Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 21.07.2003; Aktenzeichen 1 Ss 45/03)

AG Potsdam (Urteil vom 13.02.2001; Aktenzeichen 84 Cs 456 Js 324/99 (19/99))

LG Potsdam (Beschluss vom 21.06.2000; Aktenzeichen 24 Qs 67/00)

 

Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 13. Februar 2001 – 84 Cs 456 Js 324/99 (19/99) – und der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 21. Juli 2003 – 1 Ss 45/03 – verletzen den Beschwerdeführer hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Potsdam zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Land Brandenburg hat die dem Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerde-Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Folgerungen, die von Verfassungs wegen aus der überlangen Dauer eines Strafverfahrens zu ziehen sind.

I.

Der Beschwerdeführer wurde wegen einer am 6. März 1993 begangenen fahrlässigen Trunkenheitsfahrt durch amtsgerichtliches Urteil vom 13. Februar 2001 zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 60,00 DM verurteilt. Ferner wurde gegen ihn ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts führte der Beschwerdeführer gegen 2:30 Uhr im Straßenverkehr über eine kurze Strecke von wenigen hundert Metern ein Kraftfahrzeug, wobei die ihm um 3:00 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,45 mg/g aufwies. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 21. Juli 2003 gemäß § 349 Abs. 2 StPO ohne weitere Begründung. Gegen den Beschwerdeführer, der von Beruf Richter ist, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Ferner ist durch das Verfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit eine psychische Beeinträchtigung eingetreten.

Das Verfahren gegen den Beschwerdeführer lief im Wesentlichen wie folgt ab:

Gemäß Strafbefehl vom 24. August 1993 setzte das Amtsgericht gegen ihn wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 80,00 DM fest. Zudem entzog das Gericht ihm die Fahrerlaubnis. Hiergegen legte der Beschwerdeführer Einspruch ein. Nach wiederholter Verlegung des Hauptverhandlungstermins auf Antrag der Verteidiger verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer am 17. Januar 1994, wobei es die Tagessatzhöhe herabsetzte. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. März 1994 (§ 346 Abs. 1 StPO), weil zum Zeitpunkt der Revisionseinlegung eine schriftliche Verteidigervollmacht nicht vorlag. Das Revisionsgericht hob den Verwerfungsbeschluss sowie das erstinstanzliche Urteil wegen fehlerhafter Ablehnung von Beweisanträgen mit Beschluss vom 6. Juli 1994 auf.

Seit 4. August 1994 befanden sich die Akten wieder beim Amtsgericht, welches am 9. Januar 1995 Hauptverhandlungstermin auf den 22. März 1995 anberaumte. In der Zwischenzeit wurde das Verfahren nicht gefördert. Nach Aussetzung der Hauptverhandlung, zu der der Beschwerdeführer trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war, erließ das Amtsgericht am 30. März 1995 auf Antrag des Beschwerdeführers einen Beweisbeschluss, wonach die am Vorfallstag entnommene Blutprobe auf ihre Identität mit dem Blut des Beschwerdeführers und die Alkoholkonzentration hin untersucht werden sollte. Der Beschwerdeführer verweigerte im Mai 1995 im Institut der Rechtsmedizin mehrfach eine Blutentnahme mit dem Hinweis, eine Identitätsüberprüfung könne mittels Speichelprobe erfolgen. Das Amtsgericht wies am 28. Juni 1995 den Antrag des Beschwerdeführers auf Abänderung des Beweisbeschlusses u.a. mit der Begründung zurück, die Untersuchung anhand einer Blutprobe sei einfacher und weniger kostenintensiv. Nach inzwischen erfolgter Blutentnahme erstattete das Institut für Rechtsmedizin am 7. August 1995 ein DNA-Gutachten, welches praktisch keinen Zweifel an der Identität der am Tattag entnommenen Blutprobe mit dem Blut des Beschwerdeführers zuließ. Wegen wiederholter Verlegungsanträge des Beschwerdeführers hob das Amtsgericht im November 1995 zwei anberaumte Hauptverhandlungstermine wieder auf. Gemäß Aktenvermerk vom 18. Februar 1996 war der zuständige Dezernent erkrankt, wobei sich die Dauer der Erkrankung aus dem Vermerk nicht ergibt. Am 15. März 1996 wurde erneut ein Hauptverhandlungstermin anberaumt. Am 29. April 1996 verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 65,00 DM, wogegen er erneut Revision einlegte. Wegen einer nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls erfolgten Protokollberichtigung stellte das Amtsgericht das Urteil auf Antrag der Staatsanwaltschaft erneut zu. Mit Beschluss vom 18. November 1996 hob das Revisionsgericht das amtsgerichtliche Urteil vor allem deshalb auf, weil die Beweiswürdigung den Anforderungen an deren Darstellung nicht ansatzweise genüge.

Am 8. Januar 1997 gingen die Akten beim Amtsgericht ein, welches am 4. November 1997 – also nahezu zehn Monate später – Hauptverhandlungstermin auf den 11. Februar 1998 anberaumte. Die zuvor erfolgte Anregung der Verteidigerin, das Verfahren nach den §§ 153 ff. StPO einzustellen, lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Das Amtsgericht stellte das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 260 Abs. 3 StPO wegen überlanger Verfahrensdauer ein. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft vom 25. November 1998 hob das Oberlandesgericht das Einstellungsurteil auf und verwies die Sache erneut an das Amtsgericht zurück. Eine gegen die Revisionsentscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde (2 BvR 902/99) wurde durch Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. September 1999 nicht zur Entscheidung angenommen.

Nachdem der Beschwerdeführer im Hauptverhandlungstermin vom 10. März 1999 nicht erschienen war, ordnete das Amtsgericht dessen amtsärztliche Untersuchung wegen eines vorgelegten ärztlichen Attests an und beraumte Fortsetzungstermin auf den 12. März 1999 an. Der Amtsarzt teilte mit, die Untersuchung könne frühestens am 15. März 1999 erfolgen, so dass das Gericht am 12. März 1999 den Fortsetzungstermin aufhob und die Untersuchungsanordnung zurücknahm. Etwa vier Monate später, am 19. Juli 1999, beraumte das Amtsgericht Hauptverhandlungstermin auf den 23. November 1999 an und hob diesen am 17. November 1999 auf Antrag der Verteidigerin wieder auf. Über drei Monate später, am 1. März 2000, stellte das Amtsgericht das Verfahren durch Beschluss gemäß § 206 a StPO wegen des Verfahrenshindernisses der überlangen Verfahrensdauer ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft führte zur Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung durch Beschluss des Landgerichts vom 21. Juni 2000.

Am 20. Juli 2000 trafen die Akten beim Amtsgericht ein. Nach dem Hauptverhandlungstermin am 6. Oktober 2000, zu dem der Beschwerdeführer nicht erschienen war, ordnete das Amtsgericht erneut eine amtsärztliche Untersuchung an. Das amtsärztliche Gutachten wurde am 23. November erstellt. In der Hauptverhandlung vom 13. Februar 2001 wurde der Beschwerdeführer durch Urteil des Amtsgerichts verurteilt.

Dabei verwies das Amtsgericht im Rahmen seiner Rechtsfolgenerwägungen hinsichtlich der justizbedingten Verfahrensverzögerungen auf die Ausführungen des Landgerichts im Beschluss vom 21. Juni 2000 und des Oberlandesgerichts im Urteil vom 25. November 1998. In den in Bezug genommenen Entscheidungen wurden folgende rechtsstaatswidrige Verzögerungen von insgesamt 22 Monaten festgestellt:

Die erste vermeidbare Verzögerung von knapp fünf Monaten sei vom 15. August 1994 (Tag der Rückgabe des Führerscheins nach der ersten Revisionsentscheidung) bis zum 9. Januar 1995 (erneute Terminierung der Hauptverhandlung) erfolgt. Zudem sei eine weitere erhebliche Verzögerung von etwa zehn Monaten im Zeitraum vom 8. Januar 1997 (Tag der Rückkehr der Akten beim Amtsgericht nach der zweiten Revisionsentscheidung) bis zum 4. November 1997 (Terminierung der Hauptverhandlung auf den 11. Februar 1998) eingetreten. Auch nach der Aussetzung der Hauptverhandlung am 12. März 1999 bis zur Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins gemäß Verfügung vom 19. Juli 1999 sei das Verfahren weitere vier Monate nicht gefördert worden. Schließlich sei auch in der Zeit nach der Terminsaufhebung vom 17. November 1999 bis zum Einstellungsbeschluss vom 1. März 2000 eine Verfahrensförderung nicht erfolgt, so dass insgesamt eine justizbedingte Verfahrensverzögerung von 22 Monaten vorliege.

Das Amtsgericht führte hinsichtlich der vom Beschwerdeführer beantragten Verfahrenseinstellung weiter aus:

„Bei der Festlegung der Rechtsfolgen war in erster Linie zu berücksichtigen, dass seit der Tat nunmehr fast acht Jahre vergangen sind. Der Verteidiger hat deshalb auch die Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO wegen des eingetretenen Verfahrenshindernisses überlanger Verfahrensdauer und hilfsweise den Abbruch des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO, gegebenenfalls auch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft, beantragt ….

Das Gericht gelangte … zu der Auffassung, dass die zweifellos vorliegende lange Verfahrensdauer jedoch weder die Einstellung noch den Abbruch des Verfahrens im vorliegenden Fall rechtfertigt bzw. die entsprechenden Gründe dafür vorliegen ….

Entsprechend der Entscheidung des BGH vom 25.10.2000 (2 StR 232/00) kommt lediglich in extremen Fällen einer überlangen Verfahrensdauer und vom Angeklagten nicht zu vertretender Verstöße gegen das Beschleunigungsverbot [Anmerkung: gemeint ist „-gebot”] eine Einstellung gemäß § 260 Abs. 3 StPO in Betracht. Nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls kann beurteilt werden, ob die Verfahrensdauer noch angemessen oder bereits in einer das Beschleunigungsgebot verletzenden Weise unerträglich lang ist. Hierbei zu berücksichtigen sind zunächst die Verfahrensverlängerungen, die durch Verzögerungen der Justizorgane verursacht wurden, des weiteren die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes sowie das Ausmaß der mit dem Fortdauern des Verfahrens verbundenen Belastung des Angeklagten. Verfahrensverzögerungen, die der Angeklagte selbst, auch durch zulässiges Prozessverhalten, verursacht hat, sind in der Regel nicht geeignet, die Feststellung einer seiner Rechte verletzenden überlangen Verfahrensdauer zu rechtfertigen …”.

Im Folgenden führte das Amtsgericht aus, dass im Anschluss an den Beschluss des Landgerichts vom 21. Juni 2000 keine weitere rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung mehr feststellbar sei, so dass nach wie vor ein Verfahrenshindernis nicht bestehe. Auch verneinte das Amtsgericht die Voraussetzungen für ein Absehen von Strafe i.S.d. § 60 StGB, wozu es ausführte:

„… Zweifellos hat das lange Verfahren beim Angeklagten Spuren hinterlassen. Der Angeklagte übte seit einiger Zeit seinen Beruf nicht mehr aus und ist gesundheitlich angeschlagen. Sein Leben hat sich seit der Tat verändert. Die ungeklärte Situation in Bezug auf das nicht abgeschlossene Strafverfahren hat den Angeklagten stark belastet, jedoch hat er die lange Verfahrensdauer auch mit zu verantworten. Die den Angeklagten getroffenen Folgen sind nicht als so schwer einzuschätzen, dass eine Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass bereits Verjährung eingetreten ist, erscheint die Strafe nach wie vor sinnvoll, um dem Angeklagten sein Fehlverhalten vor Augen zu führen.”

Im Rahmen der Strafzumessung führte das Amtsgericht schließlich aus:

„Zugunsten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er nicht vorbestraft ist und es sich bei dieser Tat bisher um eine einmalige Entgleisung handelte. Darüber hinaus ist er zu nächtlicher Stunde nur eine kurze Strecke gefahren. Zu Lasten des Angeklagten waren vor allem generalpräventive Aspekte zu berücksichtigen. Gerade vom Angeklagten war aufgrund seiner Tätigkeit eine besondere Vorbildfunktion zu erwarten.

Einen wesentlichen Strafmilderungsgrund stellt neben dem Zeitablauf das Ausmaß der vom Amtsgericht zu verantwortenden Verfahrensverzögerung dar.

Ausgehend vom üblichen Strafmaß bei nicht vorbestraften Ersttätern hielt das Gericht unter Abwägung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände für tat- und schuldangemessen, dem Angeklagten eine Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 60,00 DM auszusprechen.”

Der Beschwerdeführer widerrief mit Schreiben vom 15. Februar 2001 die Verteidigervollmachten und erteilte am 19. März 2001 eine erneute auf Akteneinsicht beschränkte Vollmacht. Nach zunächst unwirksamer Urteilszustellung durch Niederlegung sowie weiterer wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers fehlgeschlagener Versuche, das Urteil dem Beschwerdeführer durch Übergabe zuzustellen, wurde das Urteil schließlich am 8. November 2001 an die mit der Akteneinsicht beauftragte Rechtsanwältin zugestellt. Diese sandte das Empfangsbekenntnis nicht unterzeichnet zurück unter Hinweis auf ihre fehlende Zustellungsbevollmächtigung. Das Landgericht verwarf gemäß Beschluss vom 25. April 2002 das vom Beschwerdeführer eingelegte Rechtsmittel als offensichtlich unzulässig. Auf dessen sofortige Beschwerde hob das Oberlandesgericht am 23. Juli 2002 den Beschluss des Landgerichts auf, da die Zustellung an die Verteidigerin vom 8. November 2001 nicht wirksam gewesen sei. Nach mehrfachen fehlgeschlagenen Versuchen des Amtsgerichts, das Urteil dem Beschwerdeführer nunmehr durch Übergabe zuzustellen, gelang die wirksame Zustellung am 14. November 2002 im Wege persönlicher Entgegennahme durch den Beschwerdeführer.

Das Oberlandesgericht verwarf die Revision als offensichtlich unbegründet. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Nachholung rechtlichen Gehörs wies das Oberlandesgericht durch Beschluss vom 20. Oktober 2003 als unzulässig zurück.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 21. Juni 2000, das amtsgerichtliche Urteil vom 13. Februar 2001 sowie die Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts vom 21. Juli 2003 wendet sich die Verfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus den Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Recht auf ein faires Verfahren), Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG rügt.

a) Das Recht auf ein faires Verfahren sei durch den landgerichtlichen Beschluss, das amtsgerichtliche Urteil sowie die Revisionsentscheidung verletzt, weil die Gerichte der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht in verfassungskonformer Weise Rechnung getragen hätten. Das Verfahren habe wegen eines Verfahrenshindernisses, hilfsweise nach § 153 StPO eingestellt werden müssen. Die gesamte justizbedingte Verfahrensverzögerung, die der Beschwerdeführer im Einzelnen vorrechnet, betrage nicht – wie von den Fachgerichten angenommen – 22 Monate, sondern insgesamt 56 Monate. Weitere rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen seien nämlich dadurch eingetreten, dass das Amtsgericht eine Blutentnahme anstelle einer Speichelprobe im Beweisbeschluss vom 30. März 1995 angeordnet, nach Aufhebung des Hauptverhandlungstermins am 14. November 1995 erst am 15. März 1996 erneut einen Hauptverhandlungstermin anberaumt, am 19. Juli 1999 einen Hauptverhandlungstermin erst auf den 23. November 1999 anberaumt und ferner nicht sogleich nach Akteneingang am 20. Juli 2000, sondern erst nach der am 6. Oktober 2000 erfolgten Hauptverhandlung eine amtsärztliche Untersuchung angeordnet habe. Zudem sei eine justizbedingte Verfahrensverzögerung von 18 Monaten nach Verkündung des letzten amtsgerichtlichen Urteils bis zu dessen wirksamer Zustellung zu verzeichnen. Auch Verzögerungen, die durch offenkundig fehlerhafte Entscheidungen verursacht worden seien, müssten berücksichtigt werden, wie die Revisionsverwerfung durch den amtsgerichtlichen Beschluss vom 29. März 1994 wegen fehlender schriftlicher Verteidigervollmacht sowie die am 29. Juli 1996 erfolgte Aktenübersendung zur erneuten Urteilszustellung in Verkennung des Umstands, dass ungeachtet einer inzwischen erfolgten Protokollberichtigung bereits eine wirksame Zustellung erfolgt sei. Unter Berücksichtigung dieser Verfahrensverzögerung, der Gesamtdauer des Verfahrens von ca. zehn Jahren, des geringen Tatvorwurfs, des einfach aufzuklärenden Sachverhalts und der Belastungen des Beschwerdeführers, nämlich des Führerscheinentzugs von knapp 18 Monaten, der mit der Presseberichterstattung verbundenen Belastungen und der mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen des Verfahrens eingetretenen psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung, sei eine Verurteilung unverhältnismäßig.

b) Ferner verletze der Verwerfungsbeschluss des Revisionsgerichts den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Generalstaatsanwaltschaft habe zu einigen Revisionsrügen keine Ausführungen gemacht. Dass das Oberlandesgericht in seinem Beschluss trotz fehlender Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft nicht auf diese Rügen eingegangen sei, stelle einen Gehörsverstoß dar.

c) Schließlich liege ein Verstoß gegen das Willkürverbot vor, da dem amtsgerichtlichen Urteil unvertretbare Rechtsauffassungen zu Grunde lägen. Zum einen sei die Bezugnahme auf das Urteil des Oberlandesgerichts und den Beschluss des Landgerichts im Rahmen der Feststellungen zur Verfahrensverzögerung offensichtlich verfahrensrechtswidrig. Zum anderen sei es offensichtlich verfehlt, generalpräventive Gesichtspunkte und die berufliche Stellung des Beschwerdeführers strafschärfend zu werten.

2. Das Land Brandenburg hat zur Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

III.

1. Die Verfassungsbeschwerde wird – soweit sie sich gegen das amtsgerichtliche Urteil sowie das Revisionsurteil wendet – zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer ergebenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Amtsgericht sowie das Oberlandesgericht haben hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Bedeutung und Tragweite von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG in Verbindung mit dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verkannt, dem von Verfassungs wegen nur noch durch eine Verfahrensbeendigung ohne Strafausspruch ausreichend Rechnung getragen werden kann.

a) Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes fordert – nicht zuletzt im Interesse des Beschuldigten – die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt deshalb den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 63, 45 ≪69≫; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ≪Vorprüfungsausschuss≫ vom 24. November 1983 – 2 BvR 121/83 –, NJW 1984, S. 967).

Ob eine mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht in Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫ im Zusammenhang mit der Angemessenheit der Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahrens), die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen (vgl. BGHSt 46, 159 ≪169, 171≫). Faktoren, die regelmäßig von Bedeutung sind, sind dabei insbesondere der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs sowie der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Keine Berücksichtigung finden hingegen Verfahrensverzögerungen, die der Beschuldigte selbst, sei es auch durch zulässiges Prozessverhalten, verursacht hat (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ≪Vorprüfungsausschuss≫ vom 24. November 1983 – 2 BvR 121/83 –, NJW 1984, S. 967; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. April 1993 – 2 BvR 1487/90 –, NJW 1993, S. 3254).

b) Die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zwingt die Strafverfolgungsbehörden dazu, sie bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zu berücksichtigen. So wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein dazu anhält, in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob die eingesetzten Mittel der Strafverfolgung und der Bestrafung unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkungen für den Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zum dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen (vgl. BVerfGE 92, 277 ≪326≫; vgl. schon BVerfGE 46, 17 ≪29≫; im Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren s. auch Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 1992 – 2 BvR 1/91 –, NJW 1992, S. 2472, 2473; ferner Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. April 1993 – 2 BvR 1487/90 –, NJW 1993, S. 3254, 3255), verpflichtet er im Falle eines mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang stehenden überlangen Verfahrens zur Prüfung, ob und mit welchen Mitteln der Staat gegen den Betroffenen (noch) strafrechtlich vorgehen kann. Ein Strafverfahren von überlanger Dauer kann den Beschuldigten – zumal dann, wenn die Dauer durch vermeidbare Verzögerungen der Justizorgane bedingt ist – zusätzlichen fühlbaren Belastungen aussetzen (vgl. für das Disziplinarverfahren BVerfGE 46, 17 ≪29≫), die in ihren Auswirkungen der Sanktion selbst gleichkommen können. In Folge des Zeitablaufs veränderte Lebensumstände können Wirkungen, die von einer staatlichen Sanktion für das künftige Leben des Betroffenen zu erwarten sind (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), verstärken. Diese Folgen staatlich verschuldeter Verzögerung sind von den Strafverfolgungsbehörden von Verfassungs wegen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenso zu berücksichtigen wie die bereits erwähnten Umstände, die den Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründet haben (vgl. die Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2003 – 2 BvR 327/02 u.a. –, NJW 2003, S. 2225, und vom 25. Juli 2003 – 2 BvR 153/03 –, NJW 2003, S. 2897).

Die verfassungsrechtlich gebotenen Folgen aus einer Verfahrensverzögerung ziehen Gerichte und Anklagebehörden in Anwendung des Straf- und Strafverfahrensrechts unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. Ihre Möglichkeiten reichen von einer Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153, 153 a StPO, einer Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154 a StPO über eine Beendigung des Verfahrens durch das Absehen von Strafe oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt bis hin zu einer Berücksichtigung bei der Strafzumessung (zu einem Fall ungenügender Strafzumessungserwägungen in einem über zehn Jahre dauernden Steuerstrafverfahren s. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. April 1993 – 2 BvR 1487/90 –, NJW 1993, S. 3254; ferner Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1994 – 2 BvR 1072/94 –, NJW 1995, S. 1277: Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde trotz unterlassener Feststellung des Ausmaßes der Berücksichtigung überlanger Verfahrensdauer wegen Fehlens eines besonders schweren Nachteils). Reichen die gesetzlich bestehenden Möglichkeiten in Fällen, in denen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und zu besonderen Belastungen des Betroffenen geführt hat, nicht aus, kommt die Einstellung wegen eines von Verfassungs wegen anzunehmenden Verfahrenshindernisses in Betracht (vgl. allgemein zur Annahme eines Verfahrenshindernisses bei einem Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz BVerfGE 92, 277 ≪326 ff.≫; im Zusammenhang mit der überlangen Verfahrensdauer früher schon Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ≪Vorprüfungsausschuss≫ vom 24. November 1983 – 2 BvR 121/83 –, NJW 1984, S. 967; ferner Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. April 1993 – 2 BvR 1487/90 –, NJW 1993, S. 3254, 3255; vgl. auch BGHSt 46, 159 ≪169 ff.≫).

c) Die erheblichen Verzögerungen, mit denen das vorliegende Verfahren vor allem von den Amtsgerichten betrieben wurde, und die Gesamtdauer des Verfahrens von fast zehn Jahren vom Erlass des Strafbefehls bis zur rechtskräftigen Erledigung sind insbesondere angesichts der Geringfügigkeit des Tatvorwurfs und der mit dem Verfahren verbundenen Belastungen des Beschwerdeführers mit rechtsstaatlichen Anforderungen an die Durchführung eines Strafverfahrens nicht mehr vereinbar. Die angegriffenen Entscheidungen haben die von Verfassungs wegen aus einer solchen Verletzung des Beschleunigungsgebots zu ziehenden Konsequenzen nicht hinreichend beachtet und dadurch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.

aa) Die Verfahrensdauer von etwa zehn Jahren ist – für sich betrachtet – unangemessen lang und wird auch durch das Prozessverhalten des Beschwerdeführers nicht gerechtfertigt. Zwar führte einerseits sein zulässiges Prozessverhalten, etwa die dreimalige Revisionseinlegung, zu nicht unerheblichen Verzögerungen des Verfahrens. Darüber hinaus hat er bzw. haben seine Verteidiger durch Terminsverlegungsanträge Verzögerungen verursacht. So trat etwa wegen Terminsverlegungsanträgen auf Grund Verhinderung im Zeitraum vom 22. November 1993 (ursprünglich anberaumter Hauptverhandlungstermin) bis zur Durchführung der Hauptverhandlung am 17. Januar 1994 eine etwa zweimonatige Verzögerung ein, weiter wurden wegen Terminsverlegungsanträgen auf Grund Verhinderung etwa die Hauptverhandlungstermine vom 10. November 1995, vom 13. Dezember 1995 und vom 23. Februar 1999 aufgehoben. Durch Verweigerung einer Blutentnahme zwecks Beweiserhebung über die vom Beschwerdeführer angezweifelte Frage, ob die Blutprobe, die dem Gutachten über die Blutalkoholkonzentration zu Grunde lag, von ihm stammte, ist eine Verzögerung vom 22. Mai 1995 (erster Termin zur Blutentnahme) bis zur Blutentnahme am 17. Juli 1995, mithin von etwa zwei Monaten eingetreten. Schließlich ist nach der Verkündung des letzten amtsgerichtlichen Urteils am 13. Februar 2001 bis zur wirksamen Zustellung am 14. November 2002 eine Verfahrensverzögerung eingetreten, die entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht allein der Justiz anzulasten, sondern im Wesentlichen durch sein Verhalten bedingt ist. Zwar hielt das Amtsgericht die am 8. November 2001 an die Rechtsanwältin erfolgte Zustellung rechtsfehlerhaft für wirksam und sah über einen Zeitraum von etwa acht Monaten von weiteren Zustellungsversuchen ab, obgleich die Rechtsanwältin das Empfangsbekenntnis nicht unterzeichnete und auf ihre fehlende Zustellungsvollmacht hinwies. Der Beschwerdeführer hat jedoch bis zu der schließlich erfolgten persönlichen Entgegennahme der Urteilsausfertigung eine Zustellung erheblich erschwert, indem er die Verteidigervollmachten widerrufen hatte und nicht erreichbar war.

Dennoch rechtfertigen weder die durch das Prozessverhalten des Beschwerdeführers noch die durch die Revisionseinlegung seitens der Staatsanwaltschaft eingetreten Verzögerungen die Verfahrensdauer von etwa zehn Jahren. Denn zum einen kommt dem Tatvorwurf kein erhebliches Gewicht zu. Dies zeigen die Höhe der im Strafbefehl im Jahre 1993 verhängten Geldstrafe von 30 Tagessätzen sowie die Obergrenze des Strafrahmens beim Vergehen der Trunkenheit im Verkehr von einem Jahr Freiheitsstrafe. Die Grenze der absoluten Verjährungsfrist von sechs Jahren (§§ 78 Abs. 3 Nr. 5, 78 c Abs. 3 S. 2 StGB) wäre bei weitem überschritten (vgl. zur Berücksichtigung der absoluten Verjährungsfrist im Zusammenhang mit der Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auch Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 1993 – 2 BvR 1487/90 –, NJW 1993, S. 3254, 3255). Mit der Formulierung des Amtsgerichts in seinen Urteilsgründen „… unter dem Gesichtspunkt, dass bereits Verjährung eingetreten ist …” meinte es ersichtlich, dass diese ungeachtet von § 78 b Abs. 3 StGB inzwischen eingetreten wäre. Auch der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands waren nicht erheblich. Sämtliche mit einer Verurteilung beendeten erstinstanzlichen Hauptverhandlungen konnten in einem Hauptverhandlungstermin abgeschlossen werden. Die Beweisaufnahme war nicht von erheblichem Umfang. Das Amtsgericht hat nicht mehr als fünf Zeugen vernommen. Die der letzten amtsgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Hauptverhandlung etwa dauerte ausweislich des Protokolls ca. dreieinhalb Stunden. Drei der Revisionsentscheidungen ergingen ohne Durchführung einer Hauptverhandlung im Beschlussverfahren. Bei dieser Sachlage ist die Verfahrensdauer von etwa zehn Jahren unangemessen lang.

Hinzu kommen entsprechend den Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil nicht zu rechtfertigende justizbedingte Verfahrensverzögerungen von insgesamt 22 Monaten.

Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus weitere rechtsstaatswidrige Verzögerungen von 34 Monaten geltend macht, verkennt er, dass von Verfassungs wegen keine maximale, sondern nur eine angemessene Beschleunigung geboten ist. Die Verfahrensgestaltung, etwa die Entscheidung über die Art und Weise der zu erhebenden Beweise sowie die Terminierungen, obliegt grundsätzlich den Justizorganen, die insoweit eine Vielzahl von im Einzelnen nicht nachprüfbaren Umständen zu berücksichtigen haben. Das Bundesverfassungsgericht überprüft die Entscheidungen der Strafgerichte nur darauf, ob sie die Ausstrahlungswirkung des aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes herzuleitenden Beschleunigungsgebots zu Grunde gelegt haben (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 1992 – 2 BvR 1/91 –, NJW 1992, S. 2472, 2473 m.w.N.).

Hier ist nachvollziehbar, dass das Amtsgericht die Blutentnahme anstelle einer Speichelprobe angeordnet hat. Die Begründung der Anordnung der Blutprobe, nämlich der im Unterschied zur Speichelprobe geringere Aufwand, stellt eine sachliche Erwägung dar, so dass die durch die Verweigerung der Abgabe einer Blutprobe durch den Beschwerdeführer eingetretene Verzögerung nicht der Justiz angelastet werden kann. Auch ist nicht erkennbar, dass es auf sachfremden Erwägungen beruhen könnte, dass das Amtsgericht erst nach der Hauptverhandlung eine amtsärztliche Begutachtung angeordnet hat. Soweit nach der Terminsaufhebung im November 1995 erst im März 1996 eine erneute Terminierung erfolgte, ergibt sich aus einem Aktenvermerk vom 18. Februar 1996, dass der ordentliche Dezernent erkrankt war, so dass auch diese Verzögerung nachvollziehbar ist. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass am 19. Juli 1999 die Terminierung erst auf den 23. November 1999 erfolgte. Zwar müssen Strafverfolgungsorgane und Gerichte umso größere Anstrengungen unternehmen, das Verfahren alsbald zu einem Ende zu bringen, je länger ein Verfahren auf Grund von von der Strafjustiz zu verantwortenden Verzögerungen dauert (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2003 – 2 BvR 327/02 u.a. –, NJW 2003, S. 2225, 2226, und vom 25. Juli 2003 – 2 BvR 153/03 –, NJW 2003, S. 2897, 2898). Jedoch ist neben der Gesamtdauer des Verfahrens von zum damaligen Zeitpunkt etwa sechs Jahren auch zu berücksichtigen, dass die bis dahin eingetretenen Verfahrensverzögerungen nicht allein auf die Sachbehandlung im Bereich der Justiz zurückzuführen sind.

Auch begründen Verzögerungen, die infolge der Aufhebungen der erstinstanzlichen Urteile und Zurückverweisungen im Revisionsverfahren entstanden sind, keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot, da ein solcher Verfahrensgang Ausfluss einer rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems ist (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2003 – 2 BvR 153/03 –, NJW 2003, S. 2897, 2898). Demnach können entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers fehlerhafte Entscheidungen grundsätzlich nicht als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen angesehen werden. Denkbar wäre allenfalls, die durch eklatante Gesetzesverletzungen – also Entscheidungen, die unter keinem Gesichtspunkt mehr zu rechtfertigen sind – eingetretenen Verzögerungen als rechtsstaatswidrig anzusehen (vgl. zu Verzögerungen durch ein der Korrektur offensichtlich der Justiz anzulastender Verfahrensfehler dienendes Revisionsverfahren, EGMR, NJW 2002, S. 2856, 2857). Bei den vom Amtsgericht vertretenen Auffassungen, bei Revisionseinlegung müsse eine schriftliche Verteidigervollmacht vorliegen und bei Protokollberichtigung nach Fertigstellung des Protokolls sei eine erneute Urteilszustellung erforderlich, handelt es sich nicht um derart eklatante Gesetzesverletzungen, dass sich der Schluss aufdrängen könnte, sie beruhten auf sachfremden Erwägungen.

Zu den justizbedingten Verfahrensverzögerungen treten erhebliche mit dem Andauern des Verfahrens verbundene Belastungen des Beschwerdeführers hinzu. So ist ausweislich des vom Amtsgericht in den Urteilsgründen zitierten Gutachtens des Gesundheitsamts vom 23. November 2000 mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Beschwerdeführer inzwischen eine gesundheitliche Beeinträchtigung in Form einer psychischen Störung eingetreten, die zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führt, so dass bereits zum damaligen Zeitpunkt ein Abschluss des Verfahrens in absehbarer Zeit ärztlicherseits als dringend indiziert angesehen wurde. Zudem war der Beschwerdeführer über 17 Monate nicht im Besitz seines Führerscheins, was nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts knapp fünf Monate länger ist als bei vergleichbaren Verstößen üblich. Des Weiteren wurde gegen den Beschwerdeführer ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

bb) Die Verfahrensdauer und die bis zum amtsgerichtlichen Urteil erfolgten justizbedingten Verfahrensverzögerungen von insgesamt 22 Monaten hat das Amtsgericht bei seiner Entscheidung mitberücksichtigt. Dabei hat es ausdrücklich neben dem Zeitablauf als einen wesentlichen Strafmilderungsgrund das Ausmaß der von der Justiz zu verantwortenden Verfahrensverzögerung angenommen und eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen verhängt, also die Hälfte der ursprünglich im Strafbefehl festgesetzen Tagessatzanzahl. Hingegen liegt nach Auffassung des Amtsgerichts sowie des Oberlandesgerichts, das die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigte, keine überwiegend auf die Justizbehörden zurückzuführende schwerwiegende Verletzung des Beschleunigungsgebots vor, die zu einer Einstellung oder einem Abbruch des Verfahrens zwänge.

Diese Sichtweise des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts wird der Bedeutung des durch die Verfahrensverzögerung herbeigeführten Verstoßes gegen ein faires rechtsstaatliches Verfahren in angemessener Zeit nicht gerecht. Die ausgesprochene Rechtsfolge steht insoweit nicht mit dem Prinzip verhältnismäßigen Strafens in Einklang. Die Entscheidungen haben nicht sämtliche im Rahmen der Verfahrensverzögerung relevanten Umstände in der von Verfassungs wegen gebotenen Weise berücksichtigt.

Zunächst führte das Amtsgericht zwar aus, im Rahmen der Beurteilung, ob eine Einstellung des Verfahrens geboten sei, seien die justizbedingten Verzögerungen, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang der Schwierigkeiten des Verfahrensgegenstands sowie das Ausmaß der Belastungen des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. Demgegenüber stellte es aber im Folgenden wesentlich auf die Dauer der justizbedingten Verfahrensverzögerung ab. Das Amtsgericht berücksichtigte dabei nicht in ausreichendem Maße, dass dem Beschleunigungsgebot angesichts der erheblichen Gesamtdauer des Verfahrens besondere Bedeutung beizumessen war. Gänzlich unerwähnt blieben die Geringfügigkeit des Tatvorwurfs sowie der nicht erhebliche Umfang und die nicht erhebliche Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands. Auch würdigte das Amtsgericht die Belastungen des Beschwerdeführers nicht in der gebotenen Weise. Unerwähnt blieben etwa die Belastung durch das Disziplinarverfahren, auf die das Oberlandesgericht im Rahmen seiner Revisionsentscheidung im dritten Verfahrensdurchgang ausdrücklich hingewiesen hatte, sowie die Sicherstellung des Führerscheins über einen Zeitraum von über 17 Monaten. Auch die Formulierung, der Beschwerdeführer sei „gesundheitlich angeschlagen”, wird nicht dem Ergebnis des im Rahmen der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen Gutachtens vom 23. November 2000, nach dem eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität des Beschwerdeführers vorliege und ein Verfahrensabschluss in absehbarer Zeit – schon im Jahre 2000 – dringend indiziert sei, gerecht. Die Entscheidungen nehmen nicht hinreichend wahr, in welchem Umfang sich auf Grund dieser Umstände das öffentliche Interesse an einer Bestrafung abgeschwächt hat, was auch daran deutlich wird, dass das Amtsgericht im Rahmen seiner Strafzumessungserwägungen generalpräventive Aspekte berücksichtigt hat.

Vielmehr wiegt die Verletzung des Beschleunigungsgebots insbesondere angesichts der Geringfügigkeit des Tatvorwurfs und der Gesamtdauer des Verfahrens von nunmehr etwa zehn Jahren derart schwer und ist für den Beschwerdeführer zudem mit besonderen Belastungen verbunden, dass ein anerkennenswertes Interesse an Bestrafung, die allgemein dem verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsgüterschutz dient, nicht mehr besteht. Die dem Beschwerdeführer anzulastende Schuld ist durch die ihn belastenden Folgen des Verfahrens bereits weitestgehend ausgeglichen (vgl. zur Verfahrenseinstellung bei überlanger Verfahrensdauer auch BGH, NJW 1990, S. 1000, 1001). Zu diesem Ausgleich tragen neben der langen Verfahrensdauer insbesondere die gesundheitliche Beeinträchtigung, der über 17 Monate erfolgte Führerscheinentzug sowie die Belastung durch das Disziplinarverfahren bei.

Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob wegen der Verletzung des Beschleunigungsgebots von Verfassungs wegen ein Verfahrenshindernis unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleiten ist. Ein von Verfassungs wegen anzunehmendes Verfahrenshindernis setzt einen derart schwerwiegenden Verstoß voraus, dass von ihm die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängig sein muss (vgl. BGHSt 35, 137 ≪140≫ m.w.N.). Hier bieten das Verfahrensrecht sowie das materielle Strafrecht vorrangige Möglichkeiten zur Verfahrensbeendigung ohne strafrechtliche Sanktion (vgl. auch Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ≪Vorprüfungsausschuss≫ vom 24. November 1983 – 2 BvR 121/83 –, NJW 1984, S. 967; BGHSt 35, 137 ≪140≫ m.w.N.). Das Verfahren kann etwa durch eine Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO zu einem gerechten Abschluss gebracht werden. Dabei ergibt sich die geringe Schuld im Sinne des § 153 Abs. 2 StPO schon aus der verhängten Geldstrafe von 15 Tagessätzen. In Betracht käme auch ein Absehen von Strafe nach § 60 StGB. Die Entscheidung darüber wird das Amtsgericht – nach Aufhebung der Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht – zu treffen haben.

2. Die mit der Verfassung nicht in Einklang stehenden Entscheidungen sind im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, das Ausgangsverfahren ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rechtsfolgenentscheidung lassen den Schuldspruch unberührt, der im Übrigen im Falle einer Verfahrensbeendigung ohne Urteil ohne Rechtswirkungen bliebe (vgl. hierzu auch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2003 – 2 BvR 327/02 u.a. –, NJW 2003, S. 2225, 2228).

Ob der Beschwerdeführer zudem in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG und in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt ist, kann dahinstehen, denn diese Rügen führen nicht zur Aufhebung des Schuldspruchs.

3. Dagegen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen den landgerichtlichen Beschluss vom 21. Juni 2000, durch den der amtsgerichtliche Einstellungsbeschluss aufgehoben worden ist, richtet. Ein Annahmegrund liegt nicht vor; insbesondere ist die Annahme auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt. Hinsichtlich des Beschlusses fehlt es an einer Beschwer. Durch die amtsgerichtliche Verurteilung vom 13. Februar 2001 ist der Beschluss des Landgerichts prozessual überholt, so dass die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig ist.

4. Die Verfassungsbeschwerde hat im Wesentlichen Erfolg. Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG waren deshalb die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers dem Land Brandenburg aufzuerlegen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Hassemer, Osterloh, Mellinghoff

 

Fundstellen

Haufe-Index 1262399

NPA 2004, 0

RÜ 2004, 201

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