Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterliche Selbstablehnung

 

Beteiligte

Rechtsanwalt Robert Unger

 

Verfahrensgang

BGH (Urteil vom 08.11.1999; Aktenzeichen 5 StR 632/98)

LG Berlin (Urteil vom 25.08.1997; Aktenzeichen (527) 25/2 Js 20/92 Ks (1/95))

 

Tenor

Die Selbstablehnung der Richterin Präsidentin Limbach wird für begründet erklärt.

 

Tatbestand

I.

1. Der Beschwerdeführer – Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED der ehemaligen DDR – wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen seine strafgerichtliche Verurteilung wegen Totschlags. Gegenstand des Strafverfahrens war die Tötung von vier Menschen, die zwischen 1984 und 1989 aus der DDR über die innerdeutsche Grenze fliehen wollten.

2. Die Richterin Präsidentin Limbach hat ersucht, sie gemäß § 19 Abs. 1 und 3 BVerfGG von einer Teilnahme an der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zu entbinden. Sie hat dazu erklärt:

„Ich habe mich während meiner Tätigkeit als Berliner Justizsenatorin sehr nachdrücklich und wiederholt in der Öffentlichkeit und in meinem Amt für den Einsatz und die Arbeitsfähigkeit der Arbeitsgruppe Regierungskriminalität bei der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht Berlin engagiert. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Anklage gegen den oben genannten Beschwerdeführer erhoben. Auch habe ich mich wiederholt über die Strafbarkeit des Mißbrauchs staatlicher Gewalt in der DDR in Vorträgen, Interviews und Zeitschriften geäußert. Diese Umstände können meines Erachtens geeignet sein, Zweifel an meiner Unbefangenheit entstehen zu lassen.”

3. Diese Erklärung ist dem Beschwerdeführer sowie dem Bundesministerium der Justiz und der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin zur Kenntnis gegeben worden. Das Bundesministerium der Justiz hat von einer Äußerung abgesehen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Selbstablehnung ist begründet.

Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfGE 88, 1 ≪4≫; stRspr). Dies ist hier der Fall.

Die Richterin war als Justizsenatorin in Berlin unter anderem auch für die Arbeitsgruppe Regierungskriminalität bei der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht verantwortlich. Sie hat sich in ihrem Amt engagiert für die Einrichtung und die Wirksamkeit dieser Behörde eingesetzt und bis in die letzte Zeit vor ihrem Amtsantritt als Richterin des Bundesverfassungsgerichts in zahlreichen politischen Äußerungen zum Ausdruck gebracht, daß sie die Anordnungen der staatlichen Führung der DDR, auf denen die Tötung von sogenannten „Republikflüchtlingen” an der innerdeutschen Grenze durch Minen, Selbstschußanlagen und den Schußwaffengebrauch der Grenztruppe beruhte, als strafbares Unrecht ansehe, dessen Verfolgung durch die Strafjustiz eine notwendige und für die Rechtskultur wichtige Aufgabe sei (vgl. etwa DtZ 1993, S. 66 ff.). Ihre dieser Auffassung entsprechende Amtsführung als Justizsenatorin prägte in hohem Maße ihr Bild in der politisch interessierten Öffentlichkeit. Entscheidend kommt hinzu, daß die Richterin als Justizsenatorin mit besonderem Nachdruck als Befürworterin der verfassungsrechtlichen These hervorgetreten ist, daß das Verfassungsrecht der Strafverfolgung des Beschwerdeführers wegen der in Rede stehenden Taten nicht entgegenstehe. Gerade über diese – umstrittene – These wird in dem Verfassungsbeschwerde-Verfahren zu befinden sein.

Eine Besorgnis des Beschwerdeführers, daß die Richterin diese Frage nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, ist unter diesen Umständen nachvollziehbar.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Hassemer, Broß, Di Fabio

 

Fundstellen

Dokument-Index HI600186

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