Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Mai 1963 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Ehemann der Klägerin war freipraktizierender Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten in Büren (Westfalen). Zur Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit war er nicht zugelassen. Ab 26. November 1951 schloß er mit der Genossenschaft der Franziskanerinnen in Salzkotten (Westfalen) folgenden Vertrag:

§ 1.

Herrn Dr. med. B. wird die Erlaubnis erteilt, als Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten zur Behandlung der von ihm in das St. Josefskrankenhaus eingewiesenen Kranken die Einrichtung, Räumlichkeiten und Hilfskräfte des Krankenhauses zu benutzen. Ein Anstellungs- oder anstellungsähnliches Verhältnis wird durch diese Vereinbarung nicht begründet.

§ 2.

Herr Dr. med. B. behandelt innerhalb der Grenzen seines Fachgebietes die von ihm in das St. Josefskrankenhaus eingewiesenen Patienten. Er steht den übrigen leitenden Ärzten des Krankenhauses als Konsiliarius zur Verfügung.

Die allgemeine Dienstanweisung für die Krankenhausärzte gilt auch für Herrn Dr. B. Sie ist wesentlicher Bestandteil dieses Vertrages.

§ 3.

Herrn Dr. med. B. werden für die Behandlung seiner Patienten Betten der 1. und 2. sowie der 3. Verpflegungsklasse eingeräumt.

Für den Fall, daß die Betten nicht dauernd belegt sind, behält sich die Krankenhausleitung das Recht vor, darüber anderweitig zu verfügen.

§ 4.

Herr Dr. med. B. hat das Recht der freien Liquidation für die stationär behandelten Kranken der 1. und 2. Verpflegungsklasse sowie das Recht der freien Liquidation für die ärztlichen Leistungen der Ambulanz.

§ 5.

Herr Dr. med. B. erhält für seine Leistungen folgendes Entgelt:

  1. In Abgeltung für die Untersuchung und Behandlung der Kranken der Reichsversicherungsträger usw. sowie derjenigen Selbstzahler, für die die Krankenhausverwaltung die Pauschalabgeltung einschließlich der ärztlichen Leistungen berechnet DM 0,90 je Pflegetag;
  2. das Recht, für die Kranken der 1. und 2. Verpflegungsklasse seine ärztlichen Leistungen selbständig zu liquidieren;
  3. das Recht, für die ärztlichen Leistungen bei Ausübung der Ambulanz selbständig zu liquidieren mit der Maßgabe, daß 20 % des Rechnungsbetrages an die Krankenhausverwaltung abzuführen sind. Die Sachleistungen der Ambulanz werden durch das Krankenhaus in Rechnung gestellt. Herr Dr. med. B. ist verpflichtet, der Krankenhausverwaltung die Unterlagen zur Berechnung der Sachleistungen zur Verfügung zu stellen;
  4. Herr Dr. med. B. hat in Ausnahmefällen bei besonders günstigen Vermögensverhältnissen das Recht, von Patienten der 3. Verpflegungsklasse seine ärztlichen Leistungen selbständig zu liquidieren, sofern die Verwaltung des Krankenhauses für den Einzelfall die schriftliche Zustimmung erteilt.

Herr Dr. med. B. ist gehalten, bei allen Liquidationen die gemeinnützige und mildtätige Zwecksetzung des Krankenhauses gebührend zu berücksichtigen.

§ 6.

Im Falle seiner Verhinderung hat Herr Dr. B. für Vertretung Sorge zu tragen. Die Kosten der Vertretung fallen Herrn Dr. B. zur Last.

§ 7.

Der Vertrag kann mit 6-wöchentlicher Frist zum Schluß eines Kalenderviertel Jahres gekündigt werden.

§ 8.

Abweichende oder ergänzende Vereinbarungen zu diesem Vertrage bedürfen der Schriftform.

§ 9.

Etwaige aus diesem Vertrag sich ergebenden Streitfälle sind unter Ausschluß des Rechtsweges vom Schiedsgericht zu entscheiden.

§ 10.

Es bleibt vorbehalten, eine Änderung in dem Abrechnungsverfahren sowie der von Herrn Dr. B. an das Krankenhaus zu leistenden Vergütungen vorzunehmen für den Fall, daß die Spitzenverbände eine Regelung vereinbaren, auf Grund deren die Leistungen der zugelassenen Ärzte unmittelbar durch das Krankenhaus abgerechnet werden.

Nach der Schiedsvereinbarung von demselben Tage war Vorsitzender des Schiedsgerichts der Erzbischof von Paderborn oder ein von ihm benannter Stellvertreter; jede Vertragspartei konnte einen Beisitzer entsenden.

Die Generaloberin der Genossenschaft der Franziskanerinnen erklärte in einen Begleitschreiben vom 26. November 1951 zu dem Vertrag u. a.:

„Zu der Vertragsformulierung in § 5 Abschnitt a hinsichtlich der Selbstzahler III. Klasse sowie hinsichtlich § 5 Abschnitt c über den 20%igen Anteil des Krankenhauses an den ärztlichen Leistungen der Ambulanz ist zu sagen, daß diese Bestimmungen auf Verlangen der Krankenhausverbände in den Vertrag aufgenommen worden sind.

In Anbetracht der Tatsache, daß Sie, sehr geehrter Herr Dr. B., auch Schwestern unserer Genossenschaft in Ihrem Fachgebiet behandeln werden, verzichte ich bis auf weiteres auf diese im Vertrage niedergelegten Bedingungen zu Ihren Gunsten d. h.,

  1. Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. B., steht das Recht zu, für die Privatpatienten 3. Klasse die ärztlichen Leistungen selbständig zu liquidieren,
  2. Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. B., verbleibt die gesamte ärztliche Liquidation aus der Ambulanz im Krankenhause.

Sollte sich die ärztliche Behandlung in Ihrem Fachgebiet durch Schwestern unserer Genossenschaft in einem überaus großen Maß zeigen, so bin ich gern bereit, nach Ablauf einiger Monate erneut mit Ihnen in Verhandlungen darüber einzutreten, ob nicht etwa für diese Behandlung unserer Schwestern eine monatliche Pauschalvergütung in Betracht gezogen werden könnte.”

Der Ehemann der Klägerin hatte in seinem Fachgebiet auch Patienten des Krankenhauses zu behandeln, die von anderen Ärzten eingewiesen waren. Später erhielt er eine monatliche Pauschalvergütung von 250,– DM.

Am 25. Mai 1956 operierte der Ehemann der Klägerin morgens im St. Josefskrankenhaus. Danach fuhr er nach Büren in seine Praxis. Als er an Spätnachmittag nochmals seine Patienten im St. Josefskrankenhaus aufsuchen wollte, verunglückte er auf der Fahrt zum Krankenhaus mit seinem PKW tödlich.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 16. Mai 1957 Entschädigungsansprüche der Klägerin ab, da der Verunglückte als frei praktizierender Arzt auch bei seiner Tätigkeit als Belegarzt versicherungsfrei gewesen wäre.

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat durch Urteil vom 15. Januar 1959 der hiergegen erhobenen Klage stattgegeben.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 28. Mai 1963 das Urteil des SG Detmold aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt:

Ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne eines abhängigen weisungsgebundenen Arbeitsverhältnisses zwischen dem Ehemann der Klägerin und der Genossenschaft der Franziskanerinnen habe nach dem Wortlaut des Vertrages vom 26. November 1951 und dem Willen der Vertragspartner nicht begründet werden sollen. Daß der Verstorbene an die allgemeine Dienstanweisung für Krankenhausärzte gebunden war, besage nichts gegen seine selbständige Tätigkeit. Persönliche Abhängigkeit eines Beschäftigten komme insbesondere darin zum Ausdruck, daß er den Weisungen seines Arbeitgebers unterworfen sei. Dies sei beim Ehemann der Klägerin jedoch nicht der Fall gewesen. Das Krankenhaus möge mancherlei Anordnungen über Einrichtungen und Personal des Hauses getroffen haben, in seinem fachärztlichen Bereich jedoch sei der Ehemann der Klägerin selbständig und keinen Anordnungen der Krankenhausleitung unterworfen gewesen. Vollends klar werde, daß sowohl das Krankenhaus als auch der Ehemann der Klägerin die Tätigkeit nicht als abhängig und versicherungspflichtig angesehen hätten, wenn man berücksichtige, daß der Ehemann der Klägerin im Gegensatz zu den übrigen angestellten Ärzten des Krankenhauses kein Kindergeld erhalten und daß das Krankenhaus für ihn keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt habe. Die Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts vom 7. November 1931 (Arb.Bl. für die britische Zone 1948 S. 394) treffe nicht zu, da der Ehemann der Klägerin nicht gehalten gewesen sei, seine ganze Arbeitskraft in den Dienst des Krankenhauses zu stellen; vielmehr habe seine Privatpraxis seine Haupteinnahmequelle gebildet. Weder die Erweiterung der Behandlungspflichten durch das Schreiben der Generaloberin vom 26. November 1951 noch das Gewähren einer festen, auch während des Urlaubs gezahlten Monatsvergütung habe die Rechtsstellung des Ehemannes der Klägerin als Belegarzt geändert; denn sie seien schon von Anfang an vorgesehen gewesen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das ihr am 25. Juli 1963 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. August 1963 Revision eingelegt und sie am 18. September 1963 begründet.

Sie führt insbesondere aus: Ihr Ehemann habe spätestens seit Zahlung des Gehaltfixums die Tätigkeit eines leitenden Krankenhausarztes in einem echten Abhängigkeitsverhältnis ausgeübt; denn er habe sämtliche und nicht nur die von ihm eingewiesenen Patienten des St. Josefskrankenhauses auf seinem Fachgebiet behandeln und den anderen Chefärzten des St. Josefskrankenhauses als Konsiliarius zur Verfügung stehen müssen. Seine Tätigkeit als leitender Arzt am St. Josefskrankenhaus habe zur Höherstufung dieses Krankenhauses geführt. Seine Privatpraxis in Büren sei sehr klein gewesen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach den in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Detmold gestellten Anträgen der Klägerin zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die geringfügige Pauschalsumme habe nur einer sachgerechten Aufbesserung des noch geringfügigeren Bettengeldes bedeutet.

II

Die Revision ist zulässig. Sie hatte auch insofern Erfolg, als das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen worden ist.

Ob der Ehemann der Klägerin bei einer gegen Arbeitsunfälle versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO) verunglückt ist, richtet sich nach den §§ 537 ff RVO in der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Fassung – aF – (Art. 4 § 1 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes – UVNG – vom 30. April 1963 – BGBl I 241).

Nach § 537 Nr. 2 RVO aF standen zwar grundsätzlich alle im Gesundheitswesen Tätigen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine Sonderregelung galt jedoch gemäß § 541 Nr. 5 RVO aF für Ärzte; diese waren bei ihrer freiberuflichen Tätigkeit versicherungsfrei. Ein Entschädigungsanspruch der Klägerin ist daher nur begründet, wenn ihr Ehemann im St. Josefskrankenhaus auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses beschäftigt oder aus einem anderen Grund nicht freiberuflich, d. h. nicht selbständig (BSG 11, 149, 153), tätig gewesen war.

Maßgebend ist hierfür, ob der Ehemann der Klägerin nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit in einem persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu dem Träger des St. Josefskrankenhauses stand (vgl. u. a. BSG 11, 149, 150; BSG SozR RVO § 537 aF Nr. 8; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.–6. Aufl., Bd. II, S. 470 b, 306 h).

Das LSG hat jedoch über die wesentlichen Merkmale der Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin, auf Grund deren die Frage seiner Selbständigkeit oder aber eines versicherten Beschäftigungsverhältnisses zu beurteilen ist, keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

Diese Feststellungen erübrigen sich nicht deshalb, weil nach § 1 Satz 2 des Vertrages vom 26. November 1951 „ein Anstellungs- oder anstellungsähnliches Verhältnis” nicht begründet werden sollte. Der erkennende Senat hat schon in seinem Urteil vom 21. Oktober 1958 (SozR RVO § 537 aF Nr. 8) ausgeführt, daß entsprechend einem in der Sozialversicherung allgemein anerkannten Grundsatz nicht nach den von den Vertragspartnern gewählten Bezeichnungen oder der zivilrechtlichen Erscheinungsform der Vereinbarungen, sondern nach der tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse sowie der Art der Tätigkeit zu entscheiden ist, ob jemand als versicherter Arbeitnehmer anzusehen ist (ebenso BSG 13, 130, 132; BSG SozR RVO § 633 aF Nr. 7 und § 537 aF Nr. 39; Brackmann aaO S. 470 a, 302 b, 306 h, 307). Deshalb kann der vom LSG neben dem Wortlaut des Vertrages noch hervorgehobene Wille der Vertragspartner ebenfalls nur Anhaltspunkte für die Bewertung der festzustellenden Tätigkeitsmerkmale geben; denn es wäre nicht gerechtfertigt, im Bereich der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherung den Versicherungsschutz wesentlich von der vertraglichen Ausgestaltung durch die Beteiligten abhängig zu machen (Brackmann aaO S. 470 a). Demnach ist nicht zwingend auf eine freiberufliche Tätigkeit im Sinne des § 541 Nr. 5 RVO aF zu schließen, wenn der Ehemann der Klägerin vom Träger des Krankenhauses nicht als angestellter Arzt angesehen wurde und deshalb kein Kindergeld erhielt. Daß der Ehemann der Klägerin keine Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten leistete, kann darauf beruhen, daß er zusammen mit seinen Einkünften aus der Eigenliquidation für die Behandlung im Krankenhaus die Versicherungspflichtgrenze überschritten hatte. Aber selbst die irrtümliche Annahme einer Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung hätte ihm nicht den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung genommen. Das LSG hätte deshalb auch insofern noch weitere tatsächliche Feststellungen treffen müssen, bevor es die fehlende Beitragsleistung zur Angestelltenversicherung hier zuungunsten der Klägerin bewerten konnte. Ebenso ist auch der vom LSG angeführte Umstand, daß für den Ehemann der Klägerin keine Lohnsteuerkarte ausgestellt wurde, als solcher nicht von entscheidender Bedeutung; denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kommt es für die Frage, ob ein versicherungspflichtiges abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, nicht ausschlaggebend auf die steuerrechtliche Veranlagung an (vgl. BSG 3, 30, 41; 15, 65, 69; 19, 265, 269; SozR RVO § 537 aF Nr. 8 u. 39); versicherungsrechtlich relevant sind unter Umständen lediglich die tatsächlichen Gegebenheiten, auf denen eine bestimmte steuerrechtliche Beurteilung beruht; den Feststellungen des LSG ist jedoch nicht zu entnehmen, auf welche Tatsachen das Finanzamt sich bei der Veranlagung des Ehemannes der Klägerin in der fraglichen Zeit gestützt hat.

Einem Beschäftigungsverhältnis des Ehemannes der Klägerin zum St. Josefskrankenhaus steht schließlich nicht zwingend die Vereinbarung eines Schiedsgerichts unter Ausschluß des Rechtsweges zur Entscheidung etwaiger Streitigkeiten aus dem Vertrag vom 26. November 1951 (§ 9 des Vertrages) entgegen (vgl. Bayer. LSG, Bayer. Amtsbl 1955 S. B 19, 22, 23). Eine schiedsgerichtliche Vereinbarung schließt eine nach dem Gesamtbild der Tätigkeit vorhandene persönliche Abhängigkeit nicht aus; vielmehr ist die Rechtswirksamkeit einer solchen Vereinbarung in Frage gestellt, wenn nach dem Gesamtbild der Tätigkeit ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis besteht. Aus dieser Vereinbarung kann nur auf den Willen der Vertragspartner geschlossen werden, ein Anstellungs- oder anstellungsähnliches Verhältnis nicht zu begründen; dieser Wille ist jedoch, wie bereits dargelegt, hier nicht allein entscheidend.

Das Gesamtbild der vom Ehemann der Klägerin im St. Josefskrankenhaus ausgeübten ärztlichen Tätigkeit, wie es im Vertragswortlaut und den späteren Abwandlungen des Vertragsinhalts zum Ausdruck gelangt, erlaubt bis jetzt noch keine sichere Schlußfolgerung, daß diese Tätigkeit nicht in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit verrichtet worden sei. Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine Reihe von Gesichtspunkten, die sonst eine Tätigkeit als freiberuflich kennzeichnen mögen, im Hinblick auf die Besonderheiten des Arztberufs kaum als eindeutige Merkmale zur Abgrenzung zwischen freiberuflicher und abhängiger Tätigkeit geeignet erscheinen.

In dieser Hinsicht hat das LSG insbesondere nicht genügend beachtet, daß die Eigenverantwortlichkeit eines Arztes bei der Behandlung seiner Patienten für sich allein noch kein entscheidendes Merkmal für die persönliche Unabhängigkeit bedeutet; eine solche – weisungsrechtliche Eingriffsmöglichkeiten der Krankenhausverwaltung in die ärztliche Berufstätigkeit erheblich einschränkende – eigenverantwortliche Stellung ist nämlich in der Regel auch dem fest angestellten oder beamteten Chefarzt eines Krankenhauses eingeräumt, der aber trotzdem in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Krankenhausträger steht (vgl. BAG 11, 225; BSG 10, 41, 44, 46; 11, 149, 151; Bayer. LSG aaO S. 21; Kuhns/Reinhard, Das gesamte Recht der Heilberufe, S. I 363; Molitor, Krankenhaus und Chefarzt, S. 9 ff; Schmelcher, KHA 1953, 229, 230; Brackmann aaO, S. 470 e). Es reicht daher zur abschließenden Beurteilung nicht aus, daß im angefochtenen Urteil zur Frage der persönlichen Unabhängigkeit ausgeführt worden ist, der Ehemann der Klägerin habe zwar mancherlei Anordnungen über Einrichtungen und Personal des Krankenhauses beachten müssen, sei jedoch in seinem fachärztlichen Bereich selbständig und keinen Anordnungen der Krankenhausleitung unterworfen gewesen; Weisungen, denen er sich wie alle Krankenhausärzte zu fügen hatte, seien von der Krankenhausleitung in ihrer Eigenschaft als Hausherr, nicht aber als Vorgesetzter oder Dienstherr des HNO-Facharztes ergangen. Falls diese Erwägungen nicht lediglich die Eigenverantwortlichkeit des behandelnden Krankenhausarztes betreffen sollen, aus der – wie dargelegt – zur Frage der persönlichen Unabhängigkeit nichts Entscheidendes herzuleiten ist, hätte es näherer Feststellungen darüber bedurft, welchen Anordnungen und Weisungen der Ehemann der Klägerin – genau wie die hauptamtlich angestellten Ärzte des St. Josefskrankenhauses – unterworfen war und welche Direktiven der Krankenhausleitung ihn – im Unterschied zu seinen hauptamtlichen Berufskollegen – nicht betrafen. In diesem Zusammenhang fällt es besonders auf, daß in § 2 Abs. 2 des Vertrages vom 26. November 1951 die „allgemeine Dienstanweisung für Krankenhausärzte” als wesentlicher Vertragsbestandteil für den Ehemann der Klägerin für verbindlich erklärt worden ist. Da das LSG es versäumt hat, den Inhalt dieser Dienstanweisung (vgl. Kuhns/Reinhard S. I 350) im einzelnen zu ermitteln, läßt sich von vornherein über das Gesamtbild der Tätigkeit, die der Ehemann der Klägerin im St. Josefskrankenhaus ausübte, kein klarer Überblick gewinnen. Die Bezeichnung der Dienstanweisung als solche läßt eher vermuten, daß für den Ehemann der Klägerin eine stärkere Bindung an den Krankenhausbetrieb bestanden hat, als es bei einer Bezugnahme auf eine bloße Hausordnung oder Belegarztordnung (vgl. Kuhns/Schmelcher, S. I 200; Schmelcher KHA 1953, 231, 237) der Fall gewesen wäre. Wenn übrigens der Ehemann der Klägerin feste Dienststunden im Krankenhaus nicht einhalten mußte, so entspricht dies nur einer auch bei angestellten Chefärzten geltenden Übung (vgl. Kuhns/Reinhard S. I 342); bedeutsam wäre es jedoch, ob er allein bestimmen konnte, in welchem zeitlichen Umfang er sich insgesamt seinen stationären Patienten widmete oder ob er auf Anweisung der Krankenhausleitung den Patienten in der Regel täglich ausreichend zur Verfügung zu stehen hatte (vgl. Bayer. LSG aaO S. B 22).

In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage entscheidende Bedeutung, ob und in welchem Ausmaß der Ehemann der Klägerin auch solche Patienten, die nicht aus seiner ambulanten HNO-Praxis hervorgegangen waren, bei stationärer Aufnahme ins St. Josefskrankenhaus fachärztlich behandeln mußte. Allerdings kommt es hierbei – entgegen dem Revisionsvorbringen – nicht so sehr auf die konsiliarische Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages) und die Behandlung der Ordensschwestern an, da ein als Belegarzt tätiger Organfacharzt derartige Tätigkeiten auf Grund allgemeiner ethischer Standespflichten zu übernehmen pflegt, ohne damit in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Krankenhaus zu treten (vgl. Kuhns/Schmelcher aaO S. I 197 f). Davon abgesehen hat jedoch für den Ehemann der Klägerin – wie es schon § 5 Buchst. a des Vertrages vom 26. November 1951 erkennen läßt und vom Zeugen Dr. Kotzolt bestätigt worden ist – die Verpflichtung bestanden, auch Kassenmitglieder und sonstige Patienten, die vor der Krankenhausaufnahme nicht in seiner privaten HNO-Praxis gewesen waren, im Krankenhaus zu behandeln. Dies hat auch das LSG zwar festgestellt, es hat diesem Umstand aber nicht die gebührende Beachtung gewidmet. Eine solche Verpflichtung wäre nämlich von vornherein untypisch für einen echten, freiberuflich tätigen Belegarzt, der im Regelfall nur die von ihm eingewiesenen Kranken zu behandeln hat und für den die stationäre Behandlung seiner Patienten lediglich die Fortsetzung seiner ambulanten selbständigen Tätigkeit bedeutet (vgl. Brackmann aaO S. 470 h; Molitor aaO S. 108; Schmelcher, KHA 1962, 1, 5; Albrecht, SV 1960, 101, 102; Boller, BG 1964, 72 und MfU 1964, 174; Kuhns/Schmelcher aaO S. I 183; Bayer. LSG aaO S. 20; FG Hannover, Urteil vom 21.12.1959, mitgeteilt in ÄM 1960, 1849, 1851). Die Verpflichtung eines Organfacharztes, sämtliche im Krankenhaus befindlichen Patienten seines Fachgebiets ohne Rücksicht darauf zu behandeln, ob sie von ihm selbst im Rahmen seines Belegkontingents eingewiesen wurden, spricht jedenfalls dann mehr für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, wenn sie nicht nur in vereinzelten Fällen verwirklicht wird (vgl. Bayer LSG aaO S. 21; Kuhns/Schmelcher aaO S. 204; Albrecht aaO; BAG aaO; BSG 11, 151). Hiernach sind eingehende Feststellungen darüber erforderlich, wie sich die Zahl der vom Ehemann der Klägerin im Rahmen seines Belegkontingents eingewiesenen eigenen Patienten zur Zahl derjenigen verhielt, deren Behandlung ihm erstmals im Krankenhaus auf Grund seiner vertraglichen Bindung übertragen wurde; ergibt sich hierbei, daß er fortlaufend in nicht unerheblichem Umfang die Behandlung fremder Patienten übernehmen mußte, so würde dies – im Gesamtbild seiner Krankenhaustätigkeit – ein starkes Indiz gegen eine freiberufliche Stellung als Belegarzt bedeuten. In enger Beziehung hierzu steht die – gleichfalls noch klärungsbedürftige – Frage, wie für den Ehemann der Klägerin – im Vergleich zu den fest angestellten Ärzten des St. Josefskrankenhauses – die Haftpflicht für ärztliche Kunstfehler bei den stationären Behandlungen geregelt war (vgl. hierzu Kuhns/Schmelcher aaO S. I 187; BAG aaO S. 229; Bayer. LSG aaO S. 23).

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Abhängigkeit steht es der Annahme eines versicherten Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich nicht entgegen, daß der Ehemann der Klägerin die Tätigkeit im St. Josefskrankenhaus zu Salzkotten neben der freiberuflichen Facharztpraxis ausgeübt hat, mit der er in Büren niedergelassen war; denn auch fest angestellten Krankenhauschefärzten ist in der Regel die Ausübung von Privatpraxis – unter Umständen auch auswärts – gestattet (vgl. Molitor aaO S. 69 ff; Kuhns/Reinhard aaO S. I 358, 360). Entscheidungserheblich kommt es auf das wirtschaftliche Verhältnis an, in dem die Einnahmen aus der ambulanten Praxis und diejenigen aus der stationären Behandlungstätigkeit – insbesondere an Patienten, die nicht aus der eigenen Praxis stammten – zueinander gestanden haben (vgl. Kuhns/Schmelcher S. I 183). In dieser Beziehung heißt es nun zwar im angefochtenen Urteil, nicht der Dienst im St. Josefskrankenhaus, sondern die Privatpraxis in Büren sei für den Ehemann der Klägerin von überwiegender Bedeutung gewesen und habe seine Haupteinnahmequelle gebildet. Die Entscheidungsgründe bieten indessen nicht den geringsten Hinweis, auf welche tatsächlichen Feststellungen das LSG diese Annahme gestützt hat. Das Revisionsvorbringen, die Privatpraxis sei nur sehr klein und ohne die Hinzunahme der Krankenhaustätigkeit nicht existenzfähig gewesen, wird dem LSG insoweit besonderen Anlaß zur weiteren Erforschung des Sachverhalts geben. Bedeutsam könnte es – im Falle einer größeren Privatpraxis – auch sein, ob deren Bestand und Entwicklung eventuell von der Ermöglichung operativer Krankenhausbehandlungen abhing und ob für diesen Zweck der Ehemann der Klägerin allein auf das St. Josefskrankenhaus angewiesen war oder auch in anderen Krankenhäusern Belegbetten zu ähnlichen Bedingungen erhalten haben würde.

Schließlich bedarf es auch noch weiterer Ermittlungen zur Frage der Vergütung, die dem Ehemann der Klägerin vom St. Josefskrankenhaus gewährt wurde. Eine gleichbleibende Pauschalvergütung vermag ein Zeichen persönlicher Abhängigkeit zu bilden (SozR RVO § 165 Nrn. 8 u. 27). Dennoch ist auch bei einem Arzt die Form der Vergütung von Dienstleistungen allein nicht das maßgebende Kriterium, da sie ebenfalls wegen der Besonderheiten des Einzelfalles abweichend von der Regelform gewährt sein kann (vgl. Bayer. LSG aaO S. 22; Kuhns/Schmelcher aaO S. I 180, 204, 209). Vor einer Berücksichtigung der Vergütungsform im Rahmen des Gesamtbildes der Krankenhaustätigkeit wird das LSG noch aufzuklären haben, ob die Pauschalvergütung von 250,– DM nur für die Behandlung der Ordensschwestern oder auch für die Behandlung von Kassenpatienten gewährt wurde, ferner ob neben diesem Pauschalhonorar noch weiterhin ein Anspruch auf das in § 5 Buchst. a des Vertrags vereinbarte „Bettengeld” bestand. Eine Pauschalvergütung von nur 250,– DM für die Tätigkeit im Krankenhaus schließt eine abhängige Beschäftigung nicht aus, da auch beim angestellten Chefarzt die Einkünfte aus den Behandlungen für Privatpatienten bei der Festsetzung des vom Krankenhaus zu zahlenden Gehalts berücksichtigt werden können (vgl. BAG aaO S. 229; BGHZ 7, 1, 13; Kuhns/Schmelcher S. I 193; Kuhns/Reinhard aaO S. I 363).

Das LSG muß demnach vor seiner erneuten Entscheidung in der Sache das Gesamtbild der Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin weiter ermitteln, wobei besonders die oben aufgezeigten bisherigen Unklarheiten zu berücksichtigen sind. Erst wenn sich hiernach ausreichend überblicken läßt, in welchem Verhältnis der Ehemann der Klägerin seine Arbeitskraft der Privatpraxis einerseits, der Behandlungstätigkeit im St. Josefskrankenhaus andererseits zu widmen hatte und wie sich seine Einkünfte aus diesen beiden Tätigkeitsbereichen zueinander verhielten, wird das erforderliche Gesamtbild abgesteckt sein, in dessen Rahmen sodann die übrigen, vom LSG bereits gewürdigten Gesichtspunkte – auch die Urlaubsregelung (§ 6 des Vertrags, vgl. Kuhns/Reinhard aaO S. 364) – gegeneinander abzuwägen sind. Da es entscheidend auf das Gesamtbild der Tätigkeit ankommt, kann nicht darauf abgestellt werden, ob der Ehemann der Klägerin am Unfalltag seine Privatpatienten oder aber ihm von anderen Ärzten zugewiesene Patienten noch einmal aufsuchen wollte.

Die Sache ist nach alldem an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), dessen abschließendem Urteil auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten bleibt.

 

Unterschriften

Brackmann, Demiani, Dr. Baresel

 

Fundstellen

Haufe-Index 707706

BSGE, 29

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