Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Beschluss vom 20.03.1998; Aktenzeichen 2 T 80/98)

AG Stolzenau (Beschluss vom 16.02.1998; Aktenzeichen 7 M 1229/97)

 

Tenor

Die gegen die Beschwerdeführerin gerichtete, auf den Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts Stolzenau vom 3. Juni 1997 – 4 K 10/94 – gestützte Zwangsvollstreckung auf Räumung und Herausgabe des Einfamilienhauses Diethe-Langern Nr. 5 in Stolzenau wird einstweilen für die Dauer des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens, längstens für die Dauer von sechs Monaten, untersagt.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Räumungsschutz nach § 765a ZPO wegen der Gefahr eines Schlaganfalls und Suizidgefahr. Die 87jährige Beschwerdeführerin greift die den Vollstreckungsschutz versagenden Entscheidungen im wesentlichen mit der Rüge an, daß die Fachgerichte durch die mangelnde Überprüfung ihrer ärztlich attestierten Suizidgefahr und ihres erheblich reduzierten Gesundheitszustandes ihre Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hätten. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde nach den vorgelegten Unterlagen weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens hängt die Entscheidung darüber, ob eine einstweilige Anordnung ergeht oder nicht, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von einer Folgenabwägung ab. Das Bundesverfassungsgericht hat die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, die angegriffenen Maßnahmen in dem späteren Verfahren jedoch für verfassungswidrig erklärt werden, gegen die Nachteile, die entstehen würden, wenn die angegriffene Maßnahme vorläufig außer Anwendung gesetzt wird, die Verfassungsbeschwerde aber erfolglos bleibt (BVerfGE 12, 276 ≪279≫; 91, 252 ≪257 f.≫; stRspr).

Im vorliegenden Fall fällt diese Folgenabwägung zugunsten der Beschwerdeführerin aus. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet, könnte nach den im Ausgangsverfahren vorgelegten ärztlichen Attesten durch die Zwangsräumung bei der 87jährigen, an den Folgen eines Schlaganfalles leidenden Beschwerdeführerin ein schwerer Gesundheitsschaden entstanden sein. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand ist auch eine Selbsttötung nicht auszuschließen. Erginge die einstweilige Anordnung, wiese das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet zurück, so wögen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. Der Vollstreckungsgläubigerin, einer OHG, droht nur ein zeitlich begrenzter Aufschub ihres nicht näher erläuterten Nutzungswunsches. Außerdem hat die Beschwerdeführerin die Zahlung einer Nutzungsentschädigung angeboten.

Wegen der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung hat die Kammer nach § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG von einer vorherigen Anhörung der Beteiligten und Äußerungsberechtigten abgesehen.

 

Unterschriften

Steiner, Jaeger, Kühling

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276244

NZM 1998, 431

ZMR 1998, 481

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