Leitsatz (amtlich)

1. Ein Kassenarzt ist nicht allein deshalb von der Mitwirkung als Sozialrichter (Landessozialrichter, Bundessozialrichter) in einer Kammer (einem Senat) für Angelegenheiten des Kassenarztrechts ausgeschlossen, weil er der Vertreterversammlung einer Kassenärztlichen Vereinigung angehört, die Beteiligte in den Verfahren vor dieser Kammer (diesem Senat) ist.

Diese Regelung verstößt weder gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der Gewaltenteilung noch gegen das Rechtsstaatsprinzip.

2. Ein Kassenarzt ist nicht allein deshalb von der Mitwirkung als Sozialrichter (Landessozialrichter) in einer Kammer (einem Senat) für Angelegenheiten des Kassenarztrechts ausgeschlossen, weil er von der Kassenärztlichen Vereinigung für die Berufung als Sozialrichter (Landessozialrichter) vorgeschlagen ist, die Beteiligte in den Verfahren vor dieser Kammer (diesem Senat) ist.

3. Ein Kassenarzt, der einer Kammer (einem Senat) für Angelegenheiten des Kassenarztrechts als Sozialrichter (Landessozialrichter, Bundessozialrichter) angehört, ist - in entsprechender Anwendung des SGG § 60 Abs 2 - von der Ausübung des Amts als Richter ausgeschlossen, wenn er an einem Beschluß der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung mitgewirkt hat, auf dessen Anwendung es bei der gerichtlichen Entscheidung ankommt.

4. Für die Erstattung von Kosten iS des SGG § 193 Abs 4 ist der Verband der Angestellten-Krankenkassen den Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts gleichzuachten.

 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 2 Fassung: 1949-05-23, Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 28 Fassung: 1949-05-23; SGG § 12 Fassung: 1953-09-03, § 13 Fassung: 1953-09-03, § 14 Fassung: 1953-09-03, § 17 Fassung: 1953-09-03, § 60 Fassung: 1953-09-03, § 193 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 4 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. Dezember 1964 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger ist als Facharzt für innere Krankheiten in Hamburg niedergelassen. Er ist an der Ersatzkassenpraxis beteiligt.

Im August 1961 wies der Prüfungsausschuß der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) den Kläger darauf hin, daß seine Arzneiverordnungen zu Lasten der Ersatzkassen zu hoch seien. Mit Bescheid vom 14. August 1962 setzte der Prüfungsausschuß einen Regreß wegen überhöhter Arzneiverordnungen im vierten Vierteljahr 1961 (IV/1961) in Höhe von 15 DM je Behandlungsfall - bei insgesamt 279 Fällen - fest. Das gleiche geschah für das erste Vierteljahr 1962 (I/1962) in Höhe von 17 DM je Fall bei insgesamt 283 Fällen (Bescheid vom 13. November 1962). Die Prüfungsinstanzen ermittelten für Arzneiverordnungen in IV/1961 bei dem Kläger einen Falldurchschnitt von 33,78 DM gegenüber einem Fachgruppendurchschnitt von 12,83 DM. Die entsprechenden Zahlen für I/1962 lauteten 35,46 DM und 12,72 DM.

Den Widerspruch des Klägers wies der Beschwerdeausschuß der beklagten KÄV mit der Begründung zurück, bei dem Kläger sei eine völlig aus dem Rahmen fallende, aufwendige Verordnungsweise festgestellt worden (Bescheid vom 23. Februar 1963). Diese Feststellung wurde im einzelnen näher belegt.

Der Kläger erhob nunmehr Klage vor dem Sozialgericht (SG) mit der substantiierten Begründung, seine Verordnungsweise sei vom ärztlichen Standpunkt aus vollauf gerechtfertigt gewesen.

Durch Urteil des SG Hamburg vom 7. August 1963 wurde die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil sowie die Beschlüsse des Prüfungsausschusses der beklagten KÄV vom 14. August und 13. November 1962 idF des Beschlusses des Beschwerdeausschusses vom 25. Februar 1963 aufzuheben.

Zur Begründung wiederholte und ergänzte er sein bisheriges Vorbringen, daß die von den Prüfinstanzen der beklagten KÄV beanstandete Verordnungsweise modernen medizinischen Anschauungen entspreche. Außerdem zog er die Gültigkeit des Ersatzkassenvertrages in Zweifel: § 178 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei weiterhin in Kraft und beschränke den Kreis der versicherungsberechtigten Mitglieder. Der Beklagten sei überdies seit vielen Jahren bekannt, daß die Ersatzkassen ihren freiwillig weiterversicherten Mitgliedern Krankenscheine aushändigten, obwohl diese nach dem Ersatzkassenvertrag keinen Anspruch auf Krankenscheine hätten.

Das Landessozialgericht (LSG) hat über bestimmte Fragen der Verordnungsweise des Klägers durch Einholung eines Gutachtens des Prof. Dr. D, Chefarztes der II. Med. Klinik des Allgemeinen Krankenhauses Barmbeck, Beweis erhoben. Der Sachverständige wurde außerdem in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gehört.

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen; die Revision wurde nicht zugelassen (Urteil vom 11. Dezember 1964). Als Landessozialrichter haben bei der Entscheidung die Kassenärzte Dr. A und Dr. Sch mitgewirkt. Das LSG hat die von den Prüfungsinstanzen der beklagten KÄV verhängten Regresse als rechtmäßig angesehen. Der Ersatzkassenvertrag, der die Grundlage für die Regresse wegen überhöhter Arzneiverordnungen bilde, sei Rechtens. Im vorliegenden Fall hätte die Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Klägers nicht anhand einzelner Behandlungsfälle geprüft zu werden brauchen, weil der Falldurchschnitt des Klägers bei seinen Arzneiverordnungen in offensichtlichem Mißverhältnis zum Fachgruppendurchschnitt gestanden habe, ohne daß die Besonderheiten seiner Praxis den Mehraufwand rechtfertigen würden.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Er hat gerügt, das LSG sei bei Erlaß der angefochtenen Entscheidung nicht vorschriftsgemäß besetzt gewesen: Der Landessozialrichter Dr. A. sei von der Mitwirkung ausgeschlossen gewesen. Dr. A. habe zum Zeitpunkt der Verhandlung und Entscheidung noch der Vertreterversammlung der beklagten KÄV angehört. Zwar sei damals bereits die Neuwahl der Vertreterversammlung durchgeführt worden. Der neugewählten Vertreterversammlung gehöre Dr. A. nicht an. Jedoch blieben nach § 1 Abs. 10 der Wahlordnung der beklagten KÄV die Mitglieder der Vertreterversammlung nach Ablauf der Wahlperiode bis zur konstituierenden Sitzung der neuen Vertreterversammlung im Amt.

Die Berufung des Dr. A. zum Landessozialrichter verletze den Grundsatz der Gewaltenteilung: Dr. A. dürfe nicht zugleich der gesetzgebenden Gewalt angehören und Rechtsprechungsfunktionen ausüben. Damit werde der Grundsatz der richterlichen Neutralität verletzt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe bereits entschieden, daß Beisitzer der ärztlichen Berufsgerichte nicht zugleich der Vertreterversammlung der Ärztekammer angehören dürften (Beschl. vom 24. November 1964; NJW 1965, 343). Das gleiche müsse sinngemäß für jedes staatliche Gericht gelten. Auch seien die Spruchkörper der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten des Kassenarztrechts insofern vorschriftswidrig besetzt, als bei der Entscheidung Kassenärzte als ehrenamtliche Richter mitwirkten, die auf Vorschlag der Kassenärztlichen Vereinigungen in ihr richterliches Amt berufen worden seien (§ 46 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Es müsse bezweifelt werden, ob die zu ehrenamtlichen Richtern berufenen Kassenärzte die für ihr Amt erforderliche richterliche Neutralität aufbrächten, wie das SG Düsseldorf in seinem Aussetzungs- und Vorlagebeschluß vom 4. März 1965 - S 2 Ka 50/63 - zutreffend dargelegt habe.

Die beklagte KÄV hat beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Nach Auffassung der Beklagten liegt darin kein Mangel des Verfahrens vor dem LSG, daß Dr. A. als Landessozialrichter an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt hat. Dr. A. sei zwar noch Mitglied der Vertreterversammlung der beklagten KÄV bis zu deren konstituierender Sitzung im Jahre 1965 gewesen. Er habe jedoch sein Amt nach der letzten Sitzung der alten Vertreterversammlung am 10. Dezember 1964 praktisch nicht mehr ausgeübt. Abgesehen hiervon, daß die Mitgliedschaft des Dr. A. in der Vertreterversammlung nach dem 10. Dezember 1964 nur formale Bedeutung gehabt habe, gehe das SGG davon aus, daß die Mitwirkung als ehrenamtlicher Beisitzer in der Sozialgerichtsbarkeit mit der Mitgliedschaft in der Vertreterversammlung einer KÄV vereinbar sei (vgl. § 17 SGG). Diese Verbindung der Funktionen sei insbesondere dann zulässig, wenn der Rechtsstreit einen Verwaltungsakt der KÄV betreffe, der die Normsetzung durch die Vertreterversammlung nicht berühre. - Der von der Revision angeführte Beschluß des BVerfG vom 24. November 1964 betreffe einen anderen Fall, nämlich die Zusammensetzung eines von einer Standesorganisation getragenen Berufsgerichts. Im vorliegenden Rechtsstreit gehe es aber um die Besetzung eines staatlichen Gerichts. Den insofern an die Richter zu stellenden Minimalerfordernissen - Mitwirkung des Staates bei der Berufung; sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter - genügten auch ehrenamtliche Beisitzer wie Dr. A. Zwar habe das BVerfG ausgeführt, das Erfordernis der richterlichen Neutralität verbiete eine zu enge personelle Verzahnung der den Berufsgerichten anvertrauten rechtsprechenden Gewalt mit der Tätigkeit in Organen der betroffenen Berufsorganisation. Insbesondere habe das BVerfG Pflichtenkollisionen befürchtet, wenn ein Mitglied der Vertreterversammlung in seiner richterlichen Funktion von der Vertreterversammlung erlassene Beschlüsse objektiv auszulegen und auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen habe. Diese Erwägungen hätten jedoch für den vorliegenden Fall keine Bedeutung, weil Gegenstand des Verfahrens nur die Beanstandung der konkreten Behandlungsweise des Klägers durch die Prüfinstanzen sei.

Der beigeladene Verband der Angestellten-Krankenkassen hat sich dem Antrag und dem Vorbringen der beklagten KÄV angeschlossen. Er hat ferner beantragt, die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens dem Kläger aufzuerlegen.

II

Das LSG hat die Revision im angefochtenen Urteil nicht zugelassen. Sie wäre daher nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor dem LSG gerügt wäre (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Andere Gründe, die zur Statthaftigkeit der Revision führen könnten (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG), kommen nach der Natur des vorliegenden Rechtsstreits von vornherein nicht in Betracht.

Der Kläger erblickt den Mangel des Verfahrens vor dem LSG darin, daß Dr. A. als Landessozialrichter an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt habe und das LSG deshalb vorschriftswidrig besetzt gewesen sei (§ 551 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i. V. m. § 202 SGG; zur Anwendbarkeit der genannten Vorschrift der ZPO im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vgl. BSG 4, 242, 243). Der Nachprüfung dieser Frage im Revisionsverfahren steht nicht entgegen, daß das SGG (§ 22 i. V. m. § 35 Abs. 1 Satz 2) ein besonderes Verfahren zur Amtsenthebung eines ehrenamtlichen Beisitzers kennt, wenn die Voraussetzungen für dessen Berufung gefehlt haben oder weggefallen sind (vgl. BSG 4, 242, 243 ff; BSG, Urteil vom 22. März 1962 - 10 RV 275/60 - in SozR SGG § 33 Nr. 9).

Der Kläger hat sich in erster Linie darauf berufen, daß Dr. A. im Zeitpunkt seiner Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung Mitglied der Vertreterversammlung der beklagten KÄV gewesen sei und diese enge Verbindung zur Beklagten nicht die auch für ehrenamtliche Beisitzer eines Gerichts nach dem Grundgesetz (GG) gebotene richterliche Neutralität gewährleiste. Mit von dieser Rüge umfaßt - wenngleich vom Kläger vor allem im Zusammenhang mit der Besetzung des erkennenden Senats vorgetragen - ist der im gleichen sachlichen Zusammenhang stehende rechtliche Gesichtspunkt, ob der Umstand, daß Dr. A. auf Vorschlag der beklagten KÄV in sein Amt als Landessozialrichter berufen wurde, ihn von seinem richterlichen Amt ausschließt.

Mit Recht geht der Kläger davon aus, daß das SGG selbst Mitglieder der Vertreterversammlung einer KÄV nicht von der Mitwirkung als Sozialrichter (Landessozialrichter, Bundessozialrichter) ausschließt. Es liegt weder einer der besonderen Ausschließungsgründe des § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 41 ZPO oder des § 60 Abs. 2 SGG noch einer der Gründe vor, die vom Amt des Sozialrichters allgemein oder für bestimmte Teilbereiche ausschließen (§ 17 SGG). Insbesondere gehört der Landessozialrichter Dr. A. nicht zu den Personen, die als Mitglieder des Vorstands einer KÄV (§ 17 Abs. 2 SGG) überhaupt nicht oder als Bediensteter einer KÄV (§ 17 Abs. 3 SGG) nicht in der Kammer (dem Senat) Sozialrichter sein dürfen, die über Streitigkeiten aus ihrem Arbeitsgebiet entscheidet. Selbst wenn Dr. A. für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Mitglied der Vertreterversammlung seine Auslagen in pauschalierter Form ersetzt erhielte, würde ihn das nicht zum "Bediensteten" der KÄV i. S. des § 17 Abs. 3 SGG machen. Dieser Rechtsstand setzt vielmehr voraus, daß der Mitarbeiter von der KÄV in abhängiger Stellung gegen Entgelt beschäftigt wird (so der erkennende Senat im Beschl. vom 30. April 1960 - 6 RKa 14/57 - in SozR SGG § 17 Nr. 6, Bl. Da 4 R.). Diese Voraussetzungen sind bei Dr. A. nicht gegeben.

Der Kläger ist jedoch der Auffassung, daß das SGG insoweit gegen das GG verstoße, als es nicht auch Mitglieder von Vertreterversammlungen einer KÄV vom Amt des Sozialrichters ausschließe. Er sieht in der gleichzeitigen Wahrnehmung der Aufgaben eines Mitglieds der Vertreterversammlung einer KÄV und eines Sozialrichters einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, wie er in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG seinen Ausdruck gefunden hat, und beruft sich zur Stütze seiner Auffassung auf die Entscheidung des BVerfG vom 24. November 1964 - 2 BvL 19/63 - (NJW 1965, 343 = DÖV 1965, 130 = DVBl 1965, 196).

In dieser Entscheidung hat das BVerfG aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG - wonach die Staatsgewalt "durch besondere Organe ... der Rechtsprechung ausgeübt" wird - gefolgert, daß die Gerichte selbständig, vor allem organisatorisch hinreichend von den Verwaltungsbehörden getrennt sein müssen und daß die richterliche Neutralität nicht durch eine mit diesem Grundsatz unvereinbare persönliche Verbindung zwischen Ämtern der Rechtspflege und der Verwaltung oder der Legislative in Frage gestellt werden darf (NJW 1965, 344 unter C III). Was den ersten Gesichtspunkt - die organisatorische Selbständigkeit der Gerichte - betrifft, so unterliegt es keinem begründeten Zweifel, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit den verfassungsmäßigen Erfordernissen genügen (vgl. hierzu BVerfG aaO S. 345 unter C III 1). Auch ihre ehrenamtlichen Richter sind sachlich und persönlich unabhängig. Insbesondere gilt dies für die in den Kammern für Angelegenheiten des Kassenarztrechts und Angelegenheiten der Kassenärzte als Sozialrichter tätigen Kassenärzte (§ 12 Abs. 3 SGG; entsprechend für die Landessozialrichter § 33 Satz 2 SGG und die Bundessozialrichter § 40 Satz 1 SGG). Die auch diesen Richtern verbürgte sachliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG, § 45 Abs. 1 i. V. m. § 25 des Deutschen Richtergesetzes - DRiG -) ist auch nicht dem äußeren Anschein nach durch entgegenstehende Regelungen des allgemeinen Kassenarztrechts oder des autonomen Satzungsrechts der KÄV in Frage gestellt. § 20 SGG gewährt überdies den Sozialrichtern einen ausreichenden strafrechtlichen Schutz gegen Maßnahmen, die auf Beschränkungen in der Ausübung des richterlichen Amts oder indirekte Einflußnahmen durch Benachteiligung zielen.

Diesen Richtern ist ferner ein Mindestmaß persönlicher Unabhängigkeit (vgl. dazu § 44 DRiG) insofern gewährleistet, als sie vor Ablauf ihrer Amtszeit nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen (§ 22 Abs. 1 SGG) und nur kraft richterlicher Entscheidung abberufen werden können (§ 22 Abs. 2 SGG).

Daß die Sozialrichter nur auf die Dauer von vier Jahren in ihr richterliches Amt berufen werden (§ 13 Abs. 1, erster Halbs. SGG), beeinträchtigt nicht ihre Unabhängigkeit. Die Dauer der Anstellung eines Richters überläßt Art. 97 GG dem Gesetzgeber. Der Zeitraum von vier Jahren ist nicht so kurz bemessen, daß dadurch die Unabhängigkeit der Richter ernstlich in Frage gestellt werden könnte (vgl. außer BVerfG aaO auch BVerfG 3, 213, 224; 14, 56, 70 f).

Sind demnach auch die der richterlichen Tätigkeit wesenseigentümlichen Merkmale sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit bei den als Sozialrichtern tätigen Kassenärzten klar gegeben, so erscheint es jedoch nicht zweifelsfrei, ob das SGG dem Grundsatz der richterlichen Neutralität bei der Regelung der Mitwirkung von Kassenärzten als Sozialrichtern genügend Rechnung trägt. Wie schon erwähnt, hat das BVerfG aus Art. 20 Abs. 2 GG auch gefolgert, daß die richterliche Neutralität nicht durch eine mit diesem Grundsatz unvereinbare persönliche Verbindung zwischen Ämtern der Rechtspflege und der Verwaltung oder der Legislative in Frage gestellt werden darf. In dem Leitsatz dieser Entscheidung hat dieser Gedanke wie folgt seinen Ausdruck gefunden: "Das Erfordernis der richterlichen Neutralität verbietet, daß in einem von einer Standesorganisation getragenen besonderen Gericht Angehörige der Beschluß- und Verwaltungsorgane dieser Körperschaft als Richter mitwirken". Ähnlich hat das BVerfG in BVerfG 4, 331, 346 aus Art. 20 Abs. 2 GG abgeleitet, daß die richterliche Tätigkeit durch nichtbeteiligte Dritte ausgeübt wird (vgl. auch BVerfG 14, 56, 69). In BVerfG 3, 377, 381 hat das BVerfG den Grundsatz, daß niemand in eigener Sache Richter sein darf, zu den rechtsstaatlichen Prinzipien gerechnet, also zu den allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgesetzgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat (BVerfG 2, 380, 403). Ob die Begründung nun im Grundsatz der Teilung der Gewalten oder im Rechtsstaatsprinzip gesucht wird, dürfte nicht wesentlich sein; denn beides hängt aufs engste zusammen. "Ganz zweifelsfrei", meint Maunz/Dürig (GG Art. 20, Randz. 74), gehört die Teilung der Gewalten zum Rechtsstaatsbegriff.

Jedenfalls gehört zu den nach dem GG unabdingbaren Wesensmerkmalen richterlicher Tätigkeit, daß sie von nichtbeteiligten Dritten ausgeübt wird. Niemand darf Richter in eigener Sache sein. Daran muß auch für die Sozialgerichtsbarkeit festgehalten werden (vgl. Großer Senat des Bundessozialgerichts - BSG - in BSG 12, 237, 239). Der Bereich der Rechtsprechung hebt sich insofern deutlich von den Schiedsinstanzen ab, wie sie gerade auf dem Gebiet des Kassenarztrechts tätig waren und noch heute institutionell verankert sind. Schiedsinstanzen alten Rechts (Schiedsämter bei den Oberversicherungsämtern, Reichsschiedsamt beim Reichsversicherungsamt; vgl. zu ihren Aufgabenbereichen Hess/Venter, Gesetz über Kassenarztrecht S. 35 ff) bestanden in der Regel aus dem Vorsitzenden, zwei weiteren "unparteiischen Mitgliedern" und paritätisch von den Parteien gewählten Mitgliedern "aus der Zahl der Ärzte und Kassenvertreter" (§ 368 l Abs. 2, 368 n Abs. 1 RVO idF der Bekanntm. vom 15. Dezember 1924, RGBl I 779). Damit war zum Ausdruck gebracht, daß von den durch die Parteien gewählten Vertretern aus der Zahl der Ärzte und Kassenvertreter nicht die gleiche Unparteilichkeit verlangt wurde wie von den "unparteiischen Mitgliedern"; sie waren zwar an keine Weisungen der Parteien gebunden (persönlich unabhängig), durften sich aber doch als deren Sachwalter im Interessenstreit fühlen. Ähnlich ist die Stellung der Schiedsämter (§ 368 i RVO: Landesschiedsämter, Bundesschiedsamt) auch heute noch. Die Beisitzer - "Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl" (§ 368 i Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 RVO) - werden von den Kassenärztlichen Vereinigungen bzw. den Verbänden der Krankenkassen bestellt (§ 368 i Abs. 2 Satz 6, Abs. 3 Satz 2 RVO). Auch diese Beisitzer sind an Weisungen nicht gebunden (§ 368 i Abs. 2 Satz 7, zweiter Halbs; Abs. 3 Satz 3 RVO). Allein schon die Aufgabenstellung der Schiedsinstanzen, im Wege der Schlichtung mit der gleichen Gestaltungsfreiheit, wie sie für die Vertragsparteien bei der gütlichen Vereinbarung besteht, einen Vertragsinhalt festzusetzen (vgl. dazu BSG 20, 73, 76), führt zwangsläufig dazu, daß sie - auch im Hinblick auf die paritätische Besetzung des Schiedsamts - als Vertreter bestimmter Gruppeninteressen mitwirken.

Den ehrenamtlichen Richtern der Sozialgerichtsbarkeit weist das Gesetz jedoch eine andere - nämlich die richterliche - Aufgabe zu. Bei ihrer Auswahl und Berufung muß wesensnotwendig einer Eigentümlichkeit der Sozialgerichtsbarkeit Rechnung getragen werden: Sie kennt keine "allgemeinen", sondern nur Fachkammern (-Senate). Jeder ihrer Spruchkörper hat seine besondere Aufgabenstellung (§§ 10, 31, 40 SGG). Jedem Spruchkörper sind dabei besondere Gruppen ehrenamtlicher Richter zugeordnet, die bestimmte - ihre Zugehörigkeit zu dem Aufgabenbereich des Spruchkörpers ausweisende - Qualifikationen aufweisen müssen (§ 12 Abs. 2 bis 4, § 33 Satz 2, § 40 Satz 1 SGG). Deshalb entspricht die Mitwirkung ehrenamtlicher Beisitzer an der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit nicht nur einem allgemeinen demokratischen Grundgedanken, daß das Volk nicht bloß Objekt der Rechtspflege sein dürfe, sondern auch deren Subjekt werden müsse und daß es wie an allen anderen Teilen der staatlichen Willensbildung so auch an der Rechtsprechung teilhaben müsse (Kern, Gerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl. S. 122 unter D III; vgl. auch BVerwG 8, 350, 355). Vielmehr beruht die starke Beteiligung ehrenamtlicher Richter in allen Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit in erster Linie auf dem Gedanken, daß dergestalt wertvolle Erfahrungen und Einsichten der mit den jeweiligen Sachgebieten vertrauten Personen der Rechtsprechung nutzbar gemacht und damit zugleich die Kreise an der Rechtsfindung beteiligt werden, die regelmäßig auch sonst eigenverantwortlich an der Gestaltung der rechtlichen Ordnung des betreffenden Sozialrechtsgebiets mitwirken. In diesem Sinne hat der Bundesminister für Arbeit Storch bei der ersten Beratung des Entwurfs eines SGG im Bundestag ausgeführt (Verhandl. des Dtsch. Bundestags 1. Wahlp. Bd. 15 S. 12764, 12765 f):

"Auf dem Gebiete der Sozialverwaltung, insbesondere in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung, wirken die Versicherten und ihre Arbeitgeber eigenverantwortlich mit. Der gleiche Gedanke rechtfertigt die Beteiligung dieser Kreise bei der Rechtsfindung. Es geht nicht darum, durch den ehrenamtlichen Beisitzer die Interessen eines an dem Streit beteiligten wahrzunehmen; vielmehr ist es die Aufgabe des Laienelements, das Wohl der Versichertengemeinschaft beim Urteilsspruch zu beachten und die alltäglichen Erfahrungen aus dem sozialen Bereich der Rechtsprechung dienstbar zu machen.

Der Regierungsentwurf hat darum den bewährten Grundsatz aufgenommen, der bei den Versicherungsbehörden und Versorgungsgerichten galt. Für die Gerichte aller Rechtsstufen bis hinauf zum Bundessozialgericht ist die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter vorgesehen. Wenn die ehrenamtlich tätigen Richter mit die Verantwortung für den Urteilsspruch tragen sollen, dann ist es unbedingt erforderlich, besonders geeignete Persönlichkeiten für diese Aufgabe heranzuziehen. Ein Vorschlagsrecht derselben Stellen, die auch im Rahmen der Selbstverwaltung die Vertreter namhaft machen, bietet am ehesten die Gewähr, dieses Ziel zu erreichen ..."

Ähnlich hebt die Begründung des Regierungsentwurfs hervor, die Sozialrichter, die in den Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung mitwirkten, würden zwar aus Kreisen der Versicherten und Arbeitgeber entnommen; darin spiegele sich jedoch kein echter Interessengegensatz wider; anders als zB bei den Arbeitsgerichten, bei denen die Mitwirkung der Arbeitsrichter in dem Widerstreit der Interessen ihren Grund habe, repräsentierten die Sozialrichter die Versichertengemeinschaft, an deren Schicksal der Arbeitnehmer in gleicher Weise interessiert sei wie der Arbeitgeber (Deutscher Bundestag, 1. Wahlp. Drucks. Nr. 4225 S. 16 "Zu § 11 Abs. 2-4 bis § 14"). Für die besonderen Kammern, die Streitigkeiten aus dem Kassenarztrecht zu entscheiden haben, heißt es ebenda, durch die vorgeschlagene Regelung werde sichergestellt, daß als Sozialrichter Personen mitwirkten, die mit den schwierigen Rechtsvorschriften und tatsächlichen Gegebenheiten vertraut seien.

Daß diese Erwägungen des Gesetzgebers der Regelung des SGG über die Mitwirkung ehrenamtlicher Beisitzer an der Rechtsprechung zugrunde liegen, ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt. So hebt der Beschluß des 1. Senats vom 16. Dezember 1959 (BSG 11, 181, 183) hervor, die ehrenamtlichen Richter der Sozialgerichtsbarkeit seien nicht - wie etwa die Schöffen und Geschworenen - Laien oder Laienrichter im üblichen Sinn; sie seien vielmehr - ähnlich wie die Arbeits- und Handelsrichter - sachkundige Beisitzer, die besondere Qualifikationen aufweisen müßten. Ähnlich betonen die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 30. Januar 1962 (SozR ZPO § 41 Nr. 6) und vom 13. August 1964 (BSG 21, 237, 243), das SGG habe ein gewisses Beteiligtsein der Kassenärzte bei ihrer Mitwirkung an den Entscheidungen in den Spruchkörpern für Angelegenheiten des Kassenarztrechts in Kauf genommen, um der Rechtsprechung die Mitwirkung besonders sachkundiger ehrenamtlicher Richter zu sichern und damit zugleich die jeweils beteiligten Selbstverwaltungskreise durch ehrenamtliche Richter aus ihren Reihen an der Rechtsprechung zu beteiligen (so auch schon BSG 5, 50, 51). Auch das BVerfG hat in anderem Zusammenhang hervorgehoben, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit neben den Berufsrichtern mit sachverständigen Beisitzern besetzt sind (BVerfG 9, 124, 135).

Geht man von diesen tragenden Gedanken des Gesetzes aus und stellt sie dem Grundsatz der richterlichen Neutralität gegenüber, so zeigt sich, daß hier Spannungen bei der Anwendung zweier Prinzipien bestehen, die nicht in idealer Weise zu lösen sind. Will man Kassenärzte in den sie betreffenden Fachkammern und -senaten als ehrenamtliche Richter überhaupt mitwirken lassen, so erscheint es jedenfalls für die meisten Rechtsstreitigkeiten, die in den Kammern (Senaten) für Angelegenheiten des Kassenarztrechts oder für Angelegenheiten der Kassenärzte zu entscheiden sind, ausgeschlossen, selbst unter den Kassenärzten, die in keinem Beschluß- oder Verwaltungsorgan ihrer KÄV tätig sind, vorschlagswürdige Kassenärzte zu finden, die dem Idealbild des "unbeteiligten Dritten" voll genügen: zB ist jeder Kassenarzt, der über den Honorarstreit eines anderen Kassenarztes aus seinem Bezirk mit der KÄV zu entscheiden hat, vom Ergebnis insofern mitbetroffen, als die an alle Kassenärzte zu verteilende Gesamtvergütung hierdurch berührt wird und im übrigen die Art der Honorarberechnung für die eine oder andere Arztgruppe, der er vielleicht nahesteht, wirtschaftliche Bedeutung erlangen kann, - ähnlich, wie auch die Interessen eines Handelsrichters durch die Feststellung von Handelsbräuchen berührt werden können.

Die Schwierigkeiten, dem Leitbild des "unbeteiligten Dritten" möglichst nahe kommende Kassenärzte für die Aufgaben des ehrenamtlichen Richters in den Spruchkörper der Sozialgerichtsbarkeit zu gewinnen, steigern sich in dem Maße, in dem man es für "unbedingt erforderlich" hält, "besonders geeignete Persönlichkeiten für diese Aufgabe heranzuziehen" (BMA Storch aaO). In der Regel wird die die besondere Eignung bedingende Erfahrung und Vertrautheit mit den schwierigen Fragen und Verhältnissen auf dem Gebiet des Kassenarztrechts nur durch tätige Mitarbeit in der Selbstverwaltung, d. h. bei Kassenärzten in den Beschluß- oder Verwaltungsorganen der KÄV, erworben werden können. Wohl wäre es denkbar, daß man zur Gewinnung sachkundiger ehrenamtlicher Richter auf Kassenärzte zurückgriffe, die nicht mehr Beschluß- oder Verwaltungsorganen der KÄV angehören, sich aber durch frühere langjährige, erfolgreiche Mitarbeit in den Organen ein umfangreiches Erfahrungswissen angeeignet haben. Abgesehen davon, daß die Zahl der Kassenärzte, die sich in der Selbstverwaltung betätigt haben und nach ihrem Ausscheiden aus dieser zur Übernahme des Amts als ehrenamtlichen Richter bereit und in der Lage wären, relativ gering sein dürfte, bliebe aber das Bedenken bestehen, daß diese Kassenärzte durch ihre Mitarbeit in der KÄV in ihrer Denkweise und Persönlichkeit so stark geprägt worden sind, daß sie letztlich ihrer KÄV gegenüber doch nicht als unbeteiligte Dritte gelten könnten (vgl. die in BSG 11, 181, 184 geäußerten Bedenken zur Berufung eines ehemaligen Berufsrichters als Bundessozialrichter).

Damit wird schon der Gesichtspunkt berührt, den der Senat für entscheidend hält: Wenn die ehrenamtlichen Richter in der Sozialgerichtsbarkeit die jeweils betroffenen Selbstverwaltungskreise in dem Sinne "repräsentieren" sollen, daß diese in ähnlicher Weise, wie sie an der Gestaltung der für sie verbindlichen rechtlichen Ordnung - sei es im Rahmen der Kassenärztlichen Selbstverwaltung, sei es beim Abschluß kollektiver Normenverträge (vgl. § 368 g RVO) - mitwirken, durch ehrenamtliche Richter aus ihren Reihen auch an der Rechtsprechung teilhaben, so ist ein völliges Unbeteiligtsein dieser ehrenamtlichen Richter ausgeschlossen. Zur Repräsentation etwa der Versichertengemeinschaft - gegliedert in ihre Gruppen der Arbeitgeber und der Versicherten - ist vornehmlich berufen, wer verantwortlich an ihrer Selbstverwaltung teilhat. Deshalb ist es in der in das vergangene Jahrhundert zurückreichenden Geschichte der Beteiligung ehrenamtlicher Richter an der Rechtsprechung in Sozialversicherungssachen (vgl. Bogs, DVBl 1964, S. 1, 4) niemals als ein Hindernis für das richterliche Amt angesehen worden, daß ein ehrenamtlicher Richter den Beschluß- oder Verwaltungsorganen ("Ausschüssen": vgl. § 73 Abs. 1 Satz 1 RVO aF) des Versicherungsträgers angehört, der Beteiligter des Spruchverfahrens ist (vgl. §§ 71 ff RVO aF für die Oberversicherungsämter, §§ 87 ff RVO aF für das Reichsversicherungsamt; vgl. für die vor Einführung der RVO tätigen staatlichen Schiedsgerichte zB §§ 46 ff des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 - RGBl S. 69 - und das die Wahlen der Vertreter der Arbeiter regelnde Regulativ des Reichsversicherungsamts vom 26. September 1885 - AN 1885, 244 unter II). Offenbar beruht diese Ausprägung des Gedankens der Selbstverwaltung auch auf der geschichtlichen Erfahrung, daß in früheren Zeiten mit der Selbstverwaltung die Eigenrechtssetzung (Autonomie) und oft auch eine Selbstgerichtsbarkeit verbunden war und als Ergänzung der Selbstverwaltung im engeren Sinne verstanden wurde.

Würde die Zugehörigkeit zu Beschlußorganen eines Versicherungsträgers die gleichzeitige Wahrnehmung des richterlichen Amts in den Spruchkörpern ausschließen, vor denen dieser Versicherungsträger als Beteiligter sein Recht sucht, so wären damit regelmäßig die ehrenamtlichen Beisitzer von der Mitwirkung an der Rechtsprechung ausgeschlossen, die als Versicherte oder Arbeitgeber zB der Vertreterversammlung eines Rentenversicherungsträgers oder den Verwaltungsausschüssen (Verwaltungsrat) der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (vgl. §§ 3 f, 9 AVAVG) angehören und bisher unbeanstandet in dieser Doppelfunktion tätig gewesen sind. Der Ausschluß dieser Mitglieder der Selbstverwaltung von der Mitwirkung an der einschlägigen Rechtsprechung würde die Versichertengemeinschaft der Möglichkeit berauben, sich durch solche Kräfte in der Rechtsprechung repräsentiert zu sehen, die hierfür besonders berufen erscheinen. Ein solcher Ausschluß der betroffenen Bevölkerungskreise von der Mitwirkung an der ihrer Selbstverwaltung zugeordneten Rechtspflege wäre unvereinbar mit der Zielsetzung, die mit der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter in der Sozialgerichtsbarkeit verfolgt wird, und würde dem Gedanken des "demokratischen und sozialen Bundesstaates" i. S. des Art. 20 Abs. 1 GG widersprechen. Die Verwirklichung des demokratischen Gedankens im sozialen Rechtsstaat (Art. 28 GG) beruht nicht zuletzt auf einer lebendigen Selbstverwaltung, die auch für das gesamte Kassenarztrecht kennzeichnend ist. So heißt es in der Begründung der Regierungsvorlage zum Kassenarztgesetz (BT-Drucks. Nr. 3904 der 1. und Nr. 87 der 2. Wahlperiode, jeweils S. 16) bei dem "Grundgedanken der Neuregelung": "Den jahrzehntelangen Erfahrungen und den Grundprinzipien demokratischer Ordnung entsprechend, baut der Entwurf ... wiederum auf der gemeinsamen Selbstverantwortung und Selbstverwaltung der Ärzte und der Krankenkassen auf" (vgl. auch Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, RVO S. 368 Anm. II 1). Wie im Arbeitsrecht (vgl. Art. 9 GG) wird auch im Sozialversicherungsrecht die Mitwirkung der Bürger bei der Selbstverwaltung vielfach durch Verbände vermittelt. Wie diese im Arbeitsleben als Tarifvertragsparteien Recht setzen und in der Arbeitsgerichtsbarkeit durch ihre Repräsentanten - bisher unangefochten - vertreten sind, so setzen auch die Kassenärztlichen Vereinigungen im Zusammenwirken mit den Krankenkassen und deren Verbänden objektives Recht (vgl. BSG 21, 235), über dessen richtige Anwendung und Auslegung sie - ebenso wie die Sozialpartner im Bereich des Arbeitsrechts - durch ihre Repräsentanten als unabhängige Richter mitzuwirken berufen sind.

Bei der Würdigung, wieweit eine Mitarbeit in der Selbstverwaltung eines Versicherungsträgers oder einer KÄV die richterliche Neutralität eines ehrenamtlichen Beisitzers in einem Rechtsstreit beeinflußt, in dem die Selbstverwaltungskörperschaft Beteiligte ist, darf im übrigen nicht außer acht gelassen werden, daß der ehrenamtliche Richter nicht mit den Beteiligten identifiziert werden kann. Die genannten Selbstverwaltungskörperschaften üben als öffentlich-rechtliche Institutionen mittelbare Staatsverwaltung aus. Bindungen oder Abhängigkeiten persönlicher oder wirtschaftlicher Art, wie sie den typischen Fall des am Ausgang des Rechtsstreits interessierten Richters kennzeichnen, bestehen hier regelmäßig nicht. Zwar ist nicht auszuschließen und in der Regel sogar zu vermuten, daß das Mitglied einer Vertreterversammlung einer KÄV einer bestimmten "Richtung", vielleicht auch einer fester zusammengeschlossenen Gruppe angehört und damit mehr oder weniger ausgeprägt einer herrschenden oder einer in Opposition stehenden Auffassung zugerechnet werden kann. Doch muß und kann auch von einem in der Selbstverwaltung seiner KÄV tätigen Kassenarzt erwartet werden, daß er - nicht anders als etwa ein Gemeinderichter, der als Bürgermeister oder Gemeinderatsmitglied zugleich Vertreter einer politischen Partei ist und bei seiner Amtsführung in einem gewissen Ausmaß auf das Urteil der künftigen Wähler Bedacht nimmt (BVerfG 14, 56, 69) - bei Ausübung seines richterlichen Amts weitgehend dazu imstande ist, sich des unvermeidlichen Anteils des Subjektivbedingten bewußt zu werden und sich davon bei seiner Rechtsfindung zu lösen (vgl. dazu Tietgen, "Das Ehrenamt des Sozialrichters" in "Sozialpolitik 1961", herausgegeben von der Landesvereinigung der Schleswig-Holsteinischen Arbeitgeberverbände e. V. S. 66 ff, 69).

Wenn ein Kassenarzt als ehrenamtlicher Richter in einem Rechtsstreit mit seiner KÄV als Beteiligter mitwirkt, deren Vertreterversammlung er gleichzeitig angehört, muß allerdings gewährleistet sein, daß der Kassenarzt nicht wirklichen Pflichtenkollisionen ausgesetzt ist. In seinem Beschluß vom 24. November 1964 hat das BVerfG angenommen, die Aufgaben der Mitglieder der Vertreterversammlung einer Landesärztekammer müßten in einer Vielzahl von Fällen zu einem Widerstreit mit ihren Pflichten als ehrenamtliche Beisitzer eines Berufsgerichts führen. Das erscheint in der Tat in dem vom BVerfG entschiedenen Fall möglich; denn ein ärztliches Berufsgericht hat Verletzungen der Berufspflichten, d. h. im wesentlichen Verstöße gegen die Berufsordnung, zu ahnden, die von der Vertreterversammlung der Landesärztekammer beschlossen ist (vgl. Berufsordnung für die Ärzte in Rheinland-Pfalz, beschlossen am 16. Januar 1960 von der Vertreterversammlung der Landesärztekammer auf Grund des § 3 Buchst. A Nr. 4 ihrer Satzung i. V. m. § 8 Abs. 3 des Landesgesetzes über die Kammern der Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte vom 1. April 1953 - GVBl S. 33 -). Hier könnte die vom BVerfG befürchtete Pflichtenkollision nicht selten eintreten, daß nämlich ein Mitglied der Vertreterversammlung in seiner richterlichen Funktion die von der Vertreterversammlung erlassenen Beschlüsse objektiv auszulegen und auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen hätte.

Ein solcher Pflichtenwiderstreit käme jedoch bei einem Kassenarzt, der Mitglied der Vertreterversammlung der am Rechtsstreit beteiligten KÄV und zugleich ehrenamtlicher Richter in dem mit der Sache befaßten Spruchkörper der Sozialgerichtsbarkeit ist, verhältnismäßig selten vor. Regelmäßig handelt es sich bei den in den Kammern (Senaten) für Angelegenheiten des Kassenarztrechts und für Angelegenheiten der Kassenärzte (§ 12 Abs. 3 SGG) zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten nicht um Anwendung autonomen Satzungsrechts, das von der KÄV beschlossen wurde, sondern um die Auslegung von Bundesrecht. Das gilt sowohl für die gegen einen Berufungsausschuß (§ 368 b Abs. 6 RVO; Streitigkeiten aus dem Zulassungsrecht - Zulassungsordnung für Ärzte vom 28. Mai 1957 -) und gegen ein Schiedsamt (§ 368 i Abs. 1 RVO; vgl. als typischen Fall BSG 20, 73) gerichteten Klagen (vgl. § 70 Nr. 4 SGG) als auch die Klagen, in denen die KÄV selbst Beklagte ist und es sich insbesondere um die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungs- oder Verordnungsweise eines Kassenarztes handelt. Hierzu gehört auch der vorliegende Rechtsstreit um Arzneiverordnungsregresse, in denen es in erster Linie um die konkrete Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Wirtschaftlichkeit" der Verordnungsweise des Klägers (vgl. dazu BSG 19, 123, 127 ff), ferner nach Auffassung des Klägers auch um die Rechtswirksamkeit des für das Bundesgebiet geltenden Ersatzkassenvertrags, jedenfalls aber nicht um Beschlüsse geht, die von der Vertreterversammlung der beklagten KÄV gefaßt sind. In diesem Falle kann es demnach wie in den meisten von den einschlägigen Spruchkörpern der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheidenden Sachen nicht zu einer Pflichtenkollision in dem Sinne kommen, daß ein als ehrenamtlicher Richter mitwirkender Kassenarzt über die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen entscheidet, die er als Mitglied der Vertreterversammlung der am Rechtsstreit beteiligten KÄV mitgefaßt hat.

Indessen ist ein solcher Pflichtenwiderstreit nicht ausgeschlossen. Wie der vom erkennenden Senat am 27. Januar 1965 - 6 RKa 15/64 - entschiedene Rechtsstreit zeigt, kann die von einem Spruchkörper für Angelegenheiten der Kassenärzte zu entscheidende Streitigkeit gerade die Rechtmäßigkeit einer von der Vertreterversammlung der beklagten KÄV beschlossenen normativen Regelung - im genannten Fall eines Honorarverteilungsmaßstabes - betreffen. In einem solchen Fall wäre die Mitwirkung eines Mitglieds der Vertreterversammlung der beklagten KÄV an der Entscheidung jedenfalls dann bedenklich, wenn er den fraglichen Beschluß der Vertreterversammlung mitgefaßt hat. Hier erschiene in der Tat das Mitglied der Vertreterversammlung der Natur der Sache nach selbst als Partei (vgl. BVerfG im Beschluß vom 24. November 1964 unter C III). Für diesen Fall bietet jedoch - bei verfassungskonformer Auslegung (vgl. dazu BVerfG 2, 266, 282; BVerfG 8, 71, 77 und die dort zitierten weiteren Entscheidungen; BVerfG 16, 246, 252 f bezeichnet diesen Grundsatz als "ständige Rechtsprechung" des BVerfG) - § 60 Abs. 2 SGG Abhilfe. Diese Vorschrift regelt zwar ausdrücklich nur den Fall, daß von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen ist, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat (vgl. zu dem Fall, daß ein Kassenarzt als "Vorstandsbeigeordneter" an dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat: BSG, Urt. vom 25. September 1962 - 6 RKa 22/59 - SozR SGG § 60 Nr. 7 = NJW 1963, 414). Die dieser Beschränkung des richterlichen Wirkens zugrunde liegende Erwägung, daß niemand Richter in eigener Sache sein soll (so der erkennende Senat im o. a. Urteil), gilt jedoch auch für die Mitwirkung am vorausgegangenen Beschlußverfahren einer Vertreterversammlung, wenn es bei der gerichtlichen Entscheidung auf die Anwendung dieses Beschlusses ankommt. Das öffentliche Interesse verlangt bei einer so offensichtlichen Pflichtenkollision den Ausschluß des beteiligten Richters von der Ausübung des Amts und eine dementsprechende Prüfung von Amts wegen; die in einem solchen Fall regelmäßig auch gegebene Möglichkeit, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (§ 61 Abs. 1 SGG i. V. m. § 42 ZPO), wäre unzulänglich. Da diese erweiternde Auslegung des § 60 Abs. 2 SGG nach dem Gesetz unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift möglich ist, andererseits aber nur bei einer solchen Auslegung die Doppelfunktion eines Kassenarztes als Mitglieds der Vertreterversammlung einer am Rechtsstreit beteiligten KÄV und zugleich als ehrenamtlichen Richters verfassungsmäßig erscheint, ist sie auch nach dem schon erwähnten Prinzip der verfassungskonformen Auslegung geboten.

Demnach ist die Rüge des Klägers unbegründet, soweit sie darauf gestützt ist, der Landessozialrichter Dr. A. sei als Mitglied der Vertreterversammlung der beklagten KÄV von der Mitwirkung an dem angefochtenen Urteil ausgeschlossen gewesen.

Auch soweit die Verfahrensrüge des Klägers damit begründet wird, daß Dr. A. - wie alle in den Senaten für Angelegenheiten des Kassenarztrechts mitwirkenden Kassenärzte (§ 12 Abs. 3 i. V. m. § 33 Satz 2, § 14 Abs. 3 i. V. m. § 35 Abs. 1 Satz 2 SGG) - von seiner Kassenärztlichen Vereinigung für die Berufung als Landessozialrichter vorgeschlagen sei, greift sie nicht durch. In der schon erwähnten Regierungsbegründung zum Entwurf eines Sozialgerichtsgesetzes, der in seinem § 13 Abs. 3 die Kassenärztlichen Vereinigungen neben der Spitzenorganisation der Krankenhausärzte und den Landesverbänden der Krankenkassen als vorschlagsberechtigt für die ehrenamtlichen Richter in den Kassenarztkammern aufführte, heißt es insofern nur, es werde sichergestellt, daß als Sozialrichter Personen mitwirkten, die mit den schwierigen Rechtsvorschriften und tatsächlichen Gegebenheiten vertraut seien (Deutscher Bundestag, 1. Wahlp. Drucks. Nr. 4225 S. 16 "Zu § 11 Abs. 2-4 bis 14"). Zu Unrecht erblickt die Revision in der Regelung des § 14 Abs. 3 SGG, soweit sie sich auf das Vorschlagsrecht der KÄV bezieht, einen Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 GG. Diese Vorschrift verbürgt die Unabhängigkeit der Richter. Die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der als ehrenamtliche Richter in der Sozialgerichtsbarkeit tätigen Kassenärzte ist jedoch, wie bereits dargelegt, voll gewährleistet und gegen Versuche einer indirekten Beeinflussung ausreichend geschützt. Daß ein Kassenarzt durch Gefühle der Dankbarkeit dafür, daß seine KÄV ihn zum ehrenamtlichen Richter vorgeschlagen hat, oder durch die Besorgnis, er würde für eine Wiederberufung nicht noch einmal vorgeschlagen werden, in seiner Unabhängigkeit gefährdet wird, kann jedenfalls für den Regelfall nicht ernstlich befürchtet werden.

Eher käme als verletzte Norm des GG der verfassungsrechtliche Grundsatz der richterlichen Neutralität in Betracht: Aus dem Vorschlagsrecht der KÄV könnte gefolgert werden, daß die Gefahr besteht, diese könnte nur ihr genehme Kassenärzte zur Berufung als ehrenamtliche Richter vorschlagen, so daß die dergestalt ausgesuchten Richter nicht als unbeteiligte Dritte angesehen werden könnten. Indessen ergibt sich die Einschaltung der KÄV bei der Auswahl der zu ehrenamtlichen Richtern zu berufenden Kassenärzte als sachgemäße Folgerung aus dem schon dargelegten, dem Art. 20 Abs. 1 GG entsprechenden Leitgedanken des Gesetzes, daß die Selbstverwaltungskörperschaft durch geeignete Mitglieder in der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit repräsentiert sein soll. Unter diesem Blickwinkel erscheint die Selbstverwaltungskörperschaft - hier die KÄV - besonders dazu berufen, die geeigneten Kassenärzte zu ermitteln und vorzuschlagen. Als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung, die der staatlichen Aufsicht unterliegt, bietet sie - insofern vergleichbar mit dem Landesversorgungsamt, dessen Vorschlagsrecht "für die mit der Kriegsopferversorgung vertrauten Personen" (§ 14 Abs. 4 SGG) die gleiche Problematik wie das der KÄV aufwirft - hinreichende Gewähr dafür, daß vor allem die Eignung für die Aufnahme in die Vorschlagsliste entscheidend ist. Jedenfalls kann die Besorgnis, die KÄV würde in erster Linie ihr genehm erscheinende Kassenärzte vorschlagen, nicht größer als in den Fällen angesehen werden, in denen das Vorschlagsrecht in die Hände von Vereinigungen (zB Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern; vgl. § 14 Abs. 2 bis 4 SGG, vgl. auch § 20 ArbGG) gelegt ist, die regelmäßig zwar nicht Beteiligte in den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sind, der Sache nach aber nicht minder in der Gefahr stehen, durch entsprechende Auswahl der vorzuschlagenden ehrenamtlichen Richter bestimmte Auffassungen in der Rechtsprechung durchsetzen zu wollen.

Vor allem aber muß in diesem Zusammenhang gewürdigt werden, daß die Sozialrichter (Landessozialrichter) von der Landesregierung oder der von ihr beauftragten Stelle berufen werden (§ 13 Abs. 1, § 35 Abs. 1 Satz 2 SGG). Daß die Berufung nicht als rein formaler Vollziehungsakt gedacht ist, der nur die Vorschläge der vorschlagsberechtigten Stellen zu sanktionieren und dabei allenfalls die zwingenden gesetzlichen Hindernisse (§§ 16, 17; gegebenenfalls § 35 Abs. 1, erster Halbs. SGG) und Sollvorschriften (§ 35 Abs. 1, zweiter Halbs. SGG) zu beachten hat, zeigt § 13 Abs. 1, zweiter Halbs. SGG, wonach die Sozialrichter in angemessenem Verhältnis unter billiger Berücksichtigung der Minderheiten aus den Vorschlagslisten zu entnehmen sind. Die vom Gesetz angeordnete Berücksichtigung der Minderheiten gilt nicht nur für den Fall, daß mehrere Listen verschiedener vorschlagsberechtigter Stellen vorliegen, sondern auch dann, wenn - wie bei der Berufung von Kassenärzten (§ 14 Abs. 3) - nur eine Liste eingereicht wird (vgl. Dietz/Nikisch, ArbGG § 20 Randz. 14 und 17 zu § 20 Abs. 1 Satz 2 ArbGG idF des Gesetzes zur Änderung des ArbGG vom 2. Dezember 1955 - BGBl I 743 -, der mit § 13 Abs. 1, zweiter Halbs. SGG weitgehend übereinstimmt). Schon hieraus geht hervor, daß das Berufungsorgan nicht einfach nach der Reihenfolge der Vorschlagsliste im erforderlichen Umfange Berufungen auszusprechen hat, sondern in eigener Verantwortung dem Erfordernis der billigen Berücksichtigung der Minderheiten Rechnung zu tragen hat.

Auch § 14 Abs. 1 SGG läßt klar erkennen, daß das Berufungsorgan - im Rahmen seiner Bindung an die Vorschlagsliste - eine Auswahl der zu berufenden Richter treffen darf: Die Vorschrift, daß die Vorschlagslisten die eineinhalbfache Zahl der festgesetzten Zahl der Sozialrichter enthalten soll, wäre nicht sinnvoll, wenn die berufende Stelle abgesehen von den im Gesetz genannten Hindernissen für die Berufung im übrigen strikt an den Vorschlag gebunden wäre; denn in diesem Falle würde es einer so erheblich die festgesetzte Höchstzahl der Sozialrichter übersteigenden Zahl von Vorschlägen nicht bedürfen.

Diese Auffassung ist zwar im Arbeitsgerichtsverfassungsrecht für den mit § 13 Abs. 1 SGG vergleichbaren § 20 Abs. 1 ArbGG umstritten (wie hier Schmincke-Sell, ArbGG 2. Aufl. - 1928 - § 20 Anm. 4; wohl auch Baumbach, ArbGG - 1927 - § 20 Anm. 1; aA Dietz/Nikisch, ArbGG - 1954 - § 20 Randz. 16; Dersch/Volkmar ArbGG 6. Aufl. - 1955 - § 20 Anm. 5 d). Immerhin ist die Regelung des ArbGG insofern von der des SGG verschieden, als das ArbGG eine dem § 14 Abs. 1 SGG vergleichbare Sollvorschrift nicht kennt (vgl. Dersch/Volkmar aaO § 20 Anm. 5 c) und demnach einer für die hier vertretene Auffassung wesentlichen Stütze im Gesetz entbehrt. Selbst wenn aber Zweifel bestünden, ob die Regelung des SGG dahin verstanden werden muß, daß sie dem Berufungsorgan im Rahmen seiner Bindung an die Vorschlagsliste ein eigenes - sachgemäßes - Ermessen bei der Auswahl der zu berufenden ehrenamtlichen Richter einräumt, verdient diese Auslegung nach dem Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation den Vorzug. Mit dieser - letztlich entscheidenden - Beteiligung des Staats bei der Auswahl und Berufung der ehrenamtlichen Richter, insbesondere auch der Kassenärzte, wird das Vorschlagsrecht der KÄV so stark eingeschränkt, daß es nicht mehr die richterliche Neutralität ernstlich gefährden kann.

Die gleichen Erwägungen rechtfertigen auch die Heranziehung der beiden Kassenärzte, die im vorliegenden Revisionsverfahren als Bundessozialrichter mitgewirkt haben. Sie sind von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vorgeschlagen worden, die nach Inkrafttreten des § 368 k Abs. 2 RVO idF des Gesetzes über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 (BGBl I 513) an die Stelle der in § 46 Abs. 2 SGG noch genannten "Kassenärztlichen Vereinigungen" getreten ist. Da die Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, die regelmäßig als Beteiligte vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit auftreten, identisch ist, würde bei den als Bundessozialrichtern in den Senaten für Angelegenheiten des Kassenarztrechts mitwirkenden Kassenärzten sogar das formale Bedenken entfallen, daß dieselbe Selbstverwaltungskörperschaft vorschlagsberechtigt und an dem Rechtsstreit beteiligt ist.

Demnach war die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Im Hinblick auf § 193 Abs. 4 SGG konnte dem Antrag des beigeladenen Verbands der Angestellten-Krankenkassen e. V., die ihm im Verfahren vor dem BSG erwachsenen außergerichtlichen Aufwendungen dem Kläger aufzuerlegen, nicht entsprochen werden. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 29. Mai 1956 (BSG 3, 92, 93 f) näher dargelegt hat, gebietet der in § 193 Abs. 4 SGG zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Gedanke des Schutzes des sozial Schwächeren eine weite Auslegung dieser Vorschrift. Der Verband der Angestellten-Krankenkassen ist zwar weder Behörde noch Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts. Er ist aber nach seiner Aufgabenstellung und seiner weitgehenden Eingliederung in die mittelbare Staatsverwaltung (vgl. §§ 525 a, 525 b RVO) den Verbänden der Krankenkassen mit körperschaftlicher Struktur - jedenfalls für den Sachbereich des § 193 Abs. 4 SGG - gleichzuachten. Wie diese Rechtsstellung ihn für das sozialgerichtliche Verfahren privilegiert - der Verband der Angestellten-Krankenkassen braucht sich vor dem BSG nicht durch einen nach § 166 Abs. 2 SGG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten zu lassen (BSG 11, 102, 105 f) -, so löst sie andererseits auch die entsprechenden kostenrechtlichen Belastungen aus.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2014539

BSGE, 105

NJW 1965, 2032

MDR 1965, 1029

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