Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 16.02.1983)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Februar 1983 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) die Erstattung seiner freiwillig entrichteten Beiträge.

Der 1916 geborene Kläger war von 1952 bis 1955 in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Auf seinen Antrag hin wurden ihm Anfang 1958 diese Beiträge erstattet. Für die Zeit von Januar 1959 bis September 1972 entrichtete er 165 freiwillige Beiträge nach. Außerdem erbrachte er von Oktober 1972 bis März 1978 weitere 36 freiwillige Beiträge.

Mit Schreiben vom 28. März 1982 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstattung seiner freiwillig entrichteten Beiträge. Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 7. Juli 1982). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 31. August 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 16. Februar 1983) und im wesentlichen ausgeführt: Ein Erstattungsrecht nach § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestehe nicht, weil der Kläger zur freiwilligen Versicherung berechtigt sei. Der Kläger stütze seinen Rückerstattungsanspruch allerdings weiter darauf, daß der Gesetzgeber nachträglich die kostenfreie Krankenversicherung der Rentner beseitigt und neben dem Renteneinkommen auch andere Einnahmen in den Grundlohn einbezogen und damit für die Bemessung der Beiträge herangezogen habe. Soweit Renten und andere vergleichbare Einnahmen Einkommensersatzfunktion hätten, sei es bei einer am Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) orientierten Betrachtungsweise aber nicht unbillig, sondern naheliegend, sie in gleicher Weise für die Beitragsleistung heranzuziehen. Auch der Vertrauensgrundsatz sei nicht verletzt. Ein Versicherter könne nicht erwarten, daß die Vorschriften über die Aufbringung der Mittel unabhängig von der jeweiligen Finanzlage der Versicherungsträger unverändert fortbestünden. Im übrigen könnten sich Rentner nach § 173a RVO bei Bestehen eines vergleichbaren Krankenversicherungsschutzes von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner befreien lassen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 31. August 1982 sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die für die Zeit von 1959 bis 1978 entrichteten freiwilligen Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG den Anspruch des Klägers auf Rückerstattung der von ihm für die Jahre 1959 bis 1972 und der von 1972 bis 1978 entrichteten Beiträge verneint.

Die Versicherung des Klägers war freiwillig (§ 1233 Abs 1 RVO). Als freiwillig Versicherter hatte der Kläger jederzeit die Möglichkeit, von einer Fortsetzung der Beitragsentrichtung abzusehen. Das hat er auch getan. Die Rückerstattung von Beiträgen erfolgt jedoch lediglich unter den Voraussetzungen des § 1303 Abs 1 RVO. Da der Kläger weiterhin zur freiwilligen Versicherung berechtigt ist, sind diese nicht gegeben.

Auch ein außergesetzlicher – unmittelbar auf die Verfassung oder allgemeine Rechtsgrundsätze gegründeter – Anspruch des Klägers auf Rückerstattung der von ihm entrichteten Beiträge besteht nicht.

Als der Kläger im Jahre 1972 die Nachversicherung vornahm und laufende freiwillige Versicherungsbeiträge zu zahlen begann, gehörten Rentner der Krankenversicherung der Rentner ohne weitere Voraussetzungen an und brauchten hierfür keine Beiträge zu entrichten (§§ 165 Abs 1 Nr 3, 381 Abs 2 RVO in der damals gültigen Fassung). Der Kläger konnte daher erwarten, später neben seiner Rente einen günstigen Krankenversicherungsschutz zu erwerben. Durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) wurde § 165 Abs 1 Nr 3 RVO dahin gefaßt, daß Rentner nur noch dann der Krankenversicherung der Rentner angehören konnten, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, jedoch frühestens seit dem 1. Januar 1950 bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens die Hälfte der Zeit Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung waren. Durch diese Einschränkung der Rechte der Rentner wurde der Kläger allerdings nicht betroffen, da er diese sog Halbbelegung mit seinen Versicherungszeiten in der AOK ohne weiteres erreichen konnte. Das Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 1982 – RAG 1982 – vom 1. Dezember 1981 (BGBl I 1205) brachte jedoch mit Wirkung vom 1. Januar 1983 eine Änderung des § 180 RVO (Einfügung der Absätze 5 und 6) und des § 381 Abs 2 RVO dahin, daß die Rentner Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner zu erbringen hatten und daß diese nach einem Grundlohn zu berechnen waren, der sich nicht nur nach der Höhe der Rente, sondern auch nach anderen “der Rente vergleichbaren” Einnahmen richtete. Die “Rentabilität” der vom Kläger vorgenommenen Nachentrichtungsbeiträge und seiner weiter freiwillig gezahlten Beiträge wurde dadurch erheblich gesenkt, weshalb der Kläger Anfang 1982 seinen Rückerstattungsantrag stellte.

Sowohl die genannten Änderungen durch das KVKG von 1977 wie auch die durch das RAG 1982 sind unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes nicht zu beanstanden. Hinsichtlich des KVKG hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dies bereits mit Urteil vom 16. Juli 1985 (1 BvL 5/80 ua) klargestellt und dabei betont, daß die krankenversicherungsrechtliche Position der Rentner aus § 165 Abs 1 Nr 3 RVO in der vor Inkrafttreten des KVKG gültigen Fassung, die eine Aussicht auf beitragslosen Krankenversicherungsschutz im Rentenfall eröffnete, nicht durch Art 14 Abs 1 Satz 1 GG geschützt ist. Aber auch gegen die Beitragspflicht der Rentner, die sich nicht nur an der Höhe der Rente, sondern ebenso an den “der Rente vergleichbaren Einnahmen” ausrichtet, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Für Versicherte, die aufgrund des Rentenreformgesetzes (RRG) von 1972 Pflichtversicherte auf Antrag (§ 1227 Abs 1 Nr 9 RVO) wurden, hat das BVerfG in dem zitierten Urteil ausgesprochen, daß ihr Vertrauen auf den Fortbestand der Aussicht, voraussetzungsfrei und kostenfrei Mitglied der Krankenversicherung der Rentner zu werden, zwar nicht gering zu achten sei, auch deshalb nicht, weil sie bei Kenntnis der späteren gesetzlichen Änderungen möglicherweise andere Dispositionen getroffen hätten. Indes überwiege das öffentliche Interesse, die Krankenversicherung der Rentner angesichts der Kostensteigerungen funktionsfähig zu erhalten, den Vertrauensschutz dieses Kreises der Versicherten. Für die freiwillig Versicherten kann insoweit kein anderer Maßstab gelten. Sie unterscheiden sich von den Pflichtversicherten auf Antrag nur dadurch, daß sie in der Gestaltung und Fortsetzung ihrer Beitragsentrichtung freier sind.

Auch die Frage, ob aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze oder der Grundrechte dem genannten Personenkreis ein Recht auf Rückerstattung von Beiträgen neben der in § 1303 RVO begründeten Möglichkeit einzuräumen ist, muß verneint werden. Der Beitritt zur gesetzlichen Rentenversicherung begründet kein Austauschverhältnis iS der Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über den gegenseitigen Vertrag (§§ 320 ff Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –), bei dem das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in dem Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung gehalten werden muß, in das es die Vertragschließenden gebracht haben. Eine Störung dieses Gleichgewichtes zieht dort Änderungen der gegenseitigen Leistungen, Schadenersatzansprüche oder Rücktrittsrechte mit der Begründung eines Rückabwicklungsverhältnisses nach sich (vgl §§ 323 bis 326, 346 ff, 812 ff BGB). Wenn dieses Austauschverhältnis gestört ist, kann es auch nach den Grundsätzen des “Wegfalls der Geschäftsgrundlage” abgewickelt werden. Von derartigen Vorstellungen geht der Kläger offenbar aus, wenn er argumentiert, er sei von der gesetzlichen Rentenversicherung “betrogen” worden. Ob eine derartige Geltendmachung des “Wegfalls der Geschäftsgrundlage” für den Bereich des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung überhaupt in Betracht kommen kann, hat der erkennende Senat im Urteil vom 19. Juni 1979 (5 RJ 128/78) noch dahingestellt sein lassen. Diese Frage muß indes unter Berücksichtigung der Ausführungen des BVerfG im Urteil vom 16. Juli 1985 aaO (vgl dort insbesondere S 45) verneint werden. Wer der gesetzlichen Rentenversicherung beitritt, kann danach nicht von vornherein erwarten, daß die gesetzlichen Vorschriften über die Leistungen auf Dauer unverändert fortbestehen und daß er bei notwendigen Änderungen bessergestellt wird als andere Versicherte (Pflichtversicherte). Die bei Versicherungsbeginn bestehenden Vorschriften sind nicht die “Geschäftsgrundlage” des Beitritts. Die gesetzlichen Sozialversicherungen sind Solidargemeinschaften auf Dauer, die sich im Laufe der Zeit vielfachen Änderungen anpassen müssen. Wer so geprägten Gemeinschaften beitritt, erwirbt nicht nur die damit verbundenen Chancen, sondern trägt mit den anderen Versicherten auch ihre Risiken. Das gilt nicht nur für die auf Antrag Pflichtversicherten (§ 1227 Abs 1 Nr 9 RVO), sondern auch für die freiwillig Versicherten (§ 1233 RVO), insoweit allerdings mit der Einschränkung, daß letztere die Zahlung der Beiträge jederzeit einstellen können.

Zu Recht hat das LSG weiter darauf hingewiesen, daß die Regelung einer Belastung der Rentner mit Beiträgen, die nicht nur anhand der Rente, sondern auch anhand “der den Renten vergleichbaren Einkommen” (§ 180 Abs 5 RVO) berechnet werden, nicht gegen Art 3 GG verstößt, vielmehr durch den Gleichheitssatz geradezu gefordert ist. Angesichts des die gesetzliche Krankenversicherung beeinflussenden Solidarprinzipes, also des (teilweisen) Einstehens der Leistungsfähigen für weniger Leistungsfähige, eines weitschauenden Grundsatzes, von dem jeder Versicherte – je nach dem Wechsel der Umstände – Nutzen ziehen kann, wäre es mit dem Gleichheitsgrundsatz schwerlich vereinbar, diejenigen, die neben den Renten andere Versorgungsleistungen erhalten, nur mit ihrer Rente zur Beitragsleistung heranzuziehen, also nur mit einem Teil ihres den Lebensstandard bestimmenden Einkommens, diejenigen aber voll zu belasten, die nur auf ihre Rente angewiesen sind.

Der Kläger hat durch die von ihm entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung durchaus einen beachtlichen Versicherungsschutz erworben. Das trifft auch zu, wenn man die Änderungen des Gesetzes betrachtet, die seit seinem freiwilligen Beitritt zur gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommen worden sind. Denn die rentenrechtliche Position des Versicherten aus § 1235 Nr 5 RVO, aufgrund der der Rentenversicherungsträger Zuschüsse für die Krankenversicherung der Rentner zu erbringen hat, ist Gegenstand der Eigentumsgarantie im Sinne des Art 14 Abs 1 GG (Urteil des BVerfG aaO, S 35). Dieser dem Kläger zugesagte Versicherungsschutz kann daher nicht beseitigt werden. Insoweit ist die Eigentumsgarantie durch die bisherigen gesetzlichen Änderungen nicht berührt worden. Schließlich ist zu beachten, daß der Rentner sich nach § 173a RVO statt bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bei einem privaten Unternehmer versichern kann. Er erhält auch dann einen Zuschuß zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung nach § 1304e RVO. Dies zeigt ebenfalls den weiterbestehenden Wert der Versicherung des Klägers, die eine verfassungsrechtlich gebotene Beitragserstattung ausschließt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 69

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