Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.11.1982; Aktenzeichen L 6 Ar 38/82)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. November 1982 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Höhe dem Kläger Konkursausfallgeld (Kaug) zusteht.

Der Kläger war im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojekts als Außenhandelsexperte (Exportberater) in Indonesien tätig. Sein Dienstvertrag vom 10. Oktober 1973 mit der EU-MA-Test Institut für Marktforschung und Absatzförderung GmbH (im folgenden: GmbH) sah in § 4 eine monatliche Vergütung von insgesamt 7.500,– DM (4.500,– DM Grundgehalt, 1.500,– DM Wohnungszuschuß und 1.500,– DM Tagegeld) vor. Ferner waren eine Erhöhung des Grundgehaltes um 5 % vom 1. Januar 1974 an sowie jährliche Erhöhungen um 10 % auf der Basis des Anfangsgrundgehalts vom 1. November 1974 an vereinbart. Nach einer Arbeitstätigkeit von jeweils zwei Jahren stand dem Kläger ein bezahlter Heimaturlaub von 3 Monaten zu, bei dem die Flugkosten für ihn und seine Familienangehörigen von der Arbeitgeberin zu zahlen waren. Die GmbH, die das Entwicklungshilfeprojekt in Indonesien im Auftrag der D. G. – f. T. Z. GmbH (GTZ) abwickelte, beendete ihre dortige Tätigkeit aufgrund einer Vertragsauflösung zum Ende des Jahres 1976. Die GTZ übernahm die weitere Durchführung des Projekts selbst und unterbreitete den Mitarbeitern der GmbH Vertragsangebote zur Weiterbeschäftigung. Der Kläger, der ein solches Angebot nicht annahm, erhielt schon seit November 1976 seine Gehaltszahlungen von der GTZ, so auch im Januar und Februar 1977 in Höhe von 7.269,– DM; für März 1977 wurde ihm die Hälfte dieses Betrages aufgrund eines vor dem Landesarbeitsgericht (LArbG) Frankfurt am Main vom 9. Juli 1980 geschlossenen Vergleichs (8/10 Sa 674/78) gezahlt. Die GmbH hatte mit Schreiben vom 14. März 1977 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger vorsorglich zum 15. September 1977 gekündigt, da dieser ein Vertragsverhältnis mit der GTZ begründet habe. Im anschließenden Kündigungsschutzprozeß stellte das ArbG Frankfurt am Main rechtskräftig fest, daß die Kündigung der GmbH das Arbeitsverhältnis des Klägers erst zum 30. September 1977 aufgelöst habe (Urteil vom 8. September 1977 – 11 Ca 99/77 –). Der Kläger seinerseits hatte mit Schreiben vom 26. April 1977 gegenüber der GmbH die außerordentliche Kündigung zum 30. April 1977 ausgesprochen, weil sie trotz Aufforderung monatelang kein Gehalt gezahlt habe; gleichzeitig hatte er die Zahlung der vertragsgemäßen Vergütung aus § 628 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verlangt.

Der Kläger hatte daraufhin seine Tätigkeit in Indonesien Ende April 1977 beendet und war Anfang Mai 1977 in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt. Als Urlaubsabgeltung wurden ihm vom ArbG Frankfurt ca 15.000,– DM für insgesamt 58 Tage zuerkannt (rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 1. September 1977 – 11 Ca 163/77 –). Die GmbH, die dem Kläger auch weiterhin kein Gehalt gezahlt hat, beendete ihre Betriebstätigkeit vollständig zum Ende Juni 1977. Daraufhin beantragte der Kläger am 30. September 1977 bei der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Gewährung von Kaug. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, die innerhalb des maßgeblichen Kaug-Zeitraums von Februar bis April 1977 noch ausstehenden Arbeitsentgeltansprüche für die Zeit von Mitte März bis Ende April und der Urlaubsabgeltungsanspruch könnten aufgrund einer Aufrechnung mit einer Gegenforderung der früheren Arbeitgeberin in Höhe von 30.000,– DM nicht mehr beansprucht werden (Bescheid vom 10. November 1980). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. April 1981).

Im anschließenden Klageverfahren ist die Beklagte verurteilt worden, dem Kläger Kaug in Höhe von 36.580,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1978 zu zahlen (Urteil des Sozialgerichts –SG– Mainz vom 19. Mai 1982). Die dagegen gerichtete Berufung ist mit der Maßgabe zurückgewiesen worden, daß der Kläger nur einen Anspruch in Höhe von – 36.148,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1978 hat (Urteil des Landessozialgerichts –LSG– Rheinland-Pfalz vom 12. November 1982). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, der vom SG angenommene Gehaltsanspruch des Klägers sei um nicht bewiesene 144,– DM monatlich zu kürzen. Im übrigen bestehe aber der Anspruch auf Kaug für die Zeit von April bis Juni 1977. Zu den Arbeitsentgeltansprüchen iS von § 141b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm mit § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a Konkursordnung (KO) seien entgegen der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch die aus der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses resultierenden Schadensersatzansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB zu zählen, so daß insoweit eine Ausnahme von der regelmäßigen Begrenzung des Kaug-Zeitraumes durch das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses anzunehmen sei. Die Neufassung des § 141b Abs. 1 AFG, die den Kaug-Zeitraum auf die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis – und nicht mehr auf die letzten drei Monate vor diesem Ereignis – festgelegt habe, habe den Arbeitnehmerschutz verstärken, nicht schwächen sollen. Da nach der alten Fassung dieser Bestimmung Schadensersatzansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB ohne Zweifel kaug-fähig gewesen sei, müsse dies auch weiterhin gelten. Der Kläger habe auch zweifelsfrei einen Urlaubsabgeltungsanspruch von insgesamt 58 Tagen. Da dieser von der Beklagten nur dem Grunde nach angegriffen worden sei, bestehe rechnerisch kein Zweifel an der Höhe des vom SG festgestellten Abgeltungsanspruchs, der die Höhe des Kaug mitbestimme. Die von der Beklagten geltend gemachte angebliche Aufrechnung mit einer den streitigen Betrag übersteigenden Gegenforderung sei nicht festgestellt und könne auch nicht fingiert werden.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 141b AFG. Das LSG habe zu Unrecht in den Kaug-Zeitraum die Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einbezogen. Dies widerspreche dem Gesetzeswortlaut. Nach der neuen Fassung des § 141b AFG habe der Gesetzgeber die Schadensersatzansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB aus dem Kaug-Zeitraum ausgeschlossen. Dies entspreche auch dem Sinn des Kaug, nur solche Entgeltansprüche zu sichern, die während des Arbeitsverhältnisses entstanden, dh erarbeitet worden seien, um es dem Arbeitnehmer zu erleichtern, dem Arbeitgeber die Treue zu halten. Nach der Rechtsauffassung des BAG sei ein Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB nicht einmal Masseschuld iS des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a KO, auf den § 141b Abs. 2 AFG verweise. Das LSG habe auch übersehen, daß das der Kaug-Berechnung zugrundeliegende Arbeitsentgelt nach § 141d AFG um den fiktiven, in der Bundesrepublik Deutschland normalerweise zu entrichteten Steuersatz zu mindern sei. Der dem Kläger nach der Auffassung der Beklagten zustehende Kaug-Anspruch für rückständige Entgeltansprüche für die Zeit von Mitte März bis Ende April 1977 sei im übrigen durch Aufrechnung erloschen. Zwar habe die Arbeitgeberin des Klägers die Aufrechnung nicht erklärt; gleichwohl müsse die Beklagte so gestellt werden, als ob sie erklärt worden sei, da sie, die Beklagte, nicht darunter leiden dürfe, daß der Arbeitgeber aus Interesselosigkeit rechtliche Abwehrmöglichkeiten unterlasse. Deshalb müsse die Sache evtl zur näheren Aufklärung der Aufrechnungslage zurückverwiesen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. November 1982 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 19. März 1982 aufzuheben, die Klage abzuweisen und zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, hinsichtlich der Urlaubsabgeltung sei die Revision nicht begründet worden, so daß sie insoweit unzulässig sei. Hinsichtlich der Kaug-Fähigkeit von Schadensersatzansprüchen aus § 628 Abs. 2 BGB sei ergänzend darauf hinzuweisen, daß das Motiv, den Arbeitnehmer auch nach Zahlungsunfähigkeit zur Treue gegenüber dem Arbeitgeber zu veranlassen, keine Tatbestandsvoraussetzung für den Kaug-Anspruch sei. Er, der Kläger, sei bereits Anfang 1977 von seiner Arbeitgeberin im Stich gelassen worden; insofern habe er, um nicht mehr zur Anwesenheit in Indonesien verpflichtet zu sein, das Arbeitsverhältnis lösen müssen. Sollte davon ausgegangen werden, daß maßgeblicher Kaug-Zeitraum die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses seien, sei auch insoweit noch ein Restanspruch auf kaug-fähiges Arbeitsentgelt gegeben. Hinsichtlich der streitigen Gegenforderungen seiner Arbeitgeberin sei eine Berücksichtigung ohne Aufrechnung im Gesetz nicht vorgesehen. Darüber hinaus bestehe eine solche Forderung gar nicht. Auch eine Minderung um die fiktiven Steuern scheide aus. Gerade die Steuerfreiheit sei Bestandteil der Vergütung, die sonst entsprechend höher hätte ausfallen müssen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist aus dem Hilfsantrag der Beklagten begründet. Die Sache war an das LSG zurückzuverweisen, weil die Tatsachenfeststellungen des LSG zur abschließenden Entscheidung nicht ausreichen.

Zu Unrecht macht der Kläger geltend, die Revision sei mangels ausreichender Begründung hinsichtlich der Urlaubsabgeltung unzulässig. Da es sich hierbei nicht um einen selbständigen Streitgegenstand handelt, wird die im übrigen ausreichende Revisionsbegründung auch insoweit den gesetzlichen Formerfordernissen mit der Folge gerecht, daß der Senat die Begründetheit der Revision im vollen Umfang prüfen muß (vgl. BSGE 3, 180, 186).

In der Sache ist zunächst davon auszugehen, daß wegen des im Inland liegenden Schwerpunktes der Rechtsbeziehungen des Klägers zu seiner früheren Arbeitgeberin – deren inländische Insolvenz dem deutschen Konkursrecht unterliegt – die kaug-rechtlichen Vorschriften der §§ 141 a ff AFG anzuwenden sind. Darüber wird zwischen den Beteiligten auch nicht gestritten. Hierzu hat der erkennende Senat bereits entschieden (Urteil vom 21. September 1983 – 10 RAr 6/82 –, zur Veröffentlichung bestimmt), daß ungeachtet des Wohnsitzgrundsatzes in § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) der allgemeine kollisionsrechtliche Grundsatz der Ausstrahlung, wie er nunmehr in § 4 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) Ausdruck gefunden hat, auch im kaug-rechtlichen Leistungsrecht anzuwenden ist (§ 30 Abs. 2 SGB I in der bis 30. Juni 1983 gültig gewesenen Fassung; seitdem § 37 SGB I idF des Gesetzes vom 4. November 1982, BGBl I 1450, 1463). Danach steht ein ausländischer Wohnsitz oder ständiger Aufenthalt des Arbeitnehmers während der Begründung seines Arbeitsentgeltanspruchs der Anwendung der §§ 141 a ff AFG nicht entgegen, wenn der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale seines Arbeitsverhältnisses im Inland liegt, ohne daß eine „Entsendung” im strengen Sinne des § 4 SGB IV vorliegen muß. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses des Klägers lag im Bundesgebiet und nicht etwa an seinem Tätigkeitsort in Indonesien. Dies ergibt sich aus der Eigenart seiner für einen inländischen Arbeitgeber zur Abwicklung eines Entwicklungshilfeprojekts im Ausland ausgeübten Tätigkeit, deren zeitliche Begrenzung das LSG – für den Senat bindend – festgestellt hat. Auch die im Arbeitsvertrag des Klägers erfolgte Vereinbarung der Vergütung in inländischer Währung sowie die Gewährung von speziellem „Heimaturlaub” bestätigen dieses Ergebnis.

Die Klage wäre – iS der Revision – dann unbegründet, wenn der Kläger die Antragsfrist des § 141e AFG versäumt hätte. Nach dieser Bestimmung, die hier in der Fassung durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des AFG (5. AFG-ÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl I S 1189) anzuwenden ist, weil bei Inkrafttreten der Neufassung noch keine unanfechtbare Entscheidung über den Kaug-Anspruch ergangen war (§ 141e Abs. 3 AFG, seit 1. Januar 1982 § 141e Abs. 4 AFG), ist der Anspruch auf Kaug innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach Eröffnung des Konkursverfahrens zu stellen (§ 141e Abs. 1 Satz 2 AFG). Der Eröffnung des Konkursverfahrens stehen nach § 141b Abs. 3 AFG bei Anwendung der Vorschriften des 3. Unterabschnitts (§§ 141a bis n AFG) die Insolvenztatbestände des § 141b Abs. 3 Nrn 1 und 2 AFG gleich. Die Ausschlußfrist beginnt dann mit diesen Ereignissen, also im Falle der hier allein in Betracht kommenden Nr. 2 mit der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes, wenn ein Antrag auf Konkurseröffnung nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Der Kläger hat zwar den Antrag auf Kaug mehr als zwei Monate nach der vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit seines Arbeitgebers im Bundesgebiet gestellt, die nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG zum Ende Juni 1977 erfolgt ist. Ob aber die übrigen Voraussetzungen des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG vorgelegen haben, steht nicht fest. Da in diesem Kaug-Versicherungsfall die Insolvenz nicht fachkundig durch das Konkursgericht geprüft wird, sondern im Verfahren über das Kaug festzustellen ist, reicht es aus, daß insoweit Tatsachen festgestellt werden, die regelmäßig den Schluß auf die Insolvenz des Arbeitgebers zulassen (BSG SozR 4100 § 141b Nr. 21). Diese Feststellungen wird das LSG noch zu treffen haben.

Ist der Tatbestand des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG Ende Juni 1977 erfüllt gewesen und daher die Antragsfrist des § 141e Abs. 1 Satz 2 AFG nicht gewahrt, steht noch nicht fest, ob der Kläger dies zu vertreten hat. Hat der Arbeitnehmer die Ausschlußfrist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird das Kaug gewährt, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden ist. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Ausschlußfrist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 141e Abs. 1 Sätze 3 und 4 AFG). Damit ist der Fall angesprochen, daß der Arbeitnehmer, der vor dem Insolvenzereignis aus dem Betrieb ausgeschieden ist, nichts von diesem Ereignis erfahren hat, weil er sich um seine Ansprüche nicht gekümmert hat (vgl. BT-Drucks 8/2624, S 31). Zu der Frage, ob sich der Kläger mit der erforderlichen Sorgfalt bemüht hat, seine hier maßgeblichen Ansprüche – insbesondere die rückständigen Gehaltsansprüche für die Zeit von Februar bis Ende April 1977 – durchzusetzen, hat das LSG ebenfalls keine Feststellungen getroffen.

Auf die Einhaltung der Antragsfrist käme es nur dann nicht an, wenn die Klage aus anderen Gründen unbegründet wäre. Das ist nicht der Fall. Dem Kläger steht – abgesehen von der Antragsfrist – Kaug jedenfalls für das Arbeitsentgelt zu, das für die Zeit vor seiner Kündigung (30. April 1977) rückständig ist. Anspruchsgrundlage ist § 141b AFG. Danach kann Kaug beanspruchen, wer bei Eintritt des Insolvenzfalles bei seinem Arbeitgeber für die letzten diesem Ereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat (§ 141b Abs. 1 AFG). Kaug ist danach nicht nur denjenigen Arbeitnehmern zu gewähren, deren Arbeitsverhältnis bis zum Insolvenzfall bestanden hat, sondern auch denjenigen, die vor dem Insolvenzfall aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, aber noch ausstehende Lohnansprüche haben. Das hat das 5. AFG-ÄndG vom 23. Juli 1979 (BGBl I S 1189) durch die Ergänzung des § 141b Abs. 2 AFG klargestellt (vgl. BT-Drucks 8/2624 S 30 zu Nr. 48a; BSG SozR 4100 § 141b AFG Nr. 18). Nach dieser Bestimmung gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die – unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden – Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a KO sein können. Das bedeutet, daß rückständiges Arbeitsentgelt unabhängig davon, welche Zeitspanne zwischen dem Ende des Arbeitsverhältnisses und dem Insolvenzfall liegt, einen Anspruch auf Kaug auslösen kann (vgl. BT-Drucks, aaO).

Da das mit der GmbH auch über den 31. Dezember 1976 hinaus fortbestehende Arbeitsverhältnis des Klägers von ihm durch fristlose Kündigung wirksam zur 30. April 1977 beendet worden ist, können allerdings – entgegen der Auffassung des LSG – die danach entstandenen Ansprüche gegen seinen Arbeitgeber aus § 628 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Kaug nicht begründen. Denn diese Ansprüche stehen dem Kläger nicht für den maßgeblichen Kaug-Zeitraum – die letzten drei Monate seines Arbeitsverhältnisses – zu, sondern entfallen auf Zeiten nach beendetem Arbeitsverhältnis. Ob derartige Schadensersatzansprüche, die aus der vom Arbeitgeber vertragswidrig veranlaßten Kündigung erwachsen und an die Stelle der entgangenen Arbeitsvergütung treten, schon deshalb aus der Kaug-Versicherung ausgeschlossen sind, weil sie nicht Masseschulden iS von § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a KO sind (BAGE 34, 101 = NJW 1981, 885 = AP Nr. 11 zu § 59 KO Bit kritischer Anmerkung von Uhlenbruck) und daher auch nicht zu den kaug-fähigen Arbeitsentgeltansprüchen iS der Verweisungsvorschrift des § 141b Abs. 2 AFG gehören, kann hier dahingestellt bleiben. Auch wenn der Senat davon ausgeht, daß die Schadensersatzansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB – wie bisher allgemein anerkannt – (vgl. die Nachweise zum konkursrechtlichen, zivilrechtlichen und arbeitsrechtlichen Schrifttum im Urteil des BAG, aaO, und in den Urteilen des BSG SozR 4100 § 141b AFG Nrn 10 und 12; zum Kaug-Recht: Gagel, Kaug, zugleich 2. Lfg zu Gagel/Jülicher, AFG, § 141b RdNr. 8; Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG, § 141b RdNr. 24, Stand Mai 1975; Hess, GK-AFG, § 141b RdNr. 36a; Schiekel/Grüner/Dalichau, AFG, § 141b Anm. 6) weiterhin als „Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis” iS von § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a KO und damit als „Arbeitsentgelt” iS des Kaug-Rechts anzusehen sind, fallen sie gleichwohl nicht mehr in den maßgeblichen Kaug-Zeitraum des § 141b Abs. 1 AFG. Nach der heute maßgeblichen Fassung dieser Bestimmung durch Art. 27 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuer-Reformgesetz (EG-EStRG) vom 21. Dezember 1974 (BGBl I S 3656, 3668) sind dies „die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses” vor dem jeweiligen Insolvenzereignis, die kaug-rechtlichen Schutz genießen. Ist das Arbeitsverhältnis vor dem Insolvenzfall beendet worden, kann Kaug für die daran anschließenden, noch vor dem Insolvenzfall liegenden Monate nach dem Wortlaut des § 141b AFG nicht beansprucht werden. Infrage gestellt wird dieses Ergebnis allerdings durch die Entwicklungsgeschichte des § 141b Abs. 1 AFG. Nach der ursprünglichen Fassung dieser Bestimmung (Art. I § 141b Abs. 1 des Gesetzes über Konkursausfallgeld – 3. AFG-ÄndG – vom 17. Juli 1974, BGBl I, S 1481) waren nämlich allein die Arbeitsentgeltansprüche für die drei letzten Monate vor dem jeweiligen Insolvenzereignis maßgebend; das Bestehen des Arbeitsverhältnisses war nicht Voraussetzung für den Kaug-Anspruch. Ziel dieser Regelung war eine Sicherung der Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die für diese Zeit infolge der Insolvenz des Arbeitgebers nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt worden sind (BT-Drucks 7/1750, S 11, 12 zu § 141b Abs. 1 AFG). Bei der Auslegung und Anwendung dieser Gesetzesfassung wurde davon ausgegangen, daß Schadensersatzansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB, soweit sie Lohnersatz darstellen und auf den genannten Zeitraum entfallen, durch Kaug auszugleichen waren (zB Dienstblatt der BA, Ausgabe A Nr. 70 vom 29. Oktober 1974, S 1251, 1255; Hornung, Rechtspfleger 1976, S 386, 387; Soergel/Siebert, BGB, 11. Aufl, Bd. 3, § 611 RdNr. 168). Wird nun berücksichtigt, daß die Verschiebung des Kaug-Zeitraums auf die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor Konkurseröffnung, die durch das EG-EStRG rückwirkend zum 20. Juli 1974 erfolgte, nach den Motiven des Gesetzgebers allein eine Besserstellung der Arbeitnehmer bezweckte – nämlich den Ausgleich von Nachteilen, die sich durch die Verzögerung der Entscheidung über die Konkurseröffnung ergeben können (BT-Drucks 7/2945, S 4 zu Art. 23 Nrn 19a und b) –, so erscheint zweifelhaft, ob der Gesetzgeber bestimmte, bisher geschützte Ansprüche der Arbeitnehmer nunmehr aus der Kaug-Regelung ausnehmen wollte. Es fehlen jedenfalls Anhaltspunkte für die Annahme, daß durch die Erweiterung auf die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses insoweit eine Änderung – nämlich eine Verschlechterung zu Lasten der schadensersatzberechtigten Arbeitnehmer – eintreten sollte. Diese hätte zur Folge, daß der Arbeitnehmer, der bei längerer vertragswidriger Nichtzahlung des Gehalts von seinem Arbeitgeber zur Kündigung veranlaßt wird, schlechtergestellt wäre als derjenige, der sein Arbeitsverhältnis formal weiterbestehen läßt und daher für seine rückständigen Ansprüche auf Arbeitsentgelt unter den Voraussetzungen des § 615 BGB Kaug-Schutz genießt. Diese Schlechterstellung müßte ihn zu taktischen Überlegungen zwingen, ob er trotz Unzumutbarkeit das Arbeitsverhältnis aufrecht erhält oder von seinem Recht zur fristlosen Kündigung dennoch Gebrauch macht und dabei für seine Schadensersatzansprüche das Fehlen der Kaug-Sicherung in Kauf nimmt.

Ob allein aufgrund dieser Überlegungen und im Hinblick auf die Motive des Gesetzgebers eine ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke angenommen werden kann (so Gagel, Kaug, § 141b AFG RdNrn 8, 11; im Ergebnis ebenso Hess, GK-AFG, § 141b AFG RdNr. 36a), oder ob davon auszugehen ist, daß die neue Gesetzesfassung nicht nur zu einer Begünstigung, sondern gleichzeitig auch zu einer Schlechterstellung der Arbeitnehmer gerade bezüglich der Ansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB geführt hat (so Hornung, aaO; Schönefelder/Kranz/Wanka, aaO, § 141b AFG RdNrn 20, 24; Schiekel/Grüner/Dalichau, aaO, § 141d AFG Anm. 6), bedarf hier ebenfalls keiner abschließenden Entscheidung.

Auch wenn der Senat davon ausgeht, daß der Gesetzgeber die Problematik des § 628 Abs. 2 BGB übersehen hat und insoweit eine Gesetzeslücke vorliegt, ist nämlich eine Ausfüllung durch Rechtsfortbildung – iS der Ergänzung eines wenigstens intentional „vorhandenen” Systems nicht möglich (vgl. zu „unausfüllbaren Lücken”, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl, S 354 ff, 358, 386). Es läßt sich nämlich anhand des den §§ 141a AFG ff zugrunde liegenden Systems kein dem gesetzlich festgelegten Kaug-Zeitraum entsprechender Zeitraum finden, dem die Schadensersatzansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB, die gerade erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses entstehen, zuzuordnen wären. Die Kaug-Versicherung schützt den Arbeitnehmer vor Lohnausfall in Fällen der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers. Dieser Schutz ist aber grundsätzlich zeitlich – auf drei Monate – begrenzt. Da sich die Annahme, daß mit der Sicherung der dem Insolvenzfall unmittelbar vorhergehenden drei Monate die rückständigen Arbeitsentgeltansprüche „in den meisten Fällen vollständig erfaßt” werden (BT-Drucks 7/1750 S 10), nicht erfüllt hat, wurde die enge zeitliche Bindung des Dreimonatszeitraums an den Insolvenztag beseitigt und nunmehr die drei letzte Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzfall als Kaug-Zeitraum festgelegt. Sollte damit vornehmlich der Schutz der Arbeitnehmer verbessert werden, deren Arbeitsverhältnis bereits vorher wirksam gekündigt worden war, die also für die drei letzten Monate vor dem Insolvenzereignis möglicherweise keinen kaug-fähigen Arbeitsentgeltanspruch mehr hatten, konnte gleiches nicht für diejenigen Arbeitnehmer gelten, die durch vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers – insbesondere die Nichtzahlung des Gehalts – zur fristlosen Kündigung veranlaßt worden sind und denen deshalb ein Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erwachsen ist. Hätten auch diese Ansprüche, die an die Stelle des ausfallenden Arbeitsentgelts treten und dessen Funktion übernehmen, erfaßt werden sollen, hätte der Gesetzgeber zwei Kaug-Zeiträume nebeneinander, nämlich den gesetzlich vorgesehenen der letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses und denjenigen für die erst danach entstehenden Schadensersatzansprüche des § 628 Abs. 2 BGB vorsehen müssen. Hierbei scheidet die Möglichkeit, bei schadensersatzberechtigten Arbeitnehmern das Arbeitsverhältnis iS des § 141b Abs. 1 AFG für die Dauer der Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers als fortbestehend anzusehen, schon deshalb aus, weil diesem Personenkreis nicht das Recht genommen werden kann, Kaug für die gesetzlich vorgesehenen letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses zu fordern, wenn dies für den Arbeitnehmer günstiger ist. Abgesehen davon stünde eine derartige Ausnahme im Widerspruch zu § 628 Abs. 2 BGB und zum arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitsverhältnisses, an den das Kaug-Recht aber gerade anknüpft (vgl. BT-Drucks 7/1750 S 12 zu § 141b Abs. 2). Der schadensersatzberechtigte Arbeitnehmer müßte mithin ein Wahlrecht haben, ob er Kaug für sein auf die letzten Monate seines Arbeitsverhältnisses entfallendes Entgelt oder Kaug für den Schadensersatz für die anschließende Zeit beanspruchen will. Dabei ist auch hinsichtlich der Schadensersatzansprüche nicht eindeutig, welche drei Monate aus dem Zeitraum zwischen dem Ende des Arbeitsverhältnisses und dem Insolvenztatbestand – der erheblich mehr als drei Monate umfassen kann – durch das Kaug zu ersetzen wären. Da das Schicksal des schadensersatzberechtigten Arbeitnehmers in dieser Zeit vielfältigen Änderungen unterliegen kann (zB Arbeitslosmeldung, Bezug von AFG-Leistungen, Annahme einer neuen Arbeit), wäre die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dem Arbeitnehmer die Auswahl der jeweils günstigsten drei Monate zu überlassen. Da das Gesetz für derartige Wahlmöglichkeiten keinerlei Anhaltspunkte bietet und insoweit verschiedenartige gesetzliche Regelungen denkbar sind, die einer näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürften, kommt eine Lückenausfüllung durch richterliche Rechtsfortbildung nicht in Betracht (vgl. Larenz, aaO, S 410 f). Ein gesetzgeberischer Plan, der vollendet oder richtiggestellt werden könnte, ist insoweit nicht zu erkennen. Es ist auch kein Rechtsnotstand ersichtlich, der die Schließung der durch das EG-EStRG geschaffenen Regelungslücke zwingend geböte. Für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehen dem Arbeitnehmer, wenn er keinen neuen Arbeitsplatz findet, regelmäßig die Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu Verfügung.

Da somit die Monate Mai und Juni 1977 nicht in die maßgebliche Kaug-Zeit fallen, können die dem Kläger für diese Monate zustehenden Ansprüche gegen seinen Arbeitgeber keinen Anspruch auf Kaug auslösen. Allerdings fällt das rückständige Arbeitsentgelt, insbesondere das Gehalt für die Monate Februar bis einschließlich April 1977 in den Kaug-Zeitraum, wobei sich der Kläger aber die für diesen Zeitraum bereits geleisteten Zahlungen der GTZ anrechnen lassen muß. Denn diese Zahlungen, die nach den Feststellungen des LSG für Februar und den halben Monat März erbracht worden sind, haben insoweit als Leistung eines Dritten (§ 267 Abs. 1 BGB) zur – teilweisen – Erfüllung der Gehaltsansprüche des Klägers geführt.

Der Kaug-Anspruch des Klägers entfällt schließlich auch nicht deshalb, weil die restlichen Arbeitsentgelt-Ansprüche für die Kaug-Zeit infolge Aufrechnung mit einer – höheren – Gegenforderung der früheren Arbeitgeberin erloschen wären. Ob diese gegen den Kläger eine derartige Gegenforderung hat, mit der sie gegen den Gehaltsanspruch aufrechnen könnte, kann dahingestellt bleiben. Es ist jedenfalls vom LSG nicht festgestellt worden, daß die Arbeitgeberin eine solche Aufrechnung erklärt hat. Die Beklagte ist nicht Inhaberin einer solchen Forderung und kann die Aufrechnung nicht anstelle des Arbeitgebers erklären. Eine vom Arbeitgeber unterlassene Aufrechnung kann ein Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten nicht begründen. Dafür bietet das Gesetz keine Handhabe. Insbesondere kann eine entsprechende Anwendung von § 141c AFG nicht dazu führen, daß die BA eine Minderung des Arbeitsentgeltanspruchs und damit des Kaug-Anspruchs durch Aufrechnung mit Forderungen des Arbeitgebers herbeiführt; denn insoweit fehlt es an der nach § 387 BGB erforderlichen Gegenseitigkeit der Forderungen (vgl. Gagel, aaO, § 141c RdNr. 10). Auch aus § 242 BGB kann die Beklagte eine andere Beurteilung nicht herleiten; denn insoweit fehlen Anhaltspunkte für die Annahme, daß die unterlassene Aufrechnung auf einem treuwidrigen Zusammenwirken zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beruht oder der Arbeitnehmer wenigstens Kenntnis hatte, daß der Arbeitgeber die Aufrechnung in der Absicht unterlassen hat, ihn sachwidrig – auf Kosten der BA – zu begünstigen.

Kann danach mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht darüber entschieden werden, ob ein Anspruch auf Kaug besteht, so bedarf die Frage, wie das Kaug im einzelnen zu berechnen ist, hier keiner Entscheidung, weil sie im jetzigen Zeitpunkt nicht rechtserheblich ist. Das gilt auch für die Berücksichtigung der Urlaubsabgeltung (vgl. hierzu BSG SozR 4100 § 1316 Nrn 5 und 16).

Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzuentscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 201

ZIP 1984, 1249

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