Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherung. Aufhebung. Befreiung. Versicherungspflicht. berufsständisches Versorgungswerk. freiwillige Weiterversicherung. Versorgungseinrichtung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung wegen Zugehörigkeit zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung (§ 7 Abs 2 AVG) ist ungeachtet einer freiwilligen Weiterversicherung bei der Versorgungseinrichtung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn die Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung wegen Ausscheidens aus der Berufsgruppe endet, für die die Versorgungseinrichtung errichtet ist (Abgrenzung zu BSG vom 18.9.1963 – 1 RA 202/62 = BSGE 20, 37 = SozR Nr 3 zu § 7 AVG).

2. § 231 S 1 SGB 6 aF (= § 231 Abs 1 S 1 SGB 6 nF) stand einer Aufhebung der Befreiung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht entgegen, wenn die Änderung bereits vor Inkrafttreten des § 231 SGB 6 (1.1.1992) eingetreten war, die Befreiung aber erst danach aufgehoben wurde.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

AVG § 7 Abs. 2; SGB VI § 6 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1989-12-18, §§ 228, 231 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1995-12-15, § 231 S. 1; SGB X §§ 24, 31-32, 41, 47, 48 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 22.05.1996; Aktenzeichen L 8 An 47/95)

SG Lübeck (Entscheidung vom 04.07.1995; Aktenzeichen S 1 An 62/95)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. Mai 1996 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über den Fortbestand einer Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht.

Die 1959 geborene Klägerin nahm im Dezember 1987 eine Beschäftigung als angestellte Rechtsanwältin in einer Anwaltssozietät auf und wurde am 5. Januar 1988 Pflichtmitglied eines Versorgungswerks für Rechtsanwälte, bei dem auch die Nachversicherung für die Referendarzeit durchgeführt wurde. Antragsgemäß befreite die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die Klägerin gemäß § 7 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) mit Wirkung vom 5. Januar 1988 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung (Bescheid vom 13. April 1988). Der Bescheid enthielt außer dem Ausspruch der Befreiung und ihres Beginns im vorgedruckten Text noch Angaben zur Befreiung. Ua hieß es dort: „Die Befreiung gilt für die Dauer der Pflichtmitgliedschaft und einer daran anschließenden freiwilligen Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung, soweit Versorgungsabgaben in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung zur Rentenversicherung der Angestellten zu entrichten wären. Werden mehrere Beschäftigungen ausgeübt, so gilt die Befreiung nur für die Beschäftigung, auf der die Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung beruht und nach deren Arbeitsentgelt die Versorgungsabgaben zu berechnen sind.” Des weiteren wurde in dem Bescheid darauf hingewiesen, daß bei Wegfall der Voraussetzungen des § 7 Abs 2 AVG die Befreiung nach § 48 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren (SGB X) zu widerrufen ist.

Im Dezember 1989 verzichtete die Klägerin auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und schied aus der Rechtsanwaltskammer aus. Ihre damit endende Pflichtmitgliedschaft beim Versorgungswerk setzte sie als freiwillige Mitgliedschaft fort. Seit 1990 ist sie als Sachbearbeiterin bei einem privaten Versicherungsunternehmen angestellt. Als die Beklagte im Juni 1994 durch ein Schreiben der Klägerin von den beruflichen Veränderungen erfuhr, „widerrief” sie gemäß § 48 Abs 1 SGB X mit Bescheid vom 7. September 1994 die Befreiung; diese ende am 30. September 1994. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Befreiung seien weggefallen, weil die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer geendet habe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 1995 zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung des Versorgungswerks die Klage mit Urteil vom 4. Juli 1995 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 22. Mai 1996 zurückgewiesen. Die Beklagte habe die Befreiung mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen dürfen, weil mit dem Ausscheiden der Klägerin aus der Rechtsanwaltskammer und der damit verbundenen Beendigung der Pflichtmitgliedschaft beim Beigeladenen die Voraussetzungen des § 7 Abs 2 AVG für die Befreiung entfallen seien. Damit sei eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Ein Vertrauensschutz der Klägerin stehe nicht entgegen. Diesem sei durch die Aufhebung der Befreiung lediglich mit Wirkung für die Zukunft hinreichend Rechnung getragen. Auch der Hinweis im Befreiungsbescheid vom 13. April 1988, die Befreiung gelte auch für die Dauer einer im Anschluß an die Pflichtmitgliedschaft begründeten freiwilligen Mitgliedschaft beim Versorgungswerk, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Der Hinweis sei zwar unvollständig, denn er betreffe nicht die freiwillige Mitgliedschaft bei einem Versorgungswerk im Falle eines Ausscheidens aus dem Rechtsanwaltsberuf, sondern nur die im Falle eines Überwechselns in eine andere Rechtsanwaltskammer. Bei verständiger Auslegung habe die Klägerin erkennen müssen, daß § 7 Abs 2 AVG eine Befreiung bei Ausscheiden aus dem Rechtsanwaltsberuf nicht zulasse. Die Befreiung sei auch nicht wegen § 231 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) aufrechtzuerhalten. Nach dieser Vorschrift blieben nur Personen befreit, die am 31. Dezember 1991 zu Recht von der Versicherungspflicht befreit gewesen seien. Die Klägerin werde durch diese Auslegung des § 231 SGB VI nicht in ihren durch die Verfassung geschützten Rechten verletzt.

Mit der Revision rügt die Klägerin, das Urteil des LSG verletze § 47 Abs 1 und § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, § 6 Abs 1 Nr 1, Abs 5 Satz 2 und § 231 Satz 1 SGB VI sowie Art 12 Abs 1 und Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes (GG).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 22. Mai 1996, das Urteil des SG vom 4. Juli 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. September 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 1995 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, hat die Beklagte den Befreiungsbescheid vom 13. April 1988 mit Wirkung für die Zukunft zu Recht aufgehoben.

Einer notwendigen Beiladung des derzeitigen Arbeitgebers der Klägerin nach § 75 Abs 2 Satz 1 Alternative 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bedurfte es nicht. Denn mit dem „Widerruf” der Befreiung wird nicht unmittelbar in dessen Rechtssphäre eingegriffen, wie dies für eine notwendige Beiladung erforderlich ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 75 Nr 2 mwN). Der Befreiungsbescheid wurde unabhängig vom Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses allein deshalb aufgehoben, weil die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Rechtsanwaltskammer geendet hatte. Somit brauchte die Entscheidung – anders als bei Streitigkeiten über die Versicherungs- und Beitragspflicht Beschäftigter (vgl BSGE 25, 34, 35 = SozR Nr 9 zu § 1399 RVO; BSG SozR 1500 § 75 Nr 36 und Nr 56) – auch dem Arbeitgeber gegenüber nicht einheitlich zu ergehen.

Der angefochtene Bescheid ist nicht mangels einer nach § 24 Abs 1 SGB X gebotenen Anhörung der Klägerin aufzuheben. Zwar hat ihr die Beklagte nicht vor Erlaß des Bescheides vom 7. September 1994 Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dieser Verfahrensfehler ist hier aber nach § 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden (vgl BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 11 S 72, 73 mwN). Die Klägerin konnte aus dem Bescheid vom 7. September 1994 alle entscheidungserheblichen Tatsachen für die Aufhebung des Befreiungsbescheids erkennen (vgl BSGE 69, 247, 252 = SozR 3-1300 § 24 Nr 4); denn ihm war zu entnehmen, daß ihr Ausscheiden aus dem Rechtsanwaltsberuf als wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X zur Aufhebung führte. Die Klägerin hatte somit im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Davon hat sie auch Gebrauch gemacht.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dieses traf hier zu. Der Befreiungsbescheid vom 13. April 1988 stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X dar (vgl BSGE 69, 255, 257 unten = SozR 3-1300 § 48 Nr 13 S 19, 20; BSG SozR 3-2940 § 7 Nr 2 S 5). Die Beklagte hat allerdings im Verfügungssatz des angefochtenen Bescheids den Befreiungsbescheid im Wortsinne nicht aufgehoben, sondern das Wort „widerrufen” gebraucht, das nach der Terminologie des SGB X bei der Rückgängigmachung von rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakten verwendet wird (§ 47 SGB X). Damit hat sie jedoch inhaltlich eine Aufhebung ausgesprochen.

Im Ausscheiden aus der Rechtsanwaltskammer und der damit verbundenen Aufgabe des Rechtsanwaltsberufs im Dezember 1989 liegt eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Hierunter werden rechtserhebliche Änderungen verstanden (vgl BSG SozR 2200 § 1255a Nr 19 S 56; BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr 19 S 36), die dazu führen, daß die Behörde unter den nach Eintritt der Änderung vorliegenden objektiven Verhältnissen den ergangenen Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr 22 S 50).

Bei der Klägerin waren die Voraussetzungen für die mit Wirkung vom 5. Januar 1988 erteilte Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zunächst erfüllt. Dies ergab sich aus § 7 Abs 2 AVG in der am 1. Juli 1979 in Kraft getretenen Fassung des Art 3 Nr 2 Buchst b des Gesetzes zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs vom 25. Juni 1979 (BGBl I 797). Danach wurden Personen auf ihren Antrag von der Versicherungspflicht befreit, die aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe sind, wenn für die angestellten Mitglieder nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zu entrichten sind und aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall der Invalidität und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepaßt werden, wobei auch die finanzielle Lage der Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist. Diese Voraussetzungen waren bei der Klägerin vom 5. Januar 1988 bis Dezember 1989 erfüllt, denn sie war nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG in diesem Zeitraum aufgrund landesgesetzlicher Verpflichtung als Rechtsanwältin Pflichtmitglied des Beigeladenen als eines berufsständischen Versorgungswerks iS des § 7 Abs 2 AVG.

Mit der Aufgabe des Rechtsanwaltsberufs und dem damit verbundenen Ausscheiden aus der Rechtsanwaltskammer im Dezember 1989 endete die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin beim beigeladenen Versorgungswerk. Von diesem Zeitpunkt ab war die Klägerin nicht mehr aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks, sondern nur noch dessen freiwilliges Mitglied. Daß ihre Beschäftigung als angestellte Juristin bei einem Versicherungsunternehmen ihrer vorherigen Beschäftigung als angestellte Rechtsanwältin inhaltlich ähnlich sein mag, rechtfertigt die Fortdauer der Befreiung nicht, weil eine Pflichtmitgliedschaft im beigeladenen Versorgungswerk nur für Rechtsanwälte als Mitglieder der Rechtsanwaltskammer, nicht aber für andere Juristen vorgeschrieben ist (vgl § 1 Abs 1 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung in Schleswig-Holstein vom 3. September 1984, GVOBl Schl-H S 159).

Die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin beim Versorgungswerk berechtigte weder zur Erteilung noch zur Aufrechterhaltung einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Denn wenn § 7 Abs 2 AVG für die Befreiung eine durch Gesetz angeordnete oder auf Gesetz beruhende Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk voraussetzte, so war damit nur eine Pflichtmitgliedschaft gemeint. Ferner mußte nach dieser Vorschrift das Versorgungswerk für die Berufsgruppe bestehen, die von der Versicherungspflicht befreit werden konnte. Wenn dieses wegen Ausscheidens aus dem betreffenden Beruf nicht mehr zutraf, waren auch die Voraussetzungen für die Befreiung nicht mehr gegeben. Weiterhin war nach § 7 Abs 2 AVG Voraussetzung für die Befreiung, daß nach näherer Maßgabe der Satzungen der Versorgungseinrichtungen einkommensbezogene Beiträge zu entrichten waren. Letzteres ist in der Satzung des beigeladenen Versorgungswerks nur für die Pflichtmitglieder sichergestellt, nicht aber für freiwillige Mitglieder. Diese sind weder gesetzlich noch nach der Satzung verpflichtet, regelmäßig Beiträge zu entrichten, die sich nach dem Einkommen richten.

Der Aufhebung der Befreiung bei nur freiwilliger Mitgliedschaft eines Versicherten in einem berufsständischen Versorgungswerk, der nicht mehr der von dieser Einrichtung geschützten Berufsgruppe angehört, steht das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. September 1963 (BSGE 20, 37 = SozR Nr 3 zu § 7 AVG) nicht entgegen. Diese Entscheidung betraf einen angestellten Arzt, bei dem die Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung wegen Umzugs in ein anderes Bundesland geendet hatte und der bei Aufrechterhaltung seiner ärztlichen Tätigkeit als freiwilliges Mitglied weitergeführt wurde. Das Urteil ist schon deshalb nicht auf das vorliegende Verfahren übertragbar, weil hier die Klägerin – anders als der Arzt des früheren Verfahrens – nach Ausscheiden aus der Pflichtmitgliedschaft beim Versorgungswerk nicht mehr der Berufsgruppe angehörte, für die es errichtet worden ist. Hinzu kommt, daß die genannte Entscheidung zu dem (ursprünglichen) § 7 Abs 2 AVG (aF) idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl I 88) ergangen ist. Nach § 7 Abs 2 AVG aF kam es für die Befreiung nicht darauf an, daß die Rentenleistungen des Versorgungswerks der Art nach denen der gesetzlichen Rentenversicherung entsprachen. Auch wurden einkommensabhängige Beiträge nicht vorausgesetzt. Im übrigen trat bis zur Abschaffung der Jahresarbeitsverdienstgrenze in der Angestelltenversicherung ab 1968 bei angestellten Ärzten häufig der Fall ein, daß sie ein über dieser Grenze liegendes Gehalt hatten oder jedenfalls künftig erwarten konnten. Unter diesen Umständen wurde mit der Fortdauer der Befreiung bei Ausscheiden eines Arztes aus einer Versorgungseinrichtung als Pflichtmitglied und Weiterführung als freiwilliges Mitglied ein für angestellte Ärzte damals typischer Status der Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung aufrechterhalten. Nachdem seit 1968 alle Angestellten rentenversicherungspflichtig sind und damit die Versicherungspflicht für alle Angestellten typisch ist, spricht auch dieses nunmehr dafür, bei nur freiwilliger Mitgliedschaft in einer Versorgungseinrichtung die Fortdauer einer Befreiung zu verneinen. Schließlich steht auch das Urteil des BSG vom 16. Dezember 1963 (BSGE 41, 93 = SozR 2400 § 10 Nr 1) dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Dort ging es nicht – wie hier – um die Rechtmäßigkeit der Aufhebung eines Befreiungsbescheides. Vielmehr wurde eine Ärztin, die nach § 7 Abs 2 AVG aF von der Versicherungspflicht befreit war, dann aber ihre Berufstätigkeit aufgegeben hatte, auch während der beruflosen Zeit als befreit angesehen, weil der Befreiungsbescheid nach Aufgabe der Berufstätigkeit nicht aufgehoben worden war.

Daran, daß für die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung die Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung maßgeblich ist, hat sich mit dem Inkrafttreten des § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI zum 1. Januar 1992 (vgl Art 85 des Rentenreformgesetzes 1992 – RRG 1992 – vom 18. Dezember 1989, BGBl I 2261) nichts geändert. Auch nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI, dessen ursprüngliche Fassung (aF) bis zum 31. Dezember 1995 gültig blieb, besteht ein Anspruch auf Befreiung nur für solche Personen, die aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglieder in einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) sind. In der Begründung zu Art 1 § 6 Abs 1 Nr 1 des Entwurfs eines RRG 1992 (BT-Drucks 11/4124 S 151), der in dieser Fassung Gesetz geworden ist, wird demgemäß bestätigt, daß § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI dem § 7 Abs 2 AVG entspricht.

Soweit nunmehr § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI eine wegen der Pflichtmitgliedschaft in einer Versorgungseinrichtung bestehende Befreiung nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI auch auf andere versicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten als die, wegen der befreit worden ist, erstreckt, kann dies bei der Klägerin nicht zu einer Fortdauer der Befreiung führen. Zweifelhaft ist bereits, ob § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI hier überhaupt anwendbar ist. Jedenfalls sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt; denn die neue Beschäftigung der Klägerin als Angestellte eines Versicherungsunternehmens ist weder im voraus zeitlich begrenzt, noch gewährleistet das beigeladene Versorgungswerk für die Zeit dieser Beschäftigung den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften.

Die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht ist auch nicht nach § 231 Satz 1 SGB VI aF (seit 1996: § 231 Abs 1 Satz 1 SGB VI) für die Dauer der am 31. Dezember 1991 ausgeübten Beschäftigung aufrechterhalten worden. Nach dieser am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Vorschrift idF des Art 1 RRG 1992 bleiben Personen, die am 31. Dezember 1991 von der Versicherungspflicht befreit waren, in derselben Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit befreit. Es ist bereits fraglich, ob die Regelung überhaupt auf Befreiungen nach § 7 Abs 2 AVG Anwendung findet. Denn § 228 SGB VI, mit dem der Erste Abschnitt des Fünften Kapitels des SGB VI eingeleitet wird, legt grundsätzlich fest, daß die Vorschriften des Fünften Abschnitts, zu denen auch § 231 gehört, die Vorschriften der vorangehenden Kapitel für Sachverhalte ergänzen, die von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschriften der vorangehenden Kapitel an nicht mehr eintreten können; letzteres trifft aber grundsätzlich für eine nach § 7 Abs 2 AVG ausgesprochene Befreiung nicht zu, weil § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI aF ein dem § 7 Abs 2 AVG im wesentlichen gleiches Befreiungsrecht vorschreibt. Der Senat brauchte diese Frage jedoch nicht zu entscheiden. Auch wenn man § 231 Satz 1 SGB VI aF hier für anwendbar hält, hinderte er die Beklagte nicht daran, die nach § 7 Abs 2 AVG ausgesprochene Befreiung wegen einer vor dem Inkrafttreten des § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI aF eingetretenen wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (hier: Verlust der Pflichtmitgliedschaft beim beigeladenen Versorgungswerk wegen Aufgabe des Rechtsanwaltsberufs) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Insbesondere knüpft die Vorschrift nicht allein an eine am Stichtag tatsächlich noch vorliegende Befreiung an und schließt die Anwendung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht wegen Änderungen aus, die nach dem Befreiungsbescheid, aber vor Inkrafttreten des neuen Rechts eingetreten sind. Nach dem Willen des Gesetzgebers erhält § 231 Satz 1 SGB VI aF die nach früherem Recht ausgesprochene Befreiung sowohl im Interesse der befreiten Personen als auch im Interesse der Solidargemeinschaft aufrecht (vgl Begründung zu Art 1 § 226 des Entwurfs eines RRG 1992, BT-Drucks 11/4124 S 197). Typisch für derartige Besitzstandsregelungen ist, daß Rechte, die nach altem Recht begründet worden sind, nach neuem Recht fortbestehen. Dagegen kann einer solchen Regelung regelmäßig nicht entnommen werden, daß das durch sie aufrechterhaltene Recht weitergeht, als es unter der Geltung des alten Rechts reichte. Insbesondere schneidet eine Besitzstandsregelung nicht Aufhebungsgründe ab, die schon unter der Geltung des alten Rechts entstanden sind. Vielmehr bleibt das übergegangene Recht in dem rechtlichen Zustand bestehen, wie es vor seinem Übergang in das neue Recht bestand. Im vorliegenden Verfahren besteht kein Grund, von der genannten Regel abzuweichen. Sie wird vielmehr dadurch bestätigt, daß nach § 231 Satz 1 SGB VI aF die Befreiung nur in derselben Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit bestehen bleibt. Jedenfalls kann eine nach § 231 Satz 1 SGB VI aF bestehengebliebene Befreiung nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X aufgehoben werden, wenn mit der Beendigung der Beschäftigung oder Tätigkeit auch ein Ausscheiden aus der Berufsgruppe verbunden war, für die das Versorgungswerk eingerichtet wurde. War demnach hier eine Aufhebung vor dem 1. Januar 1992 zulässig und wäre sie wegen § 231 Satz 1 SGB VI aF ebenfalls zulässig gewesen, falls die Klägerin den Anwaltsberuf nach 1991 aufgegeben hätte, so kann nichts anderes bei dem hier vorliegenden Sachverhalt gelten, bei dem die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse bereits Ende 1989 eingetreten war, die Befreiung aber erst 1994 aufgehoben wurde, weil die Beklagte vorher von der Änderung nicht unterrichtet war.

Die Aufhebung des Befreiungsbescheids vom 13. April 1988 nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X war entgegen der Ansicht der Revision auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sich aus ihm ein Fortbestehen der Befreiung für die Dauer der freiwilligen Mitgliedschaft beim beigeladenen Versorgungswerk auch bei Ausscheiden aus dem Rechtsanwaltsberuf herleiten ließe.

Die rechtliche Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X (Verfügungssatz), die der Befreiungsbescheid enthält, liegt allein in der Befreiung von der Versicherungspflicht und der Bestimmung ihres Beginns. Wie der Senat zu einem gleichartigen Bescheid bereits entschieden hat (BSG SozR 3-2940 § 7 Nr 2 S 4), stellen die Ausführungen zur Fortdauer der Befreiung bei freiwilliger Mitgliedschaft im Versorgungswerk weder eine rechtliche Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X noch eine Nebenbestimmung (Befristung, Bedingung oder Auflage) iS des § 32 SGB X dar. Vielmehr handelt es sich nur um einen von mehreren Hinweisen, mit denen die Beklagte den Befreiungsbescheid erläutert hat. Dies ergibt sich auch daraus, daß die Beklagte auf § 48 SGB X Bezug genommen und damit zum Ausdruck gebracht hat, daß die Befreiung nicht durch künftig eintretende Sachverhalte von selbst endet, sondern durch eine Aufhebung des Befreiungsbescheids mit Bescheid beendet wird. Die Klägerin kann das Fortbestehen der Befreiung auch nicht aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen. Selbst wenn man in dem genannten Hinweis eine fehlerhafte Beratung sähe, dürften seine die Klägerin belastenden Folgen nicht dadurch beseitigt werden, daß von einer Aufhebung des Befreiungsbescheides abgesehen wird. Da beim Herstellungsanspruch das Sozialrechtsverhältnis so gestaltet werden soll, wie es ohne Pflichtverletzung bestanden hätte, läßt sich mit seiner Hilfe ein pflichtwidriges Verwaltungshandeln nur ausgleichen, soweit die begehrte Amtshandlung rechtlich zulässig ist (vgl BSG SozR 3-2940 § 124 Nr 1 S 4 mwN). Die Nichtaufhebung des Befreiungsbescheids wäre aber rechtswidrig und daher unzulässig, weil die Beklagte verpflichtet ist, ihn bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Hiervon hat sie in rechtlich einwandfreier Weise Gebrauch gemacht.

Die Klägerin wird durch die Aufhebung des Befreiungsbescheids nicht in ihren Grundrechten verletzt. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor, soweit die Klägerin eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung darin sieht, daß die Beklagte, wie die Revision geltend macht, in gleichgelagerten Fällen bei Fortsetzung der Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung durch eine freiwillige Mitgliedschaft die Befreiung nicht aufgehoben habe. Selbst wenn dieses zuträfe, wäre Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt, weil er eine Gleichheit im Unrecht nicht gebietet (vgl BVerfGE 50, 142, 166). Die Eigentumsgarantie des Art 14 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Die Befreiung selbst genießt nicht den Schutz der Eigentumsgarantie, weil sie keine Rechtsposition darstellt, die auf Eigenleistungen des Versicherten beruht (vgl BVerfGE 69, 272 = SozR 2200 § 165 Nr 81). Es liegt auch kein den Art 14 GG verletzender Eingriff in die erworbene Anwartschaft auf Leistungen des beigeladenen Versorgungswerks vor; denn eine dort erworbene Anwartschaft bleibt von der nunmehr eingetretenen Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unberührt. Der Klägerin ist auch keine Rechtsposition des Inhalts eingeräumt worden, die Anwartschaft im Versorgungswerk unbelastet von einer Versicherungspflicht in der Rentenversicherung aufbauen zu können. Sie mußte vielmehr damit rechnen, daß berufliche Veränderungen zur Beendigung der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk und zur Beendigung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung führten. Die hierbei möglicherweise entstehenden Nachteile beim Aufbau ausreichender Rentenanwartschaften verkennt der Senat nicht. Sie sind aber bei der gleichzeitigen Zulassung verschiedener Vorsorgesysteme wie berufsständischer Versorgung und gesetzlicher Rentenversicherung und einem Beschäftigungswechsel, wie ihn die Klägerin vorgenommen hat, unvermeidbar. Der Gesetzgeber ist unter Beachtung der Belange der Solidargemeinschaft der Versicherten in der Rentenversicherung von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, für die verschiedenen Fälle möglicher Systemwechsel jeweils Regelungen zu treffen, die den Betreffenden vor jedem Nachteil schützen. Das Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl (Art 12 Abs 1 Satz 1 GG) ist schließlich ebenfalls nicht verletzt. Als Vorschriften, die eine Doppelpflichtversicherung vermeiden helfen, stehen § 7 Abs 2 AVG und § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI weder in engem Zusammenhang mit der Wahl oder Ausübung eines Berufs noch weisen sie eine deutlich erkennbare berufsregelnde Tendenz auf (vgl BVerfGE 52, 42, 54; 70, 191, 214; BSG SozR 3-5428 § 4 Nr 1).

Hiernach war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173001

BSGE 80, 215

BSGE, 215

NJW 1997, 3333

SGb 1998, 539

SozR 3-2940 § 7, Nr.4

SozSi 1998, 239

SozSi 1998, 278

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