaufspreis grundsätzlich die Hälfte des Bodenwerts beträgt (vgl. § 43 Abs. 1, § 68 Abs. 1 SachenRBerG), dazu, dass der Bodenwert je zur Hälfte dem Nutzer und dem Grundstückseigentümer zugute kommt (vgl. BVerfGE 98, 17 ≪23 f.≫).

Der Bodenwert bestimmt sich dabei nach dem Wert eines baureifen Grundstücks. Dieser Wert ist zu vermindern um einen nach der Einwohnerzahl der Gemeinde, in der das Grundstück belegen ist, zu bemessenden Abzug für die Erhöhung des Werts des baureifen Grundstücks durch Aufwendungen zur Erschließung, zur Vermessung und für andere Kosten zur Baureifmachung, es sei denn, dass der Grundstückseigentümer diese Kosten getragen hat oder das Grundstück bereits während der Dauer seines Besitzes erschlossen und vermessen war (vgl. § 19 Abs. 2, 3 SachenRBerG). Im Fall einer schnellen Entscheidung für das Ankaufsrecht und der unverzüglichen Begleichung des Kaufpreises kann der Nutzer nach § 68 Abs. 2 SachenRBerG die Ermäßigung des normalen Preises verlangen.

2. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin eines im Beitrittsgebiet belegenen Grundstücks, auf dem die Kläger des Ausgangsverfahrens 1980 ein Eigenheim errichtet haben. 1986 wurde ihnen ein unbefristetes Nutzungsrecht an dem Grundstück eingeräumt. Sie begehren von der Beschwerdeführerin den Ankauf des Grundstücks nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz.

Das Landgericht hat festgestellt, dass nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils zwischen den Parteien ein Vertrag besteht, nach dem die Beschwerdeführerin den Klägern das Grundstück zu einem bestimmten Preis verkauft. Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz finde nach seinem § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Anwendung, weil den Klägern ein Nutzungsrecht am streitbefangenen Grundstück eingeräumt worden sei. Diese könnten daher von der Beschwerdeführerin den Ankauf des Grundstücks zum halben Bodenwert verlangen. Bei der Ermittlung des Bodenwerts sei gemäß § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SachenRBerG ein Abzug für die Baureifmachung des Grundstücks vorzunehmen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Die Bereinigungsklage sei zulässig und begründet. Die Einwände der Beschwerdeführerin gegen die festgestellte Höhe des Kaufpreises griffen nicht durch. Der Abzug für Erschließungskosten nach § 19 Abs. 2 und 3 SachenRBerG sei nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeführerin habe nicht behauptet, als Eigentümerin des Grundstücks und der Erschließungsstraße solche Kosten getragen zu haben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts verstoße das Sachenrechtsbereinigungsgesetz weder gegen Art. 14 GG noch gegen Art. 3 GG.

3. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die beiden Gerichtsentscheidungen. Sie rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG.

a) Das im Sachenrechtsbereinigungsgesetz geschaffene Ankaufsrecht des Nutzungsberechtigten verletze die Bestandsgarantie des Art. 14 GG. Werde in dieser Garantie eine Eigentumswertgarantie gesehen, werde diese durch die Kaufpreisregelungen des § 68 SachenRBerG vollständig ausgehebelt.

Ein dem Gesetzgeber etwa zuzubilligender Gestaltungsspielraum sei überschritten. Der Gesetzgeber habe sich noch nicht einmal darum bemüht, die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Er habe nur rein optisch den Anschein einer hälftigen Teilung des Bodenwerts zwischen den Beteiligten zu erwecken versucht. Der Nutzer werde jedoch durch die in § 19 Abs. 2, 3 und § 68 Abs. 2 SachenRBerG vorgesehenen Abschläge begünstigt; Zuschläge zugunsten des Eigentümers als Äquivalent fehlten. Der Vorrang des Nutzers könne nicht so weit gehen, dass dem Eigentümer zusätzliche Belastungen auferlegt würden. Würden diesem alle Rechte zum Gebrauch des Grundstücks und zur freien Verfügung darüber genommen, müsse ihm dafür ein finanzieller Ausgleich eingeräumt werden. Hier sei den Nutzern ein Abschlag für einen fingierten Erschließungsaufwand zugebilligt worden, obwohl sie tatsächlich keine Aufwendungen für die Erschließung gehabt hätten. Dagegen bleibe unberücksichtigt, dass die Straße, an der das streitbefangene Grundstück liege, über der Beschwerdeführerin gehörenden Grund und Boden verlaufe.

Der Beschwerdeführerin werde durch das Sachenrechtsbereinigungsgesetz die sinnvolle Nutzung und Verwertung ihres Grundbesitzes entzogen, ohne dass dies durch das Allgemeinwohl bedingt sei. Es sei nicht Sache des Gesetzgebers, durch eine Enteignung oder einen enteignungsgleichen Eingriff die Konflikte zwischen Privaten zu regeln. Das Recht zum Wohnen werde den Nutzern auch dann nicht genommen, wenn sie das bebaute Grundstück zum Verkehrswert erwerben müssten.

b) Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz, vor allem § 15, verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber hätte die Möglichkeit zum Ankauf oder zur Bestellung eines Erbbaurechts sowohl dem Eigentümer wie auch dem Nutzer einräumen müssen. Die Abwertung des grundgesetzlich geschützten Eigentums und die Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes verdeutliche besonders § 16 SachenRBerG. Nach dessen Absatz 1 könne der Nutzer sein Wahlrecht durch einfache schriftliche Erklärung ausüben; dagegen gehe dieses Recht nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 der Vorschrift auf den Grundstückseigentümer über.

4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Justiz namens der Bundesregierung, das Sächsische Staatsministerium der Justiz für die Sächsische Landesregierung, der Präsident des Bundesgerichtshofs und die Kläger Stellung genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu, weil die für ihre Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind (vgl. vor allem BVerfGE 98, 17; 101, 54). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen Art. 14 GG.

a) Die ihnen zugrunde liegenden Regelungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes sind mit der Eigentumsgarantie vereinbar.

aa) Das durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentum ist in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet. Dem grundrechtlichen Schutz unterliegt danach das Recht, den Eigentumsgegenstand selbst zu nutzen und Dritte von Besitz und Nutzung auszuschließen, ebenso wie die Freiheit, den Eigentumsgegenstand zu veräußern und aus der vertraglichen Überlassung zur Nutzung durch andere den Ertrag zu ziehen, der zur finanziellen Grundlage für die eigene Lebensgestaltung beiträgt (vgl. BVerfGE 101, 54 ≪75≫ m.w.N.).

bb) Die Geltendmachung des dem Nutzer nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 61 ff. SachenRBerG zustehenden Ankaufsrechts führt dazu, dass der bisherige Grundstückseigentümer sein Eigentum verliert. Darin liegt jedoch keine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG. Enteignung ist der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen. Ihrem Zweck nach ist sie auf die vollständige oder partielle Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet (vgl. BVerfGE 101, 239 ≪259≫). Demgegenüber geht es bei der Sachenrechtsbereinigung um die Angleichung der in der Deutschen Demokratischen Republik entstandenen Nutzungsverhältnisse an das Immobiliarsachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 59 f.; BVerfGE 98, 17 ≪23≫) sowie darum, bei dieser Angleichung die betroffenen privaten Interessen zu einem Ausgleich zu bringen. Das hier mittelbar angegriffene Ankaufsrecht des Nutzers nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1, Abs. 3, § 61 und § 68 SachenRBerG ist Teil dieses Regelungskonzepts. Wie dieses bestimmt es im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG den Inhalt und die Schranken des (Grundstücks-)Eigentums.

cc) aaa) Der Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmende Gesetzgeber genießt keine unbeschränkte Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 101, 239 ≪259≫). Er hat bei der Erfüllung des ihm in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrags sowohl der verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstellung des Eigentümers als auch dem aus Art. 14 Abs. 2 GG folgenden Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung Rechnung zu tragen und muss deshalb die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung steht mit den verfassungsrechtlichen Vorstellungen eines sozialgebundenen Privateigentums nicht in Einklang. Denn die Bindung des Eigentumsgebrauchs an das Wohl der Allgemeinheit gemäß Art. 14 Abs. 2 GG schließt die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange desjenigen ein, der konkret auf die Nutzung des Eigentumsobjekts angewiesen ist (vgl. BVerfGE 101, 54 ≪75≫ m.w.N.).

Die Grenzen der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers sind allerdings nicht für alle Sachbereiche gleich. Soweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert, genießt es einen besonders ausgeprägten Schutz. Dagegen ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers umso größer, je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjekts ist (vgl. BVerfGE 100, 226 ≪241≫ m.w.N.). Das gilt zumal dann, wenn schutzwürdige Interessen unterschiedlicher Beteiligter am selben Eigentumsobjekt zum Ausgleich zu bringen sind. Der Gesetzgeber darf im Rahmen seiner Regelungsbefugnis nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bei der generellen Neugestaltung eines Rechtsgebiets unter bestimmten Voraussetzungen auch bestehende, durch die Eigentumsgarantie geschützte Rechtspositionen beseitigen (vgl. BVerfGE 83, 201 ≪211 f.≫). Auch können grundlegende Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse den Regelungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erweitern. Schwierigkeiten, die die Überführung der sozialistischen Rechts- und Eigentumsordnung einschließlich der danach erworbenen Rechtspositionen in das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland mit sich bringt, darf er deshalb bei Regelungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ebenso Rechnung tragen wie dem dazu erforderlichen Zeitbedarf. Das hat Konsequenzen für die Beurteilung des jeweils beschlossenen Regelungswerks. Einzelne belastende Vorschriften dürfen weder aus dem Regelungszusammenhang gelöst und für sich betrachtet noch ohne Rücksicht darauf gewürdigt werden, dass der angestrebte Rechtszustand nur in Schritten erreichbar war (vgl. BVerfGE 101, 54 ≪76≫).

bbb) Nach diesen Maßstäben steht § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1, Abs. 3, § 61 und § 68 SachenRBerG mit Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang.

(1) Diese Regelungen dienen einem legitimen Regelungsziel. Sie sind Teil des Regelungskonzepts, mit dem auf dem Gebiet des Sachenrechts die Rechtseinheit in Deutschland wiederhergestellt werden soll. Damit wird das Bodenrecht in den neuen Ländern an die Bedingungen der Marktwirtschaft angepasst, indem die aufgrund von Nutzungsrechten oder mit Billigung staatlicher Stellen auf fremden Grundstücken errichteten Gebäude dadurch marktgängig gemacht werden, dass sie veräußert und beliehen werden können. Zugleich sollen Investitionshindernisse in Bezug auf die bebauten Grundstücke abgebaut werden (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 50, 59 f.; Stürner, JZ 1993, S. 1074 ≪1077≫; Grün, NJW 1994, S. 2641 ≪2644≫). Die Herstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung und von Rechtssicherheit im Grundstücksverkehr liegt daher im öffentlichen Interesse.

(2) Die Einräumung eines Rechts des Nutzers auf Ankauf des von ihm genutzten Grundstücks grundsätzlich zur Hälfte des Bodenwerts führt zu einem angemessenen, auch die Belange des Grundstückseigentümers hinreichend berücksichtigenden Interessenausgleich.

(a) Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Bodenwert prinzipiell im Verhältnis 50: 50 auf den Grundstückseigentümer und den Nutzer aufzuteilen, ist sachgerecht.

Der Gesetzgeber stand nach der Wiedervereinigung vor der schwierigen Aufgabe, die im Beitrittsgebiet vorgefundenen, nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik begründeten Nutzungsrechte und die im Rahmen solcher Nutzungsrechtsverhältnisse oder unabhängig davon mit Billigung staatlicher oder gesellschaftlicher Stellen vorgenommenen Bebauungen fremder Grundstücke in das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland zu überführen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war, dass der Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft zu grundlegenden Veränderungen auf dem Immobilienmarkt, insbesondere zu einem explosionsartigen Anstieg der Grundstückspreise, geführt hat (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 53). Eine wirtschaftliche Leistung des Grundstückseigentümers oder des Nutzers liegt den Bodenwertsteigerungen nicht zugrunde. Diese stellen daher für beide Seiten einen unerwarteten Gewinn dar (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 63; Leutheusser-Schnarrenberger, DtZ 1993, S. 34 ≪38≫).

Anders als in einer Marktwirtschaft, in der die Bodenwerte zum Grundeigentum gehören und Bodenwertsteigerungen dem Grundstückseigentümer zufallen, hatte das Grundeigentum in der Deutschen Demokratischen Republik seinen wirtschaftlichen Wert so gut wie verloren. Andererseits vermittelten die Nutzungsrechte ihren Inhabern eine eigentümerähnliche Rechtsstellung. Dem Nutzer war die unbefristete und in der Regel unentgeltliche Nutzung des Grundstücks übertragen. Diese Befugnis höhlte den Wert des Grundeigentums wirtschaftlich aus (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 63). Auch in den Fällen, in denen den Nutzern keine Nutzungsrechte verliehen oder zugewiesen worden waren, kam ihnen in der Rechtswirklichkeit der Deutschen Demokratischen Republik aufgrund der Billigung der von ihnen vorgenommenen Bebauungen durch staatliche oder gesellschaftliche Organe eine vergleichbare Stellung zu. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Gesetzgebers, die im Zuge der Wiedervereinigung eingetretenen Bodenwertsteigerungen nicht ganz oder überwiegend dem Grundstückseigentümer oder dem Nutzer zuzuweisen, sondern zwischen beiden grundsätzlich hälftig zu teilen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

(b) Das dem Nutzer in § 15 Abs. 1 SachenRBerG eingeräumte Recht, zwischen der Bestellung eines Erbbaurechts an dem von ihm bebauten Grundstück und dessen Ankauf zu wählen, führt nicht zu einer einseitigen Bevorzugung des Nutzers.

(aa) Nutzer, die fremde Grundstücke mit staatlicher Billigung bebaut haben, haben wirtschaftliche Werte geschaffen. Die bauliche Inanspruchnahme der Grundstücke wurde in der Deutschen Demokratischen Republik weitgehend von behördlichen Entscheidungen bestimmt, die in weiten Bereichen bedeutsamer als Rechtssätze waren. Die Errichtung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage auf einem fremden Grundstück mit staatlicher Billigung erfolgte demnach berechtigt und stellte sich nach dem damaligen Rechts- und Wirtschaftssystem nicht als eine Verletzung der Befugnisse des Grundstückseigentümers dar (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 62). Die Nutzer konnten deshalb darauf vertrauen, die von ihnen errichteten Gebäude und baulichen Anlagen grundsätzlich unbefristet nutzen zu können. Dieses Vertrauen war Grundlage für von ihnen – oftmals mit erheblichem Aufwand – getätigte Investitionen. Damit ging häufig, insbesondere bei den Inhabern von Nutzungsrechten, auch das Bewusstsein einer eigentümerähnlichen Stellung hinsichtlich der Grundstücke einher (vgl. dazu schon oben unter II 1 a cc bbb ≪2≫ ≪a≫). Diese schützenswerte Position der Nutzer durfte (und musste) daher vom Gesetzgeber bei der Neugestaltung der Eigentumsordnung auch im Lichte von Art. 14 GG berücksichtigt werden.

Dagegen standen den Grundstückseigentümern in Bezug auf ihre Grundstücke bis zur Wiedervereinigung im Wesentlichen keine Verwertungs- und Nutzungsbefugnisse mehr zu. Sie konnten auch nicht damit rechnen, diese Befugnisse jemals wiederzuerlangen. Das Grundstückseigentum war mit den Nutzungsrechten und den im Rahmen solcher Nutzungsrechtsverhältnisse oder unabhängig davon mit Billigung staatlicher oder gesellschaftlicher Stellen vorgenommenen Bebauungen belastet, als es in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG gelangt ist.

Der Gesetzgeber durfte daher dem Interesse der Nutzer an der weiteren Nutzung der von ihnen bebauten Grundstücke gegenüber dem Interesse der Grundstückseigentümer, die volle Verfügungs- und Nutzungsbefugnis über ihre Grundstücke wiederzuerlangen, den Vorrang geben und den Nutzern infolgedessen ein Wahlrecht zwischen einer Erbbaurechtsbestellung und dem Ankauf des Grundstücks einräumen. Dies gilt umso mehr, als der Nutzer, worauf das Oberlandesgericht zutreffend hingewiesen hat, bei einem vorrangigen Recht des Grundstückseigentümers, das Gebäude oder die bauliche Anlage anzukaufen, seine Wohnung oder Betriebsstätte verlieren würde. Für den Nutzer würden damit unmittelbare Rechtsfolgen hinsichtlich seiner persönlichen oder beruflichen Existenz eintreten, während es für den Grundstückseigentümer in der Regel nur um einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die Belastung seines Grundstücks durch Erbbaurechtsbestellung oder für den Rechtsverlust durch Ankauf geht (vgl. Czub, in: Ders./Schmidt-Räntsch/Frenz, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, Einf. SachenRBerG Rn. 43 ≪Stand: 1995≫).

(bb) Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen auch nicht verpflichtet, das Wahlrecht nach § 15 Abs. 1 SachenRBerG nur den Nutzern einzuräumen, denen ein Nutzungsrecht an dem von ihnen genutzten Grundstück verliehen oder zugewiesen worden war. Das Verwaltungshandeln in der Deutschen Demokratischen Republik entsprach in weiten Bereichen nicht rechtsstaatlichen Grundregeln. Der Zugriff auf fremde Grundstücke vor Klärung der Eigentumsverhältnisse und ohne Absicherung aufgrund planerischer Vorgaben war zwar auch nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtswidrig, aber doch so häufig, dass er als systemimmanent angesehen werden muss. Für denjenigen, dem ein Grundstück zur baulichen Nutzung zugewiesen wurde, hing es von durch ihn nicht beeinflussbaren Zufälligkeiten ab, ob und wann eine Überführung des Grundstücks in Volkseigentum und die Verleihung oder Zuweisung eines Nutzungsrechts erfolgten. Daher würde eine Bestandssicherung nach den vorgefundenen Rechtsformen zu willkürlichen, den Betroffenen nicht zu vermittelnden Ergebnissen führen (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 62; Leutheusser-Schnarrenberger, a.a.O., S. 37; Stürner, a.a.O., S. 1080; Czub, a.a.O., Einf. SachenRBerG Rn. 33).

(cc) Der Gesetzgeber war schließlich nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet, den Nutzer ausschließlich auf den Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts an dem von ihm genutzten Grundstück zu verweisen, um den Bestand des Grundeigentums zu erhalten. Zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Nutzer besteht aufgrund der Bebauung der Grundstücke eine Art Zwangsgemeinschaft. Sie wird durch die Bestellung eines Erbbaurechts zugunsten des Nutzers nicht aufgelöst, sondern nur dem Rechtssystem des Bürgerlichen Gesetzbuchs angepasst. Diese Möglichkeit ist nach der Stellungnahme der Bundesregierung vor allem im Hinblick auf die finanzielle Situation einiger Nutzer geschaffen worden. Können sie sich den Ankauf des Grundstücks nicht leisten, soll die weitere Nutzung des von ihnen errichteten Gebäudes durch die Bestellung eines Erbbaurechts rechtlich abgesichert und gewährleistet werden. Dagegen bewirkt nur das Ankaufsrecht eine Auflösung der genannten Zwangsgemeinschaft durch die Schaffung klarer Rechtsverhältnisse. Es führt nach den Ausführungen der Bundesregierung darüber hinaus zu einem Ergebnis, das wirtschaftlich dem der Bereinigung der Rechtsverhältnisse in Bodenneuordnungsverfahren nach dem Landwirtschaftsanpassungs- und dem Bodensonderungsgesetz entspricht (vgl. dazu auch Czub, Sachenrechtsbereinigung, 1994 [im Folgenden: Sachenrechtsbereinigung], Rn. 352). Der Gesetzgeber durfte daher zur Auflösung der Kollision vorgefundener Berechtigungen an einem Grundstück dem Nutzer zur Absicherung seiner baulichen Investitionen einen Anspruch auf Erwerb des Grundstückseigentums einräumen.

(c) Auch die Regelung über die Ermittlung des Bodenwerts in § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1 und Abs. 3 SachenRBerG führt zu keiner unangemessenen Benachteiligung der Grundstückseigentümer.

Da nur die nach der Wiedervereinigung eingetretenen Bodenwertsteigerungen zwischen Grundstückseigentümern und Nutzern hälftig aufgeteilt werden sollen, ist es sachgerecht, dass allein der Bodenwert Bemessungsgrundlage für den Erbbauzins oder den Ankaufspreis ist. Dies gilt auch hinsichtlich der Anknüpfung an den Wert eines baureifen Grundstücks. Denn der Nutzer hat das Grundstück zur Bebauung zugewiesen bekommen oder mit Billigung staatlicher Stellen bebaut. Es ist daher als nach öffentlichrechtlichen Vorschriften baulich nutzbar und damit gemäß § 4 Abs. 4 der Wertermittlungsverordnung als baureifes Land zu bewerten (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 71; Czub, Sachenrechtsbereinigung, Rn. 302).

Der in § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und Abs. 3 SachenRBerG vorgesehene Abzug vom Bodenwert für die Erhöhung des Werts des baureifen Grundstücks durch Aufwendungen zur Erschließung und Vermessung sowie für andere Kosten zur Baureifmachung des Grundstücks stellt keine Abweichung vom Grundsatz der hälftigen Teilung zum Nachteil des Grundstückseigentümers dar. Nach den Darlegungen der Bundesregierung wurden Grundstücke in der Deutschen Demokratischen Republik vom Staat meist kostenlos erschlossen. Die Erschließung habe jedoch mit der Bebauung des Grundstücks durch den Nutzer in unmittelbarem Zusammenhang gestanden (ebenso Czub, Sachenrechtsbereinigung, Rn. 306). Dies rechtfertigt ihre Zuordnung zum Bauvorhaben des Nutzers und damit den Abzug der erschließungsbedingten Werterhöhung des Grundstücks vom ermittelten Bodenwert. Es gilt dies erst recht, wenn der Nutzer selbst Leistungen zur Erschließung des Grundstücks erbracht hat (vgl. dazu Bischoff, in: Eickmann, Sachenrechtsbereinigung, § 19 SachenRBerG Rn. 30 c ≪Stand: November 1999≫). Soweit hingegen der Grundstückseigentümer die Kosten für die Baureifmachung getragen hat oder das Grundstück bereits während der Dauer seines Besitzes erschlossen und vermessen war, findet nach § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SachenRBerG ein Abzug für die damit verbundene Werterhöhung des Grundstücks nicht statt. Dadurch werden die Belange des Grundstückseigentümers hinreichend und angemessen gewahrt.

Es ist von Verfassungs wegen auch nicht zu beanstanden, dass § 19 Abs. 3 Satz 1 SachenRBerG pauschale, nach Gemeindegrößen bemessene Abzüge für die durch Maßnahmen zur Baureifmachung des Grundstücks eingetretene Werterhöhung vorsieht. Die Vorstellungen der Beteiligten über den Anteil solcher Maßnahmen an der Erhöhung des Grundstückswerts gehen oft weit auseinander. Einen sicheren Maßstab für eine Bewertung im Einzelfall gibt es nicht. Die Pauschalierung erleichtert somit das Verfahren und vermeidet Streitigkeiten über den Umfang des Abzugs (vgl. BTDrucks 12/7425, S. 66 zu § 18 SachenRBerG; Bischoff, a.a.O., § 19 SachenRBerG Rn. 31 ≪Stand: November 1994≫).

(d) Die Belange der Grundstückseigentümer werden schließlich nicht dadurch unangemessen beeinträchtigt, dass § 68 Abs. 2 Satz 1 und 2 SachenRBerG dem Nutzer, der sich in den ersten zwei Jahren nach In-Kraft-Treten des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes am 1. Oktober 1994 (vgl. Art. 3 SachenRÄndG) für den Ankauf des Grundstücks entschieden hat und den Kaufpreis innerhalb eines Monats zahlt, nachdem der Notar ihm mitgeteilt hat, dass alle zur Umschreibung erforderlichen Unterlagen vorliegen, eine Ermäßigung des normalen Kaufpreises nach § 68 Abs. 1 SachenRBerG um 5 oder 2,5 % gewährt. Mit dieser Regelung soll ein besonderer Anreiz zum Ankauf des Grundstücks, der gegenüber der Erbbaurechtsbestellung zu einer einfacheren und schnelleren Rechtsbereinigung führt, und zur pünktlichen Bezahlung des Kaufpreises geschaffen werden (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 86). Das sind legitime Regelungsziele, von deren Erreichung auch der Grundstückseigentümer profitiert. Er erhält den Kaufpreis sofort und kann früher darüber verfügen, so dass in der Ermäßigung des normalen Kaufpreises eine einseitige Bevorzugung der Nutzer nicht gesehen werden kann.

b) Auch die Auslegung und Anwendung von § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1, Abs. 3, § 61 und § 68 SachenRBerG im Ausgangsverfahren begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist nicht ersichtlich, dass die Zivilgerichte Bedeutung und Tragweite des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. zum Maßstab BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 79, 292 ≪303≫) verkannt haben könnten.

Dies gilt auch in Bezug auf den bei der Ermittlung des Bodenwerts des streitbefangenen Grundstücks vorgenommen Abzug für Erschließungskosten nach § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und Abs. 3 SachenRBerG. Das Oberlandesgericht hat dazu ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin nicht behauptet habe, als Eigentümerin des Grundstücks und der Erschließungsstraße Erschließungskosten getragen zu haben. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dass sie im Ausgangsverfahren eine solche Behauptung schlüssig aufgestellt habe. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SachenRBerG hat ein Abzug der Aufwendungen zur Erschließung nicht allein deswegen zu unterbleiben, weil der Grundstückseigentümer zugleich Eigentümer der Erschließungsstraße ist. Die dem entsprechende Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift durch die Zivilgerichte kann deshalb verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden.

2. Die angegriffenen Entscheidungen sind auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

a) Die ihnen zugrunde liegende Regelung des § 15 Abs. 1 SachenRBerG steht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Einklang. Zwar werden die Eigentümer von Grundstücken, die der Sachenrechtsbereinigung unterfallen, gegenüber den Nutzern dieser Grundstücke dadurch benachteiligt, dass grundsätzlich die Nutzer zwischen der Bestellung eines Erbbaurechts und dem Ankauf des Grundstücks wählen können und den Eigentümern ein Wahlrecht nur zusteht, wenn dieses nach § 16 Abs. 3 Satz 3 SachenRBerG auf sie übergeht. Dies ist aber deshalb hinreichend sachlich gerechtfertigt (vgl. zum Maßstab BVerfGE 101, 54 ≪101≫), weil die Nutzer auf den Grundstücken bauliche Werte geschaffen haben, aufgrund der Rechtslage und der Rechtswirklichkeit in der Deutschen Demokratischen Republik darauf vertrauen durften, die von ihnen errichteten Gebäude und baulichen Anlagen unbefristet nutzen zu können, und bei einem Ankauf des Gebäudes oder der Anlage durch den Grundstückseigentümer ihre Wohnung oder Betriebsstätte verlieren würden (vgl. dazu näher bereits oben unter II 1 a cc bbb ≪2≫ ≪b≫ ≪aa≫).

b) Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Zivilgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1, Abs. 3, § 61 und § 68 SachenRBerG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen haben könnten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

 

Unterschriften

Jaeger, Hömig, Bryde

 

Fundstellen

Haufe-Index 567590

BuW 2001, 646

VIZ 2001, 252

VIZ 2001, 330

WM 2001, 781

ZfIR 2001, 202

NJ 2001, 191

NJ 2001, 419

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