Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

 

Gründe

Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob die bundesgesetzlichen Regelungen des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts der Ausländer gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 GG dem Erlass landesgesetzlicher Bestimmungen über die Unterbringung geduldeter Ausländer in Gemeinschaftsunterkünften entgegenstehen.

I.

1. Das bayerische Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Aufnahmegesetz – AufnG) vom 24. Mai 2002 (GVBl S. 192) trifft Bestimmungen über die Aufnahme, Unterbringung und landesinterne Verteilung von Ausländern, die leistungsberechtigt nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung sind (Art. 1 AufnG). Gemäß Art. 4 Abs. 1 AufnG sollen die Personen im Sinne von Art. 1 in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Im Aufnahmegesetz nicht geregelte Einzelheiten werden durch Rechtsverordnung der Staatsregierung bestimmt (Art. 5 Abs. 2 AufnG). Dies ist in der Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Aufnahmegesetzes (Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl) vom 4. Juni 2002 (GVBl S. 218), zuletzt geändert durch Verordnung vom 13. April 2004 (GVBl S. 126), geschehen. Zu dem vom Aufnahmegesetz erfassten Personenkreis gehören nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes auch Inhaber einer Duldung nach § 55 des Ausländergesetzes (nunmehr § 60a des Aufenthaltsgesetzes).

2. Der Kläger des Ausgangsverfahrens, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste Anfang 2001 in das Bundesgebiet ein, ohne im Besitz von Personaldokumenten zu sein. Sein Asylantrag wurde unter Androhung der Abschiebung in den Iran bestandskräftig abgelehnt. Die Ausreisepflicht konnte bislang nicht durchgesetzt werden, weil die iranische Botschaft dem Kläger weder ein Reisedokument noch ein Passersatzpapier ausstellt. Der Beklagte – der Freistaat Bayern – hält dem Kläger vor, er habe insbesondere die Nummer seiner Staatsangehörigkeitsurkunde, die jeder iranische Staatsangehörige aufgrund ihrer Bedeutung im Umgang mit den dortigen Behörden auswendig kenne, nicht angegeben; der Kläger bestreitet den Vorwurf, er sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die Ausländerbehörde erteilte ihm eine Duldung mit der Nebenbestimmung: “Wohnsitznahme nur im Stadtgebiet München gestattet”.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2003 wies die Regierung von Oberbayern den Kläger im Rahmen der innerbayerischen Umverteilung gemäß Art. 1 und Art. 5 Abs. 2 AufnG dem Landkreis Traunstein zu und verfügte seine Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft in Engelsberg. Dieser Bescheid ist Gegenstand der Klage im Ausgangsverfahren.

Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes äußerte das Verwaltungsgericht unter anderem erhebliche Bedenken hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Bayern für die Regelung in Art. 4 Abs. 1 AufnG, soweit die Unterbringung ausreisepflichtiger geduldeter Ausländer in einer Gemeinschaftsunterkunft im Regelfall angeordnet werde, und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage an. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof änderte diese Entscheidung mit Beschluss vom 9. August 2004 – 21 CS 04.1328 – (unveröffentlicht) und wies die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von Art. 4 Abs. 1 AufnG zurück, da die Gesamtschau der maßgeblichen Vorschriften des Bundesrechts erkennen lasse, dass die landesinterne Verteilung von Asylbewerbern und von geduldeten ehemaligen Asylbewerbern der Regelungskompetenz der Länder unterliegen solle.

3. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren in der Hauptsache gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt. Die angefochtene Zuweisungsentscheidung finde ihre Rechtsgrundlage in Art. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 AufnG in Verbindung mit der Asyldurchführungsverordnung. Ob die Klage Erfolg habe, hänge ausschließlich von der Gültigkeit der Befugnisnorm des Art. 4 Abs. 1 AufnG ab.

Diese Vorschrift verstoße gegen Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 GG. Sie sei § 53 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nachgebildet und regele materielles Ausländerrecht. Der Landesgesetzgeber sei offenbar davon ausgegangen, dass Art. 4 AufnG eine asylbewerberleistungsrechtliche und damit sozialhilferechtliche Regelung darstelle, während die Gesetzesmaterialien Motive rein ausländerrechtlicher Art auswiesen. Regelungen über die Verteilung und Unterbringung von Ausländern gehörten nicht zum Vollzug des Asylbewerberleistungsgesetzes, sondern zum Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer und damit gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Der Bund habe mit dem Erlass des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990, das mit Wirkung vom 1. Januar 2005 durch das Aufenthaltsgesetz abgelöst worden sei, von der Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Die Rechtsverhältnisse ausreisepflichtiger und geduldeter Ausländer habe der Bundesgesetzgeber unter der Überschrift “Durchsetzung der Ausreisepflicht” geregelt (§§ 49 ff. AuslG; §§ 57 ff. AufenthG). Im vorliegenden Zusammenhang seien die §§ 55, 56 AuslG (§§ 60a, 61 AufenthG) einschlägig. § 56 Abs. 3 AuslG (entsprechend im Wesentlichen § 61 Abs. 1 AufenthG) bestimme, dass die Duldung räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt sei, weitere Bedingungen und Auflagen jedoch angeordnet werden könnten. Damit bestehe für die zuständige Ausländerbehörde eine bundesgesetzliche Befugnisnorm, die zum Erlass einer Auflage nach Ermessensausübung ermächtige, wonach ein ausreisepflichtiger Ausländer seinen Wohnsitz in einer näher bezeichneten Gemeinschaftsunterkunft zu nehmen habe.

Das bundesrechtlich geregelte Ausländerrecht enthalte keinen Vorbehalt zu Gunsten der Landesgesetzgebung. Eine Regelungslücke, die es den Ländern ermöglichte, gesetzliche Vorschriften zur Durchsetzung der Ausreisepflicht zu regeln, könne im System des Ausländerrechts nicht erkannt werden. Die Gesamtwürdigung des hier maßgeblichen Normenkomplexes (Durchsetzung der Ausreisepflicht) zeige, dass der Bundesgesetzgeber insoweit eine erschöpfende kodifikatorische Regelung getroffen habe.

Eine landesgesetzliche Kompetenz zum Erlass des Art. 4 AufnG ergebe sich entgegen der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geäußerten Auffassung nicht bereits daraus, dass die Frage der landesinternen Verteilung von Ausländern Gegenstand der Landesgesetzgebung sei. Die dafür herangezogenen Bestimmungen befassten sich nicht mit der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft, sondern mit der Frage, welcher Ausländerbehörde der Ausländer landesintern zugewiesen werde, in deren Bezirk er dann seine Wohnung zu nehmen habe. Die Frage, ob der Ausländer verpflichtet werde, in einer Unterkunft den Wohnsitz zu nehmen, entscheide die Ausländerbehörde hingegen ausschließlich auf Grund abschließender bundesrechtlicher Befugnisnormen (§ 60 AsylVfG; § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG; § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Es bestehe kein Bedürfnis für eine landesrechtliche Norm, da die Ausländerbehörde kraft ihrer bundesrechtlich begründeten Zuständigkeit die Unterbringung des Klägers in einer Gemeinschaftsunterkunft verfügen könne. Dass diese Entscheidung auf Grund einer Einzelfallprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen und nicht – generell festgelegt – im Regelfall zu treffen sei, eröffne keine vom Landesgesetzgeber zu füllende Lücke. Denn dem Land sei es unbenommen, den Ausländerbehörden ermessenslenkende Richtlinien für die Unterbringung ausreisepflichtiger Ausländer in bestimmten Einrichtungen an die Hand zu geben. Dabei sei seit langem anerkannt, dass die Ausländerbehörde durch Nebenbestimmungen zur Duldung den Aufenthalt des Ausländers so ausgestalten könne, dass eine seine spätere Entfernung aus dem Bundesgebiet hindernde Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse vermieden und der mit der weiteren Anwesenheit verbundene Aufwand an öffentlichen Mitteln möglichst gering gehalten werde.

II.

Die Vorlage ist unzulässig.

1. Ein konkretes Normenkontrollverfahren ist nur zulässig, wenn es zur Entscheidung eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens unerlässlich ist (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪76 f.≫). Das vorlegende Gericht muss sich zur Begründung seiner Überzeugung mit allen nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten befassen, gegebenenfalls die Erwägungen des Gesetzgebers berücksichtigen und sich mit in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen auseinander setzen (vgl. BVerfGE 76, 100 ≪104≫; 79, 240 ≪243 f.≫; 86, 71 ≪77 f.≫; 92, 277 ≪312≫; 105, 48 ≪56≫). Die Begründung muss zudem schlüssig sein (BVerfGE 80, 59 ≪67≫).

2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage nicht. Das Verwaltungsgericht befasst sich nicht mit nahe liegenden Erwägungen, die gegen die von ihm angenommene Verfassungswidrigkeit des Art. 4 Abs. 1 AufnG sprechen.

a) Das Verwaltungsgericht verkennt nicht, dass das Aufnahmegesetz nach dem Willen des Gesetzgebers als Regelung zur Ausführung des Asylbewerberleistungsrechts konzipiert und in der Ausformung der Behördenzuständigkeiten und des Verwaltungsverfahrens dem Sozialrecht zugeordnet worden ist. Demgegenüber steht das Verwaltungsgericht auf dem Standpunkt, der Gesetzgeber habe bei diesen Bestimmungen verkannt, dass es sich um den Vollzug materiellen Ausländerrechts handele. Denn die Verteilung und Unterbringung von Ausländern gehöre zur Materie des Ausländerrechts und nicht zum Vollzug des Asylbewerberleistungsgesetzes. Weder die Bestimmung des § 3 AsylbLG, wonach der notwendige Bedarf an Unterkunft durch Sachleistungen gedeckt werde, noch eine andere Vorschrift des Gesetzes enthalte eine (sozialhilferechtliche) Befugnis, die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft gegen den Willen des Betroffenen zu verfügen; § 1a AsylbLG sehe für Fälle, in denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus vom Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden könnten, (lediglich) Leistungseinschränkungen vor. Diese Ausführungen genügen zur Begründung der Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht.

aa) Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Aufnahmegesetz insbesondere das Ziel, alle nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigten Personen zu erfassen. Die Regelunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist wesentlicher Teil des gesetzgeberischen Anliegens, den notwendigen Bedarf an Unterkunft im Sinne von § 3 AsylbLG durch staatlich finanzierte Sachleistungen zu decken (vgl. LTDrucks 14/8632, S. 1, 5 f.; 14/8905 ≪zu Nr. 1≫; Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 14/89 vom 15. Mai 2002, S. 6365 f.). Vor diesem Hintergrund drängt sich die – im Vorlagebeschluss unerörtert gebliebene – Frage auf, ob die in Rede stehende Regelung nicht auf eine möglichst breite und effektive Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes gerichtet ist und als Rechtsgrundlage für leistungsrechtliche Anordnungen, die sich auf den Aufenthalt des Ausländers lediglich (mittelbar) auswirken, nicht zur Materie Ausländerrecht gehört. Bejahendenfalls wäre – über den bloßen und allein nicht tragfähigen Hinweis des Verwaltungsgerichts auf § 1a AsylbLG hinaus – unter Berücksichtigung der sozialhilferechtlichen Zusammenhänge näher zu erörtern, ob das Asylbewerberleistungsgesetz landesrechtliche Bestimmungen wie Art. 4 Abs. 1 AufnG ausschließt. In diesem Zusammenhang könnte sich die weitere Frage stellen, ob und gegegebenenfalls welche Konsequenzen sich für die Beurteilung der Vorlagefrage aus unterschiedlichen Auffassungen in der Frage der Zuordnung des Asylbewerberleistungsgesetzes zum Ausländer- und Asylverfahrensrecht und/oder zum Sozialrecht ergeben könnten.

bb) Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber den Gesetzesmaterialien ein rein ausländerrechtliches Motiv des Gesetzgebers für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften entnimmt, so ist dies offenkundig unrichtig.

Die bayerische Staatsregierung ging vielmehr davon aus, dass ein Bedarf zur Vereinheitlichung der Zuständigkeit für die Unterbringung und soziale Versorgung des Personenkreises der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gegeben sei, die bis dahin bestehende Aufspaltung der Zuständigkeiten zwischen dem Freistaat Bayern und den Bezirken, Landkreisen und kreisfreien Kommunen habe zu Abgrenzungsproblemen und zu einem hohen Vollzugsaufwand geführt; dadurch sei der einheitliche Vollzug des Asylbewerberleistungsgesetzes erschwert worden (vgl. LTDrucks 14/8632, S. 1). Die durch das Aufnahmegesetz eintretende Konzentrierung der Aufgaben- und Ausgabenzuständigkeit beim Land sollte zu einer Entlastung der Landkreise und Kommunen führen, auf die die Bezirke die Aufgabe der Unterbringung und sozialen Versorgung der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, der geduldeten und ausreisepflichtigen sowie der abgelehnten Asylbewerber delegiert hätten (vgl. LTDrucks 14/9433). Die bayerische Staatsministerin Stewens (Sozialministerium) betonte in der parlamentarischen Debatte zum Gesetzentwurf, dass ein grundsätzlich einheitlicher Vollzug entsprechend den bundesgesetzlichen Vorgaben im Asylverfahrensgesetz und im Asylbewerberleistungsgesetz für alle ausländischen Flüchtlinge erreicht werden solle, wozu die einheitliche Versorgung nach dem Sachleistungsprinzip und die regelmäßige Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zähle; das Gesetz sei ein Sozialgesetz, das keine Rechtsgrundlage für Ausreiseeinrichtungen schaffe; soweit die Staatsregierung solche plane, geschehe dies auf der Grundlage des Ausländergesetzes und des Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung (vgl. Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 14/89 vom 15. Mai 2002, S. 6366).

Auch aus den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Passagen der Begründung des Gesetzentwurfs ergibt sich keine, davon abweichende (rein) ausländerrechtliche Zielsetzung. Soweit dort (LTDrucks 14/8632, S. 5) auf die Notwendigkeit einer Rechtsgrundlage zur landesinternen Verteilung und Umverteilung aller nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigten Personen verwiesen wird, geht es erkennbar um eine landesweit ausgewogene Lastenverteilung. Die im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer Verteilung und Umverteilung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 AufnG) gegebene Erläuterung, dass dadurch insbesondere eine der Sicherheitslage unzuträgliche Verteilung von Personengruppen vermieden sowie die beschleunigte Rückführung der betroffenen Personen gefördert werden solle (LTDrucks 14/8632, S. 6), stellt das Grundanliegen des Gesetzes nicht in Frage, sondern ergänzt es um ordnungsrechtliche Aspekte für die Verteilung und Umverteilung und betrifft die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften nicht.

b) Das Verwaltungsgericht hat aber auch von seinem Standpunkt aus, dass Art. 4 Abs. 1 AufnG eine Regelung über die Verteilung und Unterbringung von Ausländern darstellt, die zur Materie des Ausländerrechts gehört, die Vorlage nicht ausreichend begründet.

aa) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in dem erwähnten Beschluss vom 9. August 2004 gestützt auf die Rechtsentwicklung und die Systematik der bundesrechtlichen Bestimmungen ausführlich dargelegt, dass der Bund bezüglich der landesinternen Umverteilung von Asylbewerbern und geduldeten Ausländern keine abschließende Regelung treffen wollte und daher insbesondere mit der vom Verwaltungsgericht in den Mittelpunkt seiner Erwägungen gestellten Vorschrift des § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG (“Weitere Bedingungen und Auflagen können angeordnet werden”) keinen abschließenden Gebrauch von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gemacht hat. Das Verwaltungsgericht hat diesen Ausführungen entgegen gehalten, sie befassten sich nur mit der Verteilung der Ausländer, nicht aber mit der davon zu unterscheidenden Frage der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. Der nahe liegenden Erwägung, dass der Bundesgesetzgeber mit der Verteilung auch die Unterbringung des betroffenen Personenkreises landesrechtlicher Regelung zugänglich halten wollte – davon geht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erkennbar als selbstverständlich aus, und auch das Verwaltungsgericht behandelt beides grundsätzlich als zusammengehörig –, ist das Verwaltungsgericht nicht nachgegangen. Auch wenn mit der regionalen Verteilung und der Unterbringung geduldeter Ausländer in Gemeinschaftsunterkünften nicht dieselben Ziele verfolgt werden, können beide Materien – auch rein ausländerrechtlich betrachtet – doch in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Dies lässt es nicht zu, ohne weitere Erörterung davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber nur einen der beiden Bereiche, nämlich die Unterbringung, abschließend geregelt hat.

bb) Das vorlegende Gericht setzt sich ferner nicht ausreichend damit auseinander, dass die Norm, die seiner Ansicht nach den kodifikatorischen Charakter des Bundesrechts begründet, keine inhaltlichen Bestimmungen trifft. § 56 Abs. 2 AuslG regelt die zeitliche Geltung der Duldung, § 56 Abs. 4 AuslG ihr Erlöschen und § 56 Abs. 5 AuslG ihren Widerruf. § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG beschränkt die Duldung räumlich auf das Gebiet eines Landes, nach Satz 2 können weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden und Satz 3 bestimmt, dass insbesondere das Verbot oder Beschränkungen der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit angeordnet werden können. Was durch Bedingungen und Auflagen gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG angeordnet werden kann, ist nicht geregelt. Die Pflichten des Ausländers, in einer bestimmten Gemeinde oder Unterkunft zu wohnen, sind im Gegensatz zum Asylverfahrensgesetz, das in § 60 Abs. 2 diesbezügliche Auflagen im Einzelnen umschreibt und in § 60 Abs. 3 die Behördenzuständigkeit festlegt, im Ausländergesetz nicht normiert. Die inhaltliche Offenheit des § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG erlaubt es der Ausländerbehörde zwar unbestrittenermaßen, durch Nebenbestimmungen zur Duldung den Aufenthalt des Ausländers so zu gestalten, dass eine seine spätere Entfernung aus dem Bundesgebiet hindernde Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse vermieden und der mit der weiteren Anwesenheit verbundene Aufwand an öffentlichen Mitteln möglichst gering gehalten werden kann. Inwiefern indes aus der bundesrechtlich eröffneten Möglichkeit derartiger Nebenbestimmungen folgt, dass den Ländern die Kompetenz zur Regelung dieser Sachfragen verwehrt sein soll, lässt sich dem Vorlagebeschluss nicht entnehmen.

Die Erwägung des Verwaltungsgerichts, das Ausländergesetz behandele in einem Unterabschnitt die Durchsetzung der Ausreisepflicht und sehe insoweit umfassende Befugnisse der Ausländerbehörde vor, genügt insoweit nicht. Vielmehr bedürfte es der Befassung damit, dass es sich bei der Verteilung ebenso wie bei der Unterbringung geduldeter Ausländer um eine Sachaufgabe von einigem Gewicht handelt, die vielfältige, über das Ausländerrecht hinaus gehende und in das Landesrecht übergreifende Fragen aufwirft. Es geht mithin nicht lediglich um die punktuelle Konkretisierung einer Vorschrift des Bundesrechts oder das Schließen einer planwidrigen Lücke, die richterlicher Auslegung oder Rechtsfortbildung vorbehalten sind und keinen Raum für landesrechtliche Normierung eröffnen. Vor diesem Hintergrund muss erörtert werden, ob das Ausländerrecht über die Ermächtigung zum Erlass nicht näher eingegrenzter Nebenbestimmungen sachspezifische Regelungen des Landesrechts ausschließen will, die die ausländerrechtlichen Aspekte in eine Gesamtregelung einbinden, ohne gleichsinnige Maßnahmen der Ausländerbehörden auszuschließen.

cc) Soweit das Verwaltungsgericht ein Bedürfnis für eine landesrechtliche Norm verneint, weil die Ausländerbehörde kraft ihrer bundesrechtlich begründeten Zuständigkeit die Unterbringung des Klägers in einer Gemeinschaftsunterkunft verfügen könne, führt dies über das bereits Gesagte nicht hinaus.

Gleiches gilt für die anschließende Erwägung des Verwaltungsgerichts, eine vom Landesgesetzgeber zu füllende Lücke werde nicht dadurch eröffnet, dass die Entscheidung der Ausländerbehörde auf Grund einer Einzelfallprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen und nicht – generell festgelegt – im Regelfall zu treffen sei; denn dem Land sei es unbenommen, den Ausländerbehörden ermessenslenkende Richtlinien für die Unterbringung ausreisepflichtiger Ausländer in bestimmten Einrichtungen an die Hand zu geben. Für die Frage, ob die Bestimmungen des Ausländerrechts die Länder von der Gesetzgebung ausschließen, kommt es, wie dargelegt, nicht entscheidend auf den Grad der Rechtsbindung der ausländerrechtlichen Vorschriften an, sondern auf die sachliche Reichweite der geregelten Materie.

dd) Das Verwaltungsgericht hat es ferner versäumt, bei der Erörterung der vom Bundesrecht ausgehenden Sperrwirkung gemäß Art. 72 Abs. 1 GG auf die dem Bund bei der Wahrnehmung der Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG durch Art. 72 Abs. 2 GG gesetzten Grenzen einzugehen. Die Soweit-Klausel des Art. 72 Abs. 2 GG verweist den Bund auf den geringst möglichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 ≪149≫. Die Länder können im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung von der Gesetzgebung nur in dem Umfang ausgeschlossen sein, wie das Gesetzgebungsrecht des Bundes reicht. Hält ein Gericht ein Landesgesetz wegen abschließender Regelung der Materie durch den Bund gemäß Art. 72 Abs. 1 GG für verfassungswidrig, muss es sich grundsätzlich auch mit der Reichweite des Gesetzgebungsrechts des Bundes befassen. Es ist nicht ersichtlich, dass hier ausnahmsweise darauf verzichtet werden könnte. Vielmehr wäre gerade vom Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts aus zu prüfen gewesen, ob die von ihm angenommene “Vollregelung” der Unterbringung geduldeter Ausländer durch Bundesrecht mit Art. 72 Abs. 2 GG vereinbar ist.

ee) Einzelne Erwägungen des Verwaltungsgerichts deuten darauf hin, dass es die Bestimmungen des Aufnahmegesetzes und der Asyldurchführungsverordnung deshalb für unvereinbar mit Bundesrecht hält, weil die Zuweisungsentscheidung nicht von der Ausländerbehörde im Wege einer Auflage zur Duldung getroffen wird. Das Verwaltungsgericht hat seine Vorlagefrage indes auf die materiell-rechtliche Bestimmung des Art. 4 Abs. 1 AufnG in seiner Anwendung auf den Personenkreis nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG beschränkt. Daher kann unerörtert bleiben, ob der Vorlagebeschluss – in Konsequenz seines Grundansatzes – hinreichend darlegt, dass die Bestimmungen des Ausländergesetzes über Zuständigkeit und Verwaltungsverfahren die Gestaltung im Aufnahmerecht des Freistaates Bayern ausschließen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Jentsch, Broß, Gerhardt

 

Fundstellen

Haufe-Index 1479225

NVwZ 2006, 447

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