Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.01.1993; Aktenzeichen 16 Sa 66/92)

ArbG Mannheim (Urteil vom 14.09.1992; Aktenzeichen 9 Ca 255/92)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine arbeitsrechtliche Abmahnung wegen Äußerungen in einem Leserbrief.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Angestellter der Stadt Ladenburg, deren früheren Bürgermeister S. (SPD), er wiederholt kritisierte. 1992 kam es anläßlich der damals anstehenden Bürgermeisterwahl in Ladenburg innerhalb der örtlichen CDU, deren Mitglied der Beschwerdeführer ist, zu Auseinandersetzungen darüber, ob die Partei einen Kandidaten für die Bürgermeisterwahl nominieren solle und gegebenenfalls wen. Der Streit fand auch in der Presse Resonanz.

In diesem Zusammenhang schrieb der Beschwerdeführer einen Leserbrief, der am 6. März 1992 in der Ladenburger Zeitung veröffentlicht wurde und folgenden Inhalt hatte:

„‚Kulturelle Anliegen an den Minister gebracht’ – LZ Nr. 9 vom 28.2.92

Daß es gut ist, wenn man als Gemeinderat und Bürgermeister seine Interessen gegenüber einem Minister im persönlichen Gepräch vor Ort besprechen kann, konnte man im obigen Artikel über den Besuch des Kultusministers Baden-Württemberg Klaus von Trotha nachlesen. In welch engem Zusammenhang dieser Besuch ganz unabhängig von lautem Wahlkampfgetöse auch zu den Aktivitäten des örtlichen Wahlkreisabgeordneten L. von der CDU steht, darüber schwieg sich der Berichterstatter vollkommen aus, indem er dem Besuch des Ministers eine absolut unpolitische Note gab. Herr BM S. ließ es sich natürlich nicht nehmen, den Minister in Ladenburg zu begrüßen und ihm für den Zuschuß in Höhe von 100.000 DM zu danken, den Ladenburg für den Bau der Pflastermühle erhielt, damit die TIL (Theaterinitiative Ladenburg) endlich in absehbarer Zeit adäquate Räume für ihre Theateraufführungen beziehen kann. Gleichzeitig machte sich S. für einen Zuschuß für die Erweiterung des Lobdengaumuseums in Höhe von 600.000 DM stark. Für mich, der ich mit L. befreundet bin und seine Wahlkreisarbeit sehr schätze, war es fast wie ein Faschingsscherz, mit welcher Selbstverständlichkeit BM S. seine Forderungen an den Minister artikuliert und gleichzeitig in der Ladenburger SPD-Zeitung „Ladenburg heute und morgen” vom Februar 1992 ein Loblied auf D. singt. Wenn man BM S. glaubt, gingen alle Landeszuschüsse, die die Stadt seit 30 Jahren erhalten hat, auf das Konto von Herrn D.. Jede Übertreibung wird zur Satire und disqualifiziert sich von selbst. Von daher könnte man die Sache auf sich beruhen lassen, zumal sich der BM durch seinen Aufritt bei Minister von Trotha selbst widerlegt hat. Trotzdem frage ich mich, was eigentlich noch alles passsieren muß, bis die CDU-Partei- und Fraktionsspitze diesen Bürgermeister zur Ordnung ruft. Ein BM ist in meinen Augen ein Repräsentant aller Bürger seiner Stadt. In diesem Sinne habe ich schon vor vier Jahren, als BM S. ein ähnliches Pamphlet unterschrieb, argumentiert. Umso mehr ärgert mich das Phlegma innerhalb der Führung des CDU-Ortsverbandes Ladenburg. Mir ist vollkommen klar, daß man den „Genossen Bürgermeister” nicht zur parteipolitischen Neutralität verpflichten kann. Das ist auch nicht mein Ziel. Aber ich hätte mir zumindest gewünscht, daß man seine parteipolitische Schlagseite nicht so widerspruchslos hinnimmt. In diesem Sinne wäre eine klare Stellungnahme des Stadtverbandsvorsitzenden Herrn Prof. Dr. B. in seiner Begrüßung vonnöten gewesen. Die Worte von L. hierzu reichten leider nicht aus, zumal sie in der Presse nicht erwähnt wurden. Bei mir verfestigt sich immer mehr der Eindruck, daß die CDU Ladenburg ungeprüft und widerspruchslos sich ihr eigenes Todesurteil unterschreibt, wenn sie dieses von Bürgermeister S. vorgelegt bekäme.”

Die Stadt Ladenburg mahnte den Beschwerdeführer wegen des Leserbriefs ab. Sie bezog sich allgemein auf die „Ausfälle gegen den Bürgermeister” sowie konkret auf die Aussage des Beschwerdeführers, die CDU Ladenburg unterschreibe ihr eigenes Todesurteil, wenn sie dieses von Bürgermeister S. vorgelegt bekäme. Der Beschwerdeführer habe dadurch Mitglieder des Gemeinderats öffentlich angegriffen. Mit dem letzten Satz des Leserbriefs habe er gegen einen 1991 zwischen ihm und der Stadt geschlossenen Vergleich, in dem er sich verpflichtet habe, sich der aus § 8 Abs. 1 BAT folgenden Beschränkung seiner Meinungsfreiheit bewußt zu sein, verstoßen.

2. Der Beschwerdeführer begehrt die Entfernung der Abmahnung aus seinen Personalakten. Mit dem angegriffenen Urteil wies das Arbeitsgericht seine diesbezügliche Klage ab. Zwar stehe auch einem Beschäftigten im öffentlichen Dienst das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu. Die Meinungsfreiheit sei jedoch beschränkt durch andere Grundrechte, unter anderem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 und 2 GG. Durch die Form seines Leserbriefs habe der Beschwerdeführer den Bürgermeister in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt.

Der Beschwerdeführer habe zwar Mißstände im Gemeinderat auch in Form eines Leserbriefs monieren dürfen. Dies hätte er jedoch in angemessener und sachlicher Form vornehmen müssen. Eine solche sei im vorliegenden Fall nicht mehr erkennbar. Allein durch die Bezeichnung des Bürgermeisters als „diesen Bürgermeister” habe der Beschwerdeführer ein Unwerturteil über den Bürgermeister gefällt, obwohl es ihm durchaus möglich gewesen wäre, durch angemessene Wortwahl in sachlicher Form seine Kritik an der Politik des Bürgermeisters sowie an der Haltung der Partei- und Fraktionsspitze der CDU zu äußern. Ebenso sei die Formulierung, der Bürgermeister habe ein „ähnliches Pamphlet” unterschrieben, nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt. Bereits das Wort „Pamphlet” enthalte ein ungerechtfertigtes Unwerturteil. Schließlich enthalte auch der letzte Satz in dem Leserbrief eine überzogene Formulierung, mit der der Beschwerdeführer nicht nur die CDU kritisiert, sondern darüber hinaus auch ein Unwerturteil gegenüber dem Bürgermeister verbreitet habe. Dem Bürgermeister werde unterstellt, der CDU ein Todesurteil aussprechen zu wollen.

Insgesamt sei festzustellen, daß die Äußerungen des Beschwerdeführers allein durch die Wortwahl die Grenzen der politischen Meinungsfreiheit überschritten und das Persönlichkeitsrecht des Bürgermeisters tangierten. Die stilistische Form des Leserbriefs rechtfertige die Abmahnung. Der Beschwerdeführer habe mit seinem Stil nicht nur seine Treuepflicht aus § 8 BAT, sondern auch die Rechte des Bürgermeisters aus Art. 1 und 2 GG verletzt. Das sei von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt, ungeachtet der Tatsache, ob diese durch § 8 BAT eingeschränkt sei. Es könne deshalb dahinstehen, ob der Beschwerdeführer zugleich gegen den Vergleich aus dem Jahr 1991 verstoßen habe.

3. Das Landesarbeitsgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers wegen Nichterreichens des Beschwerdewertes als unzulässig, nachdem das Arbeitsgericht den Streitwert auf 700 DM festgesetzt hatte.

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im wesentlichen eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schütze die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung als auch im Interesse des demokratischen Prozesses. Jedermann habe das Recht, zumal im politischen Meinungskampf, seine Kritik auch in überspitzter und polemischer Form zu äußern.

Das Arbeitsgericht habe diese freiheitssichernde Funktion des Grundrechts sowie das Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren nicht beachtet. Es habe versäumt, seine Meinungsäußerung im Kontext der öffentlich geführten Debatte über den Streit innerhalb der CDU Ladenburg zu sehen. Außerdem verkenne das Arbeitsgericht die Reichweite des Grundrechtsschutzes, wenn es eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Bürgermeisters annehme. Dieser habe als öffentlicher Amtsträger auch polemische Meinungsäußerungen hinzunehmen. Seine Äußerung sei keinesfalls ehrverletzend gewesen, sondern habe lediglich ironische Zuspitzungen enthalten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 (BGBl I S. 1442) – ÄndG –, die gemäß Art. 8 ÄndG auch für dieses Verfahren gelten, liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Bedeutung und Tragweite des vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Grundrechts auf Meinungsfreiheit sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 86, 122; 93, 266).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Verfassungsrechten angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Es ist nicht ersichtlich, daß die angegriffenen Entscheidungen für den Beschwerdeführer besonderes Gewicht haben oder ihn in existentieller Weise betreffen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫).

a) Das Urteil des Arbeitsgerichts verletzt den Beschwerdeführer allerdings in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

aa) Das Grundrecht gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪7≫). Der Grundrechtsschutz bezieht sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form einer Äußerung. Allein eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung noch nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪289≫). Die abgemahnten Äußerungen des Beschwerdeführers unterfallen mithin dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

bb) Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos geschützt. Sie findet unter anderem in den allgemeinen Gesetzen sowie in dem Recht der persönlichen Ehre eine Schranke (Art. 5 Abs. 2 GG). Zu den allgemeinen Gesetzen gehört auch die Tarifvorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 BAT, wonach sich ein Angestellter so zu verhalten hat, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird (vgl. BAGE 38, 85 ≪95 f.≫). Auf diese Tarifnorm hat die Stadt ihre Abmahnung gestützt, während das Arbeitsgericht den Eingriff in die Meinungsfreiheit zum Schutz der Ehre des Bürgermeisters der Stadt Ladenburg als gerechtfertigt ansah.

Grundsätzlich ist die Auslegung und Anwendung einer tarifvertraglichen Vorschrift sowie die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abmahnung Sache der Arbeitsgerichte. Berührt eine arbeitsgerichtliche Entscheidung allerdings die Meinungsfreiheit, so verlangt Art. 5 Abs. 1 GG, daß die Gerichte die grundrechtsbeschränkende Norm ihrerseits wieder im Licht der Meinungsfreiheit auslegen und anwenden, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208≫; 86, 122 ≪128≫; BAGE 38, 85 ≪96≫). Das schließt es aus, an eine Äußerung allein wegen deren Form ohne Berücksichtigung der sonstigen Umstände negative arbeitsrechtliche Konsequenzen zu knüpfen. Allein die Schmähkritik oder Formalbeleidigung scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von vornherein aus dem Schutzbereich des Grundrechts aus (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪294≫). Ist eine Äußerung hingegen weder als Schmähung noch als Formalbeleidigung einzustufen, hat das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände eine Abwägung zwischen den Belangen der Meinungsfreiheit einerseits und des Rechtsguts, in dessen Interesse die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, andererseits vorzunehmen.

cc) Das Arbeitsgericht ist diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht geworden. Es hat die Rechtmäßigkeit der Abmahnung (allein) wegen des Stils und der vermeintlich unangemessenen und überzogenen Wortwahl des Beschwerdeführers bejaht und sich insoweit auf einzelne, aus dem Zusammenhang gelöste Formulierungen „Pamphlet”, „dieser Bürgermeister”, „Todesurteil unterschreiben”) bezogen. Es hat die Äußerungen des Beschwerdeführers damit der Sache nach als dem Grundrechtsschutz entzogen behandelt, obwohl ersichtlich weder eine Schmähkritik noch eine Formalbeleidigung vorliegt. Eine konkrete Abwägung der respektiven Grundrechtspositionen, die auch den Kontext des umstrittenen Leserbriefs berücksichtigt, ist vollständig unterblieben. Eine solche Abwägung war auch nicht etwa wegen des 1991 geschlossenen Vergleichs entbehrlich, weil sich der Beschwerdeführer dort allein dazu verpflichtet hatte, bei künftigen Äußerungen die sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 BAT ergebende Einschränkung der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen, die Reichweite dieser Einschränkung zwischen den Parteien aber gerade strittig war. Das Arbeitsgericht hat mithin die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich verkannt.

b) Die Grundrechtsverletzung zwingt indessen nicht zur Annahme der Verfassungsbeschwerde. Von der umstrittenen Abmahnung der Stadt Ladenburg geht für den Beschwerdeführer keine negative Wirkung mehr aus, so daß er durch die angegriffenen Entscheidungen nicht belastet ist.

aa) Die arbeitsrechtliche Abmahnung ist in erster Linie ein spezifisch kündigungsrechtliches Institut. Sie soll dem Arbeitnehmer einen konkreten Hinweis darauf geben, daß sein Arbeitsverhältnis im Fall der Wiederholung des abgemahnten Verhaltens beendet wird (vgl. zusammenfassend Berkowsky, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 1993, Bd. 2, § 133, Rz. 10). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt der Abmahnung insoweit vor allem eine Warnfunktion zu (vgl. BAG, NZA 1989, 633), wobei das Fehlen einer wirksamen Abmahnung bei einer verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung vielfach als Kündigungssperre wirkt (vgl. dazu Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., 1996, § 61 VI, S. 444 ff.)

Eine Abmahnung erfüllt ihre Funktion als Kündigungsvoraussetzung allerdings nicht unbefristet. Vielmehr kann auch eine ursprünglich wirksame Abmahnung durch Zeitablauf wirkungslos werden, wenn sich der Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hinweg einwandfrei verhält (vgl. BAG, NZA 1987, 418). Zwar lehnt das Bundesarbeitsgericht eine Regelfrist, nach deren Ablauf eine Abmahnung in kündigungsrechtlicher Hinsicht wirkungslos wird, ab (vgl. BAG, NZA 1987, 418; a.A. LAG Hamm, NZA 1987, 26). Vielmehr lasse sich der entsprechende Zeitraum immer nur anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere in Anbetracht des konkret abgemahnten Verhaltens, bestimmen (vgl. BAG, NZA 1987, 418 ≪419≫; zustimmend von Hoyningen-Huene, RdA 1990, 193 ≪210≫; Schaub, aaO., § 61 V, S. 444).

Im Licht dieser Rechtslage können von der im vorliegenden Fall umstrittenen Abmahnung für den Beschwerdeführer ungeachtet der Frage ihrer Rechtmäßigkeit in kündigungsrechtlicher Hinsicht keine negativen Wirkungen mehr ausgehen. Das beanstandete Verhalten des Beschwerdeführers liegt inzwischen mehr als sechs Jahre zurück, in denen es – soweit ersichtlich – zu keinen weiteren Beanstandungen der Stadt Ladenburg wegen Äußerungen des Beschwerdeführers gekommen ist. Da im arbeitsrechtlichen Schrifttum selbst bei schweren Verstößen ein Wirkungsverfall der Abmahnung nach drei bis fünf Jahren angenommen wird (vgl. von Hoyningen-Huene, RdA 1990, 193 ≪210≫), ist die Abmahnung im vorliegenden Fall durch Zeitablauf jedenfalls kündigungsrechtlich wirkungslos geworden.

bb) Auch in sonstiger Hinsicht hat der Beschwerdeführer wegen der umstrittenen Abmahnung keine negativen Folgen zu befürchten. Nach einer weit verbreiteten Ansicht in Rechtsprechung und arbeitsrechtlichem Schrifttum hat der durch eine wegen Zeitablaufs in kündigungsrechtlicher Hinsicht wirkungslos gewordene Abmahnung belastete Arbeitnehmer mit Eintreten der Wirkungslosigkeit sogar einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte (vgl. BAG, ZTR 1988, 309; Conze, DB 1987, 889 ≪890≫; Falkenberg, NZA 1988, 489 ≪492≫). Die Gegenansicht hält einen Entfernungsanspruch allerdings erst dann für gegeben, wenn die Abmahnung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Prüfung einer Beförderung, noch Bedeutung haben könne (vgl. von Hoyningen-Huene, RdA 1990, 193 ≪211≫).

Tatsächlich kann auch im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden, daß die Stadt Ladenburg ein erneutes Entfernungsbegehren des Beschwerdeführers abermals ablehnt. In einem solchen Fall hat der Beschwerdeführer aber die Möglichkeit, seiner Personalakte eine Gegendarstellung unter Bezugnahme und Hinzufügung dieser verfassungsgerichtlichen Entscheidung beizufügen, aus der sich die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angegriffene arbeitsgerichtliche Entscheidung ergeben. In einem möglichen künftigen Arbeitsrechtsstreit, etwa wegen einer unterbliebenen Beförderung, dürfte das Arbeitsgericht dann ebensowenig wie zuvor die Stadt unter Berufung auf die angegriffene Entscheidung von vornherein von der Rechtmäßigkeit der Abmahnung ausgehen, sondern müßte darüber unter Beachtung der dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäbe erneut entscheiden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Grimm, Hömig

 

Fundstellen

Haufe-Index 1113481

NZA 1999, 77

AP, 0

RDV 1999, 70

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