Verfahrensgang

BayObLG (Urteil vom 20.11.1989; Aktenzeichen RReg. 1 Z 311/88)

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 20. November 1989 – RReg. 1 Z 311/88 – verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bayerische Oberste Landesgericht zurückverwiesen.

Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der fristgerechten Geltendmachung von wasserrechtlichen Entschädigungsansprüchen nach dem Bayerischen Wassergesetz und dem Wasserhaushaltsgesetz.

  • Die Beschwerdeführer zu 1) und 2) betreiben seit 1963 in einer bayerischen Gemeinde eine Gärtnerei. Im Jahre 1979 und 1982 erwarb ihr Sohn, der Beschwerdeführer zu 3), angrenzende Grundstücke hinzu, um den Gartenbaubetrieb auf dem gesamten Gelände gemeinsam mit den Eltern fortzuführen. Mit Rechtsverordnung vom 8. März 1983 wurde für diesen Bereich ein Wasserschutzgebiet festgesetzt. In der engeren Schutzzone ist es seither verboten, Gartenbaubetriebe zu errichten. Ferner gelten bestimmte Verbote hinsichtlich der Verwendung chemischer Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel. Das Landratsamt kann allerdings Ausnahmen von den Verboten zulassen, wenn das Verbot im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde und wenn das Gemeinwohl der Ausnahme nicht entgegensteht.

    Die Beschwerdeführer beantragten zunächst am 5. April 1983 die Erteilung einer Ausnahme von den Verboten der Schutzgebietsverordnung für die ihnen gehörenden Grundstücke. Dem wurde mit Bescheid vom 10. August 1983 teilweise stattgegeben. Eine Ausnahme für die vom Beschwerdeführer zu 3) hinzuerworbenen Flächen wurde dagegen abgelehnt. Eine gartenbauliche Nutzung dieser Flächen gefährde einen wirksamen Trinkwasserschutz. Im übrigen liege auch keine unbillige Härte vor, weil den Beschwerdeführern bei Erwerb dieser Grundstücke die Planungen für die Festsetzung des Wasserschutzgebietes bekannt gewesen seien. Widerspruch und Klage dagegen blieben ohne Erfolg. Am 22. August 1983 leiteten die Beschwerdeführer ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO mit dem Ziel ein, die Schutzgebietsverordnung für ungültig zu erklären. Dieser Antrag wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 6. Mai 1986 (Nr. 8 N 83 A.2141) abgelehnt.

  • Am 6. Mai 1987 erhoben die Beschwerdeführer Klage vor dem Landgericht auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für die durch die Schutzgebietsfestsetzung bedingten Beeinträchtigungen des Eigentums und des Gewerbebetriebes. Das Landgericht wies die Klage im wesentlichen mit der Begründung ab, die Klagefrist gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz 2 Bayerisches Wassergesetz (BayWG) sei abgelaufen. Nach dieser Vorschrift ist die Klage spätestens innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Jahres zu erheben, in dem die Tatsachen, die für die Entschädigung maßgebend sind, festgestellt werden konnten.

    Diese Entscheidung wurde – nachdem das Oberlandesgericht sie aufgehoben hatte – vom Bayerischen Obersten Landesgericht mit dem angegriffenen Revisionsurteil bestätigt. Die Klage sei wegen Versäumung der Klagefrist gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayWG unzulässig. Die Frist beginne dann zu laufen, wenn der Anspruchsberechtigte aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen die Anspruchsverpflichteten zumindest eine Feststellungsklage in zulässiger Weise erheben könne. Die dafür notwendige Kenntnis vom Ausmaß des Eingriffs sei als für den Anspruch maßgebende Tatsache nicht gleichbedeutend mit der Kenntnis vom Umfang der Beeinträchtigung mit allen ihren Einzelfolgen und Nachwirkungen. Die hiernach maßgebenden Tatsachen seien den Beschwerdeführern mit dem Inkrafttreten der Schutzgebietsverordnung im Jahre 1983 bekannt gewesen. Die Verordnung, die sie durch Verbote hindere, die Grundstücke in der bisherigen, vorgesehenen oder geplanten Weise zu nutzen, enthalte bereits den konkreten Eingriff, auf dessen Grundlage eine Feststellungsklage zumutbar sei. Daß die Beschwerdeführer einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung gestellt und die Schutzgebietsverordnung mit einem Normenkontrollantrag angefochten hätten, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Zwar könnten die Beschwerdeführer aus dem Rechtsgedanken des § 254 BGB heraus gehalten sein, die Beeinträchtigung durch verwaltungsrechtliche Schritte möglichst zu beseitigen oder doch gering zu halten. Diese Obliegenheit hindere jedoch nicht den Beginn der in Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayWG vorgegebenen Klagefrist. Zweck der Vorschrift sei es, die hiervon erfaßten Fälle schnell abzuwickeln und allen Beteiligten, vor allem den etwaigen Anspruchsverpflichteten, sobald wie möglich Sicherheit über etwaige Ansprüche zu verschaffen.

  • Mit der Verfassungsbeschwerde wird die Verletzung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 GG sowie von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gerügt. Die Auslegung und Anwendung des Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayWG durch das Bayerische Oberste Landesgericht verkenne die Bedeutung, die der eigentumsrechtlichen Bestands- und Wertgarantie für einen tatsächlich wirksamen Rechtsschutz zukomme. Die verfassungsrechtliche Sicherung des Eigentums dürfe nicht durch eine restriktive Auslegung und Anwendung der Prozeßvorschriften in Frage gestellt werden. Die Beschwerdeführer stünden ohnehin schon vor der Schwierigkeit festzustellen, ob die Schutzgebietsfestsetzung enteignende Wirkung im Sinne von § 19 Abs. 3 WHG habe und wer als Entschädigungspflichtiger in Anspruch genommen werden könne. Sie seien sodann gehalten, Primärrechtsschutz gegen die erfolgte Nutzungseinschränkung in Anspruch zu nehmen. Die aus der Zweispurigkeit des Rechtsweges resultierende Belastung der Betroffenen dürfe durch eine restriktive Handhabung der Klagefrist nicht noch vergrößert werden.
  • Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Beklagte des Ausgangsverfahrens und das Bayerische Staatsministerium der Justiz Stellung genommen. Sie halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
 

Entscheidungsgründe

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die angegriffene Revisionsentscheidung verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Die für diese Feststellung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

  • Die Eigentumsgarantie soll dem Grundrechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen. Zu diesem Zweck soll der Bestand der geschützten Rechtspositionen gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt bewahrt werden (BVerfGE 83, 201 ≪208≫). Darüber hinaus ergibt sich unmittelbar aus der Eigentumsgarantie ein verfassungskräftiger Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 37, 132 ≪141≫; 89, 340 ≪342≫). Verfahrensvorschriften, die die Geltendmachung von Abwehr- oder Entschädigungsansprüchen an eine Klagefrist binden, sind zwar grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfGE 8, 240 ≪247≫). Doch darf die verfassungsrechtliche Sicherung des Rechtsschutzes nicht durch eine restriktive Auslegung und Anwendung von Verfahrensnormen in Frage gestellt werden (vgl. BVerfGE 35, 348 ≪362≫). Der Rechtsweg darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 10, 264 ≪267 f.≫; 77, 275 ≪284≫).
  • Nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben ist die in Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayWG enthaltene Beschränkung der Klagefrist für wasserrechtliche Entschädigungsansprüche verfassungsrechtlich unbedenklich. Die einjährige Klagefrist ist grundsätzlich geeignet, zu einer zügigen Abwicklung der Entschädigungsverfahren beizutragen. Sie erscheint im Regelfall angemessen und den Betroffenen zumutbar. Hingegen führt die Auslegung und Anwendung des Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayWG durch das Bayerische Oberste Landesgericht zu einer unzumutbaren Erschwerung der Rechtsverfolgung.

    a) Die Interpretation des Bayerischen Obersten Landesgerichts erschwert den Betroffenen die Rechtsverfolgung erheblich. Sie zwingt die von einer wasserrechtlichen Maßnahme betroffenen Grundstückseigentümer dazu, schon vor Abschluß des gegen den Eingriff gerichteten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Primärrechtsschutz) über die Erhebung der Entschädigungsklage (Sekundärrechtsschutz) zu entscheiden. Der Eigentümer muß sich damit zu einem Zeitpunkt über die Erhebung der Entschädigungsklage schlüssig werden, in dem weder über die Wirksamkeit der Schutzverordnung noch über die Möglichkeit der Ausnahmeerteilung entschieden ist, in dem also das Vorliegen, der Umfang und die Rechtmäßigkeit des Eigentumseingriffs nicht geklärt sind. Obwohl der Grundstückseigentümer damit wesentliche Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs nicht beurteilen kann, wird ihm abverlangt, zur Wahrung seiner Rechte gleichsam auf Verdacht Entschädigungsklage zu erheben und die erforderlichen Kostenvorschüsse aufzubringen.

    Zugleich zwingt ihn diese Rechtsprechung zu widersprüchlichem Verhalten. Einerseits kann der Grundeigentümer die Entschädigungsklage nur gewinnen, wenn er die zu Gebote stehenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe ergriffen hat, um den drohenden Eigentumseingriff abzuwehren oder möglichst gering zu halten (vgl. BVerfGE 58, 300 ≪324≫; BayObLGZ 1989, 57 ≪64 f.≫). Andererseits entzieht er gerade durch eine erfolgreiche Anfechtung des Eigentumseingriffs seiner zeitgleich anhängig gemachten Entschädigungsklage den Boden. Er läuft damit Gefahr, wegen erfolgreicher Durchschreitung des Primärrechtsschutzverfahrens die Kosten der Entschädigungsklage zu tragen. Dadurch wird der Rechtsuchende mit erheblichen Entscheidungsschwierigkeiten, Finanzierungspflichten und Prozeßrisiken belastet.

    b) Diese Erschwerung der Rechtsverfolgung ist aus Sachgründen nicht gerechtfertigt und dem Grundeigentümer nicht zumutbar. Das Bayerische Oberste Landesgericht weist zwar mit Recht darauf hin, daß es der Zweck des Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayWG ist, die mit einer wasserrechtlichen Maßnahme verbundenen Entschädigungsfälle möglichst schnell abzuwickeln und den zur Entschädigung verpflichteten Hoheitsträgern sobald wie möglich Sicherheit darüber zu verschaffen, ob und in welcher Höhe Entschädigungsansprüche bestehen. Für die Erreichung dieser Ziele ist es aber nicht erforderlich, den Grundeigentümer schon vor Abschluß des Primärrechtsschutzes zur Erhebung einer Entschädigungsklage zu veranlassen.

    Durch eine solche frühzeitige Klageerhebung tritt keine erhebliche Beschleunigung der Entschädigungsverfahren ein. Denn die Zivilgerichte können vor Abschluß des Primärrechtsschutzes ohnehin nicht über die Entschädigungsklage entscheiden, sondern müssen den Ausgang der vorgreiflichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren abwarten. Wird die gegen den Eigentumseingriff gerichtete Klage abgewiesen, müssen die Zivilgerichte den Parteien im Anschluß an das verwaltungsgerichtliche Verfahren häufig eine angemessene Frist für Verhandlungen über die Entschädigung einräumen. Die frühzeitige Klageerhebung bringt damit letztlich keinen nennenswerten zeitlichen Gewinn.

    Durch die vorsorgliche Erhebung entschädigungsrechtlicher Feststellungsklagen erhalten die entschädigungspflichtigen Hoheitsträger auch keinen für eine Finanzierungsplanung verwertbaren Überblick über die Zahl und die Höhe der mit der wasserrechtlichen Maßnahme verbundenen Entschädigungsforderungen. Denn die Höhe der für den Staat zu erwartenden Zahlungspflichten ist aus solchen Feststellungsklagen nicht ersichtlich. Solange über das “Ob” und “Wie” des Eigentumseingriffs nicht entschieden ist, ist eine gesicherte Schätzung der Entschädigungskosten nicht möglich.

    Vielmehr erhalten die entschädigungspflichtigen Hoheitsträger lediglich Aufschluß über den Kreis der möglichen Anspruchsberechtigten, der wie bei der Einhaltung einer Anmeldefrist abschließend bestimmt wird. Für eine derartige Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten ist aber die vom Bayerischen Obersten Landesgericht vorgesehene Erhebung der Entschädigungsklage während des Laufs eines Primärrechtsschutzverfahrens nicht erforderlich. Vielmehr ist eine Interpretation des Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayWG möglich, nach der die einjährige Klagefrist für die Geltendmachung der Entschädigungsansprüche durch die Erhebung von Rechtsbehelfen des Primärrechtsschutzes gehemmt oder unterbrochen wird (vgl. BGHZ 95, 238 ≪242 ff.≫; 97, 97 ≪110 f.≫). Auch in diesem Fall kann die entschädigungspflichtige Behörde am Ende des auf das Inkrafttreten der wasserrechtlichen Schutzgebietsverordnung folgenden Jahres den Kreis der möglichen Entschädigungsberechtigten bestimmen. Denn dazu zählen alle Grundstückseigentümer, die eine Ausnahmeerteilung beantragt, die Verordnung mit einem Normenkontrollantrag angefochten oder sonstige Primärrechtsschutzbehelfe ergriffen und sich damit das Recht zur späteren Geltendmachung von Entschädigungsforderungen bewahrt haben.

    Steht damit eine das öffentliche Interesse gleichermaßen befriedigende, das Privateigentum aber schonendere Auslegungsalternative zur Verfügung, ist es nicht gerechtfertigt, die betroffenen Grundeigentümer bereits während des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzverfahrens zur Erhebung der zivilrechtlichen Entschädigungsklage zu veranlassen. Den betroffenen Grundeigentümern ist die parallele Prozeßführung aufgrund der damit verbundenen Belastungen und Risiken nicht zumutbar.

  • Die angegriffene Entscheidung beruht auf diesem Verfassungsverstoß. Denn die Beschwerdeführer können sich teils als Eigentümer der betroffenen Fläche, teils als Mitinhaber des Gewerbebetriebs auf das aus Art. 14 Abs. 1 GG fließende Gebot des effektiven Rechtsschutzes berufen (vgl. BVerfGE 35, 348 ≪361 f.≫). Es ist nicht auszuschließen, daß die Revisionsentscheidung bei verfassungskonformer Auslegung des Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayWG zu ihren Gunsten ausfällt. Die Beschwerdeführer haben binnen eines Jahres nach Inkrafttreten der Schutzgebietsverordnung Primärrechtsschutzbehelfe und innerhalb eines Jahres nach Abschluß des Primärrechtsschutzverfahrens Entschädigungsklage erhoben.
  • Die Entscheidung über die Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Grimm, Hömig

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276248

NVwZ 1999, 1329

VR 2000, 251

BayVBl. 2000, 17

UPR 2000, 30

ZfW 2000, 177

JURAtelegramm 2000, 197

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