Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungen im Ausland

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Rentenantragsteller wird nur dann Mitglied der Familienhilfekasse, wenn er im Zeitpunkt des Endes seiner Mitgliedschaft aus eigener Versicherung keine (nachgehenden) Ansprüche auf Versicherungsleistungen hat. Änderungen der Voraussetzungen für den Familienhilfeanspruch während des Rentenverfahrens ändern die einmal begründete Mitgliedschaft nicht.

2. Versicherte haben Anspruch auf Krankenhauspflege im Ausland, wenn die notwendige Behandlung im Inland nicht möglich ist. Die Möglichkeit einer kostengünstigeren Behandlung im Ausland allein rechtfertigt den Anspruch nicht (Abgrenzung zu BSG 1977-10-05 3 RK 75/75 = SozR 2200 § 1244a Nr 11; BSG 1982-03-09 3 RK 64/80 = BSGE 53, 150, 154 = SozR 2200 § 222 Nr 1).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Aus der Ausgestaltung des Leistungs- und Vertragsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich, daß in aller Regel der Anspruch auf Sachleistungen nur im Geltungsbereich der RVO erfüllt wird. Eine Behandlung im Ausland kann auch nicht unter dem Grundsatz individueller Kostenerwägungen als generelle Alternative der Leistungsgewährung in Betracht kommen.

2. Die nachgehenden Leistungsansprüche gemäß § 183 Abs 1 S 2 sowie § 214 Abs 1 RVO sind "anderweitige gesetzliche Ansprüche" iS des § 205 Abs 1 S 1 RVO und gehen mithin einem Anspruch auf Familienkrankenhilfe vor.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 2 Fassung: 1930-07-26, § 183 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1961-07-12, § 184 Fassung: 1973-12-19, § 205 Abs. 1 S. 1, §§ 257a, 306 Abs. 2 Fassung: 1967-12-21, § 315a Abs. 1-2, § 368e Fassung: 1975-08-28, §§ 371, 214 Abs. 1 Fassung: 1979-07-23

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.11.1980; Aktenzeichen L 4 Kr 72/78)

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 23.11.1977; Aktenzeichen S 10 Kr 222/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) von der beklagten Betriebskrankenkasse (BKK) Ersatz für die von ihr getragenen Kosten einer stationären psychiatrischen Behandlung der Frau O. in der Schweiz verlangen kann.

Frau O. war bei der Klägerin als Bezieherin von Arbeitslosengeld (Alg) krankenversichert. Nachdem sie im Dezember 1975 einen Rentenantrag gestellt hatte, führte nach Beendigung des Bezugs des Alg ab 1. Februar 1976 die Klägerin nach § 315a der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Krankenversicherung durch. Vom 2. bis 10. April 1976 ging Frau O. für kurze Zeit erneut einer Arbeit nach. Ihr Ehemann war aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung Mitglied der Beklagten.

Nachdem der behandelnde Arzt eine stationäre Behandlung in R. (Schweiz) verordnet und der Vertrauensarzt der Klägerin die Behandlung befürwortet hatte, "da man sonst mit der Patientin nicht weiterkommt", sagte die Klägerin am 16. Juni 1976 die Übernahme der Kosten zu. Frau O. wurde in der Zeit vom 14. Juni bis zum 23. Juli 1976 stationär behandelt. Die dafür entstandenen Kosten in Höhe von 7.703,20 sfr zahlte die Klägerin, nachdem sie sich zuvor erfolglos an die Beklagte mit der Bitte gewandt hatte, diese Kosten zu übernehmen, weil sich inzwischen herausgestellt habe, daß die Beklagte die zuständige Krankenkasse sei.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Erstattung der Kosten für die stationäre Behandlung verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sie der Klägerin 7.414,93 DM zu zahlen hat. Das LSG hat in seinem Urteil vom 28. November 1980 ausgeführt, die Beklagte sei die gemäß § 315a Abs 1 und 3 iVm § 257a Abs 1 Satz 3 RVO zuständige Krankenkasse gewesen und hätte Frau O. die erforderliche Krankenhauspflege gewähren müssen, weil Dr. T. diese Leistung verordnet und der Vertrauensarzt sie befürwortet habe. Der Gesundheitszustand von Frau O. habe der stationären Behandlung bedurft, die somit notwendig gewesen sei. Die Klägerin habe dafür 7.414,93 DM aufwenden müssen. Der Ehemann von Frau O. habe aber einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung der erforderlichen Krankenhauspflege gehabt. Die Beklagte habe durch die Leistung der Klägerin die hierfür erforderlichen Aufwendungen erspart und sei deshalb zum Ersatz verpflichtet. Der Umstand, daß die Klägerin die Krankenhauspflege in der Schweiz gewährt habe, stehe dem Ersatzanspruch nicht entgegen. Der Einwand der Beklagten, die Leistung sei im Ausland gewährt worden, hätte nur dann Bedeutung, wenn dadurch höhere Aufwendungen entstanden wären als im Inland. Die Kosten der stationären Behandlung in der Klinik S. seien aber nicht höher gewesen, als wenn Frau O. im Inland behandelt worden wäre. Die Klägerin habe die zu gewährende Leistung nach Voraussetzungen, Umfang und Dauer mit einem geringeren Kostenaufwand erfüllt, als es der Beklagten nach der von ihr vertretenen Auffassung - Behandlung in F.- möglich gewesen wäre.

Mit ihrer durch Beschluß vom 30. April 1981 zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 184 RVO. Nach dieser Vorschrift habe ein Versicherter Anspruch auf Krankenhauspflege nur in einem Krankenhaus im Geltungsbereich der RVO. Der Verordnung des behandelnden Arztes Dr. T., eine stationäre Behandlung von Frau O. in der Schweiz statt in der psychiatrischen Klinik in F. durchzuführen, komme keine Bedeutung zu. Eine derartige Begutachtung diene der Krankenkasse lediglich als Entscheidungshilfe. Ob und wo die beantragte Leistung gewährt werde, entscheide ausschließlich der Kostenträger.

Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. November 1980 und des Sozialgerichts Freiburg vom 23. November 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und trägt zusätzlich vor, da nur eine stationäre Behandlung außerhalb des Geltungsbereichs der RVO erfolgsversprechend gewesen sei, habe diese Behandlung gewährt werden müssen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.

Als Anspruchsgrundlage für den Ersatz der bereits 1976 erbrachten Leistung kommt der ungeschriebene, in der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht (vgl BSGE 51, 112, 113 und Urteil des erkennenden Senats vom 16. Februar 1982 - SozR 2200 § 165 Nr 66 S 92 mN -).

Dem von der Klägerin geltend gemachten Ersatzanspruch liegen Aufwendungen zugrunde, die ihr durch eine in der Zeit vom 14. Juni bis 23. Juli 1976 erfolgte stationäre Behandlung von Frau O. in der Klinik S. entstanden. Voraussetzung dafür ist zunächst, daß die Beklagte die für die Krankenversicherung der Frau O. zuständige Krankenkasse war. Nach den Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß der Ehemann von Frau O. während dieser Zeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausübte und deshalb Mitglied der Beklagten war. Frau O. selbst, die im Dezember 1975 einen Rentenantrag gestellt hatte, war zuletzt vom 2. bis 10. April 1976 berufstätig. In der Zeit danach bis zum 14. Juni 1976 stand sie offenbar in keinem Beschäftigungsverhältnis.

Eine mögliche Zuständigkeit der Beklagten für die streitige Zeit ergibt sich nicht schon aus § 315a Abs 1 und 3 iVm § 257a Abs 1 RVO, wie das LSG annimmt. Zwar ist § 315a Abs 3 RVO, der die entsprechende Anwendung von § 257a Abs 1 RVO vorschreibt, durch Art 1 § 1 Nr 25 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) erst mit Wirkung vom 1. Juli 1977 neu gefaßt worden. Die bis dahin gültig gewesene Fassung sah nur eine entsprechende Anwendung des § 165 Abs 6 RVO vor. Dennoch hat die Neufassung inhaltlich keine Rechtsänderung gebracht. In der Regierungsbegründung der Vorschrift wird zwar - anders als zur Neufassung von § 315a Abs 2 Satz 2 RVO - nicht ausdrücklich von "Klarstellung" gesprochen. Es wird lediglich darauf hingewiesen, daß mit der Änderung des Abs 3 die Kassenzuständigkeit für die in § 315a RVO angesprochenen Rentenantragsteller in gleicher Weise geregelt werde wie für die in § 165 Abs 1 Nr 3 RVO bezeichneten Personen (BR-Drucks 76/77 S 29 zu § 1 Nr 23).

Dieselbe Rechtsfolge läßt sich jedoch aus § 257a Abs 1 Satz 3 iVm § 315a Abs 1 RVO aF entnehmen. Danach war bis zum Ablauf des Monats, in dem der die Rente gewährende Bescheid zugestellt wird, diejenige Kasse zuständig, der der Versicherte angehörte, dem der Anspruch auf Familienkrankenpflege zustände, wenn ohne die Versicherung nach § 165 Abs 1 Nr 3 Anspruch auf Familienkrankenpflege bestände. Mit dieser Vorschrift soll ersichtlich die Kassenzuständigkeit für die Zeit vor der Rentengewährung nicht nachträglich, sondern schon von Beginn des Rentenverfahrens an geregelt werden. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch in der Regel ungewiß, ob dem Antragsteller die Rente tatsächlich gewährt werden wird. Deshalb ist die Vorschrift von vornherein auf alle Rentenantragsteller anzuwenden. Demgemäß hat auch der erkennende Senat in seinem Urteil vom 8. Mai 1980 (SozR 2200 § 315 Nr 1 Satz 2) dazu ausgeführt, daß die Übergangszuständigkeit des § 257a Abs 1 Satz 3 RVO für alle Rentenbewerber gelte, deren Versicherungsschutz nach § 315a RVO sichergestellt sein solle. Eben dieser Übergangscharakter schließt es aber aus, eine Rückabwicklung für den Fall vorzunehmen, in dem ein ablehnender Bescheid erteilt wird (ebenso im Ergebnis Kierstein/Krückel, Die Krankenversicherung der Rentner, Stand November 1983, Nr 225 Anm 3, S 6f mit Hinweis auf § 315a Abs 2 Satz 2 RVO nF).

Das LSG hat zwar bindend festgestellt, daß der Zustand von Frau O. der stationären Behandlung bedurfte, diese somit notwendig war. Die Folgerung, der Ehemann von Frau O. habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung der erforderlichen Krankenhauspflege für diese als Sachleistung gehabt, beruht jedoch auf einem Mißverständnis von § 257a RVO. Diese Vorschrift enthält lediglich eine Zuständigkeitsregelung, der Anspruch selbst richtet sich nach der durch § 315a vermittelten Fiktion der Mitgliedschaft. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut von § 257a Abs 1 Satz 3 RVO, der von der hypothetischen Rechtslage ausgeht, die "ohne" die Versicherung nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO "bestände". Frau O. hätte also selbst nach § 184 iVm §§ 306, 315a RVO einen Krankenhauspflegeanspruch als Sachleistung gehabt.

Ob jedoch "ohne die Versicherung nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO Anspruch auf Familienhilfe bestände", richtet sich nach § 205 Abs 1 RVO idF des § 21 Nr 15 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974. Danach erhalten Versicherte für den unterhaltsberechtigten Ehegatten Krankenhilfe, wenn dieser nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege hat. Ein solcher "anderweitiger gesetzlicher Anspruch" ist iS von § 205 RVO aF auch der sogenannte "nachgehende Anspruch" des § 183 Abs 1 Satz 2 RVO (vgl BSG Urteil vom 19. Dezember 1979 - 8b/3 RK 37/78 - BKK 1980, 156; SozR 2200 § 205 RVO Nr 27; BSGE 25, 222). Diese Vorschrift bestimmt, daß die Krankenpflege eines Mitglieds, das während des Leistungsbezuges aus der Versicherung ausscheidet, spätestens 26 Wochen danach endet. Damit ist zwar zunächst nur ein Endpunkt für die Leistungsdauer bezeichnet, aber gleichzeitig wird damit der gesetzliche Anspruch auf Krankenpflege über das Ende der Mitgliedschaft hinaus erstreckt.

Das LSG ist davon ausgegangen, Frau O. habe in der Zeit vom 2. bis 10. April 1976 eine versicherungspflichtige Beschäftigung verrichtet und sei deshalb bei der Klägerin für diesen Zeitraum pflichtversichert gewesen. Die Charakterisierung dieser Beschäftigung durch das LSG als "versicherungspflichtig" stellt jedoch eine das Revisionsgericht nicht bindende rechtliche Wertung eines tatsächlichen Geschehens dar. Sollte sie zutreffen, dann besteht nach den bisher bekannten Umständen die Möglichkeit, daß Frau O. auch noch am 10. April 1976 wegen ihres Leidens behandlungsbedürftig gewesen ist. Dann aber könnte für sie über den 10. April 1976 hinaus nach § 183 Abs 1 Satz 2 RVO ein eigener Anspruch auf Krankenpflege gegen die Klägerin bestanden haben (auf den tatsächlichen Leistungsbezug kommt es dabei nicht an, vgl BSGE 28, 249, 252). Die Klägerin hätte dann für die gesamten Kosten einer Krankenhausbehandlung aufzukommen, denn auch das Behandlungsende am 23. Juli 1976 fiele in den 26-Wochen-Zeitraum.

Da das Urteil des LSG zu dieser Frage keine ausreichenden Feststellungen enthält, ist der Rechtsstreit schon aus diesem Grunde zur weiteren Sachaufklärung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Ferner aber erscheint es nicht ausgeschlossen, daß Frau O. aufgrund ihrer Erkrankung schon von vornherein überhaupt nicht in der Lage war, mit dieser vom LSG festgestellten Tätigkeit auch eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Es könnte sich um einen sogenannten mißglückten Arbeitsversuch gehandelt haben, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kein Versicherungsverhältnis begründen kann (vgl dazu zuletzt das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1982 - 8 RK 39/81 - demnächst SozR 2200 § 306 Nr 13; VersR 1983, 367; ErsK 1983, 199).

Die Klärung dieser nachträglich nur schwer zu beantwortenden Frage erübrigt sich jedoch dann, wenn Frau O. nicht nur am 10. April 1976, sondern schon bei ihrem Ausscheiden aus der Krankenversicherung der Arbeitslosen am 31. Januar 1976 behandlungsbedürftig gewesen sein sollte. Auch in diesem Falle umfaßte der Zeitraum des § 183 Abs 1 Satz 2 RVO die gesamte Behandlungsdauer in der schweizer Klinik. Da Frau O. auch während des Bezugs von Alg bei der Klägerin versichert war, hätte deshalb diese in jedem Fall für die Behandlungskosten selbst aufzukommen, so daß sie von der Beklagten keinen Ersatz verlangen könnte.

Sollten die vom LSG noch anzustellenden Ermittlungen jedoch ergeben, daß sich aus keinem der beiden Versicherungsverhältnisse ein Anspruch aus § 183 Abs 2 Satz 1 RVO herleiten läßt, dann ist ferner der nachgehende Anspruch aus § 214 Abs 1 RVO in Betracht zu ziehen. Diese Vorschrift gewährt Personen, die wegen Erwerbslosigkeit aus der Kassenmitgliedschaft ausscheiden, für eine begrenzte Zeit vollen Versicherungsschutz. Es handelt sich insofern um einen Fall der Versicherung ohne Mitgliedschaft (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl Bd II S 428b). Ihrem Zweck als Überbrückungsvorschrift bei - in der Regel vorübergehender - Erwerbslosigkeit entsprechend, ist dieser Leistungsanspruch zwar gegenüber solchen aus anderweitig begründeter eigener Mitgliedschaft subsidiär (vgl BSG SozR Nr 4 zu § 214 RVO: Vorrang der Krankenversicherung der Rentner; aaO Nr 7: Vorrang von § 313 Abs 2 RVO). Die Subsidiarität gilt freilich nicht im Verhältnis zu § 205 RVO. Nach dieser Vorschrift erhält der Versicherte für seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen nur dann Leistungen, wenn dieser nicht selbst anspruchsberechtigt ist. In diesem Sinne ist der - wenn auch bloß "nachgehende" - Anspruch aus § 214 RVO ein eigener Anspruch aus eigener früherer Versicherung, der den Anspruch auf die Leistungen der Familienhilfe ausschließt.

Voraussetzung des nachgehenden Anspruchs ist jedoch eine Vorversicherungszeit von mindestens 26 Wochen in den vorangegangenen 12 Monaten oder unmittelbar vor Eintritt der Erwerbslosigkeit von 6 Wochen (§ 214 Abs 1 Satz 1 RVO). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, läßt sich dem Urteil des LSG nicht entnehmen. Es enthält keinen Hinweis darauf, seit wann Frau O. Alg bezog (und damit krankenversichert war) und wie lange zuvor ihre versicherungspflichtige Beschäftigung gedauert hatte.

Derartige Feststellungen erübrigen sich nicht etwa deshalb, weil für Frau O. nach Ablauf von 3 Wochen (§ 214 Abs 1 Satz 1 RVO aF) nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht auf jeden Fall ein Anspruch auf Familienhilfe bestanden hätte, und dieser Zeitpunkt in beiden Fällen (22. Februar bzw 2. Mai 1976) vor dem Behandlungsbeginn am 14. Juni 1976 lag.

In der Literatur wird zwar die Ansicht vertreten, daß ein Wechsel zur Kasse der Familienhilfe auch dann stattfinde, wenn die Voraussetzungen der Familienhilfe erst während des Rentenantragsverfahrens eintreten (Kierstein/Krückel, aaO S 7; Jantz, Krankenversicherung der Rentner, 4. Lfg 1970 § 257a S K 79; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 257a Anm 3f, S 17/ 928-9; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, § 257a RVO Anm 2.2, S 267). Ob dies jedenfalls in den Fällen gilt, in denen die Voraussetzungen des Anspruchs auf Familienhilfe für den Versicherten selbst erst während des Rentenantragsverfahrens erfüllt werden (zB weil dieser erst von da an eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat), braucht hier nicht erörtert zu werden. Es würde aber dem Sinn des § 257a Abs 1 Satz 3 RVO - nur für eine begrenzte Zeit eine Zuständigkeitsregelung zu treffen - widersprechen, einen wiederholten Kassenwechsel jeweils im Gefolge sich ändernder Erfüllung der Familienhilfevoraussetzungen zu bewirken. § 257a Abs 1 Satz 1 RVO läßt vielmehr das grundsätzliche Interesse des Gesetzgebers an einer Konstanz der Kassenzuständigkeit erkennen.

Entscheidend für diese Kassenzuständigkeit während des gesamten Rentenantragsverfahrens ist deshalb der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Krankenversicherung der Rentner. Dieser fällt dann mit dem Tag der Rentenantragstellung zusammen, wenn der Rentenbewerber zuvor nicht selbst krankenversichert war; in den übrigen Fällen schließt er jedoch an das Ende der eigenen Versicherung an, sei diese durch eigene versicherungspflichtige Beschäftigung oder durch den Bezug von Alg oder durch einen sonstigen Tatbestand begründet worden (vgl SozR 2200 § 257a Nr 6, S 7). Da dieser Versicherung bei Erfüllung der Vorversicherungszeit regelmäßig der nachgehende Anspruch aus § 214 RVO folgt, führt dies freilich dazu, daß in solchen Fällen die Zuständigkeitsregelung des § 257a Abs 1 Satz 1 RVO nicht wirksam werden kann, so daß die Leistungen für die gesamte Dauer des Rentenantragsverfahrens von der bisherigen Krankenkasse und nicht von der für die Familienhilfe zuständigen Kasse zu erbringen sind. Das gilt auch dann, wenn nach Ablauf des in § 214 RVO genannten Zeitraums ein Anspruch auf Familienhilfe bestände. Wenn auch nach § 381 Abs 3 Nr 3 RVO für den Rentenantragsteller Beitragsfreiheit eintritt, bewirkt das jedoch nicht, daß von da an diejenige Krankenkasse zuständig wird, die aufgrund eines hypothetischen Anspruchs auf Familienhilfe ohnehin einer beitragsfreien Person die Krankenhilfe zu gewähren hätte. Dieses von der Grundvorstellung des Gesetzgebers abweichende Ergebnis ist aber seinerseits Folge des Umstandes, daß es sich hier nicht um Personen handelt, die zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung - und im Unterschied zu dem vom Gesetzgeber vorgestellten Regelfall - in die Familienhilfe einbezogen waren, sondern um solche, deren Krankenversicherungsschutz auf eigener Versicherung beruhte. Wirtschaftlich dürfte dieses Ergebnis für die Krankenkassen kaum ins Gewicht fallen, da das Gesetz der großen Zahl einen Ausgleich der Belastungen erwarten läßt. Für den Rentenantragsteller selbst ergibt sich allerdings die Konsequenz, daß er für die Dauer des nachgehenden Anspruchs zur Beitragsleistung verpflichtet ist (so auch schon Wittenberg, KrV 1975, 72f). Dies ist aber nichts anderes als der Regelfall des versicherungspflichtigen Arbeitnehmers, während es für den vom Gesetzgeber primär gemeinten Personenkreis der im Zeitpunkt der Rentenantragstellung nicht erwerbstätigen Ehegatten, für die Anspruch auf Familienhilfe besteht, bei der Beitragsfreiheit bleibt. Im übrigen besteht vom 1. Juli 1977 an nach § 315b RVO für die Betroffenen die Möglichkeit zu erklären, daß die Mitgliedschaft nach § 306 Abs 2 erst mit Ablauf des Monats beginnen solle, in dem der die Rente gewährende Bescheid zugestellt wird.

Erst dann, wenn die vom LSG zu treffenden Feststellungen ergeben sollten, daß für Frau O. nachgehende Ansprüche aus eigener Versicherung weder aufgrund des am 31. Januar 1976 endenden Bezugs von Alg noch aufgrund eines am 10. April 1976 beendeten Beschäftigungsverhältnisses bestanden, so daß für sie im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Krankenversicherung der Rentner ohne diese Versicherung Anspruch auf Familienkrankenpflege bestanden hätte (wobei auch die übrigen Voraussetzungen des § 205 RVO festzustellen wären), kommt es darauf an, ob die damit grundsätzlich gegebene Leistungspflicht der Beklagten dadurch entfällt, daß Frau O. in einer ausländischen Klinik behandelt wurde.

Der 3. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 5. Oktober 1977 (SozR 2200 § 1244a Nr 11 S 32) ausgeführt, aus der Ausgestaltung des Leistungsrechts, insbesondere aus dem Umstand, daß die Krankenkassen dem Sachleistungsprinzip durch den Abschluß von Verträgen mit Krankenhäusern nach § 371 RVO Rechnung trügen, aufgrund deren diese den Mitgliedern der Krankenkassen Krankenhauspflege gewährten, ergäbe sich, daß in aller Regel Sachleistungen nur im Geltungsbereich der RVO erbracht würden, weil nur in diesem Bereich der Regelungsmechanismus des Gesetzes voll zur Anwendung kommen könne.

Entgegen der Ansicht des LSG ist dieser Grundsatz auch im vorliegenden Fall relevant, obwohl das Urteil das Konkurrenzverhältnis zwischen Ansprüchen des Versicherten gegen seinen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn, den Krankenversicherungsträger und den Rentenversicherungsträger betrifft. Doch lassen sich aus dieser Entscheidung keine Schlußfolgerungen ableiten, die unter allen Umständen zur Verneinung der Ersatzpflicht der Beklagten führen müßten.

Nach § 182 Abs 2, § 368e RVO hat der Versicherte Anspruch auf eine zweckmäßige und ausreichende, das Maß des Notwendigen und Wirtschaftlichen jedoch nicht überschreitende Heilbehandlung. In diesen Vorschriften kommt zugleich der Grundsatz zum Ausdruck, daß der Krankenversicherungsträger immer die für die Heilung des Versicherten notwendige Behandlung gewähren muß (vgl BSGE 44, 41, 44; 47, 83, 86). Das Sachleistungsprinzip ist Instrument zur optimalen Erfüllung dieses gesetzlichen Anspruchs. Es begrenzt nicht den Umfang dessen, was sich - aus medizinischer Sicht - als notwendig erweist, vielmehr dient es dazu, die medizinisch notwendige Heilbehandlung zu gewährleisten. Sachleistung heißt Unmittelbarkeit der Bedarfsbefriedigung und bedeutet zunächst, daß der Berechtigte bei ihrer Inanspruchnahme keine unmittelbare Geldleistung beanspruchen kann (vgl Zacher/Friedrich-Marczyk, Krankenkassen oder Nationaler Gesundheitsdienst?, 1980 S 28f). Unter dem Gesichtspunkt einer Leistungsbereitstellungsgarantie setzt die Gewährung von Sachleistungen jedoch ein gesetzliches, vertragliches und verwaltungsmäßig in sich geschlossenes System voraus, um ein Höchstmaß an gewollter Wirkung erreichen zu können (Wortmann, Zum Begriff "Sachleistungen" im zwischenstaatlichen Krankenversicherungsrecht, in: DOK 1969, 597). Dieses öffentlich-rechtliche Versorgungssystem trägt sowohl den Interessen des einzelnen Versicherten an einer ausreichenden und zweckmäßigen Krankenpflege als auch den Interessen der Versichertengemeinschaft an einer wirtschaftlichen Behandlungsweise - Begrenzung der Beitragslast - Rechnung (BSG Urteil vom 9. März 1982 - 3 RK 64/80 - BSGE 53, 150, 154; ähnlich Fischwasser, BKK 1982 S 75). Dieses bereits in BSGE 42, 117, 119 angesprochene Vertragssystem, in das seit der Änderung des § 371 RVO durch Art 1 § 1 Nr 40 KVKG mit Wirkung vom 1. Januar 1978 auch die Krankenhauspflege mit einbezogen ist und das eine hinreichende aber auch wirtschaftlich tragbare ärztliche Betreuung der Versicherten gewährleisten soll, ist mit dem in der zitierten Entscheidung vom 5. Oktober 1977 genannten "Regelungsmechanismus" gemeint, der in der Tat zur Folge hat, daß derart vermittelte Sachleistungen "in aller Regel nur im Geltungsbereich der RVO erbracht werden". Aus diesem Grunde kann eine Behandlung im Ausland nicht als generelle Alternative in Betracht kommen. Die Auslastung der behandelnden Inlandkapazitäten ist ein ernstzunehmender Faktor der Wirtschaftlichkeit von Sachleistungen.

Entgegen der Ansicht des LSG läßt sich daher die Ersatzpflicht der Beklagten nicht allein mit dem Hinweis begründen, die Kosten der stationären Behandlung in der Klinik S. seien nicht höher gewesen, als wenn Frau O. im Inland behandelt worden wäre. Denn der damit in den Vordergrund gerückte Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ist mit punktuellen Zufallsergebnissen nicht genügend berücksichtigt, vielmehr müssen die Auswirkungen auf das Gesamtsystem beachtet werden. Es läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die Leistungsfähigkeit inländischer grenznaher Krankenhäuser gefährdet wäre, wenn allein die niedrigeren Kosten es rechtfertigten, einen Versicherten im Ausland behandeln zu lassen. Insbesondere kann sich eine geringere Auslastung der Kapazität auf die Höhe der Pflegesätze auswirken. Dagegen läßt sich von einer marktwirtschaftlichen Konkurrenz preisgünstigerer ausländischer Kliniken kaum ein kostendämpfender Effekt erwarten, weil die Krankenhäuser im Interesse einer ausreichenden medizinischen Versorgung ein bestimmtes - kostenträchtiges - Leistungspotential bereithalten müssen.

Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist deshalb nur dann begründet, wenn die Behandlung von Frau O. gerade in der S. notwendig war. Der Rechtsstreit ist aber auch insofern nicht entscheidungsreif, weil das Urteil des LSG keine Feststellungen dazu enthält. Denn das Gericht beschränkt sich auf die Feststellung, daß ein Klinikaufenthalt überhaupt notwendig war. Dies reicht jedoch nicht aus. Vielmehr ist es erforderlich zu ermitteln, ob Frau O. keine ausreichende - dh die Chance eines Heilerfolgs bietende - Behandlungsmöglichkeit in einer inländischen Klinik gehabt hätte. Was in diesem Sinne "ausreichend" ist, läßt sich nicht abstrakt bestimmen. Neben den objektiven Möglichkeiten der in Betracht kommenden Kliniken sind zB auch Wartezeiten in die Prüfung mit einzubeziehen. Negativ auf den Heilungsprozeß könnte sich - insbesondere bei psychischen Erkrankungen - auch eine zu große Entfernung vom Heimatgebiet der Patienten und die dadurch eingeschränkte Besuchsmöglichkeit naher Verwandter auswirken. Dagegen sind die Kosten kein hinreichendes Differenzierungskriterium, wie umgekehrt die hohen Aufwendungen für eine etwa nur im Ausland mögliche Operation kein Versagungsgrund wären.

Da das BSG diese Feststellungen nicht selbst treffen kann, muß die Sache auch aus diesem Grunde an das LSG zurückverwiesen werden, das auch über die Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1658861

BSGE, 188

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