Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuflußtheorie. Beitragspflicht von Tantiemen

 

Orientierungssatz

1. Es steht dem Grundsatz der Zuflußtheorie nicht entgegen, die Beiträge unabhängig vom Auszahlungszeitpunkt zu berechnen, soweit Leistungen für einen längeren Zeitraum, insbesondere für ein Jahr, gewährt werden (jährliches Urlaubsentgelt, jährliche Weihnachtsgratifikation, jährliche Tantiemen).

2. Sind zugesicherte jährliche Tantiemen auch im Falle des vorzeitigen Ausscheidens anteilig zu zahlen, handelt es sich bei diesen Sonderzahlungen um Bestandteile des laufenden Arbeitsverdienstes, die nach den allgemeinen Vorschriften beitragspflichtig sind und - entsprechend den monatlichen Zahlungsperioden des Arbeitsentgelts - auf alle Monate des jeweiligen Bezugszeitraumes zu verteilen sind. Dabei sind die auf sie entfallenden Beiträge allerdings erst mit der Auszahlung der Tantiemen zu entrichten (vergleiche BSG vom 1981-10-28 12 RK 23/80 = SozR 2100 § 14 Nr 9).

 

Normenkette

RVO § 160 Abs 3 Fassung: 1936-12-23; SGB 4 § 14 Abs 1 Fassung: 1976-12-23; ArEV § 4 Fassung: 1977-12-16; AFG § 112 Abs 2 S 3 Fassung: 1980-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 05.12.1979; Aktenzeichen L 4 Kr 8/79)

SG Osnabrück (Entscheidung vom 04.01.1979; Aktenzeichen S 3 Kr 20/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die vom Kläger in den Jahren 1975 und 1976 jeweils rückwirkend für die Vorjahre an seine in seinem Bäckereibetrieb tätige Ehefrau, die Beigeladene zu 3), ausgezahlten Gewinnbeteiligungen (Tantiemen) nur für den Monat der Zahlung oder für den Bezugszeitraum als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt zu berücksichtigen sind.

Die Beigeladene zu 3) ist im Betrieb des Klägers für den Ein- und Verkauf verantwortlich. Sie hilft während der Stoß-Arbeitszeiten beim Verkauf und leitet während der übrigen Zeit, in der sie den Familienhaushalt versorgt, die Verkaufskräfte bei Bedarf an. Der Kläger zahlt ihr ein - seit 1973 nicht mehr erhöhtes - festes Entgelt von 800,-- DM monatlich. 1973 haben der Kläger und die Beigeladene zu 3) mündlich abgesprochen, daß der Kläger der Beigeladenen zu 3) ab 1974 eine Tantieme in Höhe von 20 vH des 30.000,-- DM übersteigenden Betriebs-Reingewinnes zahlt. Der Kläger hat für 1974 im November 1975 DM 8.300,--, für 1975 im September 1976 DM 14.900,-- und im Jahre 1977 für 1976 DM 9.750,-- gezahlt und diese Beträge jeweils in den Monaten der Zahlung als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt berücksichtigt. Das 1977 erzielte Betriebsergebnis hat nicht zu einer Tantiemezahlung geführt.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 1977 hat die Beklagte die gezahlten Tantiemen den monatlichen Gehältern anteilig zugeschlagen und für die Jahre 1974 und 1975 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 6.158,64 DM nachgefordert:   Schon aus der Differenz zwischen dem erheblich unter dem Tarifsatz für eine Filialleiterin liegenden Festgehalt und der das monatliche Festgehalt um das 10- bzw 18-fache übersteigende Tantieme folge, daß es sich bei den Einmal-Zahlungen des Klägers um feste Bestandteile des Regeleinkommens der Beigeladenen zu 3) handele, deren Auszahlung nur im Interesse einer verminderten Beitragsleistung in Form einer jährlichen Tantieme erfolge.

Das Sozialgericht (SG) hat diese Bescheide mit Urteil vom 4. Januar 1979 aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 5. Dezember 1979). Beide Vorinstanzen haben im wesentlichen die Auffassung vertreten, die vom Kläger gezahlten Tantiemen seien einmalige Zuwendungen iS des § 160 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, weil der Anspruch der Beigeladenen zu 3) auf die 1973 vereinbarte Tantieme jeweils von dem bis zum Ende des Wirtschaftsjahres ungewiss gebliebenen Geschäftserfolg abhängig gewesen sei. Erst wenn Einkünfte dem Arbeitnehmer "zugeflossen" seien, seien sie lohnsteuer- und damit auch beitragspflichtig. Eine systemwidrige rückwirkende Beitragsneueinstufung im Falle von nachträglichen Zahlungen sei nur in Ausnahmefällen zulässig, ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision der Beigeladenen zu 1). Sie macht geltend, die Tantiemezahlungen des Klägers an die Beigeladene zu 3) seien verschleierte laufende Lohnzahlungen gewesen, die bei der Beitragsberechnung auf den Abrechnungszeitraum anteilig zu verteilen und als "laufende Zuwendungen" dem monatlichen Gehalt hinzuzurechnen seien. Die Beigeladene zu 1) beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 5. Dezember 1979 und das

Urteil des SG Osnabrück vom 4. Januar 1979 aufzuheben und die

Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beklagte hat keine Anträge gestellt, sie hat sich jedoch in der rechtlichen Beurteilung schriftsätzlich dem Sachvortrag der Beigeladenen zu 1) angeschlossen. Die Beigeladene zu 2) hat keine Erklärungen abgegeben. Die Beigeladene zu 3) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Alle Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beigeladenen zu 1) ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet. Nach den bisherigen Feststellungen des LSG ist eine abschließende Entscheidung darüber, ob es sich bei den vom Kläger an die Beigeladene zu 3) gezahlten Tantiemen um einmalige Zuwendungen oder um die zusammengefaßte Zahlung laufender Bezüge handelt, nicht möglich.

Die Rechtsauffassung des LSG, daß eine Verteilung der an die Beigeladene zu 3) in den Jahren 1975 und 1976 jeweils für die Vorjahre geleisteten Sonderzahlungen auf alle Kalendermonate des Jahres - durch Bildung eines monatlichen Durchschnittsverdienstes - schon deshalb nicht in Betracht komme, weil sie der Beigeladenen zu 3) nur in dem jeweiligen Monat der Zahlung "zugeflossen" seien, wird vom Senat nicht geteilt. Dem Urteil des LSG liegt noch die strenge "Zuflußtheorie" zugrunde, von der sich der Senat jedoch in seiner neueren Rechtsprechung gelöst hat. Zwar läßt das Beitragsrecht, wie der Senat im Urteil vom 28. Oktober 1981 (- 12 RK 23/80 - mwN; zur Veröffentlichung bestimmt) näher ausgeführt hat, eine Beitragspflicht grundsätzlich nur dann entstehen, wenn und soweit dem Beitragspflichtigen tatsächlich etwas zugeflossen ist. Der Senat hat aber schon wiederholt entschieden, daß es diesem Grundsatz nicht entgegensteht, die Beiträge unabhängig vom Auszahlungszeitpunkt zu berechnen, soweit Leistungen für einen längeren Zeitraum, insbesondere für ein Jahr, gewährt werden (jährliches Urlaubsentgelt, jährliche Weihnachtsgratifikation, jährliche Tantiemen). Diese Leistungen sind dann - unter Bildung entsprechender monatlicher Durchschnittsverdienste - auf das gesamte Jahr zu verteilen, sofern sie auch den vor dem Zeitpunkt der Fälligkeit ausgeschiedenen Arbeitnehmern anteilig zustehen. In einem solchen Falle handelt es sich nicht um einmalige Zuwendungen, sondern um monatlich erdienten Lohn, der lediglich in größeren Zeitabschnitten ausgezahlt wird und der für die Beitragsberechnung auf die einzelnen Lohnperioden des Bezugszeitraumes anteilig zu verteilen ist (vgl das genannte Urteil des Senats vom 28. Oktober 1981 mwN). In dieser Entscheidung hat der Senat auch dargelegt, daß nur eine solche Behandlung von wiederkehrenden Sonderzahlungen Beitragsverluste vermieden werden, die sonst für die Versichertengemeinschaft eintreten und sich auch für den Versicherten selbst, besonders in der Rentenversicherung, nachteilig auswirken würden. Im übrigen hat der Senat für seine Auffassung auf eine entsprechende Regelung in § 112 Abs 2 Satz 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (idF durch Art 2 § 2 Nr 10 Buchst a des 10. Buches des Sozialgesetzbuches) verwiesen; daß diese Regelung inzwischen durch Art 1 § 1 Nr 40 Buchst a) bb) des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497, 1503) mit Wirkung vom 1. Januar 1982 (Art 18 AFKG) wieder aufgehoben worden ist, hat besondere - leistungsrechtliche - Gründe und ändert für die hier zu entscheidende Rechtsfrage nichts. Mit der Rechtsprechung des Senats stimmt schließlich die Zuordnung der jährlichen Sonderzuwendungen zum laufenden Arbeitsentgelt überein, von der das Bundessozialgericht (BSG) bei der Berechnung des Übergangsgeldes (Urteil vom 30. Juni 1981 - 5b/5 RJ 156/80 - und vom 16. September 1981 - 4 RJ 55/80 -) und des Gesamteinkommens (Urteil vom 22. Juni 1981 - 3 RK 7/80 -) ausgegangen ist (vgl auch BSG-Urteil vom 24. Februar 1982 - 2 RU 63/80 -, zur Veröffentlichung bestimmt, zu § 568 Abs 1 RVO).

Da das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Kläger der Beigeladenen zu 3) die vertraglich zugesicherten jährlichen Sonderzahlungen (Tantiemen) auch bei einer vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses anteilig zu zahlen hat, und dem Senat eigene Tatsachenfeststellungen verwehrt sind, ist der Rechtsstreit zum Zwecke der ergänzenden Sachaufklärung an das LSG zurückzuverweisen. Sofern die vom LSG nachzuholenden tatsächlichen Feststellungen ergeben, daß der Kläger die der Beigeladenen zugesicherte jährliche Tantieme auch im Falle des vorzeitigen Ausscheidens der Beigeladenen zu 3) anteilig zu zahlen hat, handelt es sich bei diesen Sonderzahlungen um Bestandteile des laufenden Arbeitsverdienstes, die nach den allgemeinen Vorschriften beitragspflichtig sind und - entsprechend den monatlichen Zahlungsperioden des Arbeitsentgelts - auf alle Monate des jeweiligen Bezugszeitraumes zu verteilen sind. Dabei sind die auf sie entfallenden Beiträge allerdings erst mit der Auszahlung der Tantiemen zu entrichten (vgl das schon mehrfach genannte Urteil des Senats vom 28. Oktober 1981).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657619

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