Entscheidungsstichwort (Thema)

Dauer eines zivilgerichtlichen Verfahrens

 

Beteiligte

Rechtsanwalt Bernhard Sauber

 

Verfahrensgang

Saarländisches OLG (Aktenzeichen 7 U 144/83)

 

Tenor

Die Rechte des Beschwerdeführers aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) werden dadurch verletzt, dass das Saarländische Oberlandesgericht es unterlassen hat, in dem Verfahren 7 U 144/83 in angemessener Zeit eine Entscheidung über die Höhe des dem Beschwerdeführer zustehenden Schadensersatzanspruchs zu treffen.

Das Saarland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Dauer eines zivilgerichtlichen Verfahrens.

I.

1. Der Beschwerdeführer wollte Anfang der 70er Jahre in der Stadt Saarbrücken ein Einkaufszentrum errichten. Die Stadt (die Beklagte des Ausgangsverfahrens) hatte das vorgesehene Bauareal im Entwurf eines Bebauungsplans ursprünglich als Sondergebiet ausgewiesen und mit dem Beschwerdeführer mehrfach über das Projekt, unter anderem über einen Erschließungsvertrag, verhandelt. Zum Abschluss des Vertrags und zur Erteilung der Baugenehmigung kam es jedoch nicht, da sie die Verhandlungen abbrach. Daraufhin begehrte der Beschwerdeführer mit seiner im August 1974 erhobenen Klage zunächst die Feststellung, dass die Stadt ihm zum Schadensersatz verpflichtet sei, da sie die Verhandlungen aus sachfremden Gründen abgebrochen und die Erteilung der Baugenehmigung nur aus vorgeschobenen Erwägungen versagt habe. Später beantragte der Beschwerdeführer die Verurteilung zur Zahlung von über 30 Mio. DM.

Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen und das Oberlandesgericht die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen hatte, hob der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 7. Februar 1980 die oberlandesgerichtliche Entscheidung auf, da ein Schadensersatzanspruch aus § 839 BGB oder öffentlichrechtlicherculpa in contrahendo in Betracht käme, und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück (vgl. BGHZ 76, 343). Nachdem das Oberlandesgericht die Berufung erneut zurückgewiesen hatte, hob der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 5. Mai 1983 auch diese Entscheidung auf und verwies die Sache wiederum an das Oberlandesgericht zurück (vgl. BGH, WM 1983, S. 993). Daraufhin stellte das Oberlandesgericht mit Grundurteil vom 10. Juli 1984 fest, dass die Stadt dem Beschwerdeführer wegen des Abbruchs der Verhandlungen aus öffentlichrechtlicherculpa in contrahendo sowie aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet sei. Die Entscheidung zur Schadenshöhe behielt es dem Schlussurteil vor. Die dagegen eingelegte Revision der Beklagten nahm der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11. Juli 1985 nicht zur Entscheidung an.

Mit Schlussurteil vom 8. Juli 1986 verurteilte das Oberlandesgericht die Beklagte zur Zahlung von 5.798.142 DM nebst Zinsen an den Beschwerdeführer. Auf die von beiden Seiten eingelegte Revision hin hob der Bundesgerichtshof auch diese Entscheidung mit Urteil vom 22. Juni 1989 teilweise auf (vgl. BGH, NVwZ-RR 1989, S. 600). Im Umfang der Aufhebung verwies es die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück.

Das Oberlandesgericht erhob in der Folgezeit umfänglich Beweis unter anderem durch Einholung mehrerer Sachverständigengutachten, in denen es – auch – um die Höhe des dem Beschwerdeführer entstandenen Schadens ging. Die Begutachtung ist noch nicht abgeschlossen. Nachdem die Besetzung des Senats Ende 1999 gewechselt hatte, begehrte der Beschwerdeführer die Aufhebung des zuletzt ergangenen Beweisbeschlusses vom 12. Januar 1999 mit der Begründung, dass das Gericht dem Sachverständigen aufgegeben habe, den Schaden nach einer völlig ungeeigneten Berechnungsmethode (modifizierte Nettomethode) zu berechnen, obwohl nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Brutto- und Nettomethode letztlich zu gleichen Ergebnissen führen müssten. Durch Beschluss vom 24. Mai 2000 wies das Oberlandesgericht den Antrag unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den unterschiedlichen Berechnungsmethoden zurück.

Ein Urteil ist bislang noch nicht ergangen.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die vermeintlich überlange Verfahrensdauer. Er sieht sich in seinem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Wegen des enormen Umfangs des Schadens, der ihm entstanden sei, und infolge der daraus resultierenden finanziellen Belastung, für die er wegen der langen Prozessdauer keinen Ausgleich habe erlangen können, sei er in seinem gesamten wirtschaftlichen Wirken negativ bis hin zur Existenzgefährdung beeinflusst worden. Die Verfahrensdauer beruhe vor allem auf der von dem Oberlandesgericht angewandten Berechnungsmethode, die es ausschließe, den Schaden sinnvoll zu berechnen. Er beantragt, das Bundesverfassungsgericht möge die Verfassungswidrigkeit der überlangen Verfahrensdauer feststellen oder dem Oberlandesgericht einen sinnvollen Weg zur Verfahrensbeendigung aufzeigen.

3. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Saarland, der Beklagten des Ausgangsverfahrens sowie dem Oberlandesgericht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und die Akten des Ausgangsverfahrens eingesehen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nach §§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b, 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung an. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden; die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip angezeigt.

1. a) Es ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn ableiten lässt (vgl. BVerfGE 82, 126 ≪155≫; 93, 99 ≪107≫). Das Rechtsstaatsprinzip fordert im Interesse der Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 88, 118 ≪124≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts – 1 BvR 711/96 –, NJW 1997, S. 2811; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts – 1 BvR 1708/99 –, NJW 2000, S. 797).

b) Es lässt sich allerdings nicht generell festlegen, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert; insbesondere die Angabe einer festen Jahresgrenze ist angesichts der Unterschiedlichkeit der Verfahren nicht möglich. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung dieser Frage sind vielmehr stets alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Parteien zuzurechnende Verhalten sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussenden Tätigkeiten von Dritten, wie etwa Sachverständigen, einzubeziehen. Allerdings haben die Gerichte im Rahmen ihrer Verfahrensführung auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens insgesamt oder in der jeweiligen Instanz verdichtet sich die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen.

2. Gemessen daran ist der Rechtsstreit von dem Oberlandesgericht seit dem Eingang der Akten nach dem Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 1989 nicht einer instanzbeendenden Entscheidung in angemessener Zeit zugeführt worden. Die Klage im Ausgangsverfahren ist seit 1974, also seit nunmehr 26 Jahren, anhängig. Seit Mitte 1985, also bereits seit 15 Jahren, steht rechtskräftig fest, dass der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens durch die Beklagte hat. Nach der letzten Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof ist in dieser Sache seit nunmehr 11 Jahren keine Entscheidung über die Höhe des dem Beschwerdeführer zustehenden Schadens ergangen. Damit sind die Grenzen des unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Rechtsschutzes für einen Prozessbeteiligten noch Hinnehmbaren eindeutig überschritten.

a) Bei der Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Verfahrensdauer ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Rechtsstreit beträchtliche rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten aufweist. Dies zeigen nicht zuletzt die – z.T. in der amtlichen Sammlung veröffentlichten – Urteile des Bundesgerichtshofs, die während des Rechtsstreits ergangen sind. Seitdem die Sache wieder beim Oberlandesgericht anhängig ist, belegen die umfangreich eingeholten Sachverständigengutachten die besonderen Schwierigkeiten bei der Feststellung des dem Beschwerdeführer entstandenen Schadens.

b) Aus den vom Bundesverfassungsgericht eingesehenen Verfahrensakten lässt sich nicht entnehmen, dass das Verfahren durch eine schlichte Nichtbearbeitung verzögert worden wäre. Insoweit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von der Entscheidung der 2. Kammer des Ersten Senats (vgl. NJW 2000, S. 797). Vorliegend wurde das Verfahren demgegenüber im Rahmen eines normalen Verfahrensablaufs jedenfalls insoweit gefördert, als ihm durch ergänzende Beweisaufnahmen, Stellungnahmen der Parteien etc. stets Fortgang gegeben wurde.

c) Gleichwohl kann von einer Klärung des strittigen Rechtsverhältnisses in angemessener Zeit nicht ausgegangen werden, und es sind keine besonderen Vorkehrungen des Gerichts zur Verfahrensbeschleunigung festzustellen. Die Pflicht zur nachhaltigen Beschleunigung wurde vorliegend dadurch verstärkt, dass es bei dem Rechtsstreit, wie der Beschwerdeführer mehrfach nachvollziehbar dargelegt hat, um dessen wirtschaftliche Existenz geht. Angesichts der außergewöhnlichen langen Verfahrensdauer – bei Eingang der Akten bei dem Oberlandesgericht dauerte der Rechtsstreit schon rund 15 Jahre – hätte sich das Oberlandesgericht nicht darauf beschränken dürfen, das Verfahren wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln. Vielmehr hätte es – unter Zugrundelegung seines rechtlichen Ausgangspunktes – sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung nutzen müssen. Gegebenenfalls wäre es gehalten gewesen, sich um gerichtsinterne Entlastungsmaßnahmen zu bemühen.

Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, den Gerichten bestimmte Beschleunigungsmaßnahmen vorzuschreiben. Die Entscheidung darüber obliegt den Fachgerichten, die sich nicht abstrakt, sondern nur anhand des konkreten Falles und unter Berücksichtigung der Gründe für die lange Verfahrensdauer treffen lässt. Eine Beschleunigung war und ist auch in dem hier in Rede stehenden Verfahren nicht grundsätzlich ausgeschlossen, in dem das Gericht bei der Entscheidungsfindung auf die Mitwirkung von Sachverständigen angewiesen ist. Beispielhaft hätte bereits bei der Auswahl und der Beauftragung der jeweiligen Sachverständigen die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit berücksichtigt und – soweit nach Auffassung des Gerichts mehrere gleichrangig qualifizierte Sachverständige in Betracht kamen – der voraussichtlichen Bearbeitungsdauer bei der Auswahl des Sachverständigen entscheidendes Gewicht beigemessen werden können. Auch während der Bearbeitung des Gutachtens ist der Zeitfaktor durch zeitnahe Überwachung der gutachterlichen Tätigkeit und durch das Setzen von Bearbeitungsfristen im Blick zu behalten. Wenn es um Fragen geht, die durch verschiedene Sachverständige zu klären sind, ist – soweit rechtlich möglich – eine gleichzeitige Begutachtung zu erwägen, die durch entsprechende Vorkehrungen (etwa: Anfertigung von Zweitakten) auch organisatorisch bewältigt werden kann.

Dass das Gericht in diesem Sinn aktiv verfahrensbeschleunigend tätig geworden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

d) Dass neben Maßnahmen der Verfahrensleitung und gegebenenfalls des Bemühens um gerichtsinterne Entlastungen auch eine andere rechtliche Bewertung der zu entscheidenden Rechtsfragen zu einer Verfahrensverkürzung hätte führen können, kann den Vorwurf einer überlangen Verfahrensdauer entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers jedoch nicht rechtfertigen. Wie der Fall rechtlich zu bewerten ist und mit welchen Beweismitteln der Sachverhalt festgestellt werden soll, obliegt der Beurteilung der Fachgerichte. Eine inhaltliche Überprüfung kommt grundsätzlich nur in einem etwaig nach der Verfahrensordnung vorgesehenen Rechtsmittelverfahren in Betracht. Ob das Bundesverfassungsgericht ausnahmsweise früher eingreifen kann, so wenn ein Vorgehen eines Gerichts jeden sachlichen Grunds entbehrt und deshalb willkürlich ist, bedarf keiner Entscheidung. Hierfür liegen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte vor. Das Oberlandesgericht hat zumindest aus nicht sachfremden Erwägungen unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die sog. Nettomethode seiner Schadensfeststellung zugrunde gelegt. Dass eine Berechnung des Schadens hiernach praktisch ausgeschlossen ist, wie der Beschwerdeführer behauptet, ist nicht dargetan. Entsprechendes lässt sich auch nicht aus dem von ihm vorgelegten Schreiben des Sachverständigen vom 2. Mai 2000 entnehmen, in dem um weitere steuerliche Informationen gebeten wird, ohne dass sich hierin Hinweise auf eine etwaige Undurchführbarkeit der Schadensberechnung finden.

3. Da eine Entscheidung des Oberlandesgerichts noch nicht ergangen ist, muss sich das Bundesverfassungsgericht auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit gemäß § 95 Abs. 1 BVerfGG beschränken. Das Oberlandesgericht ist nunmehr unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen gehalten, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem möglichst raschen Abschluss des Verfahrens führen.

4. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Steiner, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 565180

NJW 2001, 214

EuGRZ 2000, 491

VersR 2001, 611

MittRKKöln 2001, 64

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