Verfahrensgang

BSG (Beschluss vom 29.04.2004; Aktenzeichen B 4 RA 284/03 B)

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.11.2003; Aktenzeichen L 14 (18) RA 3/02)

SG Dortmund (Urteil vom 27.11.2001; Aktenzeichen S 22 RA 35/00)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Bewertung von beitragsgeminderten Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Konkret geht es um die Berechnung des Zuschlags an zusätzlichen Entgeltpunkten nach § 71 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2998).

I.

Der Beschwerdeführer bezog seit dem 1. Dezember 1998 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund) eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit. Der Berechnung der Rentenhöhe wurden auch Entgeltpunkte für beitragsgeminderte Zeiten nach § 54 Abs. 3 SGB VI zugrunde gelegt. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte berechnete jeweils getrennt für die Gruppe der im Versicherungsverlauf des Beschwerdeführers gespeicherten Anrechnungszeiten wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit und für die Gruppe der Anrechnungszeiten wegen einer schulischen Ausbildung und der Zeiten der beruflichen Ausbildung die Entgeltpunkte, die dem Beschwerdeführer bei Annahme von beitragsfreien Zeiten nach § 54 Abs. 4 SGB VI zustünden und stellte der jeweils für diese Zeiträume ermittelten Summe an Entgeltpunkten die Entgeltpunkte aus der Zahlung von Pflichtbeiträgen gegenüber. Für Zeiten der Krankheit und der Arbeitslosigkeit ergab sich aus der Bewertung als beitragsfreie Zeiten ein höherer Wert und dem Beschwerdeführer wurde ein Zuschlag in Höhe von 1,0508 Entgeltpunkten gutgeschrieben. Für die übrigen Zeiträume war die Summe der Entgeltpunkte aus den geleisteten Pflichtbeiträgen bereits höher, so dass keine zusätzlichen Entgeltpunkte nach § 71 Abs. 2 SGB VI in die Rentenberechnung eingestellt wurden.

Im Verwaltungsverfahren und vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit begehrte der Beschwerdeführer neben zahlreichen anderen Änderungen des Rentenbescheides, die Berechnung des Zuschlages an Entgeltpunkten nach § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB VI für die beitragsgeminderten Zeiten anhand einer anderen Berechnungsmethode vorzunehmen. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, es dürften nicht die Summen an Entgeltpunkten für die jeweiligen Zeiträume miteinander verglichen werden, sondern ausschließlich die Werte an Entgeltpunkten für jeden einzelnen Kalendermonat. Damit würden die Monate, in denen die Entgeltpunkte aus Beiträgen bereits einen höheren Betrag aufwiesen als der für beitragsfreie Zeiten anzurechnende Wert an Entgeltpunkten, nicht in die Berechnung des Zuschlages nach § 71 Abs. 2 SGB VI miteinbezogen und könnten in der Summe die Monate mit geringeren Entgeltpunkten aus Beiträgen nicht ausgleichen. Nach der Berechnung des Beschwerdeführers ergebe sich ein weiterer Zuschlag von 0,4125 Entgeltpunkten. Bei einem aktuellen Rentenwert von zuletzt 26,27 EUR entspricht das einer zusätzlichen Rentenleistung von monatlich etwa 10,84 EUR. Vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit hatte der Beschwerdeführer keinen Erfolg. Das Bundessozialgericht hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen als unzulässig verworfen und ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die Anforderungen des § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG an die Begründung eines Revisionszulassungsgrundes nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG nicht erfüllt.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Entscheidungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Der Beschwerdeführer sieht sich durch die vorgenommene Berechnung des Zuschlages an Entgeltpunkten für die beitragsgeminderten Zeiten nach § 71 Abs. 2 SGB VI in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Er ist der Auffassung, er werde verfassungswidrig gleichgestellt mit Versicherten, die für eine dem Umfang seiner beitragsgeminderten Zeiten entsprechende Anzahl von Kalendermonaten nur Entgeltpunkte aus beitragsfreier Zeit in derselben Höhe erhalten haben, obgleich er zusätzliche Entgeltpunkte aus Pflichtbeiträgen erzielt habe. Auch werde er gegenüber einem „vergleichbaren Rentner” ungleich behandelt, weil der Beschwerdeführer „trotz gleicher Dauer der beitragsfreien Zeit und trotz gleich hoher Pflichtbeiträge” deutlich weniger Entgeltpunkte erhalte als der andere. Zudem habe das Bundessozialgericht durch die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, indem es an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache unzumutbar hohe Anforderungen nach § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG gestellt habe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist ohne Aussicht auf Erfolg.

1. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, er werde gegenüber einem „vergleichbaren Rentner” ungleich behandelt, da er „trotz gleicher Dauer der beitragsfreien Zeit und trotz gleich hoher Pflichtbeiträge” weniger Entgeltpunkte angerechnet erhalte als der andere, fehlt es bereits an einer hinreichend substantiierten Begründung nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Es lässt sich nicht erkennen, welche konkreten Vergleichsgruppen der Beschwerdeführer seiner Betrachtung zugrunde legt.

Darüber hinaus kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer den Rechtsweg nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft hat. Zwar ist eine Verfassungsbeschwerde in der Regel unzulässig, wenn ein an sich gegebenes Rechtsmittel, durch dessen Gebrauch der behauptete Grundrechtsverstoß hätte ausgeräumt werden können, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt (vgl. BVerfGE 74, 102 ≪114≫; BVerfGK 1, 222 ≪223≫; stRspr). Nach dem Verfassungsrecht ist es zunächst auch unbedenklich, die Beschreitung des Rechtswegs von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig zu machen. Dies gilt insbesondere für Begründungs-, Darlegungs- und Bezeichnungserfordernisse im Verfahren vor dem Revisionsgericht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 – 1 BvR 1412/99 –, SozR 3-1500 § 160a Nr. 31). Das Bundessozialgericht darf jedoch nach Art. 19 Abs. 4 GG keine unzumutbaren und willkürlichen Anforderungen an die Darlegungspflicht nach § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG stellen. Der Beschwerdeführer hatte bereits gegenüber dem Bundessozialgericht ausgeführt, dass er sich durch die Ermittlung des Zuschlages für beitragsgeminderte Zeiten nach § 71 Abs. 2 SGB VI gegenüber Versicherten, die für denselben Zeitraum Entgeltpunkte für beitragsfreie Zeiten angerechnet erhalten, benachteiligt sieht und seine eigene Auslegung des § 71 Abs. 2 SGB VI unter anderem mit Zitaten aus den Gesetzesmaterialien zum Rentenreformgesetz 1992 (BTDrucks 11/4124) und zum Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (BTDrucks 13/2590) begründet. Auch angesichts des komplexen Verfahrensgegenstandes der Rentenberechnung bestehen daher Zweifel, ob der Beschwerdeführer noch wesentlich mehr hätte vortragen können, um den Vorgaben des Bundessozialgerichts, er hätte „aufzeigen müssen, weshalb eine andere Auslegung des § 71 Abs. 2 SGB VI möglich sein oder eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vorliegen könnte”, zu genügen.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Der Beschwerdeführer wird nicht in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe anders behandelt als eine andere, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten. In gleicher Weise kann der Gleichheitssatz verletzt sein, wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte – bezogen auf den in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart – ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (vgl. BVerfGE 109, 96 ≪123≫; stRspr). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers erfolgt hier keine gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte: Wird ein Zuschlag nach § 71 Abs. 2 SGB VI gewährt, werden die Versicherten dadurch zwar in der Summe ihrer Entgeltpunkte für diese beitragsgeminderten Zeiten solchen Versicherten im Ergebnis gleichgestellt, die in demselben zeitlichen Umfang beitragsfreie Zeiten in ihrem Versicherungsverlauf gespeichert und noch dazu den identischen Durchschnittswert an Entgeltpunkten für beitragsfreie Zeiten (nach der bis zum 31. Dezember 2001 gültigen Fassung des § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ausschließlich für die Vergleichsbewertung) erworben haben. Die Besonderheit von beitragsgeminderten Zeiten besteht jedoch darin, dass Kalendermonate sowohl mit Beitragszeiten als auch mit Anrechnungszeiten, einer Zurechnungszeit oder Ersatzzeiten belegt sind. Die Ermittlung von Entgeltpunkten für beitragsfreie Zeiten nach § 71 Abs. 2 SGB VI dient lediglich als Maßstab, um eine Schlechterstellung durch dieses Zusammentreffen von Pflichtbeiträgen und beitragsfreien Zeiten zu verhindern (vgl. BTDrucks 11/4124, S. 171). Nach dem Willen des Gesetzgebers ist es daher nur konsequent, dass für einen Zuschlag nach § 71 Abs. 2 SGB VI immer nur die um die Entgeltpunkte aus den Beitragszeiten reduzierten Entgeltpunkte für beitragsfreie Zeiten angerechnet werden. Das Fehlen von Beitragsleistungen muss schließlich nicht in demselben Umfang wie bei beitragsfreien Zeiten kompensiert werden.

Auch durften die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bei der Anwendung der Vorschrift des § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB VI auf die jeweiligen von einer der drei genannten Gruppen von beitragsgeminderten Zeiten umfassten Zeiträume insgesamt abstellen. Schon der Wortlaut des § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB VI legt dieses Verständnis näher als eine Betrachtung getrennt nach Kalendermonaten. Jedenfalls ist die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall zunächst allein Sache der Fachgerichte. Die Gerichte haben dabei den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫; stRspr). Die von dem Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen lassen jedoch keine Auslegungsfehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen würden (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; 42, 143 ≪148 f.≫; 54, 148 ≪151 f.≫; stRspr). Auch bei der im Wege eines „Gruppenvergleichs” vorgenommenen Berechnung des Zuschlages für beitragsgeminderte Zeiten fließen die zugleich erworbenen Entgeltpunkte für Beitragszeiten ungekürzt in die Rentenberechnung ein, so dass die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nicht berührt ist.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2055444

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