Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusammenveranlagung bei mehrfacher Verheiratung im Vereinlagungzeitraum

 

Leitsatz (amtlich)

Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, daß bei Steuerpflichtigen, die im Laufe eines Veranlagungszeitraums mehrfach verheiratet waren, eine Zusammenveranlagung nur mit dem letzten Ehegatten zulässig ist (§ 26 Abs. 1 Satz 2 EStG).

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; EStG § 26 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.03.1981; Aktenzeichen V 389/77)

 

Tatbestand

A.

I .

Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß nach § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG bei Steuerpflichtigen, die im Laufe eines Veranlagungszeitraums mehrfach verheiratet waren, eine Zusammenveranlagung nur mit dem letzten Ehegatten zulässig ist.

Ehegatten, die unbeschränkt steuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, können wählen, ob sie sich getrennt (§ 26 a EStG) oder zusammen (§ 26 b EStG) zur Einkommensteuer veranlagen lassen wollen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG). Diese Regelung kann Probleme aufwerfen, wenn ein Steuerpflichtiger im Laufe eines Jahres mit verschiedenen Personen verheiratet ist.

Solange das Einkommensteuergesetz diese Frage nicht ausdrücklich regelte, vertrat der Bundesfinanzhof zunächst die Ansicht, daß eine Zusammenveranlagung nur mit dem Ehegatten zulässig sei, mit dem der Steuerpflichtige am Ende des Veranlagungszeitraums verheiratet sei (BFHE 62, 438 [1] )). In einem späteren Urteil räumte er den Steuerpflichtigen dann ein Wahlrecht ein (BFH, BStBl III 1965 S. 611).

Dieses Wahlrecht ist durch das Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 1968) vom 20. Februar 1969 (BGBl I S. 141) beseitigt worden. Durch Art. 1 Nr. 2 dieses Gesetzes erhielt § 26 EStG folgende Fassung:

§ 26

(1) … Eine Ehe, die im Laufe des Veranlagungszeitraums aufgelöst worden ist, bleibt für die Anwendung des Satzes 1 unberücksichtigt, wenn einer der Ehegatten in demselben Veranlagungszeitraum wieder geheiratet hat und bei ihm und dem neuen Ehegatten die Voraussetzungen des Satzes 1 ebenfalls vorliegen.

(2) und (3)…

II.

per Kläger des Ausgangsverfahrens war seit 1957 verheiratet und lebte nach eigenem Vorbringen mit seiner Ehefrau bis September 1976 zusammen. Diese hatte im streitbefangenen Veranlagungszeitraum 1976 keine eigenen Einkünfte. Nach der rechtskräftigen Scheidung am 30. September 1976 ging der Kläger am 2. Dezember 1976 eine neue Ehe ein und lebte mit seiner zweiten Frau, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezog, seit dem 15. Dezember 1976 zusammen.

  1. Für den Veranlagungszeitraum 1976 reichten der Kläger und seine geschiedene Ehefrau eine gemeinsam unterschriebene Einkommensteuererklärung ein und beantragten Zusammenveranlagung; die zweite Ehefrau beantragte Einzelveranlagung. Für den Fall, daß eine Zusammenveranlagung mit der ersten Ehefrau nicht zulässig sei, stellten der Kläger und seine zweite Ehefrau hilfsweise Antrag auf ihre Zusammenveranlagung. Das Finanzamt führte nach § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG eine Veranlagung gemäß diesem Hilfsantrag durch. Dagegen hat der Kläger Sprungklage nach § 45 FGO erhoben.
  2. Das Finanzgericht hat beschlossen, den Rechtsstreit auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1976 geltenden Fassung gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG verstößt.

Zur Begründung führt es aus:

a) Die vorgelegte Bestimmung sei für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich. Bei ihrer Verfassungsmäßigkeit sei die Klage unbegründet. Im Falle der Verfassungswidrigkeit müsse das Bundesverfassungsgericht die in Frage stehende Norm hingegen entweder für nichtig erklären oder ihre Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellen. Im letzteren Falle müsse das Ausgangsverfahren ausgesetzt werden, bis der Gesetzgeber die beanstandete Regelung durch eine verfassungsmäßige ersetzt habe. Bei einer Nichtigerklärung müsse die bestehende Regelungslücke dagegen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschlossen werden. Es sei dann das vom Bundesfinanzhof vor dem Steueränderungsgesetz 1968 anerkannte Wahlrecht der Steuerpflichtigen zu gewähren, so daß der Einkommensteuerbescheid aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten sei, die Zusammenveranlagung des Klägers mit seiner ersten Ehefrau durchzuführen.

b) Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG verfassungswidrig. Die Vorschrift lasse außer Betracht, daß in Fällen wie dem vorliegenden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen sehr verschieden liegen könnten. Je nachdem ergäben sich bei insgesamt unveränderter Höhe der Einkünfte eines Steuerpflichtigen und seiner beiden Ehepartner außerordentlich verschiedene steuerliche Belastungen, die nicht durch eine entsprechend unterschiedliche Leistungsfähigkeit gerechtfertigt seien. Eine erhebliche Schlechterstellung trete auch gegenüber solchen Steuerpflichtigen ein, die im Jahr der Beendigung ihrer Ehe nicht wieder heirateten. Das vorlegende Gericht belegt dies durch Berechnung der steuerlichen Belastungen, die der Kläger, seine geschiedene und seine jetzige Ehefrau bei den denkbaren Kombinationen im Rahmen der Veranlagung zu tragen hätten.

Für die daraus folgenden Unterschiede gebe es keine dem Art. 3 Abs. 1 GG genügenden sachlichen Gründe. Verwaltungstechnische Erwägungen könnten die Entscheidung des Gesetzgebers schon deshalb nicht rechtfertigen, weil Fälle wie der vorliegende nicht massenhaft aufträten. Außerdem seien Regelungen denkbar, die dem Arbeitsanfall bei den Finanzbehörden Rechnung trügen, ohne willkürliche Unterschiede in der steuerlichen Belastung der Betroffenen hervorzurufen. Die vom Bundesfinanzhof gefundene Lösung eines freien Wahlrechts berücksichtige beispielsweise alle schützenswerten Interessen in angemessener Weise. Wenn eine übereinstimmende Ausübung des Wahlrechts scheitere, könne die Regelung des § 26 Abs. 2 und 3 EStG entsprechend angewandt werden.

Die steuerliche Mehrbelastung, die sich im Ausgangsverfahren für den Kläger ergebe, sei ferner geeignet, ehe- und familienbezogene Entscheidungen, vor allem die Entscheidung über den Zeitpunkt einer neuen Eheschließung, negativ zu beeinflussen. Das stelle einen unzulässigen Eingriff in die Rechte nach Art. 6 Abs. 1 GG dar. Verwaltungstechnische Erwägungen dürften gegenüber diesem Grundrecht nicht ins Feld geführt werden.

III.

Zu der Vorlage haben sich der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung, der Präsident des Bundesfinanzhofes und der Kläger des Ausgangsverfahrens geäußert.

1. Der Bundesminister hat ausgeführt, daß der Gesetzgeber die Tatbestände, für die er die zur Prüfung gestellte Vorschrift geschaffen habe, sachgemäß ausgewählt und bewertet habe. § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG gelte für alle in einem Veranlagungszeitraum mehrfach verheirateten Steuerpflichtigen gleich und trage dem Grundgedanken des Art. 6 Abs. 1 GG gerade dadurch Rechnung, daß er das Splitting auf die Einkünfte aus der letzten Ehe anwende. Diese sei am Ende des Veranlagungszeitraums auf Dauer angelegt und bringe daher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen am besten zum Ausdruck. Das gelte unabhängig davon, ob die Einkünfte der Ehegatten höher oder niedriger als in der ersten Ehe seien. Auch diese werde nicht benachteiligt. Der wiederverheiratete Ehegatte erhalte den Splittingvorteil für das ganze Jahr. Der frühere Ehegatte dagegen könne für sich entweder ebenfalls den Splittingtarif beanspruchen (§ 32 a Abs. 6 Nr. 2 EStG) oder die getrennte Veranlagung wählen. Die vom vorlegenden Gericht angestrebte Wahlmöglichkeit führe zu einer Erschwerung der Veranlagungsarbeit. Mit geschiedenen Steuerpflichtigen, die im Veranlagungszeitraum nicht wieder geheiratet hätten, könnten Fälle wie der vorliegende nicht verglichen werden.

2. Der Präsident des Bundesfinanzhofes hat Stellungnahmen der Ertragsteuersenate übersandt, in denen diese mitteilen, sie hätten § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1968 bisher nicht angewandt. Sie halten die Bestimmung für verfassungsmäßig. Sie sei insgesamt „ehe-neutral”. Ein Wahlrecht könne mögliche Härten nur in begrenztem Umfang beheben, da seine einheitliche Ausübung häufig an unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen oder an persönlichen Gründen der Beteiligten scheitere; beim Tode des ersten Ehegatten müßten unter Umständen zahlreiche Erben zu einem einheitlichen Antrag bewegt werden. Die Regelungen des § 26 Abs. 2 und 3 EStG seien mit der im Ausgangsverfahren gegebenen Sachlage nicht vergleichbar. Ihre entsprechende Anwendung komme daher nicht in Betracht.

3. Der Kläger bestreitet, daß Praktikabilitätserwägungen gewichtig genug seien, um die von ihm für richtig gehaltene Lösung auszuschließen, zumal § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG keineswegs ehe-neutral sei. Das zeige sich insbesondere in solchen Fällen, in denen ein geschiedener Steuerpflichtiger im Dezember wieder heirate und gleich darauf sterbe. Auch sei es willkürlich, einen Steuerpflichtigen, der im Veranlagungszeitraum elf Monate mit einer einkunftslosen Ehefrau zusammengelebt habe, nur wegen einer erneuten Heirat im zwölften Monat so zu behandeln, als ob die erste Ehe nicht bestanden hätte.

 

Entscheidungsgründe

B.

§ 26 Abs. 1 Satz 2 EStG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

I.

Die zur Prüfung gestellte Regelung verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG.

1. Nach dieser verfassungsrechtlichen Bestimmung dürfen Verheiratete im Vergleich zu Ledigen nicht allein deshalb schlechtergestellt werden, weil sie verheiratet sind (vgl. BVerfGE 47, 1 ≪19≫ m.w.N. [2] ); 69, 188 ‹205› [3] )). Damit ist es jedoch vereinbar, daß der Gesetzgeber sie anders als Ledige behandelt, soweit diese Regelung ihren Grund in der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichneten besonderen Situation von Ehegatten hat und deren Berücksichtigung gerade in dem konkreten Sachverhalt den Gerechtigkeitsvorstellungen der Allgemeinheit entspricht (vgl. BVerfGE 32, 260 ≪267 f.≫ m.w.N. [4] )). Eine steuerliche Schlechterstellung von Ehegatten ist insbesondere hinzunehmen, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf Gleichbehandlung ausgeht und die Ehegatten teilweise begünstigt, teilweise benachteiligt werden, die gesetzliche Regelung im ganzen sich aber vorteilhaft oder „ehe-neutral” auswirkt (vgl. BVerfGE 32, 260 ‹269› [5] )).

2. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG ist so ausgestaltet, daß verheiratete Steuerpflichtige, die im Laufe eines Veranlagungszeitraums eine neue Ehe eingehen, in jedem Falle in den Genuß des für Ehegatten vorgesehenen Splittingvorteils gelangen können; im Vergleich zu Ledigen werden sie daher jedenfalls nicht benachteiligt. Die vermeintlich nachteilige Wirkung bei solchen Steuerpflichtigen, deren zweiter Ehegatte eigene Einkünfte hat, während der erste einkunftslos war, ist zumindest ehe-neutral. Im umgekehrten Falle ist der Splittingvorteil zwar größer. Die Tatsache, daß das Gesetz auch diese Möglichkeit zuläßt beweist aber gerade, daß es nicht speziell gegen verheiratete Steuerpflichtige gerichtet ist. Im übrigen steht die zur Prüfung gestellte Norm in unlösbarem Zusammenhang zu der Entscheidung des geltenden Einkommensteuerrechts, Verheirateten den Vorteil des Splittings ohne Rücksicht darauf zuzuerkennen, wie lange sie im Laufe eines Veranlagungszeitraums verheiratet waren.

II.

Die zur Prüfung gestellte Vorschrift verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Es bestehen ausreichende Gründe, die es rechtfertigen, daß in Fällen wie dem vorliegenden der Steuervorteil nicht vollständig ausgenutzt werden kann, der daraus entsteht, daß der Gesetzgeber eine Ehe steuerlich auch dann für den ganzen Veranlagungszeitraum anerkennt, wenn sie in dessen Verlauf nur kurz bestanden hat.

1. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß die Einkommensteuer mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht (§ 36 Abs. 1 EStG) und daß dieser Zeitpunkt daher grundsätzlich für die Heranziehung zur Einkommensteuer maßgebend ist. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch BVerfGE 72, 200 ≪252 f.≫ [6] )). Infolgedessen konnte der Gesetzgeber der im Veranlagungszeitraum zuletzt bestehenden Ehe ausschlaggebende Bedeutung für die Ehegattenbesteuerung zumessen. Das gilt um so mehr, als damit für den Augenblick, in dem die Steuerschuld nach § 36 Abs. 1 EStG entsteht, tatsächlich die zuverlässigsten Erkenntnisse hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der beteiligten Personen gewonnen werden können.

2. Die Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG ist verfassungsrechtlich ferner dadurch gerechtfertigt, daß sie eine Reihe von verfahrensrechtlichen Problemen vermeidet, die bei der Gewährung eines Wahlrechts oder bei der ebenfalls in Betracht zu ziehenden anteiligen Berücksichtigung der verschiedenen Ehezeiten auftreten könnten. Solche Schwierigkeiten könnten sich etwa ergeben, wenn für die beteiligten Steuerpflichtigen verschiedene Finanzbehörden zuständig wären, wenn der Partner aus der früheren Ehe nicht zur Zusammenveranlagung mit seinem geschiedenen Ehegatten bereit wäre oder wenn er auch seinerseits wieder verheiratet wäre und mit seinem neuen Ehepartner zusammenveranlagt werden möchte. Demgegenüber enthält die zur Prüfung gestellte Norm eine klare und einfache Regelung, die weder für die Finanzbehörden noch für die Steuerpflichtigen besondere Schwierigkeiten aufwirft. Das ist zumindest dann ein ausreichender Grund für eine Verschiedenbehandlung, wenn diese – wie vorliegend – nur im Rahmen einer Vergünstigung wirksam wird, die ihrerseits auf einem Entgegenkommen des Gesetzgebers beruht.

 

Fundstellen

BStBl II 1988, 395

BVerfGE, 361

BB 1987, 2350

NJW 1988, 1136

[1] BStBl III 1956 S. 163
[2] BStBl II 1978 S. 174
[3] BStBl II 1985 S. 475
[4] BStBl II 1972 S. 325
[5] BStBl II 1972 S. 325
[6] BStBl II 1986 S. 628

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