Beteiligte

des Herrn P…

Rechtsanwälte Dieter Langenberg und Partner

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Urteil vom 22.08.1997; Aktenzeichen 10 S 845/96)

AG Eschwege (Urteil vom 14.11.1996; Aktenzeichen 2 C 253/95)

 

Tenor

Das Urteil des Landgerichts Kassel vom 22. August 1997 - 10 S 845/96 - und das Urteil des Amtsgerichts Eschwege vom 14. November 1996 - 2 C 253/95 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Eschwege zurückverwiesen.

Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens, den ein Polizeibeamter durch ihn bei der Vollstreckung einer einstweiligen Anordnung zur Herausgabe eines Kindes erlitten hat.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Großvater des Kindes Tamara P. Sein Sohn und seine Schwiegertochter stritten um die elterliche Sorge für das damals etwa dreijährige Kind. Das Familiengericht entschied zugunsten der Mutter. Es übertrug ihr im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge und gab durch eine weitere einstweilige Anordnung dem Vater auf, Tamara an die Mutter herauszugeben. Zur Durchsetzung des Herausgabeanspruchs dürfe die Hilfe des Vollziehungsbeamten gemäß § 33 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) in Anspruch genommen werden. Aufgrund dieser einstweiligen Anordnung beauftragte die Mutter einen Gerichtsvollzieher. Dieser hielt sich aufgrund der einstweiligen Anordnung des Familiengerichts für berechtigt, die Wohnung des Vaters zu betreten und auch Gewalt anzuwenden. Zusammen mit der Mutter und zwei Polizeibeamten begab er sich zur väterlichen Wohnung, in der sich das Kind aufhielt. Im Treppenhaus vor der Wohnungstür trafen sie den Beschwerdeführer an, der in demselben Haus wohnt. Er versperrte ihnen den Zugang. Der Gerichtsvollzieher forderte ihn erfolglos auf, den Weg freizumachen. Bei dem Versuch, ihn mit Gewalt von der Tür zu entfernen, zog sich ein Polizeibeamter, der spätere Kläger, Verletzungen zu. Nach Eintreffen polizeilicher Verstärkung gab der Vater das Kind heraus.

2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zur Zahlung von rund 2.700 DM Schadensersatz. Seine Handlung sei nicht durch Notwehr geboten gewesen. Der klagende Polizeibeamte habe – auch mit Blick auf Art. 13 Abs. 2 GG – rechtmäßig gehandelt. Eine Durchsuchung der Wohnung habe im maßgeblichen Zeitpunkt der Wohnung nicht stattgefunden. Auch habe Gefahr im Verzug bestanden. Das Landgericht folgte den Gründen dieses Urteils und wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Das Familiengericht habe den Gerichtsvollzieher ermächtigt, nach § 33 Abs. 2 FGG umfassend Gewalt anzuwenden. Gewalt gegen Sachen beinhalte den Zutritt von Räumen gegen den Willen des Berechtigten. Die persönlichen Interessen des Kindes, es seiner erziehungsberechtigten Mutter zuzuführen, seien auch höher zu bewerten, als die Interessen des Vaters, seine Wohnung nicht gegen seinen Willen durch Dritte betreten zu lassen.

II.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG. Die Durchsuchung der Wohnung, die er habe abwenden wollen, sei rechtswidrig gewesen. Sie habe nach Art. 13 Abs. 2 GG nur durch den Richter angeordnet werden dürfen. Eine solche Anordnung liege in der einstweiligen Anordnung des Familiengerichts nicht. Der Gerichtsvollzieher und die Polizeibeamten hätten zudem unverhältnismäßig gehandelt. Gefahr im Verzug habe nicht vorgelegen. Das zuständige Polizeiverwaltungsamt verlange von ihm zu Unrecht 12.000 DM Schadensersatz.

 

Entscheidungsgründe

III.

1. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das rechtmäßige Vorgehen des Klägers sei zunächst nur darauf gerichtet gewesen, den Beschwerdeführer von der Wohnungstür zu entfernen. Das habe dem Gerichtsvollzieher erst die Möglichkeit geben sollen, mit der Vollstreckung der Herausgabeanordnung zu beginnen. Eine Durchsuchung habe nicht stattgefunden. Die angegriffenen Urteile seien schon nach einfachem Recht nicht zu beanstanden und deshalb nicht willkürlich. Falls bei der Vollstreckung einer Kindesherausgabe aber eine Wohnung durchsucht werden müsse, sei die Anordnung der Durchsuchung durch den Richter erforderlich. Eine besondere Verfügung des Gerichts, daß auch Gewalt gebraucht werden dürfe, umfasse diese Anordnung nicht. Für einen Verzicht auf eine ausdrückliche richterliche Durchsuchungsanordnung könne aber immerhin sprechen, daß sich die Verfügung zur Anwendung von Gewalt auf die Herausgabe eines dreijährigen Kindes bezogen habe und schon deshalb zum Betreten der Wohnung berechtige. Denn anders als bei älteren Kindern könne die Vollstreckung hier regelmäßig nur in den Wohnräumen des herausgabepflichtigen Elternteils stattfinden.

2. Die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht e.V. hat zwei unterschiedliche Stellungnahmen abgegeben.

a) Die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts enthalte schon keine besondere Verfügung, nach der auch Gewalt habe gebraucht werden können. Zu einer Durchsuchung der Wohnung sei außer bei Gefahr im Verzug zudem eine besondere Anordnung des Richters nach Art. 13 Abs. 2 GG oder nach § 758 a Abs. 1 ZPO notwendig. Es habe keine Anhaltspunkte gegeben, daß der Vater das Kind an einen unbekannten Ort gebracht hätte. Der Gerichtsvollzieher und die zu seiner Unterstützung zugezogenen Polizeibeamten hätten deshalb keine Gewalt gegen den Nothilfe ausübenden Beschwerdeführer anwenden dürfen. Darüber hinaus sei zu erwägen, ob nicht gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen worden sei. Als milderes Mittel sei das Zuwarten bis zum Eintreffen der bereits telefonisch verständigten Rechtsanwältin des Vaters in Betracht gekommen.

b) Die Zivilgerichte hätten die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts vertretbar als eine besondere Verfügung angesehen, nach der auch Gewalt habe gebraucht werden können. Nicht zu beanstanden sei weiter deren Annahme, daß diese Verfügung zum Öffnen und Betreten der Wohnung befugt habe. Gegen die Vollstreckung eines Titels könne man sich, selbst wenn er rechtswidrig sei, nicht durch das Faustrecht, sondern nur durch Beschreiten des Rechtsweges wehren.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b, § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung durch die Kammer anzunehmen. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 51, 97; 57, 346; 96, 44). Sie ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Urteile beruhen auf einer Verkennung des Schutzbereichs von Art. 13 Abs. 2 GG und verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Amtsgericht und Landgericht halten die Durchsuchung, die der Beschwerdeführer abwenden wollte, für rechtmäßig in jeder – auch verfassungsrechtlicher – Hinsicht. Auf diesen Erwägungen beruhen die angegriffenen Entscheidungen. Sie sind jedoch mit den genannten Grundrechten unvereinbar. Mit der Frage, welche Maßstäbe an die Rechtswidrigkeit von Amtshandlungen im Zusammenhang des § 227 Abs. 2 BGB anzulegen sind, haben die Gerichte sich nicht befaßt.

1. Die Durchsuchung, die der Beschwerdeführer abwenden wollte, war nicht durch den gesetzlichen Richter angeordnet.

a) Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪51≫). Wenn Vollstreckungsorgane eine Wohnung betreten, um dort dem Inhaber der Wohnung ein Kind wegzunehmen, das dieser von sich aus nicht herausgeben will, greifen sie in diese räumliche Lebenssphäre ein. Bei einem solchen Eingriff handelt es sich um eine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG. Denn staatliche Organe suchen ziel- und zweckgerichtet in der Wohnung nach einer Person, die der Inhaber der Wohnung von sich auch nicht herausgeben will (vgl. BVerfGE 51, 97 ≪106 f.≫).

b) Nach Art. 13 Abs. 2 GG dürfen Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. Die richterliche Anordnung einer Durchsuchung hat durch geeignete Formulierungen im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, daß der Grundrechtseingriff angemessen begrenzt wird sowie meßbar und kontrollierbar bleibt. Die richterliche Anordnung der Durchsuchung hat die rechtliche Grundlage der konkreten Maßnahme zu schaffen und muß Rahmen, Grenzen und Ziel der Durchsuchung definieren (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪51 f.≫). Eine solche rechtliche Grundlage kann die richterliche Anordnung nur schaffen, wenn sie so bestimmt ist, daß Mißverständnisse ausgeschlossen sind. Fehlt es an der erforderlichen Bestimmtheit der richterlichen Anordnung, wissen die Vollstreckungsorgane nicht sicher, wozu sie befugt sind; der Inhaber der Wohnung und andere, die eine unmittelbar bevorstehende Durchsuchung abwenden wollen, wissen nicht sicher, was sie dulden müssen. Diese Unsicherheit zu vermeiden ist nach Art. 13 Abs. 2 GG Aufgabe allein des für die präventive Kontrolle zuständigen Richters (vgl. BVerfGE 51, 97 ≪114≫).

Die einstweilige Anordnung des Familiengerichts konnte deshalb nicht Grundlage einer in jeder Hinsicht rechtmäßigen Durchsuchung sein. Sie läßt nicht mit der erforderlichen Sicherheit erkennen, wozu sie die Vollstreckungsorgane befugte und was der Inhaber der Wohnung und der Beschwerdeführer dulden mußten. Ihr fehlte hinsichtlich der Anordnung der Durchsuchung der Wohnung jede Bestimmtheit. Sie hat zwar im nachfolgenden Prozeß über die Leistung von Schadensersatz eine konkretisierende Deutung dahin erfahren, daß vom Familiengericht neben der Herausgabe auch die Wohnungsdurchsuchung angeordnet worden sei. Diese Deutung lag aber nicht so nahe, daß damit den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 13 Abs. 2 GG entsprochen wäre. Das gilt umso mehr, als nichts dafür ersichtlich ist, daß das Familiengericht beim Erlaß der einstweiligen Anordnung die Möglichkeit der Durchsuchung einer Wohnung überhaupt bedacht hat. Insofern gibt es auch keinen Anhaltspunkt für eine eigenverantwortliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme durch den zuständigen Richter, insbesondere deren Erforderlichkeit (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪51≫). Die Vollstreckung der Herausgabe eines Kindes ist durchaus auch außerhalb einer Wohnung möglich.

2. Feststellungen, die eine Gefahr im Verzuge begründen können, haben die Gerichte nicht getroffen. Das ist in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 GG nur dann der Fall, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Durchsuchungsanordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (vgl. BVerfGE 51, 97 ≪111≫). Erfolg der Durchsuchung sollte die Herausgabe des Kindes an die Mutter sein. Dieser Erfolg war durch die mit der Einholung der richterlichen Durchsuchungsanordnung verbundene Verzögerung zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Anhaltspunkte dafür, daß der Vater das Kind verstecken oder sonstwie dem Zugriff des Vollstreckungsbeamten entziehen würde, sind nicht erkennbar. Daß der Vater mit Selbsttötung für den Fall des sofortigen Eindringens drohte, begründete diese Gefahr gerade nicht. Soweit eine Kurzschlußhandlung des Vaters ernstlich zu besorgen war, war zudem gewaltsames Vorgehen nicht geeignet, sie zu verhindern. Sie konnte im Gegenteil durch die zwangsweise Durchführung der Durchsuchung gerade ausgelöst werden.

3. Es ist nicht ausgeschlossen, daß im Ausgangsverfahren eine dem Beschwerdeführer günstige Entscheidung ergeht.

Nicht vorgegriffen wird der von den Fachgerichten zu beantwortenden Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen nach bürgerlichem Recht Nothilfe gegen die Diensthandlung eines Polizeibeamten zulässig ist, um dessen Unterstützung ein Gerichtsvollzieher nachgesucht hat (vgl. zu einer ähnlichen Fragestellung BVerfGE 87, 399 ≪409 ff.≫). Zu prüfen wird dabei unter anderem sein, ob die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung im bürgerlichen Recht bei der Anwendung des § 227 Abs. 2 BGB überhaupt anders ausfallen kann als im Strafrecht bei Anwendung des § 113 StGB (vgl. dazu etwa OLG Köln, NJW 1975, S. 889 f.; Eser, in: Schönke/ Schröder, StGB, 25. Aufl., 1997, § 113 Rn. 18 ff., insbesondere Rn. 31).

Die Verfassungsbeschwerde gibt schließlich keinen Anlaß, die Frage zu beantworten, ob § 33 Abs. 2 FGG eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Durchsuchung einer Wohnung ist. Zweifelhaft ist insofern, ob diese Vorschrift, die die Durchsuchung nicht erwähnt, gleichwohl die materiellen und formellen Voraussetzungen für eine Durchsuchungsanordnung in einer den Anforderungen des Art. 13 Abs. 2 GG genügenden Weise festlegt (vgl. dazu Hermes, in: Dreier, GG, 1996, Art. 13 Rn. 33; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 15. Aufl., 1999, Rn. 882).

V.

Die notwendigen Auslagen sind dem Beschwerdeführer nach § 34 a Abs. 2 BVerfGG zu erstatten.

 

Unterschriften

Kühling, Jaeger, Steiner

 

Fundstellen

Haufe-Index 543479

NJW 2000, 943

FamRZ 2000, 411

NVwZ 2000, 546

ZfJ 2000, 464

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