Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 15.10.1992; Aktenzeichen 1 Sa 219/92 D)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein Urteil eines Landesarbeitsgerichts, mit dem die auf eine hauptamtliche Tätigkeit des Beschwerdeführers für das Ministerium für Staatssicherheit gestützte außerordentliche Kündigung für wirksam erklärt wurde.

I.

Der 1961 geborene Beschwerdeführer war seit Beginn seiner Berufsausbildung 1980 bis zum 15. Januar 1990 hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Nachdem er im Rang eines Leutnants ausgeschieden war, wurde er seit dem 15. Januar 1990 als Ingenieur an der Technischen Universität Dresden beschäftigt. Mit Schreiben vom 18. Juni 1991, das ihm am 21. Juni 1991 zuging, wurde ihm fristlos wegen seiner Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit gekündigt.

Das Landesarbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage des Beschwerdeführers ab. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei für den Beklagten unzumutbar im Sinne der Kündigungsregelung der Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 des Einigungsvertrages (EV) gewesen. § 626 Abs. 2 BGB sei nicht anwendbar. Insoweit verwies es auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (NZA 1993, S. 118). Das Kündigungsrecht des Beklagten sei auch nicht verwirkt. Der Beklagte habe erst am 30. Mai 1991 von der Gauck-Behörde erfahren, daß der Beschwerdeführer hauptamtlich für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen sei. Da die Frist des § 626 Abs. 2 BGB damit allenfalls um eine Woche überschritten sei, könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Beklagte eine unverhältnismäßig lange Zeit bis zum Ausspruch der Kündigung gewartet habe. Auch lägen keine Erklärungen des Beklagten vor, daß dieser auf sein Kündigungsrecht wegen einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit verzichten wolle. Der Beschwerdeführer habe daher nicht etwa aufgrund des Verhaltens des Beklagten darauf vertrauen dürfen, daß eine Kündigung nicht mehr erfolgen werde.

II.

Die fristgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde richtet sich allein dagegen, daß das Landesarbeitsgericht die Anwendbarkeit des § 626 Abs. 2 BGB verneint hat.

Der Beschwerdeführer führt aus, es sei ihm nicht ersichtlich, nach welchen sachgerechten Erwägungen bei einer Kündigung nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 EV er gegenüber anderen Arbeitnehmern ungleich behandelt werde. Ihm stehe der gleiche Anspruch auf Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu wie anderen Arbeitnehmern. Es stelle daher eine Ungleichbehandlung unter Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG dar, daß die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht angewendet worden sei.

III.

Über die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gemäß Art. 8 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 (BGBl. I S. 1442 – ÄndG –)nach §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung des Art. 1 ÄndG zu entscheiden. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG). Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt ist, über deren Beantwortung also ernsthafte Zweifel bestehen. Zudem muß bereits bei der Prüfung der Annahme absehbar sein, daß sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung über die Beschwerde mit der Grundsatzfrage beschäftigen muß. Kommt es auf diese Frage hingegen nicht entscheidungserheblich an, ist eine Annahme nach § 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG nicht geboten (vgl. Beschluß des Ersten Senats vom 8. Februar 1994 – 1 BvR 1693/92 –, Umdruck S. 5).

Soweit eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG gerügt wird, ist bereits hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen die fehlerhafte Auslegung einer Norm durch die Fachgerichte den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot verletzt (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪278 f.≫).

Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde auch nicht zu, soweit der Beschwerdeführer sinngemäß eine Verletzung der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten freien Wahl des Arbeitsplatzes geltend macht. Die dazu aufgeworfene verfassungsrechtliche Frage ist jedenfalls nicht entscheidungserheblich.

Das Bundesverfassungsgericht kontrolliert bei Vorschriften, die grundrechtliche Schutzpflichten erfüllen, nur, ob die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften durch die Fachgerichte den vom Grundrecht vorgezeichneten Schutzzweck grundlegend verfehlt. Wie die Gerichte den Schutz im einzelnen gewährleisten und ob die Auslegung der Schutznorm den bestmöglichen Schutz sichert, unterliegt dagegen nicht der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluß des Ersten Senats vom 16. November 1993 – 1 BvR 258/86 – = EuGRZ 1994, S. 135 ≪138≫).

Bei einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde würde sich die Frage, ob Art. 12 Abs. 1 GG eine Auslegung des Sonderkündigungstatbestandes der Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 EV dahin gebietet, daß auch auf außerordentliche Kündigungen, die auf dieses Sonderkündigungsrecht gestützt werden, die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB anzuwenden ist, nicht stellen. Das Landesarbeitsgericht hat geprüft, ob das Kündigungsrecht des Beklagten gemäß § 242 BGB verwirkt war und ist dabei zu einem Ergebnis gelangt, das dem Schutzzweck des Art. 12 Abs. 1 GG jedenfalls gerecht wird.

Allerdings wäre es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn der Arbeitgeber unter Umständen einen Sonderkündigungsgrund beliebig lange zurückhalten könnte, um davon bei ihm gut dünkender Gelegenheit Gebrauch zu machen. Eine solche Rechtsanwendung, die dem Schutzgedanken des § 626 Abs. 2 BGB entgegenliefe, stünde mit der auf Art. 12 Abs. 1 GG begründeten Schutzpflicht des Staates schwerlich in Einklang, der die geltenden Kündigungsschutzbestimmungen, darunter auch § 626 Abs. 2 BGB, Rechnung tragen sollen (vgl. BVerfGE 84, 133 ≪147≫).

Hier hatte der Arbeitgeber aber nach den vom Beschwerdeführer nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erst knapp drei Wochen vor dem Ausspruch der Kündigung gesicherte Kenntnis davon erhalten, daß der Beschwerdeführer hauptamtlich für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen war. Wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen zu dem Ergebnis kommt, dem Arbeitgeber sei das Recht zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung angesichts des relativ kurzen Zeitraums zwischen Kenntniserlangung und Kündigung nicht verwehrt gewesen, so ist dies aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG). Ein besonders schwerer Nachteil kann dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache nicht entstehen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. Beschluß des Ersten Senats vom 8. Februar 1994 – 1 BvR 1693/92 –, Umdruck S. 6, 7).

So liegt es hier. Wie dargelegt verletzt die angegriffene Entscheidung Art. 12 Abs. 1 GG nicht. Sie ist auch nicht willkürlich. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung als Willkürverbot wird durch einen Richterspruch erst verletzt, wenn er unter keinem rechtlichen Aspekt mehr vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, er beruhe auf sachfremden Erwägungen. Die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht die Entscheidung noch nicht willkürlich. Setzt sich ein Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinander und entbehrt seine Auffassung nicht jeden Grundes, liegt eine willkürliche Mißdeutung nicht vor (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪278 f.≫).

Daran gemessen ist die angegriffene Entscheidung offensichtlich nicht willkürlich. Sie bezieht sich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juni 1992 (NZA 1993, S. 118), die sich eingehend unter Heranziehung der allgemein anerkannten Auslegungskriterien damit auseinandersetzt, in welchem Verhältnis die Kündigungsregelung der Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 EV zum allgemeinen Kündigungsschutzrecht steht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Herzog, Söllner, Kühling

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1084312

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