Verfahrensgang

Saarländisches OLG (Beschluss vom 25.08.2005; Aktenzeichen Vollz (Ws) 11/05)

LG Saarbrücken (Beschluss vom 03.02.2005; Aktenzeichen III StVK 25/05)

 

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Februar 2005 – III StVK 25/05 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, soweit das Gericht den gegen die Anbringung einer Notiz am Pflegerzimmer gerichteten Antrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen hat. In diesem Umfang wird der Beschluss aufgehoben und die Sache an das Landgericht Saarbrücken zurückverwiesen.

Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 25. August 2005 – Vollz (Ws) 11/05 – ist damit insoweit gegenstandslos.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Saarland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Maßregelvollzug.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist gemäß § 63 StGB in der Saarländischen Klinik für Forensische Psychiatrie Merzig untergebracht. Er hat ein Inkontinenzproblem. Während, wie aus anderen Verfahren bekannt ist, der Beschwerdeführer meint, es handele sich um ein neurologisches Problem, geht die Klinikleitung davon aus, dass es sich um eine psychogene Harninkontinenz handele.

2. Nach Angaben des Beschwerdeführers heftete der Spätdienst am 3. Januar 2005 an die Tür des Pflegerzimmers einen Zettel betreffend die Themenliste zur Stationsversammlung am 5. Januar 2005 mit folgendem Wortlaut: “Die Station ist dafür, dass der Beschwerdeführer keine Handtücher mehr bekommt, weil er sie vollpinkelt.” Hiergegen wandte der Beschwerdeführer sich mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er die Feststellung des beleidigenden Charakters des Aushangs und künftiges Unterlassen jeder Form von Beleidigung begehrte. Ferner wandte er sich dagegen, dass ihm diverse Gesetzestexte nicht ausgehändigt worden seien.

3. Das Landgericht wies die Anträge mit Beschluss vom 3. Februar 2005 als unzulässig zurück. Der Verpflichtungsantrag auf Aushändigung der Gesetzestexte sei unzulässig, weil der Beschwerdeführer bisher keinen entsprechenden Antrag bei der Klinik gestellt habe. Hinsichtlich der Notiz sei der Antrag unzulässig, weil diese keine Maßnahme im Sinne von § 109 StVollzG sei. Die Notiz sei ein innerdienstlicher Vermerk, der keine unmittelbare Rechtswirkung habe.

4. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Rechtsbeschwerde führte der Beschwerdeführer aus, der Antrag auf Aushändigung von Gesetzestexten habe sich erledigt, nachdem ihm mittlerweile die Fernleihe über den Sozialdienst gestattet werde. Weiterhin machte der Beschwerdeführer geltend, in dem Aushang, der kein Einzelfall sei, sei eine therapeutische Maßnahme zu sehen, weil gezielt versucht werde, seine Harninkontinenz “zur Schau” zu stellen, um Reaktionen von Mitpatienten zu provozieren.

5. Das Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales führte in seiner zu der Rechtsbeschwerde abgegebenen Stellungnahme aus, bei der beanstandeten Notiz handele es sich um den Vermerk eines Mitpatienten auf der frei zugänglichen Themenliste für die Stationsversammlung. Nachdem das Stationspersonal und der Klinikleiter von dem Aushang erfahren hätten, sei dieser unverzüglich entfernt worden.

6. Mit Beschluss vom 25. August 2005 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Bezüglich der Aushändigung der Gesetzestexte fehle es an der notwendigen Beschwer, weil der Beschwerdeführer selbst angegeben habe, dass ihm die Texte mittlerweile zur Verfügung stünden. Im Übrigen sei die Rechtsbeschwerde unzulässig, weil die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht vorlägen.

II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet der Beschwerdeführer sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1, Art. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 und Art. 104 GG. Er habe gegenüber der Strafvollstreckungskammer mehrfach dargelegt, dass ihm trotz wiederholter Anträge an die Klinikleitung der Einblick in Gesetzestexte verweigert worden sei. Er habe sich nunmehr mehrere Gesetzestexte von seiner Schwester zusenden lassen und könne nach Aufnahme eines Studiums an der Fernuniversität Hagen seit Mai 2005 eingeschränkten Einblick in Fachliteratur nehmen. Der öffentliche Aushang einer Notiz mit diskriminierendem Inhalt müsse gerichtlich überprüfbar sein.

2. Das Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales des Saarlandes hat von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen.

III.

1. Soweit die angegriffenen Entscheidungen die vom Beschwerdeführer begehrte Aushändigung von Gesetzestexten betreffen, ist die Verfassungsbeschwerde unsubstantiiert und deshalb nicht zur Entscheidung anzunehmen. Insoweit wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG von einer weiteren Begründung abgesehen.

2. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Zurückweisung des gegen die Anbringung einer Notiz am Pflegerzimmer gerichteten Antrags des Beschwerdeführers durch Beschluss des Landgerichts vom 3. Februar 2005 betrifft, wird sie gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Entscheidungskompetenz der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG); das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.

a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer die gerügte Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nicht zum Gegenstand einer Anhörungsrüge gemäß § 138 Abs. 3, § 120 Abs. 1 StVollzG in Verbindung mit § 33a StPO gemacht hat. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers kommt eine Verletzung des grundrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht in Betracht; die diesbezüglich erhobene Rüge beruht offensichtlich allein darauf, dass der Beschwerdeführer den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG verkennt. In einem solchen Fall scheitert die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde nicht daran, dass der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG behauptet, ohne sich zuvor mit einer Anhörungsrüge um Abhilfe bemüht zu haben; denn die Einlegung dieses Rechtsbehelfs wäre offensichtlich aussichtslos gewesen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2006 – 2 BvR 30/06 – juris).

b) Die Verfassungsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der Beschluss des Landgerichts verletzt insoweit den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Strafvollstreckungskammer hat die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verkannt.

aa) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet Rechtsschutz gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt. Die Gewährleistung umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪401≫). Der Bürger hat Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 49, 329 ≪340 ff.≫; 84, 34 ≪49≫; 101, 397 ≪407≫).

Für den Bereich des Maßregelvollzugs wird das Grundrecht durch § 138 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 109 ff. StVollzG konkretisiert. Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Maßregelvollzuges kann der Untergebrachte danach mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorgehen (§ 138 Abs. 3 in Verbindung mit § 109 Abs. 1 StVollzG). Diese Bestimmung ist im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen und anzuwenden (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 1999 – 2 BvR 827/98 –, NStZ 1999, S. 428 f.).

Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justizvollzugsanstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG darstellt, kommt es deshalb darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2006 – 2 BvR 1383/03 –, juris).

Im vorliegenden Fall bestand diese Möglichkeit. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen einen nach seinem Vortrag vom Anstaltspersonal angebrachten Aushang am Pflegerzimmer, auf dem sich unter anderem eine bloßstellende Angabe über Vorgänge aus seinem Intimbereich befand. Da dieser Aushang für Mitpatienten einsehbar an der Tür des Pflegerzimmers angebracht war, kam eine der Klinik zuzurechnende Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers in Betracht (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG; vgl. BVerfGE 71, 206 ≪219≫). Dies gilt unabhängig davon, ob der Aushang nur der Vorbereitung einer verwaltungsinternen Besprechung und damit einem verwaltungsinternen Zweck dienen sollte. Dem Beschwerdeführer ging es ersichtlich nicht um die Beanstandung des Aushangs in seiner etwaigen internen Funktion, sondern darum, dass die ihn betreffende Mitteilung in bloßstellender Weise für jedermann sichtbar ausgehängt war. Die Zulässigkeit des Antrags in diesem Punkt durfte daher nicht mit der Begründung verneint werden, es liege keine nach § 109 Abs. 1 StVollzG angreifbare Maßnahme vor.

bb) Der Stellungnahme des zuständigen Ministeriums im Rechtsbeschwerdeverfahren können Gründe, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, schon deshalb nicht entnommen werden, weil der Beschwerdeführer, soweit aus den Akten ersichtlich, noch keine Gelegenheit hatte, sich dazu zu äußern.

cc) Die Entscheidung des Landgerichts ist daher aufzuheben, soweit das Gericht den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen hat. In diesem Umfang ist die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Entscheidung des Oberlandesgerichts wird damit insoweit gegenstandslos.

3. Da die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich eines von zwei Gegenständen der angegriffenen Entscheidungen Erfolg hat, sind dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1722764

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