Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf Beitragszuschuß entsteht mit der Erfüllung seiner materiell-rechtlichen Voraussetzungen; dazu gehört nicht der Rentenfeststellungsbescheid. Die Verjährung des Anspruchs beginnt mit seiner Entstehung.

2. Vertritt ein Versicherungsträger generell in einer noch ungeklärten, schwierigen Rechtsfrage eine Rechtsansicht, die sich späterhin als nicht zutreffend erweist, so liegt darin noch kein vorwerfbares Verhalten, das für sich allein die Erhebung der Verjährungseinrede zur unzulässigen Rechtsausübung machen würde.

 

Normenkette

RVO § 29 Abs. 3 Fassung: 1924-12-15, § 381 Abs. 4 S. 2 Fassung: 1967-12-21, § 1235 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23; SGG § 54 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. April 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Verjährung eines Beitragszuschusses.

Der in den USA wohnhafte Kläger beantragte im August 1962 unter Hinweis auf seine frühere Beitragsleistung zur deutschen Rentenversicherung die Gewährung einer Rente. Die Beklagte erkannte den Anspruch an und bewilligte ihm durch Bescheid vom 13. Oktober 1965 mit Wirkung ab 1. August 1962 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Im Juli 1972 beantragte der Kläger die Gewährung eines Beitragszuschusses nach § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Er legte Bescheinigungen eines Krankenversicherungsunternehmens über die Höhe seiner Beiträge ab 1962 vor. Die Beklagte erkannte den Anspruch mit Bescheid vom 1. Februar 1973 an und gewährte dem Kläger den Beitragszuschuß ab August 1968. Für die vorhergehende Bezugszeit berief sie sich auf Verjährung.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren, in dem der Kläger die Zahlung des Beitragszuschusses auch für den vorhergehenden Zeitabschnitt forderte, hat das Sozialgericht Berlin den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen (Urteil vom 14. Juni 1974): Die Beklagte habe in ihrem Bescheid keine Gründe dafür angegeben, warum sie nach ihrem Ermessen die Verjährungseinrede erhoben habe. Demgemäß sei das Gericht nicht in der Lage zu prüfen, ob sie von dem Ermessen in zulässiger Weise Gebrauch gemacht habe.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlußberufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen sowie die Anschlußberufung zurückgewiesen (Urteil vom 23. April 1975). Es hat die Auffassung vertreten, daß der Kläger den Beitragszuschuß aus grober Fahrlässigkeit nicht früher beantragt habe, das Verhalten seines Bevollmächtigten sei dem Kläger zuzurechnen. Dem Bevollmächtigten sei spätestens Anfang 1971 die Rechtsprechung über den Beitragszuschuß bekannt gewesen, wie das Gericht aus anderen anhängigen Rechtsstreitigkeiten wisse. Unter diesen Umständen falle die spätere Antragstellung vorwiegend in seinen Verantwortungsbereich. Dementsprechend habe sich die Beklagte ermessensfehlerfrei auf die Verjährung berufen dürfen und es komme nicht darauf an, ob sie etwa gegen Belehrungspflichten verstoßen habe.

Gegen dieses Urteil hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 11. November 1975 die Revision zugelassen, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Verjährung bei Ansprüchen auf Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO eintritt, höchstrichterlich noch nicht entschieden, jedoch für die Entscheidung weiterer noch schwebender Rechtsstreitigkeiten wesentlich ist und ihr daher grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung von § 29 Abs. 3 RVO, § 1324 RVO sowie § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach seiner Auffassung ist bei dem Beitragszuschuß zu unterscheiden zwischen den Ansprüchen, die auf einer Krankheitskosten-Vollversicherung des Rentners beruhen, und denjenigen, die im Wege des Prämienvergleichs begründet werden. Der Prämienvergleich hänge von zahlreichen unwägbaren Komponenten ab. Daraus folge, daß sich bei Anwendung dieses Maßstabs keine exakte Voraussage über die Begründetheit eines Anspruchs treffen lasse. Anders sei das bei der Krankheitskosten-Vollversicherung. Die dafür anwendbaren Grundsätze seien erst durch ein Urteil des Bundesozialgerichts (BSG) vom 20. Oktober 1972 klargestellt worden. Da der Kläger den Antrag bereits im Juli 1972 gestellt habe, treffe ihn kein Verschulden und demgemäß sei die Beklagte nicht berechtigt, die Verjährungseinrede zu erheben.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Berlin vom 23. April 1975 nach den diesseitigen Anträgen zweiter Instanz (siehe Bl. 5 des angefochtenen Urteils) zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie weist darauf hin, daß die Unkenntnis vom Bestehen eines Anspruchs ein typischer Verjährungsgrund sei, der die Verjährungseinrede nicht ermessensfehlerhaft machen könne. Das gelte insbesondere dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Unkenntnis dadurch bewirkt worden sei, daß der Versicherte nicht beim Versicherungsträger rückgefragt habe. Nur wenn der Versicherungsträger mit seinem Verwaltungshandeln gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, mithin schuldhaft gehandelt hätte, dürfe er sich nicht auf die Verjährung berufen. Ein solcher Sachverhalt liege hier aber nicht vor. Im übrigen seien dem Bevollmächtigten des Klägers die Rechtsprechung und die Verwaltungspraxis der Beklagten bereits seit August 1970 bekannt gewesen.

II

Die Revision ist nicht begründet. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung eines weiteren Beitragszuschusses für die Zeit vor dem 1. August 1968 ist verjährt.

Aus den Feststellungen des LSG läßt sich entnehmen, daß der Versicherte in der hier allein noch streitigen Zeit vom 1. August 1962 bis zum 31. Juli 1968 die materiellrechtlichen Voraussetzungen des § 381 Abs. 4 RVO erfüllt hatte. Insoweit hat auch die Beklagte im Revisionsverfahren keine Rügen erhoben. Demgemäß ist davon auszugehen, daß dem Kläger bei rechtzeitiger Antragstellung ein Beitragszuschuß zugestanden hätte. Da der Versicherte ihn jedoch erstmals nach den ebenfalls nicht angefochtenen Feststellungen des LSG am 31. Juli 1972 gestellt hat, konnte sich die Beklagte für die Bezugszeit vor dem 1. August 1968 zu Recht auf Verjährung berufen.

Die Verjährung von Leistungen des Versicherungsträgers richtet sich im vorliegenden Fall noch nach § 29 Abs. 3 RVO. Die Neuregelung der Verjährung durch § 45 des Sozialgesetzbuchs, Allgemeiner Teil (SGB, Allg. Teil), vom 11. Dezember 1975 (BGBl I 3015) greift hier nicht ein, weil der streitige Anspruch bereits vor dem Inkrafttreten der Vorschrift - am 1. Januar 1976 (Art. II §23 Abs. 1 SGB, Allg. Teil) - verjährt war (Art. II § 17 SGB, Allg. Teil). Danach verjährt der Anspruch auf Leistungen in vier Jahren nach der Fälligkeit, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt. Als solche andere Regelung sieht § 223 Abs. 1 RVO die Verjährung von Ansprüchen schon in zwei Jahren nach dem Tag der Entstehung vor, indes betrifft diese Vorschrift ausschließlich den Bereich der Krankenversicherung, denn das Gesetz beschränkt die kurze Verjährungsfrist auf "Kassenleistungen". Zu dieser Gruppe von Leistungen gehört der Beitragszuschuß nicht.

Wenn er auch dazu bestimmt ist, im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bestimmte Funktionen zu erfüllen - Ermöglichung kostengünstigen Krankenversicherungsschutzes -, so handelt es sich bei den Beitragszuschuß doch um eine Regelleistung der Rentenversicherung, die vom Rentenversicherungsträger aufzubringen ist. Die Vorschrift des § 1235 RVO führt zwar bei der Aufzählung der Regelleistungen der Rentenversicherung unter Nr. 5 nur "Beiträge für die Krankenversicherung der Rentner" auf, dazu gehören aber außer den in § 381 Abs. 2 RVO geregelten Pflichtbeiträgen zur KVdR auch die ihnen äquivalenten Beitragszuschüsse nach § 381 Abs. 4 RVO, weil ihnen die gleiche versicherungsmäßige Funktion zukommt (vgl. dazu § 23 Abs. 1 Nr. 1 e SGB, Allg. Teil). Aus dem rechtlichen Charakter des Beitragszuschusses als Regelleistung der Rentenversicherung - und zwar als Nebenleistung zur Rente - folgt, daß die nur für Kassenleistungen bestimmten speziellen Verjährungsregeln des § 223 Abs. 1 RVO für ihn keine Anwendung finden können. Für den Beitragszuschuß gilt vielmehr die allgemeine Regelung des § 29 Abs. 3 RVO.

Diese Vorschrift bewirkt, daß der Anspruch auf Leistungen des Versicherungsträgers der Verjährung unterliegt. Dabei ist unter "Anspruch" nicht der Anspruch auf die Versicherungsleistungen schlechthin zu verstehen, denn das Stammrecht auf den Beitragszuschuß ist als solches gleicherweise wie das auf Rente (vgl. BSG 34, 1, 4) unverjährbar. Der Beitragszuschuß als regelmäßig wiederkehrende Leistung (BSG 26, 73, 74) unterliegt nur insoweit der Verjährung, als davon die einzelnen (monatlichen) Zuschußleistungen betroffen werden.

§ 29 Abs. 3 RVO läßt seinem Wortlaut nach die Verjährung nach Ablauf einer Frist eintreten, die mit der "Fälligkeit" des Anspruchs beginnt. Die RVO enthält weder für den Beitragszuschuß noch für Renten eine ausdrückliche Regelung darüber, wann die jeweiligen einzelnen (regelmäßig wiederkehrenden) Leistungen fällig werden.

Der Große Senat (Gr.S.) des BSG hat in seinem Beschluß vom 21. Dezember 1971 (BSG 34, 1) des näheren dargelegt, daß schon nach der Entstehungsgeschichte bzw. den Gesetzesmaterialien zu § 29 Abs. 3 RVO der Lauf der Verjährungsfrist mit der Entstehung des Anspruchs beginnen sollte, daß also die Fälligkeit der Leistung i.S. des § 29 Abs. 3 RVO mit dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs eintritt (BSG 34, 1, 9, 18). Die Richtigkeit der Schlußfolgerung bestätigt § 223 Abs. 1 RVO, denn diese Vorschrift bestimmt ausdrücklich, daß die Verjährung von der "Entstehung" des Anspruchs an zu rechnen ist. Auch § 45 Abs. 1 SGB, Allg. Teil, stellt für die Verjährung auf den Entstehungszeitpunkt des Anspruchs ab.

Der Gr.S. des BSG hat die Grundsätze zur Auslegung des § 29 Abs. 3 RVO für einen Rentenanspruch entwickelt, für den der Rentenantrag keine materiell-rechtliche Bedeutung hat. Der erkennende Senat trägt keine Bedenken, sie auch für die Verjährung des Anspruchs auf Beitragszuschuß heranzuziehen. Dieser Anspruch betrifft ebenfalls eine regelmäßig wiederkehrende Leistung, und der Antrag auf Leistungsgewährung hat gleicherweise nur verfahrensmäßige (BSG 14, 112, 116) und keine materiellrechtliche Bedeutung. Überdies ist der Anspruch auf Beitragszuschuß dem Rentenanspruch insofern akzessorisch, als er dessen Bestehen voraussetzt. Auch hinsichtlich des Zwecks der Verjährung läßt sich kein Unterschied zwischen Rente und Beitragszuschuß erkennen. Hier wie dort soll der Rentenversicherungsträger davor bewahrt werden, durch Nachzahlungen für weit zurückliegende Zeiten eine unvorhergesehene Belastung zu erfahren (BSG 34,1,12). Es ist auch in der Sozialversicherung unbedenklich, nach Ablauf einer gewissen Zeit Verjährung eintreten zu lassen, zumal sie nicht das Stammrecht betrifft, sondern nur jeweils die monatliche Leistung erfaßt, die mehr als vier Jahre zurückliegt (BSG 34, 1, 13, 20). Die soziale Zweckbestimmung der Versicherungsleistungen schließt ebenfalls die Möglichkeit der Verjährung nicht aus.

So wie Renten generell dazu bestimmt sind, den laufenden Unterhalt des Berechtigten zu gewährleisten, soll der Beitragszuschuß dem Rentner die Möglichkeit eröffnen, sich durch eine Versicherung gegen das Risiko der Krankheit zu schützen. Dieser Aufgabe können aber Rückstände aus einer schon viele Jahre zurückliegenden Zeit nicht mehr dienen. In dem Zusammenhang kann nicht unbeachtet bleiben, daß ein Versicherungsschutz gegen Krankheit seinem Wesen nach nicht unbeschränkt rückwirkend begründet werden kann (vgl. BSG 39,235, 236, 238).

Beginnt die Verjährung mit der Entstehung des Anspruchs, so bedarf es zunächst der Ermittlung, zu welchem Zeitpunkt die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs gegeben gewesen sind. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Versicherte die Möglichkeit, den Anspruch bei dem Versicherungsträger geltend zu machen, d.h. ihn durch Antrag anzumelden; der Anspruch war mithin entstanden und fällig (BSG 34, 1,18). Der Erlaß des Rentenfeststellungsbescheids ist entgegen der Ansicht, die das Berufungsgericht in dem Urteil vom 28. November 1973 - L 9 Kr 31/73 - (KVRS Nr. 3700/11) vertreten hat - nicht Voraussetzung zur Entstehung des Anspruchs auf Beitragszuschuß. Das macht schon der Wortlaut der anspruchsbegründenden Norm deutlich. § 381 Abs. 4 Satz 1 RVO spricht denjenigen Personen einen Beitragszuschuß zu, "welche die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente oder einer Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder eines Ruhegelds oder einer Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Angestellten erfüllen". Damit stellt das Gesetz auf das Vorliegen der materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmale der Rentennorm ab. Die Vorschrift verlangt nicht, daß der Rentenanspruch bereits durch einen Bescheid des Rentenversicherungsträgers festgestellt sein müßte. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Erlaß eines Verwaltungsakts über die Rentenberechtigung zur materiell-rechtlichen Voraussetzung des Anspruchs auf Beitragszuschuß hätte erhoben werden sollen, da der Rentenfeststellungsbescheid keine konstitutive Bedeutung hat (vgl.BSG SozR Nr. 6 zu § 29 RVO).

Der Rentenversicherungsträger gewährt sowohl den Beitragszuschuß wie auch die Rente. Er muß demgemäß die Leistungen auf Antrag des Versicherten hin feststellen, nachdem er von Amts wegen deren Voraussetzungen geprüft und bejaht hat; unter diesen Umständen liegt kein sachlicher oder rechtlicher Grund dafür vor, die Gewährung der einen Leistung - Beitragszuschuß - davon abhängig zu machen, daß die andere - Rente - durch Bescheid desselben Versicherungsträgers verwaltungsmäßig abgeschlossen ist. Überdies ist es möglich, daß im Rentenbescheid ein zukünftiger Zeitpunkt als Rentenbeginn bestimmt wird; es wäre aber schlechterdings nicht verständlich warum dann der Anspruch auf Beitragszuschuß bereits mit der Zustellung des Rentenbescheids entstehen oder fällig werden sollte. Ist somit der Erlaß eines Rentenfeststellungsbescheids nicht materiell-rechtliche Voraussetzung des Anspruchs auf Beitragszuschuß, hängt von ihm auch nicht die Entstehung des Anspruchs und mithin nicht der Beginn der Verjährungsfrist ab.

Da der Beitragszuschuß als Nebenleistung des Versicherungsträgers zur Rente das Bestehen des Rentenanspruchs voraussetzt, kann sich die Entstehung des jeweiligen einzelnen (regelmäßig wiederkehrenden) Anspruchs bei Rente und Beitragszuschuß nur nach den gleichen Regeln richten. Bei der Rente sind die aus dem Stammrecht fließenden Einzelansprüche kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung als monatlich wiederkehrende und im voraus zahlbare Leistungen bestimmt (§ 1297 RVO). Demnach müssen auch die Einzelansprüche auf Beitragszuschuß als regelmäßig wiederkehrende Leistungen angesehen werden, die monatlich zur Entstehung gelangen und im voraus zahlbar sind. Für die Verjährung solcher Einzelansprüche ist auf deren jeweilige. Entstehung abzustellen. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Beitragszuschuß waren ab August 1962 erfüllt, so daß die Verjährungsfrist von dieser Zeit an lief. Sie wurde durch den am 31. Juli 1972 gestellten Antrag auf Beitragszuschuß unterbrochen.

Diese Rechtsfolge ergibt sich für die streitige Zeit - überdies übereinstimmend mit der jetzigen Rechtslage nach § 45 Abs. 2 und 3 SGB, Allg. Teil - aus der entsprechenden Anwendung des § 210 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), da die RVO keine eigenen Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung enthält und daher die des BGB sinngemäß anzuwenden sind (BSG 38, 224, 225). Bei Stellung des Antrags auf Beitragszuschuß war mithin die Verjährungsfrist von vier Jahren für alle die Einzelansprüche abgelaufen, die bis Juli 1968 entstanden waren (vgl. BSG 34, 124, 126; Urteil vom 18. September 1975 - 5 RJ 126/74).

Auf die Verjährung dieser Ansprüche konnte sich die Beklagte auch berufen. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es im pflichtgemäßen Ermessen eines Versicherungsträgers steht zu entscheiden, ob er eine Verjährungseinrede erheben will oder nicht. Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil keine Tatsachen angeführt, die es der Beklagten verwehren konnten, von der Verjährungseinrede Gebrauch zu machen. Auch der Kläger hat in seiner Revisionsbegründung keine Tatsachen vorgetragen, die zu derartigen Schlußfolgerungen führen könnten. Grundsätzlich ist der Eintritt der Verjährung lediglich vom Zeitablauf abhängig, ohne daß es auf die Frage des Verschuldens - sei es des Anspruchsberechtigten, sei es des Anspruchsverpflichteten oder sei es einer Abwägung des Verhaltens beider - ankäme. Zwar kann dem Leistungsverweigerungsrecht der Verjährung, wie jedem Recht, der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen, allein für die Annahme einer solchen nur in Ausnahmefällen eintretenden Rechtslage besteht kein Anhaltspunkt. Der Hinweis des Klägers auf die frühere Verwaltungspraxis der Beklagten bietet dafür jedenfalls keinen Ansatz. Aus dem Urteil des LSG ergibt sich, daß die Beklagte bis ins Jahr 1970 hin die Rechtsauffassung vertreten hatte, daß für Berechtigte im Ausland kein Anspruch auf Beitragszuschuß bestehe. Diese Rechtsauffassung hat die Beklagte aufgegeben, nachdem der erkennende Senat erstmalig mit Urteil vom 28. August 1970 (BSG 31, 288) - in der Entscheidung vom 23. August 1967 hätte der Senat die Grundsatzfrage der Auslandszahlung mit Rücksicht auf das deutsch - niederländische Sozialversicherungs-Abkommen ausdrücklich unentschieden gelassen (BSG 27, 129, 133) - über einen derartigen Anspruch entschieden und ihn bejaht hatte. Aus der ursprünglich ablehnenden Verwaltungspraxis der Beklagten, die unzweifelhaft auf eine unrichtige Rechtsauffassung zurückging, läßt sich indes allein ein Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung nicht ableiten. Zwar wäre das Verhalten eines Versicherungsträgers dann zu mißbilligen, wenn er nach Klärung einer Rechtsfrage durch gefestigte Rechtsprechung an einer entgegenstehenden unrichtigen Rechtsauffassung festhalten wollte. Es stellt hingegen kein vorwerfbares Verhalten dar, wenn ein Versicherungsträger in einer noch völlig offenen und dazu überaus schwierigen Rechtsfrage zunächst eine Rechtsansicht vertritt und in ständiger Verwaltungspraxis auch anwendet, die sich späterhin nach Klärung als nicht zutreffend erweist. Dadurch allein wird die Erhebung der gesetzlich zulässigen Verjährungseinrede, zu der der Versicherungsträger im Interesse einer sparsamen Haushaltsführung durchaus gehalten sein kann (vgl. BSG 20, 262, 265; 34, 1, 12), noch nicht zu einem Fall unzulässiger Rechtsausübung, der aus dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben abzuleiten ist (vgl. dazu BSG 34, 211 ff mit Literaturhinweisen; vgl. auch BSG 35,91, 94). Der Verstoß gegen Treu und Glauben betrifft ein von der Rechtsordnung mißbilligtes Verhalten. Der schwerwiegende Vorwurf unzulässiger Rechtsausübung muß deshalb auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen ein Versicherter dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, daß er auf ein konkretes ihm gegenüber an den Tag gelegtes Verhalten des Versicherungsträgers vertraut. Insbesondere wird dann ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegen, wenn der Versicherungsträger eine Verjährung arglistig oder sonstwie rechtswidrig herbeigeführt hat (vgl. BSG 20, 262, 265). Auch wenn einem Versicherten auf seine Anfrage hin eine unrichtige Auskunft erteilt wird und er im Vertrauen darauf eine gebotene Antragstellung unterläßt, so daß die Verjährung eines Anspruchs eintritt, kann der Vertrauensschutz des Versicherten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben der Verjährungseinrede entgegenstehen. Ein derartiger Sachverhalt ist aber weder vom LSG festgestellt noch vom Kläger behauptet worden.

Da somit keine Gründe erkennbar sind, die der Verjährungseinrede entgegenstehen, bedarf es auch keiner Prüfung des Verhaltens des Versicherten oder seines Bevollmächtigten, um etwas daraus die Zulässigkeit der Verjährung abzuleiten. Insbesondere kann es nicht darauf ankommen, ob ihm die Unterlassung eines Verhaltens (Antragstellung) als leichte oder grobe Fahrlässigkeit anzurechnen wäre. Ist somit davon auszugehen, daß der Versicherungsträger nicht gegen Treu und Glauben verstoßen hat, so ist damit auch die Frage des Ermessensgebrauchs beantwortet. Dem Gericht steht, soweit der Versicherungsträger nach Ermessen zu handeln befugt ist, nur die Prüfung zu, ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, weil nur dann Rechtswidrigkeit besteht (§ 54 Abs. 2 SGG). Ist aber festzustellen, daß ein Verhalten nicht gegen Treu und Glauben verstößt, dann werden dadurch auch die Grenzen der Rechtswidrigkeit nicht verletzt.

Da die Beklagte sich ohne Rechtsverstoß auf die Verjährung berufen hat, steht dem Kläger der im Rechtsstreit geltend gemachte Anspruch nicht zu. Seine Revision gegen das Urteil des LSG war demgemäß zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1649557

BSGE, 219

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