Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die fachgerichtliche Feststellung und Beurteilung des Charakters einer staatlichen Maßnahme als „politische Verfolgung” und an die Würdigung des Vorbringens eines Asylbewerbers zu seinen individuellen Verfolgungsgründen

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches OVG (Zwischenurteil vom 16.12.1996; Aktenzeichen 11 L 7683/95)

VG Lüneburg (Urteil vom 30.08.1995; Aktenzeichen 5 A 557/91)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 30. August 1995 - 5 A 557/91 - verletzt den Beschwerdeführer zu 1. in seinem Grundrecht aus Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 1. aufgehoben. Die Sache wird insoweit an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Damit wird der Beschluß des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1996 - 11 L 7683/95 - gegenstandslos, soweit er den Beschwerdeführer zu 1. betrifft.

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 2. bis 7. wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer zu 1. die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren zu erstatten.

 

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die fachgerichtliche Feststellung und Beurteilung des Charakters einer staatlichen Maßnahme als „politische Verfolgung” und an die Würdigung des Vorbringens eines Asylbewerbers zu seinen individuellen Verfolgungsgründen.

I.

1. Die Beschwerdeführer (Eheleute und fünf ihrer Kinder) sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und stammen aus Nussaybin in der Provinz Mardin.

a) Der am 1. Januar 1945 geborene Beschwerdeführer zu 1. reiste angabegemäß am 20. September 1990 in das Bundesgebiet ein, wo er am 25. September 1990 seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragte. Im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 25. September 1990 gab der Beschwerdeführer zu 1. an: Zwei seiner Söhne seien Mitglieder der PKK und kämpften in den Bergen gegen die Türken. Sie sammelten finanzielle Unterstützung und verteilten Flugblätter und Propagandamaterial. Er habe deren Aktivitäten nie beobachtet und wisse darüber nur vom Hörensagen. Er selbst unterstütze die PKK finanziell und sei deshalb angezeigt sowie neun bis fünfzehn Mal verhaftet worden. Meist sei er nach einem oder spätestens zwei Tagen freigelassen worden. Beim letzten Mal allerdings habe man ihm erhebliches Leid zugefügt: Er sei einen Monat lang inhaftiert gewesen und dabei mißhandelt und gefoltert worden. Man habe ihn geschlagen und mit Stiefeln getreten. Ihm sei vorgeworfen worden, die Kurden unterstützt zu haben, was er auch eingeräumt habe. Man habe ihn aufgefordert, die Unterstützung einzustellen und seine zwei Söhne auszuliefern. Nach der Freilassung habe er sich zwei Monate versteckt gehalten und sei dann mit Hilfe von Schleusern ausgereist.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 1990 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Beschwerdeführers zu 1. ab. Seine Angaben seien unsubstantiiert. Daran scheitere die Glaubhaftmachung eines politischen Verfolgungsgeschehens. Die über seine Söhne und deren Aktivitäten gemachten Angaben seien wenig konkret. Der Beschwerdeführer zu 1. sei selbst kein aktiver Kämpfer für das Kurdentum. Als Sympathisant der PKK sei er allenfalls Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung ausgesetzt gewesen. Diese könnten zwar in harten Formen verlaufen, erreichten aber nicht das Maß einer asylrelevanten politischen Verfolgung und seien auch nicht ethnisch oder religiös motiviert.

b) Am 6. November 1990 reisten die Beschwerdeführer zu 3. bis 7. (die 1977, 1979, 1980, 1983 und 1984 geborenen Kinder der Beschwerdeführer zu 1. und 2.) in das Bundesgebiet ein, wo sie am 6. Dezember 1990 ihre Anerkennung als Asylberechtigte beantragten.

Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt gaben die Beschwerdeführer zu 3. bis 6. im wesentlichen übereinstimmend an, von Soldaten wegen des Beschwerdeführers zu 1. schikaniert und nach diesem befragt worden zu sein. Der Beschwerdeführer zu 7. gab an, der Beschwerdeführer zu 1. sei immer wieder ins Gefängnis gebracht worden. Die Soldaten hätten nach Verstecken der PKK und nach dem Grund für die Unterstützung der PKK gefragt. Er sei nach seinen beiden Brüdern und dem Beschwerdeführer zu 1. befragt worden. Diese Fragen habe er stets mit Nichtwissen beantwortet und sei deshalb auf die Wache gebracht und dort gefoltert worden.

Mit Bescheiden vom 15. April 1991 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Beschwerdeführer zu 3. bis 7. als offensichtlich unbegründet ab.

c) Am 16. Mai 1991 reiste die Beschwerdeführerin zu 2. in das Bundesgebiet ein, wo sie am 25. Juli 1991 ihre Anerkennung als Asylberechtigte beantragte. Im Rahmen ihrer Anhörung durch das Bundesamt gab die Beschwerdeführerin zu 2. an, keiner politischen Partei anzugehören, jedoch die PKK mit Essen, Kleidung und Betten unterstützt zu haben. Seit zwei, drei Jahren habe sich die Situation verschärft. Sondereinheiten der Armee seien immer wieder zu ihrem Haus gekommen, hätten es umstellt, die Bewohner herausgeholt und geschlagen. Sie selbst sei auch geschlagen worden; einmal habe man sie sogar an einem Tag dreimal aus dem Haus geholt. Diese Vorfälle hätten sich zwei- bis dreimal monatlich ereignet.

Mit Bescheid vom 16. August 1991 lehnte das Bundesamt auch den Asylantrag der Beschwerdeführerin zu 2. als offensichtlich unbegründet ab.

2. a) Zur Begründung ihrer Klagen haben die Beschwerdeführer ergänzend und vertiefend vorgetragen: Der Beschwerdeführer zu 1. sei von der türkischen Ordnungsmacht mehrfach festgenommen, mißhandelt und gefoltert worden, damit man von ihm den Aufenthaltsort seiner beiden Söhne – aktive PKK-Kämpfer – erfahre. Man habe von ihm verlangt, seine beiden Söhne auszuliefern. Zwei bis drei Monate vor seiner Flucht sei er letztmals – für die Dauer eines Monats – inhaftiert gewesen. Auch gebe es eine Gruppenverfolgung der Kurden in der Südosttürkei; eine zumutbare inländische Fluchtalternative bestehe nicht.

b) Durch in der mündlichen Verhandlung am 30. August 1995 verkündeten Beschluß lehnte das Verwaltungsgericht einen auf Vernehmung eines anwesenden Zeugen gerichteten Beweisantrag des Beschwerdeführers zu 1. dazu, daß er „in der Türkei die PKK unterstützt und deshalb wiederholt verhaftet worden sei”, ab; die behaupteten Tatsachen könnten als wahr unterstellt werden.

c) Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen: Die vom Beschwerdeführer zu 1. im Verwaltungsverfahren vorgetragene Begründung reiche für eine asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht aus. Insoweit sei auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden des Bundesamts zu verweisen. Tatsachen, die – hiervon abweichend – die Beurteilung zuließen, daß die behaupteten Festnahmen des Beschwerdeführers zu 1. nicht als ordnungsrechtliche Maßnahmen des Staates gerechtfertigt gewesen seien, seien nicht einmal dargelegt worden und auch aus der allgemeinen Lageerkenntnis der Kammer nicht erkennbar. Wer – wie der Beschwerdeführer zu 1. – in politisch-separatistische Aktivitäten verwickelt werde, müsse in Gebieten des Ausnahmezustands mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen. Derartige Abwehrmaßnahmen des Staates zur Abwehr eines revolutionären Separatismus seien für die Bewohner der Unruhegebiete nur dann politische Verfolgung, wenn sie eine staatliche Behandlung erführen, die härter sei als diejenige, die üblicherweise zur Verfolgung von Straftaten vergleichbarer Gefährlichkeit angewendet werde. Nach den Erkenntnissen der Kammer hätten die Beschwerdeführer bei Vernehmungen zwar mit Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu rechnen. Daß diese jedoch über das allgemeine Maß hinausgingen, wie es bei Verhören wegen krimineller Delikte in türkischen Gefängnissen üblich sei, hätten die Beschwerdeführer nicht dargetan. Im übrigen seien die Verhaftungen des Beschwerdeführers zu 1. als Kurde nicht unmittelbarer Anlaß zur Ausreise gewesen. Durch die Freilassung nach kurzfristiger Inhaftierung werde zudem belegt, daß der Betreffende nicht als ernst zu nehmender Gegner des Staates eingeschätzt werde, gegen den weitergehende, asylrelevante und dem Staat zurechenbare Maßnahmen ergriffen werden sollen.

Auch aufgrund einer Teil-Amnestie für PKK-Mitglieder vom 24. Mai 1993 sei nicht mehr anzunehmen, daß der Beschwerdeführer zu 1. bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei politisch verfolgt werde. Von der Amnestie seien alle PKK-Kämpfer erfaßt, die nicht nachweislich in Mordfälle oder Massaker verwickelt gewesen seien, wenn sie sich den Sicherheitsbehörden stellen würden. Wenn bereits diese Leute nicht mehr verfolgt würden, so sei der türkischen Regierung mit „ziemlicher Wahrscheinlichkeit” nicht an der Verfolgung solcher Personen gelegen, die die PKK ausschließlich mit Lebensmitteln und dergleichen unterstützt hätten.

Eine Gruppenverfolgung der Kurden in der gesamten Türkei finde nicht statt. Die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG lägen nicht vor. Die Sippenmitglieder der Beschwerdeführer lebten offenbar unbehelligt in der Heimat.

3. Den auf alle drei Zulassungsgründe des § 78 Abs. 3 AsylVfG gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit dem gleichfalls angegriffenen Beschluß vom 16. Dezember 1996 abgelehnt.

II.

1. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer, die beiden Gerichtsentscheidungen verletzten sie in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1, 16a Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG.

a) aa) Ihr Grundrecht auf Asyl sei verletzt. Nach dem vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt sei der Beschwerdeführer zu 1. u.a. wegen des Verdachts der Unterstützung der PKK wiederholt festgenommen und zuletzt einen Monat lang festgehalten worden. Da die türkischen Sicherheitskräfte insoweit einen Zusammenhang mit der militanten kurdischen Bewegung herstellten, bestehe dementsprechend die Gefahr politischer Verfolgung. Nach aktueller Auskunftslage und darauf basierender Rechtsprechung der Obergerichte seien Kurden aus Ostanatolien, die dort verdächtigt worden seien, mit der kurdischen Bewegung zu sympathisieren, auch in der Westtürkei nicht vor politischer Verfolgung sicher. Des weiteren sei nach der Auskunftslage davon auszugehen, daß Häftlinge, denen eine staatsfeindliche bzw. kurdenfreundliche Gesinnung zugeschrieben werde, in türkischem Polizeigewahrsam häufiger und härter mißhandelt würden als sonstige Straftäter. Der Beschwerdeführer zu 1. gehöre nach dem vom Gericht als wahr unterstellten Sachverhalt zu der besonders gefährdeten Personengruppe, für die es keine inländische Fluchtalternative gebe und die im Polizeigewahrsam härter und häufiger mißhandelt werde als sonstige Straftäter. Hiervon ausgehend habe das Verwaltungsgericht den Begriff der politischen Verfolgung verkannt und auch die erforderlichen verläßlichen Feststellungen nicht getroffen; seine Wertungen stünden nicht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung: Einerseits habe es ausgeführt, daß der Beschwerdeführer zu 1. wegen seiner vermuteten Unterstützung separatistischer Bestrebungen mit Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu rechnen habe; andererseits habe es die Asylerheblichkeit entsprechender Maßnahmen mit dem Bemerken verneint, der Beschwerdeführer zu 1. habe nicht dargetan, daß ihm deshalb im Vergleich zu sonstigen Straftätern eine härtere Bestrafung oder Behandlung gedroht habe. Obwohl sich Letzteres schon ohne weiteres aufgrund der Erkenntnislage und der obergerichtlichen Rechtsprechung bejahen lasse, habe das Verwaltungsgericht jedenfalls entsprechende Feststellungen unterlassen.

bb) Nicht nachvollziehbar sei ferner, daß das Verwaltungsgericht den Kausalzusammenhang zwischen der letzten Verhaftung und der zwei bis drei Monate später erfolgten Ausreise des Beschwerdeführers zu 1. verneint habe.

cc) Nicht tragfähig sei weiterhin der Schluß des Verwaltungsgerichts, die Freisetzung aus kurzzeitiger Inhaftierung lasse darauf schließen, daß der Betreffende nicht als sonderlich ernst zu nehmender Gegner des Staates angesehen worden sei und deshalb nicht mit weiteren Maßnahmen zu rechnen habe.

dd) Die Schlußfolgerungen des Verwaltungsgerichts aus der Teil-Amnestie für PKK-Mitglieder beruhten auf veralteten Auskünften. Unklar sei in diesem Zusammenhang auch, welchen Prognosemaßstab das Verwaltungsgericht mit seiner Wendung „mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit” herangezogen habe. Die Schlußfolgerung stehe zudem im Gegensatz zur allgemeinen Auskunftslage.

b) Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie mit gänzlich unzulänglicher oder unverständlicher, in wesentlichen Punkten widersprüchlicher Begründung versehen sei. Sie sei bei verständiger Würdigung und unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs nicht mehr nachvollziehbar. Dies ergebe sich insbesondere daraus, daß das Verwaltungsgericht zunächst den Eindruck erweckt habe, die Klage sei als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Ferner gebe es Hinweise, daß das Verwaltungsgericht den wesentlichen Vortrag der Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis genommen habe. So werde pauschal behauptet, für eine politische Verfolgung hätten die Beschwerdeführer nichts vorgebracht.

c) Mit der Feststellung, daß es sich bei den Verhaftungen des Beschwerdeführers zu 1. um ordnungsrechtliche Maßnahmen gehandelt habe und daß PKK-Sympathisanten nach der Teil-Amnestie nicht mehr verfolgt würden, habe das Verwaltungsgericht zudem einen Gehörsverstoß begangen. Der Entscheidung lasse sich nämlich nicht entnehmen, auf welche konkreten Erkenntnisquellen sich die einzelnen Feststellungen stützten.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Niedersächsischen Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten sowie den Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B. - I.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung seiner in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. ist zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise – auch offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer zu 1. in seinem Grundrecht auf Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 GG.

II.

1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Geht es dabei um Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, so stellt generell jede derartige nicht ganz unerhebliche Maßnahme staatlicher Stellen, die an die politische Überzeugung oder Betätigung eines Betroffenen anknüpft, politische Verfolgung dar, ohne daß es insoweit noch auf eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt (vgl. BVerfGE 54, 341 ≪357: „… unmittelbare Gefahr für Leib, Leben …”≫; 80, 315 ≪333, 335 unter Hinweis auf die das Asylrecht tragende humanitäre Intention, in einer ausweglosen Lage Schutz zu gewähren≫; vgl. auch BVerwGE 80, 321 ≪324≫; 87, 141 ≪145 f.≫).

Auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung können asylrechtsbegründend sein. Da insbesondere auch die betätigte politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylgrundrechts liegt, kann eine staatliche Verfolgung von Taten, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, grundsätzlich politische Verfolgung sein. Es bedarf einer besonderen Begründung, um sie gleichwohl aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen zu lassen. Hierfür kommt der Rechtsgüterschutz in Betracht, sofern die staatlichen Maßnahmen einer in den Taten zum Ausdruck gelangenden, über die Betätigung der politischen Überzeugung hinaus gehenden zusätzlichen kriminellen Komponente gelten. Auch eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann freilich in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, daß der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet (vgl. im einzelnen BVerfGE 80, 315 ≪336 ff.≫). Auch unmenschliche Behandlung, insbesondere Folter, kann sich dann als asylrelevante Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylrelevanter Merkmale oder im Blick auf diese in verschärfter Form eingesetzt wird (BVerfGE 81, 142 ≪151≫).

Auf die Asylverheißung des Art. 16a Abs. 1 GG kann sich nicht berufen, wer seine politische Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel betätigt hat. Maßnahmen des Staates zur Abwehr des Terrorismus sind keine politische Verfolgung, wenn sie dem aktiven Terroristen, dem Teilnehmer an oder einem Unterstützer von terroristischen Aktivitäten gelten. Allerdings kann auch in derartigen Fällen eine asylerhebliche Verfolgung dann vorliegen, wenn zusätzliche Umstände für eine solche Annahme sprechen (vgl. BVerfGE 81, 142 ≪152≫). Dies ist etwa dann der Fall, wenn objektive Umstände – z.B. eine gesteigerte Verfolgungsintensität in Form einer härteren Bestrafung – darauf schließen lassen, daß der Betroffene gleichwohl wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt wird (vgl. BVerfGE 80, 315 ≪336 ff.≫; 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschlüsse vom 8. Oktober 1990 - 2 BvR 508/86 -, InfAuslR 1991, 18 ≪19 f.≫, vom 25. April 1991 - 2 BvR 1437/90 -, InfAuslR 1991, 257 ≪260 f.≫ und vom 3. Juli 1996 - 2 BvR 1957/94 -, DVBl 1996, S. 1250). Nicht asylbegründend sind staatliche Maßnahmen danach nur dann, wenn und soweit sie sich auf die Abwehr des Terrorismus beschränken. Wird hingegen über die Bekämpfung von Straftaten hinaus der politische Gegner – in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal – verfolgt, kommt den dabei ergriffenen staatlichen Maßnahmen asylbegründende Wirkung zu. So vermag insbesondere eine (angebliche) Terrorismusbekämpfung staatlichen Gegenterror, der etwa darauf gerichtet ist, die nicht unmittelbar beteiligte zivile Bevölkerung in Erwiderung des Terrorismus unter den Druck brutaler staatlicher Gewalt zu setzen, nicht zu rechtfertigen. Deshalb werfen fachgerichtlich festgestellte weitreichende Menschenrechtsverletzungen im Rahmen einer unnachsichtigen Bekämpfung des Terrors durch den Staat stets die Frage auf, ob den staatlichen Maßnahmen die Annahme zugrunde liegt, daß zum Beispiel nur Angehörigen einer bestimmten Ethnie oder nur den in einem bestimmten Gebiet lebenden Angehörigen dieser Ethnie zumindest eine Nähe zu separatistischen/terroristischen Aktivitäten, wenn nicht gar eine generelle Sympathie für sie oder pauschal deren Unterstützung zu unterstellen sei. Bejahendenfalls läßt sich nicht von vornherein ausschließen, daß die staatlichen Maßnahmen – objektiv gesehen – zumindest auch auf die Ethnie gerichtet sind und an diese Zugehörigkeit anknüpfen (vgl.

BVerfGE 80, 315 ≪339 f.≫; 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschlüsse vom 9. Dezember 1993 - 2 BvR 1638/93 -, InfAuslR 1994, 105 ≪107 f.≫ und - 2 BvR 1916/93 -, InfAuslR 1994, 156 ≪158 f.≫).

b) Das Bundesverfassungsgericht hat in bezug auf den Tatbestand „politisch Verfolgter” sowohl hinsichtlich der Ermittlung des Sachverhalts selbst als auch seiner rechtlichen Bewertung zu prüfen, ob die tatsächliche und rechtliche Wertung der Gerichte sowie Art und Umfang ihrer Ermittlungen der Asylgewährleistung gerecht werden (BVerfGE 76, 143 ≪162≫). Den Fachgerichten ist dabei ein gewisser Wertungsrahmen zu belassen. Dieser bezieht sich u.a. auch auf die rechtliche Bewertung des ermittelten Sachverhalts. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist eine fachgerichtliche Bewertung nur dann, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist (vgl. 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschlüsse vom 20. Juni 1990 - 2 BvR 1727/89 -, InfAuslR 1991, 85 ≪88≫; vom 12. März 1992 - 2 BvR 721/91 -, InfAuslR 1992, 231 ≪233≫ und vom 22. Juli 1996 - 2 BvR 1416/94 -, NVwZ-Beilage 2/97, S. 11). Ermittlungen zum Tatbestand „politisch Verfolgter” sind freilich vom Bundesverfassungsgericht daraufhin zu überprüfen, ob sie hinreichend verläßlich und auch dem Umfang nach, bezogen auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sind. Angesichts der Feststellungsbedürftigkeit des Asylgrundrechts (vgl. dazu BVerfGE 56, 216 ≪236≫; 60, 253 ≪295≫; 94, 166 ≪199 f.≫) hat die Sachaufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht (vgl. 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschluß vom 18. Januar 1990 - 2 BvR 760/88 -, InfAuslR 1990, 161 ≪164≫). Zu den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe gehört es in der Regel, tatsächlichen oder vermeintlichen Unklarheiten oder Widersprüchen im Sachvortrag des Asylbewerbers, etwa durch dessen Befragung, nachzugehen (vgl. 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschluß vom 22. Juli 1996 - 2 BvR 1416/94 -, NVwZ-Beilage 2/97, S. 11).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Qualifizierung der dem Beschwerdeführer zu 1. widerfahrenen und bei einer Rückkehr möglicherweise erneut drohenden Behandlung durch staatliche Stellen als asylrechtlich unerheblich der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Mit seiner Beurteilung, der Beschwerdeführer zu 1. sei unverfolgt ausgereist und ihm drohe im Falle seiner Rückkehr in die Türkei keine individuelle politische Verfolgung, hat es den ihm eröffneten fachgerichtlichen Wertungsrahmen überschritten.

a) Das Verwaltungsgericht hat die vom Beschwerdeführer zu 1. in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellten Behauptungen dazu, daß er in der Türkei wiederholt wegen Unterstützung der PKK verhaftet worden sei, als wahr unterstellt. Damit hat es im Rahmen des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt: Der Beschwerdeführer zu 1. wurde mindestens in neun, möglicherweise sogar in fünfzehn Fällen auf die Wache gebracht und dort jeweils für einen oder zwei Tage festgehalten. Etwa zwei bis drei Monate vor seiner Ausreise wurde er schließlich einen Monat auf der Wache festgehalten, verhört, geschlagen, mit Stiefeln getreten, mißhandelt und gefoltert. Den ihm gemachten Vorwurf der Unterstützung der Kurden bzw. der PKK räumte er dabei ein.

Diese vom Beschwerdeführer zu 1. geschilderten Maßnahmen hat das Verwaltungsgericht als asylrechtlich unerheblich qualifiziert. Die dazu angestellten Erwägungen stehen schon maßstäblich mit den oben dargelegten Grundsätzen, wonach solche Maßnahmen auch im Bereich des staatlichen Rechtsgüterschutzes politische Verfolgung sein können, nicht im Einklang. Das Verwaltungsgericht hat unberücksichtigt gelassen (jedenfalls läßt sich der Begründung Gegenteiliges nicht entnehmen), daß vor allem die Häufigkeit solcher Vorkommnisse, deren schikanöse Tendenz, die dem Beschwerdeführer zu 1. dabei zugefügte menschenrechtswidrige Behandlung, deren Fortsetzung trotz der von ihm eingeräumten Unterstützung der PKK und schließlich auch das Ausbleiben gesetzlich vorgesehener strafrechtlicher Konsequenzen im Sinne „sonstiger Umstände” Anhaltspunkte dafür ergeben können, daß es sich hierbei um Maßnahmen politischer Verfolgung – wenngleich unter dem Deckmantel angeblicher „Terrorismusbekämpfung” bzw. „gerechtfertigt” als „ordnungsrechtliche Maßnahmen” – handelt. In dieser Erscheinungsform können die genannten Maßnahmen nach ihrer objektiven Gerichtetheit jenseits der Terrorismusbekämpfung auch zum Ziel haben, die im Einzelfall festgestellte oder generell bei allen Kurden in Südostanatolien vermutete, mit dem Terrorismus/Separatismus sympathisierende Gesinnung durch Anwendung menschenrechtswidriger Gewalt und fortwährende Schikanen zu bekämpfen. Das Verwaltungsgericht hat dies – obwohl es nach den oben dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben geboten gewesen wäre (vgl. 1. a) – nicht in den Blick genommen; es hat vielmehr die vom Beschwerdeführer zu 1. erlittene Behandlung – ohne erkennbare Würdigung der besonderen Umstände – als ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung beurteilt und damit als nicht asylbegründend erachtet.

b) Das Verwaltungsgericht ist der Frage, ob die dem Beschwerdeführer zu 1. widerfahrenen staatlichen Maßnahmen härter als diejenigen zur Verfolgung ähnlicher nicht politischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit und damit asylrelevant (vgl. BVerfGE 80, 315 ≪338≫) gewesen sein könnten, nicht nachgegangen, weil die Beschwerdeführer hierfür nichts dargelegt hätten; auch aus der allgemeinen Lageerkenntnis sei dies nicht erkennbar. Diese Begründung kann sich nicht auf eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Grundlage stützen.

Sollte das Verwaltungsgericht die Angaben des Beschwerdeführers zu 1. zu der ihm zuteil gewordenen Behandlung durch staatliche Stellen für zu unbestimmt gehalten oder die Unmittelbarkeit einer drohenden Gefahr für Leib und Leben bezweifelt haben, hätte es angesichts des Umstandes, daß Eingriffe dieser Art, sofern sie an ein asylrelevantes Merkmal anknüpfen, generell die für die Zuerkennung des Asylrechts erforderliche Intensität aufweisen (vgl. oben 1. a), von sich aus den Sachverhalt weiter aufklären müssen, um die näheren Umstände der vom Beschwerdeführer zu 1. mitgeteilten Mißhandlungen zu ermitteln. Das ist nicht geschehen.

Mit dem Hinweis auf fehlenden Vortrag der Beschwerdeführer zum sog. „Politmalus” ist das Verwaltungsgericht jedenfalls seiner Sachaufklärungspflicht nicht gerecht geworden. Das Verwaltungsgericht hat glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers zu 1. über von ihm erlittene Polizeimaßnahmen die asylrechtliche Beachtlichkeit abgesprochen, weil die Beschwerdeführer „nicht einmal dargelegt” hätten, daß die genannten Maßnahmen über das allgemeine Maß bei sonstigen kriminellen Delikten hinausgingen und nicht als ordnungsrechtliche Maßnahmen des Staates gerechtfertigt gewesen seien. Da es sich bei den geschilderten Maßnahmen nach dem objektiven Geschehensablauf, wie auch vom Verwaltungsgericht indirekt durch den Vorwurf fehlender Darlegung eingeräumt, jedenfalls auch um Akte politischer Verfolgung handeln kann, wäre es Sache des Verwaltungsgerichts gewesen, diesem wesentlichen Vorbringen nachzugehen. Der sich schon aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden umfassenden Verpflichtung des Gerichts, von Amts wegen jede mögliche Aufklärung des Sachverhalts bis hin zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, kommt vorliegend im Hinblick auf Art. 16a Abs. 1 GG verfassungsrechtliches Gewicht zu (vgl. oben 1. b). Die Darlegungs- und Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers wäre überspannt, würde man von ihm hier verlangen, eine unterschiedliche Behandlung im Rahmen polizeilicher Maßnahmen bei der Strafverfolgung von politischen Tätern einerseits und (sonstigen) Straftätern andererseits darzutun. Solange sich insoweit ein „Politmalus” bei solchen Verfolgungsmaßnahmen nicht von vornherein ausschließen läßt, ist es Sache des Gerichts, den Sachverhalt, soweit ihm Entscheidungserheblichkeit zukommt, in einer der Bedeutung des Asylgrundrechts entsprechenden Weise aufzuklären. Hierzu bestand vorliegend insbesondere deshalb Anlaß, weil auch das hier zuständige Niedersächsische Oberverwaltungsgericht – unter Bezugnahme auf die durch Erkenntnismittel abgesicherte Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – u.a. von einer im Vergleich zu sonstigen Straftätern häufigeren und härteren Mißhandlung solcher Häftlinge im türkischen Polizeigewahrsam ausgeht, denen eine staatsfeindliche Gesinnung zugeschrieben wird.

Auch der pauschale Hinweis auf die allgemeine Lageerkenntnis ohne Angabe von Erkenntnisquellen trägt die Begründung nicht. Schon der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG gebietet den Gerichten, nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse (einschließlich Presseberichte und Behördenauskünfte) zu verwerten, die von einem Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht – im einzelnen bezeichnet – zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (BVerfGE 70, 180 ≪189≫). Dem hier angegriffenen Urteil läßt sich indes nicht einmal ansatzweise entnehmen, auf welchen Tatsachen und Beweisergebnissen die „allgemeine Lageerkenntnis” des Gerichts basiert (vgl. hierzu auch 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschluß vom 18. Februar 1993 - 2 BvR 1869/92 -, InfAuslR 1993, 146 ≪149≫).

c) Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf den dargelegten verfassungsrechtlichen Mängeln. Die weiteren in den Entscheidungsgründen angeführten Gesichtspunkte erweisen sich als verfassungsrechtlich nicht tragfähig.

aa) Das Verwaltungsgericht hat zwar eingangs seiner Entscheidung zur Begründung dafür, daß die von den Beschwerdeführern vorgetragene Begründung „für eine asylrelevante Verfolgungsgefahr” nicht ausreiche, auch auf die angefochtenen Bescheide des Bundesamts Bezug genommen. Mit diesem Verweis läßt sich jedoch die Abweisung der Asylklage des Beschwerdeführers zu 1. nicht selbständig tragfähig begründen. Das Bundesamt hatte den Asylantrag des Beschwerdeführers zu 1. abgelehnt, weil dieser mit seinem Vortrag die von ihm behauptete „begründete Furcht vor Verfolgung” nicht glaubhaft gemacht habe. Das Bundesamt hielt seinen Vortrag für unsubstantiiert, wenig glaubhaft und äußerte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zu 1. Hingegen hat das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers zu 1. – insoweit abweichend vom Bundesamt – seiner Entscheidung zugrunde gelegt und mit der Ablehnung des Beweisantrags entscheidungserhebliche Angaben – u.a. über die erlittenen Verhaftungen – des Beschwerdeführers zu 1. als wahr unterstellt. Damit hat es sich die Begründung, welche die ablehnende Entscheidung des Bundesamts trägt, insoweit gerade nicht als Bestandteil seiner Urteilsgründe zu eigen gemacht.

bb) Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, daß es am erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht fehle („Im übrigen haben die dem Kläger zu 1. zuteil gewordenen Verhaftungen als Kurde die Kläger nicht unmittelbar zur Ausreise veranlaßt”), ist jedenfalls ohne nähere Begründung und weitere Sachaufklärung verfassungsrechtlich nicht tragfähig.

Der asylrechtlich geforderte Kausalzusammenhang zwischen politischer Verfolgung und Flucht fehlt nur dann, wenn ein Asylbewerber nach erlittener politischer Verfolgung noch längere Zeit im Heimatland verbleibt und in dieser Zeit dort unbehelligt und verfolgungsfrei leben kann (vgl. BVerfGE 74, 51 ≪60 ff.≫; 80, 315 ≪344≫; BVerwGE 87, 52 ≪55 f.≫; 87, 141 ≪146 f.≫). Der Beschwerdeführer zu 1. hat hierzu ausdrücklich bekundet, sich nach seiner Freilassung zwei Monate lang versteckt gehalten zu haben, um dann mittels Schlepperhilfe nach Deutschland geflüchtet zu sein. Im Hinblick darauf, daß seine Freilassung nur erfolgte, damit er seine zwei bei der PKK aktiven Söhne finde und an die Behörden ausliefere, sowie unter Berücksichtigung des Umstands, daß eine mit Schlepperhilfe organisierte illegale Aus-, Transit- und Einreise üblicherweise einige Zeit für die notwendige Kontaktaufnahme, Finanzierung und sonstige Vorbereitung bedarf, sind Umstände, die den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen politischer Verfolgung und Flucht entfallen ließen, hier nicht ersichtlich.

Insbesondere war unter Berücksichtigung der zurückliegenden Ereignisse nicht davon auszugehen, daß die Verfolgung des Beschwerdeführers zu 1. mit der Freilassung aus einmonatiger Inhaftierung und Mißhandlung ihr Ende gefunden hätte. Nach den Angaben des Beschwerdeführers zu 1. erfolgte die Freilassung nur „bedingt”, um ihm Gelegenheit zu geben, seine gesuchten Söhne zu finden und den Behörden auszuliefern. Gerade im Hinblick auf die bereits in der Vergangenheit mit den Polizeibehörden gemachten Erfahrungen konnte der Beschwerdeführer zu 1. schwerlich darauf vertrauen, daß man ihn fortan unbehelligt lassen würde. Jedenfalls hätte die Sachaufklärungspflicht das Verwaltungsgericht dazu veranlassen müssen, den Beschwerdeführer zu 1. dazu zu befragen, warum er sich zunächst noch einige Zeit im Heimatland versteckt gehalten hat und nicht sofort ausgereist ist.

cc) Das Verwaltungsgericht schließt aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer zu 1. wiederholt aus „kurzzeitiger Vernehmungshaft” entlassen worden ist, daß er nicht als „ernst zu nehmender Gegner des Staates eingeschätzt” worden sei und deshalb auch zukünftig nicht mit „asylrelevanten, dem Staat zurechenbaren Maßnahmen” zu rechnen habe. Auch hiermit wird das Gericht dem verfassungsrechtlichen Begriff der politischen Verfolgung nicht gerecht und überschreitet den ihm eröffneten Wertungsrahmen. Es ist bereits nicht nachvollziehbar, warum das Verwaltungsgericht eine einmonatige Inhaftierung mit Verhören, Schlägen und Folterung (nur) als „kurzzeitige Vernehmungshaft” qualifiziert. Darüber hinaus kamen die genannten Maßnahmen – wie dargelegt – durchaus als Akte politischer Verfolgung in Frage; der Beschwerdeführer zu 1. mußte in Anbetracht der von ihm gemachten Erfahrungen damit rechnen, auch zukünftig in asylrechtlich erheblicher Weise mit polizeilichen Maßnahmen überzogen zu werden. Für eine gegenteilige Feststellung ist – jedenfalls mangels ausreichender Sachaufklärung – kein Raum.

dd) Nicht nachvollziehbar ist schließlich auch die vom Verwaltungsgericht angestellte Prognose hinsichtlich der Rückkehrergefährdung. Da nach Vorstehendem eine Vorverfolgung des Beschwerdeführers zu 1. nicht auszuschließen ist, wäre zu seinen Gunsten vom herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Prognose zukünftiger Verfolgungssicherheit auszugehen. Die Rückkehr in den Herkunftsstaat wäre ihm danach nur dann zumutbar, wenn er in allen Landesteilen der Türkei für die absehbare Zukunft hinreichend sicher vor (erneuter) Verfolgung wäre (vgl. BVerfGE 54, 341 ≪360≫) oder jedenfalls verfolgungsfrei eine zumutbare inländische Fluchtalternative erreichen könnte (vgl. BVerfGE 80, 315 ≪343 ff.≫; 81, 58 ≪65 f.≫). Aus der Sicht des Verwaltungsgerichts, das von einer unverfolgten Ausreise des Beschwerdeführers zu 1. ausging, bestand freilich keine Veranlassung, zu dessen Gunsten vom herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab auszugehen; ausreichend war vielmehr die Feststellung, daß ihm im Falle der Rückkehr jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Das Verwaltungsgericht meinte in diesem Zusammenhang, aus der am 24. Mai 1993 vom türkischen Kabinett beschlossenen Teil-Amnestie für PKK-Mitglieder schließen zu können, daß der türkischen Regierung „mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht daran gelegen” sei, eine Person (sc. „wie der Beschwerdeführer zu 1.”), die die PKK ausschließlich mit Lebensmitteln und dergleichen unterstützt hat, zu verfolgen. Diese Formulierung mag eine Verfolgungsgefahr „von beachtlicher Wahrscheinlichkeit” ausschließen; mit ihr wird aber keinesfalls belegt, daß der Beschwerdeführer zu 1. auch mit „hinreichender Sicherheit” verfolgungsfrei würde zurückkehren können.

Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem hier ebenfalls angegriffenen Beschluß Zweifel an den vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlußfolgerungen im Hinblick darauf geäußert, daß der Beschwerdeführer zu 1. kein PKK-Mitglied gewesen sei und somit auch nicht zu dem durch die Amnestie möglicherweise begünstigten Personenkreis gehöre. Die insoweit bestehenden Zweifel werden noch dadurch verstärkt, daß vom Verwaltungsgericht auch keine Angaben zur Amnestiepraxis gemacht wurden; Auskünfte von der Jahresmitte 1993 dürften nicht ohne weiteres geeignet sein, die Feststellung einer Verfolgungssicherheit auch noch Mitte 1995 zu tragen. Ungeachtet dessen ist diese Argumentation auch aus einem weiteren Grund nicht tragfähig: Der Beschwerdeführer zu 1. wurde vor seiner Ausreise nicht strafrechtlich verfolgt; die Einleitung von Strafverfahren oder gar eine erfolgte Verurteilung wurden von ihm nicht behauptet. Hiervon ausgehend läßt sich aus einer Amnestie nicht ohne weiteres schlußfolgern, daß der allein von polizeilichen Maßnahmen der Sicherheitskräfte betroffene Asylbewerber auch nicht mehr mit Verfolgungsmaßnahmen durch Sicherheitsorgane – außerhalb von Strafverfahren und Strafvollzug – und mit – möglicherweise extralegaler, aber dem Staat gleichwohl zurechenbarer – Polizeihaft rechnen müsse.

III.

1. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts ist, soweit es den Beschwerdeführer zu 1. betrifft, aufzuheben. Die Sache ist insoweit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§§ 93c Abs. 2, 95 Abs. 2 BVerfGG), damit über den Asylantrag des Beschwerdeführers zu 1. neu entschieden werden kann.

2. Damit ist der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts, soweit er den Beschwerdeführer zu 1. betrifft, gegenstandslos.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 2. bis 7. wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ihr weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt noch ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Kammer sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG). Falls das weitere Verfahren zur Anerkennung des Beschwerdeführers zu 1. als Asylberechtigter führen sollte, steht den Beschwerdeführern zu 2. bis 7. gegebenenfalls – gestützt auf § 26 AsylVfG – ein Asylfolgeverfahren offen (§§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG).

V.

Dem Beschwerdeführer zu 1. sind seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerde-Verfahren gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG zu erstatten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Sommer, Broß, Osterloh

 

Fundstellen

Haufe-Index 543541

NVwZ-RR 1999, 81

NVwZ 1999, 81

InfAuslR 1999, 273

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