Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Wirksamwerden einer ungültigen Rechtsverordnung durch nachträgliche Zustimmung des Gesetzgebers

 

Leitsatz (redaktionell)

  • Eine ungültige Rechtsverordnung wird nicht rechtswirksam, weil ihr der Gesetzgeber in Form einer Genehmigung seine Zustimmung erteilt.
  • Vom Gesetzgeber gesetzte Normen sind Gesetze; er kann keine Verordnungen erlassen, er kann aber den Inhalt einer (ungültigen) Rechtsverordnung zum Gesetzesrang erheben und mit rückwirkender Kraft neu erlassen, vorausgesetzt er beachtet die Postulate des Rechtsstaatsprinzips und das Gebot des Vertrauensschutzes.
  • Daß ein Gesetz die gesetzlichen Tatbestände nicht selbst festlegt, sondern auf andere Normen verweist ist grundsätzlich zulässig.
  • Dem Verkündungserfordernis gemäß Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG ist jedenfalls dann genügt, wenn die Regelungen, auf die ein Gesetz Bezug nimmt, im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger verkündet worden sind. Dies gilt auch bei der Bezugnahme auf in ihrer Gültigkeit zweifelhafte Regelungen.
 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 2, 1; UStG § 4 Nr. 20; 6. ÄndGUStG Art. 4; 3. MilchFettGÄndG Art. 3 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

VG Düsseldorf (Beschluss vom 19.06.1964; Aktenzeichen 3 K 2109/63)

VG Gelsenkirchen (Beschluss vom 22.10.1963; Aktenzeichen 3 K 3653/63)

 

Tatbestand

A. – I.

1. Nach § 1 des Umsatzsteuergesetzes vom 16. Oktober 1934 (RGBl. I S. 942) in der Fassung vom 1. September 1951 (BGBl. I S. 791) – UStG – unterliegen die Umsätze

a) von Lieferungen und sonstigen Leistungen,

b) von Eigenverbrauch und

c) von Einfuhr von Gegenständen in das Inland (Ausgleichsteuer)

der Umsatzsteuer. § 4 UStG sieht für bestimmte unter § 1 UStG fallende Umsätze Steuerfreiheit vor.

Art. 1 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 8. März 1956 (BGBl. I S. 103) – 6. ÄndGUStG – fügte dem § 4 UStG eine neue Nr. 20 hinzu. Danach sind bestimmte Lieferungen von Milcherzeugnissen im Großhandel umsatzsteuerfrei.

§ 4 in der Fassung des 6. ÄndGUStG lautet:

Von den unter § 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:

1. bis 19. …

20. die Lieferungen von Milcherzeugnissen im Großhandel durch Unternehmer, die diese Gegenstände aus erworbener Milch, aus erworbenem Fettgehalt von Milch oder aus erworbenen anderen Milcherzeugnissen hergestellt haben; das Reifenlassen und das Paraffinieren von Käse sind keine Herstellung im Sinne dieser Vorschrift. Milcherzeugnisse im Sinne des Satzes 1 sind

a) Sauermilch, Joghurt und Kefir;

b) entrahmte Milch (Magermilch), saure Magermilch, Magermilch-Joghurt und Magermilch-Kefir;

c) Molke und Molkenerzeugnisse (z. B. Molkenpulver und Molkenpaste);

d) Buttermilch und geschlagene Buttermilch;

e) Sahne (Rahm), Kaffeesahne, Trinksahne, saure Sahne und Schlagsahne;

f) Milch- und Sahnedauerwaren (z. B. sterilisierte Milch, sterilisierte Sahne, Kondensmilch, Blockmilch, Blocksahne, Kondensmagermilch, Milchpulver, Sahnepulver, Magermilchpulver und Milchzucker);

g) Butter, Käse, Schmelzkäse und Käsezubereitungen. Käsezubereitungen sind Erzeugnisse, die aus Käse und anderen der Milch entstammenden Bestandteilen bestehen, in ähnlicher Weise wie Schmelzkäse hergestellt werden und amtlich zugelassene Farbstoffe enthalten können;

h) Milchmischgetränke aus Vollmilch und Magermilch mit mehr als 75 vom Hundert Milchanteil.

2. Mit der Lieferung von Milcherzeugnissen befassen sich auch die Bestimmungen des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (Milch- und Fettgesetz) vom 28. Februar 1951 (BGBl. I S. 135) in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) – MFG –. § 20 Abs. 1 Ziffer 2 MFG ermächtigt den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die zur Sicherung des Preisstandes erforderlichen Rechtsverordnungen zu erlassen. Preise und Preisspannen dürfen nur festgesetzt werden, soweit dies erforderlich ist, um eine angemessene Preisgestaltung sicherzustellen (§ 20 Abs. 4 MFG).

Die Vorschrift lautet:

§ 20 Preisregelung

(1) Der Bundesminister kann im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft

1. durch Rechtsverordnung für das Gebiet des Bundes oder mehrere Länder Preise für Milch, Butter, Schmalz, sonstige Speisefette und -öle, inländische Ölsaaten und Ölfrüchte, pflanzliche und tierische Fette und Öle (roh, raffiniert sowie raffiniert und gehärtet), soweit sie für die Herstellung von Nahrungs- und Genußmitteln bestimmt sind, regeln,

2. die zur Sicherung des Preisstandes erforderlichen Rechtsverordnungen, insbesondere über Kostensätze, Be- und Verarbeitungsspannen sowie Handelsspannen, Zahlungs- und Lieferungsbedingungen, erlassen.

3. …

(2) …

(3) …

(4) Preise und Preisspannen sind nur festzusetzen, soweit dies erforderlich ist, um eine angemessene Preisgestaltung sicherzustellen.

(5) Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Nummern 1 und 2 und Absatz 3 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates; sie sind gleichzeitig dem Bundestag bekanntzugeben.

3. In unmittelbarem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes erließ der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Zustimmung des Bundesrates unter Berufung auf § 20 Abs. 1 MFG in der Fassung vom 10. Dezember 1952 die Verordnung M Nr. 1/56 über Milchauszahlungspreise vom 8. März 1956 (Bundesanzeiger Nr. 50 vom 10. März 1956). Sie verpflichtete die Inhaber von Betrieben, die Milcherzeugnisse im Sinne der Verordnung herstellten und im Großhandel lieferten, die aus der Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 20 UStG sich ergebenden Ersparnisbeträge teilweise an ihre Lieferer (Milcherzeuger, Molkereien, Sammelstellen), teilweise an eine Ausgleichskasse abzuführen. Nach den weiteren Bestimmungen der Verordnung sollten diese Umsatzsteuerersparnisbeträge im Ergebnis allein den Milcherzeugern zugute kommen. Als Tag des Inkrafttretens bestimmte § 6 der Verordnung M Nr. 1/56 den 1. Februar 1956, d. h. denselben Tag, an dem die Umsatzsteuerbefreiung für die in § 4 Nr. 20 UStG genannten Milcherzeugnisse gemäß Art. 2 des 6. ÄndGUStG wirksam geworden war.

Am 24. Juli 1957 erließ der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und mit Zustimmung des Bundesrates die Verordnung M Nr. 2/57 über Milchauszahlungspreise, die sich ebenfalls auf die Ermächtigung in § 20 Abs. 1 MFG in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) berief. Sie wurde am 27. Juli 1957 verkündet (Bundesanzeiger Nr. 142) und trat gemäß § 10 mit Wirkung vom 1. Juli 1957 an die Stelle der gleichzeitig aufgehobenen Verordnung M Nr. 1/56, deren Regelungen sie mit einigen Abänderungen übernahm. Die Änderungen bezogen sich hauptsächlich auf das Verfahren zur Sicherung einer möglichst gleichmäßigen Verteilung der Umsatzsteuerersparnisbeträge an die Milcherzeuger. Die Regelungen in der Verordnung M Nr. 2/57 erstreckten sich – entsprechend dem Katalog in § 4 Nr. 20 UStG in der Fassung des 6. ÄndGUStG – gemäß § 7 der Verordnung auf folgende Milcherzeugnisse: Sauermilch, Joghurt, Kefir; entrahmte Milch (Magermilch), saure Magermilch, Magermilch-Joghurt und Magermilch-Kefir; Molke und Molkenerzeugnisse (z. B. Molkenpulver und Molkenpaste); Buttermilch und geschlagene Buttermilch (entrahmte Sauermilch); Sahne (Rahm), Kaffeesahne, Trinksahne, saure Sahne und Schlagsahne; Butter, Käse, Kasein; Milchmischgetränke aus Vollmilch und Magermilch mit mehr als 75 vom Hundert Milchanteil; Milch- und Sahnedauerwaren, z. B. sterilisierte Milch, sterilisierte Sahne, Kondensmilch, Blockmilch, Blocksahne, Kondensmagermilch, Milchpulver (Vollmilchpulver), Sahnepulver, Magermilchpulver und Milchzucker; Schmelzkäse und Käsezubereitungen.

4. Bei der Durchführung der Verordnungen M Nr. 1/56 und M Nr. 2/57 traten in der Praxis Schwierigkeiten auf. Zahlreiche zur Ablieferung der Umsatzsteuerersparnisbeträge verpflichtete Großhandelsunternehmen der Milchwirtschaft bestritten die Gültigkeit dieser Verordnungen, weil sie nach ihrer Meinung den Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung überschritten. Viele Unternehmen verweigerten deshalb die Zahlungen entweder ganz oder leisteten sie nur unter Vorbehalt. Daraufhin traf das Dritte Gesetz zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes vom 27. Juli 1961 (BGBl. I S. 1104) – 3. ÄndGMFG – bezüglich der Abführung der Umsatzsteuerersparnisbeträge eine Neuregelung. Art. 1 Nr. 2 des 3. ÄndGMFG fügte in das Milch- und Fettgesetz den § 20a ein, der die Verpflichtung zur Abführung der Umsatzsteuerersparnisbeträge zugunsten der Milcherzeuger in Gesetzesform normierte und außerdem eine neue Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen enthielt. Art. 3 Abs. 1 des 3. ÄndGMFG bestimmte, daß dieses Gesetz in seinen wesentlichen Bestimmungen bereits rückwirkend zum 1. Juli 1957 in Kraft treten solle. Bezüglich der in ihrer Gültigkeit angezweifelten Verordnung M Nr. 2/57 bestimmte Art. 3 Abs. 2 des 3. ÄndGMFG, daß diese Verordnung mit Ausnahme der hier nicht interessierenden Vorschrift des § 8 seit dem 1. Juli 1957 gelte und erst dann außer Kraft trete, wenn eine auf Grund § 20a MFG erlassene Rechtsverordnung in Kraft treten werde. Die Bestimmungen lauten:

Art. 1 des 3. ÄndGMFG

1. …

2. Es wird folgender § 20a eingefügt:

§ 20a

Ersparnisbeträge

(1) Die Inhaber von Betrieben haben die Beträge, die sie dadurch erspart haben, daß sie in den Fällen des § 4 Ziff. 20 des Umsatzsteuergesetzes, zuletzt geändert durch das Zehnte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 29. Dezember 1959 (Bundesgesetzbl. I S. 831), für die dort genannten Lieferungen von Milcherzeugnissen von der Umsatzsteuer befreit sind (Ersparnisbeträge), zugunsten der Milcherzeuger im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu zahlen, von denen sie Milch oder Milcherzeugnisse im Sinne von § 4 Ziff. 20 des Umsatzsteuergesetzes unmittelbar oder über Molkereien, Milchsammelstellen oder Betriebe des Handels bezogen haben. … Der Bundesminister erläßt die erforderlichen Durchführungsvorschriften im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates.

(2) …

(3) …

Art. 3 des 3. ÄndGMFG

(1) Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des Artikels 1 Nr. 1 mit Wirkung vom 1. Juli 1957 in Kraft; Artikel 1 Nr. 1 tritt am Tage nach der Verkündung dieses Gesetzes in Kraft.

(2) Die Verordnung M Nr. 2/57 über Milchauszahlungspreise vom 24. Juli 1957 (Bundesanzeiger Nr. 142 vom 27. Juli 1957) gilt mit Ausnahme des § 8 mit Wirkung vom 1. Juli 1957. Die in dieser Verordnung den nach Landesrecht zuständigen Landesbehörden erteilten Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen gelten als den Landesregierungen erteilt; die Landesregierungen können diese Befugnis auf oberste Landesbehörden übertragen. § 8 der Verordnung M Nr. 2/57 gilt vom Tage nach der Verkündung dieses Gesetzes. Die Verordnung M Nr. 2/57 tritt mit dem Inkrafttreten einer auf Grund des § 20a des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung außer Kraft.

5. Das Vierte Gesetz zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes vom 22. Juni 1963 (BGBl. I S. 411) setzte die Verordnung M Nr. 2/57 und § 20a MFG außer Kraft und traf statt dessen in § 12 MFG eine neue gesetzliche Regelung. Von der Ermächtigungsnorm des § 20a MFG wurde nie Gebrauch gemacht.

II.

In den vorliegenden Verfahren soll darüber entschieden werden, ob Art. 3 des 3. ÄndGMFG dem Grundgesetz entspricht, soweit diese Bestimmung dem Gesetz rückwirkende Kraft zum 1. Juli 1957 beimißt und erklärt, daß die Verordnung M Nr. 2/57 (mit Ausnahme des § 8) mit Wirkung vom 1. Juli 1957 gelten soll.

Die Kläger der drei verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren sind Großhandelsunternehmen der Milchwirtschaft. Sie wurden durch Bescheide des Landesamtes für Ernährungswirtschaft Nordrhein-Westfalen zur Abführung von Umsatzsteuerersparnisbeträgen auf Grund der Verordnung M Nr. 2/57 vom 24. Juli 1957 herangezogen. Die Kläger vertreten die Auffassung, daß sie zur Zahlung nicht verpflichtet seien, da die angefochtenen Bescheide der gesetzlichen Grundlage entbehrten; die Verordnung M Nr. 2/57 sei jedenfalls wegen Überschreitung der Ermächtigung in § 20 Abs. 1 MFG in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) von Anfang an nichtig gewesen und habe durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG nicht rückwirkend in Kraft gesetzt werden können.

1. Im Verfahren des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen – 3 K 3653/63 – (2 BvL 7/64) begehrt die Klägerin die Aufhebung der Zahlungsanordnung für die Zeit vom 1. Juli 1957 bis 31. August 1958 und die Rückzahlung des für diesen Zeitraum bereits geleisteten Betrages von 41 570,75 DM. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen beschloß am 22. Oktober 1963, das Verwaltungsstreitverfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob Art. 3 des 3. ÄndGMFG vom 27. Juli 1961 (BGBl. I S. 1104) insoweit verfassungswidrig sei, als das Gesetz sich rückwirkende Kraft ab 1. Juli 1957 beilege und die Verordnung M Nr. 2/57 über Milchauszahlungspreise vom 24. Juli 1957 mit Wirkung vom 1. Juli 1957 für geltend erkläre. Das Gericht ist der Auffassung, daß die Verordnung M Nr. 2/57 von Anfang an nichtig gewesen sei, und zwar schon deshalb, weil sie den Rahmen der Ermächtigung in § 20 Abs. 1 MFG in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) überschritten habe; § 20 Abs. 1 MFG ermächtige nicht zu Maßnahmen zum Zwecke des Preisausgleichs. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob § 20 Abs. 1 Nr. 2 MFG den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genüge. Für die Entscheidung des vorliegenden Verwaltungsrechtsstreites komme es allein auf die Frage an, ob die Regelungen der Verordnung M Nr. 2/57 durch Art. 3 des 3. ÄndGMFG rückwirkend zum 1. Juli 1957 in Kraft gesetzt worden seien. Sei dies der Fall, müsse die Klage abgewiesen werden; andernfalls sei ihr stattzugeben. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hält Art. 3 des 3. ÄndGMFG für verfassungswidrig, weil die dort angeordnete Rückwirkung gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße. Die betroffenen Unternehmer hätten nicht damit rechnen müssen, daß der Gesetzgeber die nichtige Verordnung M Nr. 2/57 rückwirkend in Kraft setzen werde.

2. Im Verfahren des Verwaltungsgerichts Düsseldorf – 3 K 31/64 – (2 BvL 20/64) begehrt die Klägerin die Aufhebung von mehreren Bescheiden, mit denen das Landesamt für Ernährungswirtschaft Nordrhein-Westfalen von ihr für die Zeit vom 1. Juli 1957 bis 30. September 1963 Umsatzsteuerersparnisbeträge in Höhe von insgesamt 1 714 599,84 DM angefordert hat.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf beschloß am 19. Juni 1964, das Verwaltungsstreitverfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob Art. 3 Abs. 1 des 3. ÄndGMFG vom 27. Juli 1961, soweit dadurch dem Gesetz rückwirkende Kraft ab 1. Juli 1957 beigelegt werde, und Art. 3 Abs. 2 des 3. ÄndGMFG verfassungswidrig seien. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hält Art. 3 des 3. ÄndGMFG im wesentlichen aus den gleichen Gründen wie das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen für entscheidungserheblich und vertritt ebenfalls die Auffassung, daß diese Vorschrift verfassungswidrig sei. Art. 3 Abs. 1 des 3. ÄndGMFG habe zwar auch die neugeschaffene Ermächtigungsnorm des § 20a MFG rückwirkend zum 1. Juli 1957 in Kraft gesetzt; doch könne eine unwirksame Verordnung nicht durch Nachschieben einer rechtlich einwandfreien Ermächtigung rückwirkend Gültigkeit erlangen. Die Regelung in Art. 3 Abs. 2 des 3. ÄndGMFG könne nur bedeuten, daß der Gesetzgeber die Verordnung M Nr. 2/57 ausdrücklich in seinen Willen aufgenommen habe. Es sei aber unklar geblieben, welcher Rechtscharakter – Gesetz oder Rechtsverordnung – den Bestimmungen der Verordnung M Nr. 2/57 durch Art. 3 Abs. 2 des 3. ÄndGMFG zukommen solle. Mißverständliche, irreführende oder in sich widerspruchsvolle Normen widersprächen den Grundsätzen des Rechtsstaates und seien deshalb nichtig. Durch Art. 3 Abs. 2 des 3. ÄndGMFG sei die Verordnung M Nr. 2/57 auch deshalb nicht wirksam im Gesetzesrang neu erlassen worden, weil die Verordnung M Nr. 2/57 nicht im Bundesgesetzblatt, sondern nur im Bundesanzeiger veröffentlicht worden sei. Die Verweisung auf eine Verkündung im Bundesanzeiger sei keine ordnungsgemäße Verkündung gemäß Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG. Auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf verstößt die Rückwirkungsregelung in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG schließlich gegen das Rechtsstaatsprinzip; eine belastende Regelung könne für die Betroffenen nur ex nunc wirken.

3. In einem weiteren Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf – 3 K 2109/63 – (2 BvL 22/64) begehrt die Klägerin die Aufhebung eines Bescheides, mit dem ihr das Landesamt für Ernährungswirtschaft Nordrhein-Westfalen für die Zeit vom 1. Dezember 1961 bis 30. November 1962 die Abführung eines Umsatzsteuerersparnisbetrages in Höhe von 7 581,32 DM auferlegt hat.

Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 19. Juni 1964 entspricht dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluß desselben Gerichts in der Sache 3 K 31/64 (2 BvL 20/64).

III.

1. Namens der Bundesregierung hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den Vorlagebeschlüssen Stellung genommen. Er vertritt die Auffassung, für die Heranziehung der Beteiligten der Ausgangsverfahren zur Abführung von Umsatzsteuerersparnisbeträgen habe sowohl vor wie nach dem Erlaß des Dritten Gesetzes zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes vom 27. Juli 1961 (BGBl. I S. 1104) eine ausreichende Rechtsgrundlage bestanden.

a) Die Ermächtigung in § 20 Abs. 1 Ziff. 2 MFG in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) genüge den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Verordnung M Nr. 2/57 habe sich auch im Rahmen dieser Ermächtigung gehalten. Diese Verordnung habe keine Ausgleichsregelung im Sinne von § 12 MFG treffen wollen, sondern sie habe lediglich der Aufrechterhaltung des Preisstandes und einer gesunden Relation der Preise gedient. Während § 12 MFG einen Verwertungsausgleich zwischen Trinkmilch und Werkmilch erstrebe, bezwecke die Verordnung M Nr. 2/57 ausschließlich die Anhebung der Auszahlungspreise für Werkmilch.

Auf die Frage der rückwirkenden Inkraftsetzung des § 20a MFG durch Art. 3 Abs. 1 des 3. ÄndGMFG komme es nicht an, da die Verordnung M Nr. 2/57 ohnehin nicht rückwirkend auf § 20a MFG in der Fassung des 3. ÄndGMFG gestützt werden sollte.

c) Durch Art. 3 Abs. 2 des 3. ÄndGMFG sei die Verordnung M Nr. 2/57 mit Wirkung vom 1. Juli 1957 in Gesetzesrang erhoben worden. Einer neuen Verkündung der Vorschriften der Verordnung M Nr. 2/57 im Bundesgesetzblatt habe es nicht bedurft. Nehme ein Gesetz auf andere Rechtsvorschriften Bezug, die es sich zu eigen mache, so genüge es, wenn die in Bezug genommenen Normen ihrerseits ihrer Natur entsprechend ordnungsgemäß verkündet worden seien; der Bürger habe dann die Möglichkeit, von dem gesamten Gesetz in den allgemein zugänglichen Publikationsorganen Kenntnis zu nehmen. Die Rückwirkungsregelung in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG sei nicht zu beanstanden. Die zweifelhaft gewordene Rechtslage sei in verfassungsrechtlich zulässiger Weise dadurch geklärt worden, daß die Verordnung M Nr. 2/57 vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an zum Gesetz erklärt worden sei. Wegen der praktisch gleichzeitigen Verkündung der äußerlich zwar getrennten, aber sachlich aufeinander abgestimmten Regelungen über die Umsatzsteuerbefreiung einerseits und die Verwendung der ersparten Beträge andererseits hätten die betroffenen Unternehmer nie darauf vertrauen können, daß sie über die ersparten Umsatzsteuerbeträge frei verfügen dürften. Bei der Beschlußfassung über die Umsatzsteuerbefreiung durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes sei in öffentlicher Sitzung des Bundestages ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß die Umsatzsteuerersparnisbeträge den Milcherzeugern zugute kommen sollten (Zweiter Deutscher Bundestag, 127. Sitzung vom 3. Februar 1956, Sitzungsbericht S. 6642).

2. Die Kläger der Ausgangsverfahren unterstützen die Auffassung der vorlegenden Gerichte. Ergänzend führen sie noch aus:

a) Die Ermächtigungsnorm des § 20 Abs. 1 Ziff. 2 MFG in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) verstoße gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie enthalte kein erkennbar abgegrenztes Programm.

b) Die Verordnung M Nr. 2/57 könne nicht bereits seit 1957 als auf Grund des 3. Änderungsgesetzes zum Milch- und Fettgesetz erlassen gelten, weil sie weder Art. 3 des 3. ÄndGMFG noch § 20a MFG in der Fassung des 3. ÄndGMFG als Ermächtigung anführe und somit gegen das Zitiergebot gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG verstoße.

c) Durch bloße Bezugnahme könne ein Gesetz eine andere Norm ohne erneute Verkündung jedenfalls dann nicht in Kraft setzen, wenn die in Bezug genommene Norm niemals rechtswirksam gewesen sei.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Äußerung gemäß § 82 Abs. 4 BVerfGG mitgeteilt, daß es in einem Urteil vom 11. Dezember 1964 – BVerwG VII C 136/61 – die Gültigkeit der Verordnung M Nr. 2/57 bejaht habe; die Verordnung habe sich im Rahmen der gültigen Ermächtigung des § 20 Abs. 1 Ziff. 2 MFG in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) gehalten.

 

Entscheidungsgründe

B. – I.

Die Vorlagen sind zulässig.

1. Aus der Begründung des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen kann durch Auslegung entnommen werden, von der Gültigkeit welcher Normen nach der Auffassung des Gerichts die Entscheidung abhängt und mit welchen Vorschriften des Grundgesetzes es diese Normen für nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 BVerfGG).

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, daß die Verordnung M Nr. 2/57 ohne Art. 3 des 3. ÄndGMFG rechtsunwirksam wäre, da ihre Bestimmungen den Rahmen der Ermächtigungsnorm des § 20 Abs. 1 Ziff. 2 MFG überschritten. Der Vorlagebeschluß läßt dabei die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 1 Ziff. 2 MFG als entscheidungsunerheblich dahingestellt. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung genügt hierzu die Feststellung, daß diese vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vertretene Rechtsauffassung nicht offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 13, 31 [35]).

Der Zulässigkeit der Vorlage des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen steht nicht entgegen, daß sich aus dem Wortlaut des Vorlagebeschlusses nicht zweifelsfrei ergibt, auf welche gesetzliche Einzelregelung des Art. 3 des 3. ÄndGMFG das Gericht seine Entscheidung stützen will. Denn der Vorlagebeschluß läßt sich dahin auslegen, daß es für die Entscheidung des Gerichts lediglich auf die Gültigkeit von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG ankommt. Diese Bestimmung enthielt die maßgebliche Sonderregelung für die entscheidungserhebliche Verordnung M Nr. 2/57 über Milchauszahlungspreise vom 24. Juli 1957. Erweist sie sich als gültig, so will das Gericht die Klage abweisen, da die Heranziehung der Klägerin zur Abführung von Umsatzsteuerersparnisbeträgen in diesem Falle rechtmäßig war. Ist die Vorschrift jedoch ungültig, dann beabsichtigt es, der Klage stattzugeben.

2. Auch die Vorlagen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf entsprechen den gesetzlichen Erfordernissen.

Im Wege der Auslegung der im wesentlichen gleichlautenden Vorlagebeschlüsse läßt sich eindeutig ermitteln, welche Norm das Gericht für entscheidungserheblich ansieht und mit welchen Vorschriften des Grundgesetzes es sie für unvereinbar hält.

Das Verwaltungsgericht geht zwar im Tenor der Vorlagebeschlüsse davon aus, daß eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt werden soll, ob Art. 3 Abs. 1 des 3. ÄndGMFG, soweit dem Gesetz rückwirkende Kraft vom 1. Juli 1957 an beigelegt wird, und Art. 3 Abs. 2 des 3. ÄndGMFG verfassungswidrig sind. Die Begründung der Beschlüsse läßt jedoch erkennen, daß auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf lediglich Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG für entscheidungserheblich hält. Es ist deshalb davon auszugehen, daß entgegen der ungenauen Fassung des Tenors der Vorlagebeschlüsse lediglich Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterbreitet werden soll.

II.

Die drei Verfahren sind zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden, weil sie dieselbe Rechtsfrage zum Gegenstand haben.

C.

Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG war mit dem Grundgesetz vereinbar.

I.

1. Art. 3 des 3. ÄndGMFG enthält rückwirkende Regelungen sowohl in Absatz 1 als auch in Absatz 2 Satz 1.

a) Art. 3 Abs. 1 des 3. ÄndGMFG ordnet die rückwirkende Geltung für alle Bestimmungen des Gesetzes zum 1. Juli 1957 an und nimmt davon nur die im vorliegenden Verfahren unerhebliche Vorschrift in Art. 1 Nr. 1 aus. Diese Rückwirkungsregelung erfaßt demnach auch Art. 1 Nr. 2 des 3. ÄndGMFG, der § 20a als neue Ermächtigung zur Erhebung von Umsatzsteuerersparnisbeträgen in das Milch- und Fettgesetz einfügt.

b) Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG bestimmt, daß die Verordnung M Nr. 2/57 – mit Ausnahme des hier nicht erheblichen § 8 – mit Wirkung vom 1. Juli 1957 an gelten soll.

2. Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung ist nicht die Frage, ob die rückwirkende Inkraftsetzung des § 20a MFG durch Art. 3 Abs. 1 des 3. ÄndGMFG verfassungsmäßig war oder nicht; denn die Verordnung M Nr. 2/57 ist nicht nachträglich auf § 20a MFG gestützt worden.

Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

a) Durch die Rückwirkungsanordnung in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG brachte der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß er einen selbständigen gesetzlichen Geltungsgrund für die in ihrer Gültigkeit angezweifelte Verordnung M Nr. 2/57 schaffen wollte, und daß die rückwirkende Inkrafttretung von § 20a MFG durch Art. 3 Abs. 1 des 3. ÄndGMFG nicht dazu dienen sollte, der Verordnung M Nr. 2/57 nachträglich zu einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung zu verhelfen.

b) Art. 3 Abs. 2 Satz 4 des 3. ÄndGMFG, der bestimmt, daß die Verordnung M Nr. 2/57 erst mit dem Inkrafttreten einer auf § 20a MFG gestützten Rechtsverordnung außer Kraft treten soll, geht ersichtlich davon aus, daß die Verordnung M Nr. 2/57 selbst nicht als auf § 20a MFG gestützt gelten sollte.

c) Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte des Art. 3 des 3. ÄndGMFG bestätigt. Während der Gesetzesentwurf der CDU-CSU-Fraktion vom 2. Mai 1961 (BT-Drucks. III/Nr. 2717) in Art. 2 Abs. 1 den Wortlaut vorsah:

“Die Verordnung M Nr. 2/57 über Milchauszahlungspreise vom 24. Juli 1957 (Bundesanzeiger Nr. 142 vom 27. Juli 1957) gilt, mit Ausnahme von § 8, als mit Wirkung vom 1. Juli 1957 auf Grund des § 20a des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung dieses Gesetzes erlassen”,

ist dies in der endgültigen Fassung des Art. 3 Abs. 2 des 3. ÄndGMFG bewußt geändert (vgl. die Erörterungen im Rechtsausschuß des Bundestages, 3. Wahlperiode, Protokoll der 155. Sitzung am 15.6.1961 S. 15; siehe auch BT-Drucks. III/Nr. 2827).

II.

Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung ist allein die Rückwirkungsregelung in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG. Diese Bestimmung hat nicht nur deklaratorische Bedeutung. Denn die Verordnung M Nr. 2/57 vom 24. Juli 1957 war von Anfang an rechtsunwirksam. Ihre Regelungen wurden erst durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG gültiges Recht.

Die Verordnung M Nr. 2/57 vom 24. Juli 1957 stützte sich auf die Ermächtigung in § 20 Abs. 1 MFG in der Fassung vom 10. Dezember 1952. Es kann dahingestellt bleiben, ob bereits diese Ermächtigungsnorm wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nichtig war. Denn die Verordnung M Nr. 2/57 war jedenfalls deshalb nichtig, weil sie den Rahmen der Ermächtigung, auf die sie sich beruft, überschritt. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

1. Preisregelungen im Sinne von § 20 MFG können sich nur auf die Erzeugnisse beziehen, die in § 20 Abs. 1 Nr. 1 MFG ausdrücklich genannt sind.

a) § 20 Abs. 1 Nr. 2 MFG enthält zwar keine ausdrückliche Bestimmung darüber, auf welche Erzeugnisse sich die Rechtsverordnungen zur Sicherung des Preisstandes erstrecken sollen. Aus dem Zusammenhang mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 MFG folgt aber, daß § 20 Abs. 1 Nr. 2 MFG sich nur auf dieselben Erzeugnisse bezieht wie § 20 Abs. 1 Nr. 1 MFG. Hätte der Gesetzgeber den Kreis der Erzeugnisse, der von § 20 Abs. 1 Nr. 2 MFG erfaßt wird, gegenüber § 20 Abs. 1 Nr. 1 MFG erweitern wollen, so hätte dies einer ausdrücklichen Erwähnung bedurft.

b) § 4 MFG erklärt in Absatz 1 für das Milch- und Fettgesetz die Begriffsbestimmungen der §§ 1 und 2 der Ersten Verordnung zur Ausführung des Milchgesetzes vom 15. Mai 1931 (RGBl. I S. 150) für maßgebend, soweit sich nicht aus Absatz 2 ein anderes ergibt. Der Absatz 2 des § 4 definiert jedoch lediglich den Begriff der Milcherzeugnisse im Sinne des ersten Teils des Gesetzes. Die Vorschrift des § 20 MFG mit der Überschrift: “Preisregelung” steht aber im dritten Teil des Gesetzes. Wenn somit § 20 Abs. 1 MFG bestimmt, daß der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Preise für Milch, Butter, Schmalz, sonstige Speisefette und -öle, inländische Ölsaaten und Ölfrüchte, pflanzliche und tierische Fette und Öle, soweit sie für die Herstellung von Nahrungs- und Genußmitteln bestimmt sind, regeln kann, so ergibt sich daraus nach der Begriffsbestimmung des § 4 MFG, daß die in § 20 Abs. 1 Nr. 1 nicht aufgeführten Milcherzeugnisse im Sinne des § 2 der Ersten Verordnung zur Ausführung des Milchgesetzes nicht Regelungen auf Grund der Ermächtigung des § 20 Abs. 1 Nr. 2 MFG unterliegen. Die Verordnung M Nr. 2/57 konnte also keine Preisregelungen für die in der Verordnung aufgezählten Milcherzeugnisse (mit Ausnahme der Butter) treffen. § 7 der Verordnung zählte als Milcherzeugnisse im Sinne der Verordnung sämtliche Erzeugnisse auf, die in § 2 der Ersten Verordnung zur Ausführung des Milchgesetzes aufgeführt sind und zusätzlich noch eine Reihe weiterer Milcherzeugnisse. Die Auferlegung einer Abgabeverpflichtung für diese Erzeugnisse überschreitet also den Rahmen der Ermächtigung in § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 MFG.

2. § 20 Abs. 1 Nr. 2 MFG kann nach seinem Sinn und Zweck nicht zu marktordnenden Ausgleichsmaßnahmen, sondern lediglich zu Preislenkungsmaßnahmen ermächtigen. Die Verordnung M Nr. 2/57 zielt aber unmittelbar auf einen Preisausgleich hin, wobei eine Preisbeeinflussung nur als Nebenwirkung eintreten kann. Im Ermächtigungssystem des Milch- und Fettgesetzes ist § 20 unmittelbar preisorientiert, während den §§ 12, 16 und 22 MFG primär Marktausgleichsfunktionen zukommen.

III.

Durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG sollte für die bis dahin nichtigen Regelungen der Verordnung M Nr. 2/57 mit Wirkung vom 1. Juli 1957 ein neuer selbständiger Geltungsgrund geschaffen werden.

1. Das konnte nicht durch eine Regelung geschehen, nach der die Verordnung M Nr. 2/57 als Rechtsverordnung weitergelten und der Hinweis in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG lediglich einen Ermächtigungsmangel für die Vergangenheit und die Zukunft durch eine gesetzliche “Zustimmung” (in Form einer “Genehmigung”) heilen sollte.

Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, daß der Gesetzgeber die staatlicher Eingriffsmöglichkeit offenliegende Rechtssphäre selbst abgrenzt und dies nicht dem Ermessen der Exekutive überläßt (BVerfGE 8, 71 [76]). Es fordert, daß die Exekutive als Verordnunggeber in den Rechtskreis des einzelnen Bürgers durch Erlaß von Rechtsvorschriften nur eingreifen darf, wenn sie dazu in einem Gesetz ermächtigt ist und wenn diese Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß so hinreichend bestimmt und begrenzt ist, daß die möglichen Eingriffe für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden (BVerfGE 9, 137 [147] unter Hinweis auf BVerfGE 8, 274 [325]). An der Voraussehbarkeit des Inhalts von Rechtsverordnungen würde es jedoch fehlen, wenn eine Rechtsverordnung zunächst ohne gesetzliche Ermächtigung erlassen würde und der Gesetzgeber eine derartige Rechtsverordnung mit rückwirkender Kraft nachträglich genehmigen könnte.

2. Der Gesetzgeber konnte auch nicht die Regelungen der Verordnung M Nr. 2/57 im Range einer Rechtsverordnung selbst neu erlassen. Der Erlaß von Rechtsverordnungen, also von Normen mit Rang unterhalb des Gesetzes, gehört zum Aufgaben- und Kompetenzenbereich der Exekutive. Die vom Gesetzgeber erlassenen Normen sind Gesetze. Es ist ihm verwehrt, Verordnungen zu erlassen. Der Gesetzesgeber kann nicht außerhalb seiner verfassungsrechtlichen Aufgaben tätig werden.

3. a) Durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG hat der Gesetzgeber die Regelungen der Verordnung M Nr. 2/57 in Gesetzesrang erhoben und in diesem Range mit rückwirkender Kraft neu erlassen. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestehen nicht. Dem Gesetzgeber kann nicht verwehrt sein, eine zunächst dem Verordnunggeber überlassene Regelungsbefugnis wieder für sich in Anspruch zu nehmen und eine bereits vorliegende Rechtsverordnung durch Bezugnahme auf ihren Inhalt nunmehr als Gesetz zu erlassen.

b) Dem steht nicht entgegen, daß die von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG in Bezug genommenen Regelungen der Verordnung M Nr. 2/57 nicht im Bundesgesetzblatt, sondern nur im Bundesanzeiger verkündet worden sind. Damit ist Art. 82 Abs. 1 GG genügt.

Es ist grundsätzlich zulässig, daß ein Gesetz die gesetzlichen Tatbestände nicht selbst festlegt, sondern auf andere Normen verweist. Um der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit zu genügen, muß ein solches Gesetz allerdings für den Rechtsunterworfenen klar erkennen lassen, welche Vorschriften im einzelnen gelten sollen (BVerfGE 5, 25 [31]). Ist dies – wie hier – der Fall, dann ist dem Verkündungserfordernis gemäß Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG jedenfalls dann genügt, wenn die in Bezug genommenen Regelungen im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger verkündet worden sind (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 30. Januar 1950 – BGBl. S. 23 –). Dies gilt auch bei der Bezugnahme auf in ihrer Gültigkeit zweifelhafte Regelungen (vgl. BVerfGE 8, 274 [305 f.]; 11, 203 [217 f.]).

IV.

Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG enthielt eine echte Rückwirkungsanordnung, denn die Bestimmung sollte nicht nur für die Zukunft gelten, sondern auch mit Wirkung vom 1. Juli 1957 eine rechtsunwirksame Rechtsverordnung ersetzen. Diese Rückwirkungsanordnung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zwar sind Gesetze, die rückwirkend eine öffentliche Leistungspflicht auferlegen, grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE u. a. 7, 89 [92]; 7, 129 [151 f.]; 8, 274 [303 f.]; 11, 64 [72 f.]; 13, 206 [212 f.]; 13, 215 [223 f.]; 13, 261 [271]; 18, 429 [439]). Der Bürger darf dem ordnungsgemäß gesetzten Recht Vertrauen entgegenbringen; es muß ihm möglich sein, auf längere Zeit zu planen und zu disponieren. Von diesem Grundsatz, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, zu dessen Elementen vor allem die materiale Gerechtigkeit und die Rechtssicherheit gehören, gibt es jedoch Ausnahmen. Der durch das Rechtsstaatsprinzip im Interesse der Rechtssicherheit gewährleistete Vertrauensschutz kommt vor allem dort nicht in Frage, wo es kein Vertrauen geben kann oder wo es sachlich nicht schutzwürdig wäre. Das Vertrauen ist sicher dann nicht schutzwürdig, wenn der Bürger in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit dieser Regelung rechnen mußte (vgl. BVerfGE 1, 264 [280]; 8, 274 [304]). So liegt es hier.

1. Die betroffenen Unternehmen mußten nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der beanstandeten Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wurde, mit der in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des 3. ÄndGMFG in Bezug genommenen Regelung rechnen. Denn schon aus dem Gesetzgebungsverfahren, das zu der durch das 6. Gesetz zur Änderung des Umsatzsteueränderungsgesetzes eingeführten Umsatzsteuerbefreiung führte, ergab sich, daß die ersparten Umsatzsteuerbeträge nur den Erzeugern von Werkmilch zugute kommen sollten (vgl. Zweiter Deutscher Bundestag, 127. Sitzung vom 3. Februar 1956, Sitzungsbericht S. 6641 f.). Mit einem Umsatzsteuerprivileg konnten also die hier betroffenen Unternehmen von Anfang an nicht rechnen. Sie mußten vielmehr der gleichzeitig mit der Umsatzsteuerbefreiung am 1. Februar 1956 verkündeten Verordnung M Nr. 1/56 und der sie später ablösenden Verordnung M Nr. 2/57 entnehmen, daß sie selbst niemals frei über die ersparten Umsatzsteuerbeträge würden verfügen können. Dies gilt umsomehr, als die Vorschriften der beiden Verordnungen keine zusätzliche Belastung mit sich brachten, sondern nur eine Umgestaltung schon bestehender Verpflichtungen zum Inhalt hatten.

2. Bei dieser Sachlage können sich die Betroffenen also keineswegs darauf berufen, auf die Ungültigkeit der Verordnung M Nr. 2/57 vertraut zu haben. Ein solches Vertrauen auf die wirkliche Rechtslage, also auf die Ungültigkeit der fraglich gewordenen Norm, kann schon durch den Rechtsschein der Gültigkeit, den die noch nicht ausdrücklich aufgehobene Norm erzeugt, ausgeschlossen werden; dies vor allem dann, wenn – wie hier – die angegriffene Regelung an sich sachgerecht erscheint und ihr lediglich Bedenken formeller Art entgegenstehen. In solchen Fällen entbindet die im Zeitpunkt des Planens und Handelns ungewisse, sich erst später als richtig herausstellende Ansicht des Staatsbürgers, die in Betracht kommende Norm sei ungültig, ihn nicht davon, die immerhin mögliche Gültigkeit der gegen ihn angewandten Norm entsprechend zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber kann insoweit nicht gehindert sein, den formellen Fehler zu berichtigen und die in ihrer Gültigkeit umstrittene Bestimmung, auch mit Wirkung für denjenigen, der sie anficht, rückwirkend durch eine gültige Norm gleichen Inhalts zu ersetzen.

3. Die Anordnung der Rückwirkung war auch von der Sache her geboten. Nachdem ernste Zweifel an der Verordnung M Nr. 2/57 geltend gemacht worden waren, die Zahlungspflicht von zahlreichen Betroffenen bestritten blieb, Zahlungen teils verweigert und teils nur unter Vorbehalt geleistet wurden und mehrere verwaltungsgerichtliche Verfahren über die Streitfragen anhängig geworden waren, bedurften auch die vergangenen Lebensverhältnisse einer gesetzlichen Regelung (vgl. BVerfGE 7, 89 [94]). Sie war im Interesse des gemeinen Wohls dringend geboten, weil hohe Summen von Ersparnisbeträgen in Frage standen und die geplante Unterstützung der Werkmilcherzeuger jedenfalls für die Vergangenheit gefährdet war.

Diese Entscheidung ist mit 5 gegen 2 Stimmen getroffen worden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1711971

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