Entscheidungsstichwort (Thema)

Vereinsrechtliches Betätigungsverbot

 

Beteiligte

Rechtsanwälte Hans-Eberhard Schultz und Koll.

 

Verfahrensgang

BGH (Zwischenurteil vom 10.09.1999; Aktenzeichen 3 StR 224/99)

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 12.11.1998; Aktenzeichen 5/23 KLs 50 Js 29086.1/97)

 

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts wird in analoger Anwendung von § 114 ZPO wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Der seit 1988 in Deutschland lebende Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet er sich gegen seine Verurteilung wegen Zuwiderhandelns gegen ein vollziehbares vereinsrechtliches Betätigungsverbot gemäß §§ 20 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit 18 Satz 2 VereinsG zu einer Bewährungsstrafe. Nach den im Landgerichtsurteil getroffen Feststellungen unterstützte der Beschwerdeführer in der Zeit vom 1. August 1996 bis 18. Januar 1997 als so genannter Stadt(teil)verantwortlicher die durch bestandskräftige Verfügung des Bundesministers des Innern vom 22. November 1993 verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihre Teilorganisation ERNK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans) durch seine Mitwirkung bei Spendensammlungen sowie durch den Verkauf von Propagandamaterial und Zeitschriften an Landsleute.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil ein Annahmegrund im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die nur in Richtung auf Art. 103 Abs. 2 GG in einer den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 BVerfGG entsprechenden Art und Weise die Möglichkeit einer Rechtsverletzung im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG aufzeigende, im Übrigen nicht den Substantiierungsanforderungen genügende Verfassungsbeschwerde lässt einen Verfassungsverstoß nicht erkennen. Die den fachgerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegende Auffassung, der Beschwerdeführer habe mit seiner Betätigung dem strafbewehrten Verbot nach §§ 20 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit 18 Satz 2 VereinsG zuwider gehandelt (vgl. insbesondere BGHSt 42, 30 ≪35 ff.≫; ferner BGHSt 43, 41 ≪42 ff.≫; BGHR, VereinsG, § 20 Abs. 1 Nr. 4 Dritthandeln 1, 3, 4 und Tatmehrheit 1), überschreitet nicht die vom möglichen Wortsinn des Gesetzes markierte, nach Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. auch § 1 StGB) zu wahrende Grenze zulässiger richterlicher Auslegung (vgl. BVerfGE 64, 389 ≪393 f.≫; 71, 108 ≪114 ff.≫; 80, 244 ≪256 f.≫).

Als spezielles Willkürverbot für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die hiernach gebotene Bestimmtheit des Straftatbestandes schließt die Verwendung von Begriffen nicht aus, die der Deutung durch den Richter bedürfen. Für den Normadressaten muss dann wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar sein (BVerfG a.a.O.; zusammenfassend auch Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Mai 1998 – 2 BvR 1385/95 – = NJW 1998, S. 2589 f.).

Nach diesem Maßstab ist vorliegend die Erkennbarkeit strafgerichtlicher Verfolgung auf der Grundlage eines objektiven Maßstabes, nämlich aus „Sicht des Bürgers” nicht allein deshalb zweifelhaft, weil der Gegenstand des Betätigungsverbots im einzelnen weder in § 18 Satz 2 VereinsG noch in der Verbotsverfügung näher gekennzeichnet wird. Denn die gebotene inhaltliche Konkretisierung folgt (noch) hinreichend aus dem durch die gesetzlichen Verbotsgründe (§§ 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 VereinsG) verdeutlichten Sinn und Zweck des Betätigungsverbots. Damit kann eine hinreichend verlässliche, rechtsstaatlicher Gewichtung entsprechende Beschreibung der mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen aus den Tatbestandsmerkmalen des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG im Wege der Auslegung gewonnen werden. Denn Ausgangspunkt für die nähere Bestimmung des Verhaltens, das vom Begriff der Zuwiderhandlung in § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG umfasst wird, kann – wie in anderen Fällen verwaltungsakzessorischer Strafvorschriften – auch das (verwaltungsrechtliche) Betätigungsverbot selbst sein, wobei sich das strafrechtlich bewehrte Verbot nur an Personen richten kann, durch die der nicht handlungsfähige Verein im Inland tätig wird (vgl. BGHSt 42, 30 ≪36 ff.≫). Vom Wortlaut des Straftatbestandes des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG wird danach jedes unter dem Gesichtspunkt der Verbotsgründe potentiell erhebliche Verhalten erfasst, das auf die verbotene inländische Tätigkeit des betroffenen Vereins bezogen und konkret geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung zu erzielen. Dazu gehören jedenfalls bei Personen, die – wie der Beschwerdeführer – entweder dem verbotenen Verein als Mitglied angehören oder in dessen Auftrag tätig werden, die Propagandatätigkeit und die Unterstützung durch Spendensammlungen (vgl. zur Zuwiderhandlung gegen ein Parteiverbot nach den durch § 28 VereinsG aufgehobenen Regelungen in den §§ 42, 47 BVerfGG a.F. bereits BVerfGE 25, 44 ≪53 ff.≫; ferner – für § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG – BVerfGE 80, 244 ≪249 ff., insbes. 256 f.≫ sowie BGH a.a.O.). Dass das Risiko einer Bestrafung auch von dem Beschwerdeführer selbst erkannt worden ist, steht nach den getroffenen Feststellungen außer Frage.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Limbach, Hassemer, Broß

 

Fundstellen

Haufe-Index 565350

NJW 2000, 3637

NStZ 2000, 540

NPA 2001

www.judicialis.de 2000

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