Leitsatz (amtlich)

Es ist mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass Asylbewerber auf Grund von § 7 Abs. 1 Satz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen, bevor sie staatliche Leistungen erhalten.

 

Verfahrensgang

BVerwG (Beschluss vom 02.12.2004; Aktenzeichen 5 B 108.04)

VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 01.09.2004; Aktenzeichen 7 S 818/02)

VG Sigmaringen (Urteil vom 28.02.2002; Aktenzeichen 8 K 1560/00)

Regierungspräsidium Tübingen (Urteil vom 05.06.2000; Aktenzeichen 17-13K/1353.6-3/D, M)

 

Tenor

§ 7 Absatz 1 Satz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 30. Juni 1993 (Bundesgesetzblatt I Seite 1074) ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit danach Leistungsberechtigte eine Entschädigung in Geld für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist (§ 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches), für ihren Lebensunterhalt aufbrauchen müssen, bevor sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 30. Juni 2007 eine Neuregelung zu treffen. Kommt eine fristgerechte Neuregelung nicht zu Stande, so sind ab dem 1. Juli 2007 auf Einkommen oder Vermögen aus einer Entschädigung in Geld für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist (§ 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches), bei Leistungsberechtigten auf Grund des Asylbewerberleistungsgesetzes § 83 Absatz 2 und § 90 Absatz 3 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch anzuwenden.

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. September 2004 – 7 S 818/02 – und das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. Februar 2002 – 8 K 1560/00 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Dadurch wird der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2004 – BVerwG 5 B 108.04 – gegenstandslos. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Sigmaringen zurückverwiesen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass Asylbewerber Schmerzensgeld als Einkommen oder Vermögen zur Unterhaltssicherung einzusetzen haben, bevor sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.

I.

1. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das durch Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30. Juni 1993 (BGBl I S. 1074) in Kraft gesetzt wurde, hat zur Sicherstellung des Lebensunterhalts von Asylbewerbern ein eigenständiges Leistungssystem außerhalb der Sozialhilfe geschaffen. Die Leistungen sollen grundsätzlich als Sachleistungen erfolgen, bei Vorliegen besonderer Umstände auch als Geldleistung. Das Nähere regelt § 3 AsylbLG. Die Beträge sind gegenüber den entsprechenden Sätzen des Sozialhilferechts gekürzt (vgl. BTDrucks 12/4451, S. 4). Das Gesetz enthält weiterhin besondere Regelungen über die Anrechnung von Einkommen und Vermögen. Nach § 7 Abs. 1 AsylbLG müssen die Leistungsberechtigten und ihre Familienangehörigen Einkommen und Vermögen, soweit darüber verfügt werden kann, vor Eintritt von Leistungen aufbrauchen oder die Kosten für Sachleistungen, die ihnen gewährt werden, aus diesem Einkommen oder Vermögen erstatten. Dies gilt grundsätzlich auch für den Zufluss von anderen Sozialleistungen. Eine Ausnahme gilt nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes. Danach bleiben unter anderem das Erziehungsgeld und vergleichbare Leistungen der Länder sowie das Mutterschaftsgeld als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, und auch bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unberücksichtigt.

In dem hier maßgeblichen Zeitraum lautete § 7 AsylbLG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 26. Mai 1997 (BGBl I S. 1130; im Folgenden: 1. AsylbLG-ÄndG):

§ 7

Einkommen und Vermögen.

(1) Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden kann, sind von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. Bei der Unterbringung in einer Einrichtung, in der Sachleistungen gewährt werden, haben Leistungsberechtigte, soweit Einkommen und Vermögen im Sinne des Satzes 1 vorhanden sind, für erhaltene Leistungen dem Kostenträger für sich und ihre Familienangehörigen die Kosten in entsprechender Höhe der in § 3 Abs. 2 Satz 2 genannten Leistungen sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung zu erstatten; für die Kosten der Unterkunft und Heizung können die Länder Pauschalbeträge festsetzen oder die zuständige Behörde dazu ermächtigen.

(2) Einkommen aus Erwerbstätigkeit bleiben bei Anwendung des Absatzes 1 in Höhe von 25 vom Hundert außer Betracht, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert des maßgeblichen Betrages aus § 3 Abs. 1 und 2. Eine Aufwandsentschädigung nach § 5 Abs. 2 gilt nicht als Einkommen.

(3) bis (4) …

In der Gesetzesbegründung ist zum späteren § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausgeführt, der Leistungsberechtigte habe sein Vermögen ausnahmslos und bis auf den Freistellungsbetrag nach Absatz 2 auch sein Einkommen einzusetzen, bevor er Leistungen nach diesem Gesetz für sich und seine im selben Haushalt lebenden Familienangehörigen in Anspruch nehmen könne. Der Freibetrag bei Einkünften aus Erwerbstätigkeit ermögliche es, die mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Mehraufwendungen, wie etwa Fahrtkosten, zu decken. Außerdem werde dadurch ein zusätzlicher Arbeitsanreiz geschaffen (BTDrucks 12/4451, S. 10).

Während der Beratungen zum Asybewerberleistungsgesetz hatte die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag beantragt, die Vorschrift über die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen dahingehend zu ergänzen, dass sowohl Schmerzensgelder als auch Familien- und Erbstücke anrechnungsfrei bleiben sollten. Fachleute hätten darauf hingewiesen, dass hier vermutlich nur etwas vergessen worden sei. Das Bundessozialhilfegesetz enthalte ebenfalls vergleichbare Vorschriften (vgl. Protokoll Nr. 12/42 der 42. Sitzung des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Familie und Senioren vom 28. April 1993, S. 42/31 und Anl. 2 S. 42/43). Die entsprechende Norm, im Gesetzesentwurf noch § 6, sollte um folgende Absätze ergänzt werden:

(1) bis (2) …

(3) Eine Entschädigung, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 847 des Bürgerlichen Gesetzbuches geleistet wird, ist nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

(4) Die Leistungen dürfen nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder der Verwertung von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für den Leistungsempfänger oder seine Familie eine besondere Härte bedeuten würde.

Der Änderungsantrag fand im Ausschuss jedoch keine Mehrheit (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Familie und Senioren ≪13. Ausschuss≫ vom 24. Mai 1993, BTDrucks 12/5008, S. 15).

2. Demgegenüber nahm § 77 Abs. 2 des zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Bundessozialhilfegesetzes in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vom 25. März 1974 (BGBl I S. 777) Schmerzensgeld von einer Anrechnung als Einkommen bei der Gewährung von Sozialhilfe aus. Die Vorschrift lautete:

§ 77

Nach Zweck und Inhalt bestimmte Leistungen

(1) …

(2) Eine Entschädigung, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 847 des Bürgerlichen Gesetzbuches geleistet wird, ist nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

Für die Behandlung von Schmerzensgeld als anrechenbares Vermögen gab es im Leistungsrecht des Bundessozialhilfegesetzes zu keinem Zeitpunkt eine spezielle Regelung. Schmerzensgeld wurde allerdings in der Praxis auf der Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als so genanntes Schonvermögen im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG angesehen, das aus Härtegründen nicht für den Lebensunterhalt eines Hilfsbedürftigen einzusetzen war. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung wurde nicht für erforderlich angesehen.

An dieser Rechtslage hat sich nach der Überführung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch nichts geändert. In § 11 Abs. 3 Nr. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und in § 83 Abs. 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist ausdrücklich geregelt, dass Schmerzensgeld als Einkommen nicht zu berücksichtigen ist. Der Verzicht auf die Anrechnung von Schmerzensgeld als Vermögen wird auf die Härteklauseln in § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II und in § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII gestützt.

3. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG wird die Anrechnungsvorschrift des § 7 AsylbLG auf Leistungsberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere ab einer bestimmten Dauer des Aufenthalts des Asylbewerbers in der Bundesrepublik Deutschland, grundsätzlich nicht angewendet. Für solche Asylbewerber gilt das Bundessozialhilferecht. Die Vorschrift lautete in ihrer hier maßgeblichen ursprünglichen Fassung:

§ 2

Leistungen in besonderen Fällen.

(1) Abweichend von den §§ 3 bis 7 ist das Bundessozialhilfegesetz auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, wenn

1. über ihren Asylantrag zwölf Monate nach Antragstellung noch nicht unanfechtbar entschieden ist, solange sie nicht vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 2), oder

2. sie eine Duldung erhalten haben, weil ihrer freiwilligen Ausreise und ihrer Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die sie nicht zu vertreten haben.

(2) …

Wegen dieser „analogen” Behandlung werden die von dieser Vorschrift erfassten Personen auch als „Analogberechtigte” bezeichnet. Zur Begründung der Regelung ist ausgeführt, bei einem längeren Zeitraum des Aufenthaltes und – mangels Entscheidung über den Asylantrag – noch nicht absehbarer weiterer Dauer könne nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden, der bei einem in der Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entstehe. Insbesondere seien nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet seien (vgl. BTDrucks 12/5008, S. 15). In der Zwischenzeit beträgt der für die Anwendung des Sozialhilferechts auf Leistungsberechtigte maßgebliche Zeitraum 36 Monate (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG i.d.F. des 1. AsylbLG-ÄndG).

II.

1. Der Beschwerdeführer und seine Familie, die aus Bosnien-Herzegowina stammen und um Asyl in der Bundesrepublik Deutschland nachgesucht hatten, erhielten seit dem 1. März 1995 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zumindest im Zeitraum des Ausgangsverfahrens waren es im Wesentlichen Geldleistungen. Der Beschwerdeführer bezog als Haushaltsvorstand 440 DM im Monat, die Familienangehörigen erhielten entsprechend geringere Beträge. Die Miete betrug 925 DM, sodass sich die Gesamtleistung auf 2.319 DM belief. Nach Ablauf der 36-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG in der Fassung des 1. AsylbLG-ÄndG erhielten der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen ab Juni 2000 Leistungen auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes.

2. Im August 1997, noch während des Bezugs von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wurden die Ehefrau und ein Kind des Beschwerdeführers Opfer eines Verkehrsunfalls. Sie mussten für längere Zeit stationär in einer Unfallklinik und in einer Zahnklinik behandelt werden. Die Opfer erhielten zur Abgeltung aller Ansprüche aus dem Schadensereignis Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 25.000 DM. Eine Vorauszahlung in Höhe von 5.000 DM erfolgte 1998. Der Rest wurde auf ein Konto der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Tübingen gezahlt. Mit Bescheid vom August 1998 lehnte der Leistungsträger die weitere Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ab September 1998 ab. Der Schmerzensgeldvorschuss stelle Vermögen im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG dar. Der Beschwerdeführer und seine Familie müssten ihn daher zunächst verbrauchen. Angesichts ihres Bedarfs von 2.319 DM im Monat könnten sie davon 2,16 Monate ohne Leistungen leben.

3. Im Widerspruchsverfahren machte der Beschwerdeführer geltend, Schmerzensgeld dürfe ebenso wie im Sozialhilferecht auch im Asylbewerberleistungsrecht nicht angerechnet werden. Sehe § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG dies vor, sei die Norm verfassungswidrig. Er teilte mit, dass von dem Vorschuss 3.400 DM bereits vor Erlass des angegriffenen Bescheids verbraucht gewesen seien. Der Leistungsträger half daraufhin dem Widerspruch insoweit ab, als statt des genannten Vorschusses nur die noch nicht verbrauchten 1.600 DM angerechnet wurden.

4. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurück. Zulassungsgründe lägen nicht vor. Insbesondere bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG keine ernsthaften Zweifel. Zwischen Sozialhilfeempfängern und Personen, die Leistungen nach diesem Gesetz bezögen, existierten insbesondere hinsichtlich des Aufenthaltsstatus und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass der umfassendere Zugriff auf Einkommen und Vermögen gerechtfertigt sei. Die Leistungsberechtigten ständen in einer normativ schwächeren, zeitlich zunächst begrenzten Bindung an das Bundesgebiet, die auch die aus dem Sozialstaatsprinzip folgende Pflicht zur Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz beeinflusse. Der Gesetzgeber dürfe die Betroffenen zwar nicht in eine ausweglose Lage bringen; er könne aber bei den Leistungsvoraussetzungen und bei der Leistungshöhe berücksichtigen, dass er für sie gemäß seiner Rechtsordnung keine dauerhafte Verantwortung übernehmen wolle.

III.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die sein Begehren zurückweisenden Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen. Er macht eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG und des Sozialstaatsprinzips geltend. Seine Ehefrau und sein Kind würden im Ergebnis keine billige Entschädigung für ihre Verletzungen bei dem Verkehrsunfall erhalten. Der Anspruch auf Schmerzensgeld basiere auf Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, nämlich der Würde des Menschen und der Unantastbarkeit von Leben und Gesundheit. Schmerzensgeld solle eine unverschuldete Einbuße an Lebensfreude kompensieren. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz deckten dagegen ausschließlich die Existenz des Betroffenen. Leistungsberechtigte blieben, komme es zur Anrechnung, ohne Entschädigung für ihren Körperschaden.

IV.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Deutsche Bundestag, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales namens der Bundesregierung und das Justizministerium Baden-Württemberg Stellung genommen.

1. Nach Auffassung des Deutschen Bundestages geht aus den Gesetzesmaterialen klar hervor, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes bewusst eine unterschiedliche Behandlung von Berechtigten nach dem Bundessozialhilferecht und nach diesem Gesetz vorgesehen habe. Ziel sei es gewesen, ein eigenständiges Regelwerk zu schaffen, das auf die Bedürfnisse eines in der Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalts ausgerichtet sei. Unabhängig vom Bundessozialhilfegesetz sollte ein umfassender Vermögenseinsatz verlangt werden.

2. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. § 7 Abs. 1 AsylbLG sei mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Differenzierung zwischen Sozialhilfeempfängern auf der einen und Asylbewerbern auf der anderen Seite sei durch die unterschiedlichen Ziele des Bundessozialhilfe- und des Asylbewerberleistungsgesetzes gerechtfertigt. Die Sozialhilfe solle den Hilfeempfänger in seinem Bestreben unterstützen, sich von ihr unabhängig zu machen. Da die Gesellschaft vom Sozialhilfeempfänger erwarte, dass er sich aus der staatlichen Fürsorge löse, solle ihm ein gewisser Spielraum in der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit erhalten bleiben. Demgegenüber sei der Status des Asylbewerbers nur ein vorübergehender. Leistungen an Asylbewerber verfolgten deshalb lediglich das Ziel, ihnen für die Übergangszeit der Prüfung ihres Antrags einen Mindestbedarf an Lebensunterhalt zu sichern. Von Asylbewerbern könne deshalb auch nicht erwartet werden, dass sie sich um eine Lösung aus der staatlichen Fürsorge bemühten. Folglich sei ihnen auch ein höherer und weiter gehender Beitrag zum eigenen Lebensunterhalt zuzumuten.

Vor diesem Hintergrund sei auch § 2 AsylbLG zu sehen. Der durch diese Vorschrift erfasste Personenkreis halte sich gerade nicht mehr nur vorübergehend im Bundesgebiet auf. Deshalb sei es gerechtfertigt, auf ihn die Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes und nunmehr des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch anzuwenden. Zu bedenken gibt das Bundesministerium im Übrigen, dass auch die Nichtanrechnung des Schmerzensgeldes bei Sozialhilfeempfängern erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vom 25. März 1974 (BGBl I, S. 777, 781) eingefügt worden sei. Die damalige Entscheidung des Gesetzgebers sei in einer Zeit getroffen worden, in der die Zahl der Sozialhilfeempfänger wesentlich geringer, die finanzielle Situation des Staates dagegen erheblicher günstiger als heute gewesen sei.

3. Auch das Justizministerium Baden-Württemberg hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sei mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Zur weiteren Begründung wird auf die im Ausgangsverfahren ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

B.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit danach Leistungsberechtigte eine Entschädigung in Geld für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist (§ 253 Abs. 2 BGB), für ihren Lebensunterhalt aufbrauchen müssen, bevor sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Die auf dieser Vorschrift beruhenden verwaltungsgerichtlichen Urteile können daher keinen Bestand haben.

I.

1. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit zwar nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 112, 368 ≪401≫; stRspr).

2. a) Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Regelung bewirkt, dass Asylbewerber anders behandelt werden als Personen, die Sozialhilfe erhalten. Sie haben Schmerzensgeld für ihren Lebensunterhalt einzusetzen, bevor sie Leistungen auf asylrechtlicher Grundlage erhalten. Für Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe gilt dies nicht (siehe oben unter A. I. 2.). Auch innerhalb der Asylbewerber ist die Gruppe, zu der der Beschwerdeführer in dem hier maßgeblichen Zeitraum gehörte, gegenüber solchen Aslybewerbern benachteiligt, auf die nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der hier maßgeblichen Fassung als so genannte Analogberechtigte das Bundessozialhilferecht entsprechend anzuwenden ist. Dies ist der Fall, wenn Asylbewerber über eine gewisse Zeit Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. Auf die ihnen gewährten Leistungen wird Schmerzensgeld nicht als Einkommen oder Vermögen angerechnet.

b) Asylbewerber werden im Hinblick auf das Schmerzensgeld durch § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG aber auch – soweit ersichtlich – im Vergleich zu allen anderen Personengruppen benachteiligt, die einkommens- und vermögensabhängige staatliche Fürsorgeleistungen erhalten. So bleibt bei der Bestimmung des Umfangs des bei Leistungen der Kriegsopferfürsorge einzusetzenden Einkommens eine Entschädigung nach § 253 Abs. 2 BGB unberücksichtigt (§ 25 d Abs. 4 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes). Nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II sind bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit des Empfängers von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) Schmerzensgeldleistungen nicht als Einkommen zu berücksichtigen. In allen Fällen, in denen zur Bestimmung der Einkommensgrenze für staatliche Leistungen auf den steuerrechtlichen Begriff des Einkommens verwiesen wird, wie zum Beispiel in § 5 des Eigenheimzulagengesetzes, entfällt die Anrechnung von Schmerzensgeld, weil diese Schadensersatzleistung nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs keiner der Einkommensarten des Einkommenssteuergesetzes zugeordnet wird (vgl. BFHE 175, 439 = BStBl II, 1995, S. 121). Die Vorschriften der Länder über die Gewährung von Leistungen der Graduiertenförderung enthalten die Regelung, von der Anrechnung des Einkommens könne ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn und soweit sie eine unbillige Härte bedeuten würde, insbesondere, wenn das Einkommen als Ausgleich für einen Schaden erworben worden ist, der nicht Vermögensschaden ist (vgl. z.B. § 5 Abs. 2 der Graduiertenförderungsverordnung Nordrhein-Westfalen vom 17. Juli 1984, GVBl NW 1984, S. 416). Wird im Zusammenhang mit der Stellung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe festgestellt, ob der Antragsteller unbemittelt ist, ist nach herrschender Meinung Schmerzensgeld als Einkommen oder Vermögen nicht einzusetzen (vgl. Zöller/ Philippi, Zivilprozessordnung, 25. Aufl. 2005, § 115 Rn. 59 m.w.N.).

3. Diese unterschiedliche Behandlung ist nicht hinreichend gerechtfertigt. Zwar steht es im sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers, für Asylbewerber – was mit dem Asylbewerberleistungsgesetz geschehen ist – ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln und dabei auch Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen. Insbesondere ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, Art und Umfang von Sozialleistungen an Ausländer grundsätzlich von der voraussichtlichen Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland abhängig zu machen (vgl. BVerfGE 111, 160 ≪174≫; 111, 176 ≪185≫). Die dem Schmerzensgeld eigene Funktion verleiht ihm indes eine Sonderstellung innerhalb der sonstigen Einkommens- und Vermögensarten, der auch in der übrigen Rechtsordnung – soweit ersichtlich – durchweg durch den Ausschluss der Anrechnung auf staatliche Fürsorgeleistungen Rechnung getragen wird (vgl. dazu oben unter B. I. 2. b). Die Gründe, die für das besondere Konzept der Sicherstellung des Lebensbedarfs von Asylbewerbern und ihnen insoweit rechtlich gleichgestellten Ausländern maßgeblich sind, tragen vor diesem Hintergrund die in der Anrechnung von Schmerzensgeld als Einkommen und Vermögen liegende Ungleichbehandlung nicht.

a) Das Schmerzensgeld dient seiner gesetzlichen Funktion nach nicht der Deckung des materiellen Bedarfs, den das Asylbewerberleistungsgesetz im Auge hat. Das Bürgerliche Gesetzbuch gewährt in § 253 Abs. 2 BGB einen Geldleistungsanspruch zur Abdeckung eines Schadens immaterieller Art. Schmerzensgeld dient vor allem – wie auch im Falle der Angehörigen des Beschwerdeführers – dem Ausgleich einer erlittenen oder andauernden Beeinträchtigung der körperlichen und seelischen Integrität, insbesondere auch dem Ausgleich von Erschwernissen, Nachteilen und Leiden, die über den Schadensfall hinaus anhalten und die durch die materielle Schadensersatzleistung nicht abgedeckt sind (vgl. Vieweg, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth (Hrsg.), JURIS Praxiskommentar BGB, Bd. 2.1, 2. Aufl. 2004, § 253 Rn. 7, 27) und trägt zugleich dem Gedanken Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (vgl. BGHZ 18, 149 ≪154≫). Daher kann die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, soweit es um die Berücksichtigung des Schmerzensgeldes als Einkommen oder Vermögen geht, nicht mit der Erwägung begründet werden, die Leistungen auf der Grundlage dieses Gesetzes verfolgten lediglich das Ziel, dem Asylbewerber für die Übergangszeit der Prüfung seines Antrags den Mindestbedarf an Lebensunterhalt zu sichern. Zwar kann dieses Ziel Regelungen rechtfertigen, die dem Berechtigten den Einsatz aller verfügbaren finanziellen Mittel zur Bestreitung seines Unterhalts abverlangen. Selbst soweit dem Schmerzensgeld Ausgleichsfunktion zukommt, hat es aber gerade nicht die Funktion eines Beitrags zur materiellen Existenzsicherung. Es geht um die Deckung eines Bedarfs, der nicht Gegenstand des Leistungskonzepts des Asylbewerberleistungsgesetzes ist.

b) Auch andere das besondere Konzept des Asylbewerberleistungsgesetzes tragende Gesichtspunkte rechtfertigen § 7 Abs. 1 AsylbLG nicht, soweit die Vorschrift auch Schmerzensgeld erfasst. Es liegt auf der Hand, dass ein Verzicht auf die Berücksichtigung von Schmerzensgeld bei der Gewährung und Bemessung von Leistungen nach diesem Gesetz nicht das Ziel des Gesetzgebers in Frage stellt, den Anreiz zur Einreise von Ausländern aus wirtschaftlichen Gründen zu verringern (vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren des Deutschen Bundestages ≪13. Ausschuss≫ vom 24. Mai 1993, BTDrucks 12/5008, S. 13). Schmerzensgeld beruht nicht auf einer Quelle für den Erwerb von Einkommen, die kalkulierbar ist und die zu erschließen vernünftigerweise von Asylbewerbern angestrebt wird. Der Gesetzgeber muss daher nicht den Weg der Anrechnung eines solchen Einkommens oder Vermögens in § 7 AsylbLG wählen, um zu verhindern, dass der Leistungsempfänger über Geldmittel verfügt, mit denen er beispielsweise die Kosten seiner Einschleusung nach Deutschland bezahlen könnte (vgl. dazu Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. im Deutschen Bundestag, BTDrucks 12/4451, S. 8). Schließlich stehen Asylbewerbern Ausgleichsleistungen nach § 253 Abs. 2 BGB zu selten zur Verfügung, als dass der Gesetzgeber, würde er sie bei der Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht berücksichtigen, sein Ziel gefährden könnte, den Aufwand für den Unterhalt von Asylberechtigten in Deutschland spürbar zu vermindern (vgl. dazu BTDrucks 12/4451, a.a.O., S. 5, 6).

II.

Da § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und deshalb verfassungswidrig ist, bedarf es keiner weiteren Überprüfung der Norm am Maßstab des in diesem Zusammenhang auch als verletzt gerügten Sozialstaatsprinzips des Grundgesetzes.

C.

I.

1. Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 78 Satz 1, § 95 Abs. 3 BVerfGG). Da dem Gesetzgeber hier aber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, kommt nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht.

2. Für den Erlass einer Neuregelung steht dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. Juni 2007 zur Verfügung. Kommt eine fristgerechte Neuregelung nicht zu Stande, so sind ab dem 1. Juli 2007 auf Einkommen oder Vermögen aus einer Entschädigung in Geld für einen Nichtvermögensschaden (§ 253 Abs. 2 BGB) bei Leistungsberechtigten auf Grund des Asylbewerberleistungsgesetzes § 83 Abs. 2 und § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII anzuwenden.

II.

Soweit die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteile auf der verfassungswidrigen Vorschrift beruhen, sind sie nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts wird dadurch gegenstandslos. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Sigmaringen zurückverwiesen.

Die Kosten sind gemäß § 34 a Abs. 2 BVerfGG der Bundesrepublik Deutschland aufzuerlegen, da die Gerichtsentscheidungen auf einer verfassungswidrigen Rechtsnorm des Bundes beruhen (vgl. BVerfGE 40, 1 ≪6≫; 99, 202 ≪216≫).

Die Entscheidung ist mit Mehrheit ergangen.

 

Unterschriften

Papier Die Richterin Haas ist aus dem Amt ausgeschieden und deshalb an der Unterschrift gehindert., Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem Bryde, Gaier, Eichberger

 

Fundstellen

Haufe-Index 1974839

BVerfGE 2007, 229

FamRZ 2006, 1824

NVwZ 2007, 436

ZAP 2006, 1326

JZ 2007, 836

JuS 2007, 573

ZfSH/SGB 2006, 734

DVBl. 2007, 123

GV/RP 2007, 432

FuBW 2007, 122

FuHe 2007, 181

FuNds 2007, 327

Nds.MBl 2006, 1376

apf 2007, 127

info-also 2007, 92

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