Entscheidungsstichwort (Thema)

Authentische Interpretation. Festhaltung an höchstrichterlicher Rechtsprechung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Arbeitslosigkeit iS der Voraussetzung der Beitragspflicht von Wehr- und Zivildienstleistenden nach § 168 AFG in der bis zum Gesetz vom 20.12.1988 geltenden Fassung kann auch vorliegen, wenn die Zeit zwischen Schulabschluß und Dienstbeginn weniger als zwei Monate beträgt (Anschluß an BSG vom 20.3.1984 - 7 RAr 7/83).

2. Zum Begriff der "Authentischen Interpretation".

3. Zum Gleichheitssatz im Rechtsstreit eines Angehörigen der begünstigten Gruppe.

 

Orientierungssatz

1. Authentische Interpretation meint, daß der Gesetzgeber durch eine Klarstellung (also durch eine eigene nachträgliche Interpretation seiner selbst) anordnet, wie die schon bisher bestehenden gesetzlichen Bestimmungen von Anfang an zu verstehen waren. Eine solche Klarstellung ist, wenn ihr in den Übergangsvorschriften Rückwirkung beigemessen wird, von den Gerichten in den verfassungsrechtlichen Grenzen einer rückwirkenden Gesetzesänderung zu beachten, auch bei einer zusätzlichen Belastung des Bürgers, wenn das Vertrauen auf die zuvor bestehende Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war, insbesondere, wenn das geltende Recht, das durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde, unklar und verworren war oder wenn der Bürger sich ohnedies nicht auf den durch die Norm erzeugten Rechtsschein verlassen konnte.

2. Bei auftretenden Auslegungsschwierigkeiten ist der Gesetzgeber grundsätzlich befugt, entweder der seine ursprüngliche Absicht klarstellenden Neufassung nur Wirkung für die Zukunft beizumessen und für die Vergangenheit die Auslegung der ursprünglichen Fassung den Gerichten zu überlassen, oder in den verfassungsrechtlichen Grenzen einer rückwirkenden Rechtsänderung die Neufassung rückwirkend iS einer authentischen Interpretation in Kraft zu setzen. Das Ziel einer Klarstellung kann nicht ohne weiteres iS einer Rückwirkung verstanden werden.

3. Es ist an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten, wenn nicht wirklich durchgreifende - dh in aller Regel neue - Gründe vorgebracht werden (vgl BSG vom 29.10.1975 - 12 RJ 290/72 = BSGE 40, 292, 296; BSG vom 21.7.1977 - GS 1/76 = BSGE 44, 151, 163). Das gilt in verstärktem Maße, wenn eine Regelung durch eine Neufassung ersetzt wird und nur noch für eine Übergangszeit von Bedeutung ist, insbesondere, wenn sie wegen ihrer - nur noch begrenzten - Auswirkungen bekämpft wird.

 

Normenkette

AFG § 168 Abs 2 Nr 3, § 101 Abs 1, § 169 Nr 1; SGB 4 § 8 Abs 1 Nr 2; GG Art 3 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 11.03.1988; Aktenzeichen L 6 Ar 79/87)

SG Speyer (Entscheidung vom 14.07.1987; Aktenzeichen S 3 Ar 434/86)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) Arbeitslosengeld (Alg) anstelle der gewährten Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der 1965 geborene Kläger leistete nach Ablegung der Reifeprüfung am 19. Juni 1984 vom 1. August 1984 bis zum 31. März 1986 Zivildienst. In der Zeit zwischen Reifeprüfung und Zivildienst hatte er sich vergeblich um Arbeit bemüht. Am 18. April 1986 meldete er sich arbeitslos und beantragte Alg.

Die beklagte BA lehnte die Gewährung von Alg ab, da der Kläger nur Aushilfstätigkeiten bzw einen sogenannten Ferienjob gesucht habe (Bescheid vom 28. Mai 1986; Widerspruchsbescheid vom 25. August 1986). Seine Klage führte in beiden Vorinstanzen zur Verurteilung der Beklagten, Alg anstelle von Alhi zu gewähren (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 14. Juli 1987; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 11. März 1988). Das LSG hat hierzu festgestellt, daß der Kläger nach Ablegung der Reifeprüfung bereit gewesen sei, eine vollschichtige Beschäftigung als Arbeitnehmer auszuüben. Die Beklagte rügt mit der Revision Verletzung des § 168 Abs 2 Nr 3 AFG. Arbeitslosigkeit im Sinne dieser Vorschriften könne nur vorliegen, wenn in der Zeit zwischen Schulabschluß und Einberufung eine mehr als geringfügige Beschäftigung hätte ausgeübt werden können.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zurückzuweisen. Das LSG hat die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Alg ab Antragstellung zu Recht bestätigt. Die in § 100 AFG neben der Antragstellung genannten Anspruchsvoraussetzungen waren erfüllt. Das bedarf nur hinsichtlich der Anwartschaftszeit einer weiteren Begründung. Nach § 104 Satz 1 AFG in der Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22. Dezember 1981 hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168) gestanden hat. Die Rahmenfrist geht dem ersten Tage der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus (§ 104 Abs 2 AFG) und beträgt drei Jahre (aaO Satz 3). Nach § 107 Abs 1 Nr 1 AFG stehen einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung Zeiten gleich, in denen der Arbeitslose als Wehr- oder Ersatzdienstleistender beitragspflichtig war (§ 168 Abs 2 AFG).

Nach § 168 Abs 2 AFG in der bis zum Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2343), im folgenden "AFG-ÄndG" genannt, geltenden Fassung (§ 168 Abs 2 AFG aF), war der Kläger bei Ableistung des Wehrdienstes beitragspflichtig. Nach der Nr 3 dieser Vorschrift sind beitragspflichtig Personen, die aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten, wenn sie für länger als drei Tage einberufen worden sind und unmittelbar vor Dienstantritt arbeitslos waren. Das trifft hier zu.

Mit dem Revisionsvorbringen, der Kläger habe für die Zeit seiner faktischen Beschäftigungslosigkeit zwischen Abitur und Zivildienst nicht hinreichend nachgewiesen, daß er arbeitslos iS des § 101 AFG gewesen sei, wendet sich die Beklagte gegen die Beweiswürdigung des LSG, ohne eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge zu erheben.

Es ist rechtlich unerheblich, daß der Kläger in der Zeit zwischen der Reifeprüfung am 19. Juni 1984 und Beginn des Zivildienstes am 1. August 1984 nur eine Beschäftigung von weniger als zwei Monaten hätte ausüben können. Diese Beschäftigung wäre zwar allein wegen ihrer Dauer nicht beitragspflichtig gewesen. Denn eine solche Beschäftigung in der hier fraglichen Zeit zwischen Reifeprüfung und Zivildienst wäre als geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs 1 Nr 2 des Sozialgesetzbuches, Viertes Buch (SGB 4), in der Krankenversicherung nach § 168 RVO in der bis zum Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches, Fünftes Buch (SGB 5), geltenden Fassung versicherungsfrei und demgemäß nach § 169 Nr 1 AFG in der vor dem AFG-ÄndG vom 20. Dezember 1988 geltenden Fassung in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei gewesen. Geringfügig im Sinne des § 8 Abs 1 Nr 2 SGB 4 ist eine Beschäftigung, wenn sie innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, daß die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt die in Nr 1 genannten Grenzen übersteigt. Das schließt indes Arbeitslosigkeit nicht aus.

Zur Anwendung des § 168 Abs 2 Nr 3 AFG in einer früheren Fassung hat der 7. Senat des BSG bereits entschieden, es komme nicht darauf an, ob der Zeitraum zwischen Schulabschluß und Dienstbeginn die Zeitgrenze einer geringfügigen Beschäftigung (damals drei, jetzt zwei Monate) überschreite (Urteil vom 20. März 1984 - 7 RAr 7/83 - VdKMitt 1984, Nrn 11, 18 und DBlR 2998, AFG § 168).

Dem stimmt der erkennende Senat zu. Der § 101 Abs 1 AFG enthält nicht mehr die Einschränkung des § 75 Abs 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), daß arbeitslos iS des Gesetzes nur derjenige sein kann, der berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegt (BSGE 41, 229 = SozR 4100 § 101 Nr 1). Nach § 101 Abs 1 AFG ist arbeitslos "iS dieses Gesetzes", also nicht nur iS der Leistungsvorschriften, ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt. Von dieser Definition geht das AFG schon in seinen Eingangsvorschriften aus, wenn nach § 6 Abs 3 Satz 2 AFG in der Statistik der Arbeitslosen keine Personen gezählt werden, die der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen.

Zu einer anderen Beurteilung geben weder die von der Beklagten erhobenen Einwände noch die nach Erlaß des Berufungsurteils erfolgte Neufassung der Vorschrift durch das AFG-ÄndG vom 20. Dezember 1988 Anlaß.

Die Neufassung durch das AFG-Änderungsgesetz ist nach dessen Art 10 erst zum 1. Januar 1989 in Kraft getreten. Die durch dieses Gesetz in das AFG eingefügte Übergangsvorschrift des § 242i enthält zur Änderung des § 168 Abs 2 AFG keine abweichende Regelung. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich kein ausreichender Anhaltspunkt dafür, daß die Neufassung rückwirkend auf das Inkrafttreten der ursprünglichen Regelung gelten soll. Die Neufassung war zunächst im Entwurf des Gesundheitsreformgesetzes (BT-Drucks 11/2493 und 11/2237, dort als Art 31 Nr 21b) enthalten mit der Begründung, die Vorschrift entspreche geltendem Recht und sei im Interesse der Rechtssicherheit neu gefaßt worden (BT-Drucks 11/2237 S 260). Sie ist später in das 9. AFG-Änderungsgesetz übernommen worden mit der Begründung (BT-Drucks 11/3603 S 12 zu Buchst b): "Die Vorschrift über die Beitragspflicht der Wehr- und Zivildienstleistenden entspricht dem geltenden Recht. Sie ist jedoch im Interesse der Rechtsklarheit neu gefaßt worden. Nach geltendem Recht sind Wehr- und Zivildienstleistende beitragspflichtig nach dem Arbeitsförderungsgesetz und damit für den Fall der Arbeitslosigkeit geschützt, wenn sie vor ihrer Einberufung zum Kreis der durch die Sozialversicherung geschützten Arbeitnehmer gehört haben. Die Neufassung konkretisiert diesen Grundsatz lediglich umfassender als das geltende Recht: Beitragspflichtig ist - wie bisher - der Wehr- oder Zivildienstleistende, der unmittelbar vor Dienstantritt in einer mehr als geringfügigen Beschäftigung iS des § 8 SGB 4 gestanden oder eine derartige Beschäftigung gesucht hat, sofern er nicht seinem Erscheinungsbild nach Schüler oder Student ist. Ein Wehr- oder Zivildienstleistender ist seinem Erscheinungsbild nach Schüler oder Student, wenn er während der Beschäftigung oder während der Arbeitssuche die Voraussetzungen für die Beitragsfreiheit als Schüler oder Student erfüllte. Das gleiche gilt, wenn der Wehr- oder Zivildienstleistende erst in den letzten zwei Monaten vor Beginn des Dienstes die Ausbildung an einer allgemeinbildenden Schule beendet oder eine solche Ausbildung oder eine berufsbezogene Ausbildung unterbrochen hat und danach keine mehr als geringfügige Beschäftigung ausgeübt hat, sofern er nicht vor Beginn der Ausbildung mindestens ein Jahr (360 Kalendertage) beitragspflichtig beschäftigt war (Satz 2)."

Die Beklagte versteht das zu Unrecht iS einer die Gerichte bei der Gesetzesauslegung bindenden authentischen Interpretation des Gesetzes. Authentische Interpretation meint in diesem Zusammenhang, daß der Gesetzgeber durch eine Klarstellung (also durch eine eigene nachträgliche Interpretation seiner selbst) anordnet, wie die schon bisher bestehenden gesetzlichen Bestimmungen von Anfang an zu verstehen waren. Eine solche Klarstellung ist, wenn ihr in den Übergangsvorschriften Rückwirkung beigemessen wird, von den Gerichten in den verfassungsrechtlichen Grenzen einer rückwirkenden Gesetzesänderung zu beachten (BSGE 58, 243, 246 mwN = SozR 2200 § 182, Nr 98), auch bei einer zusätzlichen Belastung des Bürgers, wenn das Vertrauen auf die zuvor bestehende Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war, insbesondere, wenn das geltende Recht, das durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde, unklar und verworren war oder wenn der Bürger sich ohnedies nicht auf den durch die Norm erzeugten Rechtsschein verlassen konnte (BVerfGE 50, 177, 193/194). Es geht also darum, ob eine (nach den Gesetzesmaterialien) "im Interesse der Rechtsklarheit" erfolgte Neufassung ihrer Zielsetzung entsprechend auch dann mit Rückwirkung in Kraft tritt, wenn das in den Übergangsvorschriften nicht eigens angeordnet wird (vgl zum Begriff der authentischen Interpretation in anderem Zusammenhang BSG SozR Nr 2 zu § 14 DV AVAVG; BVerwG vom 1. Februar 1989 - 1 D 2/86 - und vom 18. Februar 1977 - Buchholz 442.01 § 13 PBefG Nr 23 sowie BSG SozR 3100 § 1 Nr 33 S 75).

Bei auftretenden Auslegungsschwierigkeiten ist der Gesetzgeber grundsätzlich befugt, entweder der seine ursprüngliche Absicht klarstellenden Neufassung nur Wirkung für die Zukunft beizumessen und für die Vergangenheit die Auslegung der ursprünglichen Fassung den Gerichten zu überlassen, oder in den verfassungsrechtlichen Grenzen einer rückwirkenden Rechtsänderung die Neufassung rückwirkend iS einer authentischen Interpretation in Kraft zu setzen. Das Ziel einer Klarstellung kann daher nicht ohne weiteres iS einer Rückwirkung verstanden werden. Eine Auslegungsregel dieses Inhalts gibt es nicht. Weder scheidet eine Auslegung iS der Rückwirkung, also gegen den Wortlaut der Übergangsvorschriften, von vornherein oder auch nur im Regelfall aus, noch ist sie im Zweifel geboten. Es kommt vielmehr auf die Bedeutung der Neufassung im Einzelfall an. Zur Vermeidbarkeit solcher Streitigkeiten sollte der Gesetzgeber "Klartext formulieren", wie der Senat im Anschluß an Oberfeld (SGb 1982, 113, 114) schon früher gefordert hat (SozR 2200 § 1276 Nr 7).

Gegen die Annahme einer Rückwirkung spricht hier, daß der Gesetzgeber in der Neufassung untrennbar Elemente der Auslegung des ursprünglich Gewollten mit denen einer Rechtsänderung verbunden hat. Soweit in der Neufassung der Tatbestand einer mindestens einjährigen versicherungspflichtigen Beschäftigung vor Beginn einer Ausbildung angesprochen wird, geht dies zweifelsfrei über eine Auslegung des ursprünglich Gewollten hinaus. Auch wird in der Gesetzesbegründung weder der Gesichtspunkt der Rückwirkung noch der einer "authentischen Interpretation" deutlich angesprochen. Die Gesetzesbegründung läßt nicht erkennen, daß die Neufassung der Auslegung dieser Vorschrift durch das zuständige Oberste Bundesgericht widerspricht. Auf die Entscheidung des 7. Senats des BSG, der damals für Streitigkeiten dieser Art allein zuständig war (Urteil vom 20. März 1984 - 7 RAr 7/83 - VdKMitt 1984, Nrn 11, 18 und DBlR 2998, AFG § 168), wird nicht hingewiesen. Damit wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht deutlich, welche Bedeutung dem Inkrafttreten der Neufassung zukam. Unter diesen Umständen kann dem Gesetz eine rückwirkende Rechtsänderung nicht entnommen werden. Ob die Neufassung in Übergangsfällen, in denen der Wehrdienst versicherungspflichtig vor dem 1. Januar 1989 begonnen wurde, die Versicherungspflicht mit dem 1. Januar 1989 beseitigt, bedarf hier keiner Entscheidung. Die Neuregelung gilt jedenfalls nicht für Dienstzeiten, die - wie hier - vor dem 1. Januar 1989 beendet wurden.

Die Verneinung einer rückwirkenden Änderung weicht nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung einer mit beschränkter Rückwirkung versehenen authentischen Interpretation als Klarstellung des Gesetzessinnes von Anfang an (DöD 1970, 176) ab. Diese Entscheidung zum Kinderzuschlag berücksichtigt bei der Gesetzesauslegung Besonderheiten der Parallelregelung im Bundes- und Landesrecht, die hier ohne Bedeutung sind. Soweit das Bundesverwaltungsgericht zu § 18 Abs 4 des Bundesbesoldungsgesetzes entschieden hat, daß dessen Neufassung durch das Gesetz vom 14. Mai 1969 trotz der dort angeordneten Rückwirkung auf den 1. Januar 1967 es nicht ausschließe, für die davor liegende Zeit schon die ursprüngliche Gesetzesfassung in diesem Sinne auszulegen und sich hierzu auf die spätere Klarstellung zu berufen (BVerwGE 32, 338, 345/346), betrifft dies nicht die Frage der Rückwirkung.

Schließlich kann auch das Argument der Beklagten eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen, der Gesetzgeber habe in § 168 AFG einer Arbeitslosigkeit keine größere Bedeutung beimessen wollen als einer entsprechenden Beschäftigungszeit. Die Regelung des § 168 AFG alter Fassung (aF) stellte allein auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Beginn der Maßnahme ab. Eine Regelung, wie sie der Beklagten vorschwebt, daß versicherungspflichtig nur derjenige ist, der unmittelbar vor Beginn des Wehrdienstes länger als zwei Monate entweder beschäftigt oder arbeitslos war, sofern er weder als Schüler oder Student, noch nach den Beamtenvorschriften versicherungsfrei war, hatte der Gesetzgeber in § 168 AFG aF nicht getroffen. Ob die Neufassung in diesem Sinne verstanden werden kann, kann hier offenbleiben. Der Wortlaut der Neufassung führt jedenfalls dann zu Anwendungsschwierigkeiten, wenn der Abstand zwischen Abitur und Einberufung zwei Monate überschreitet und darin zwei Zeitabschnitte von jeweils weniger als zwei Monaten liegen, in denen der Dienstleistende beschäftigt bzw arbeitslos war. Die Altfassung der Vorschrift, die eine Zeitgrenze von zwei Monaten in keiner Weise anspricht, kann jedenfalls nicht in einem solchen Sinne ausgelegt werden. Insbesondere kann die in der Neufassung getroffene Regelung, daß Versicherungspflicht immer dann besteht, wenn der Dienstleistende vor der Schulausbildung mindestens ein Jahr beitragspflichtig beschäftigt war, in die Altfassung nicht hineininterpretiert werden. Selbst wenn aufgrund der Neufassung "zur Klarstellung" unterstellt wird, daß der Gesetzgeber schon damals den Willen zu einer der Neufassung entsprechenden Regelung gehabt habe, hätte ein solcher Wille im Gesetzeswortlaut doch keinerlei Ausdruck gefunden.

Beiträge würden nach § 2 der Gesamt-Beitragsverordnung vom 21. November 1972 (BGBl I 2145), geändert durch die VO vom 25. November 1986 (BGBl I 2076), nur 81 vH der Wehrdienstleistenden und 48,5 vH der Zivildienstleistenden der Beitragszahlungspflicht unterworfen, während nach dem Urteil des BSG vom 20. März 1984 annähernd alle Wehr- und Zivildienstleistenden in die Beitragspflicht einbezogen werden müßten. Insoweit ist das Vorbringen der Beklagten schon in sich widersprüchlich. Denn die Beklagte rügt auch, das LSG habe verkannt, daß Dienstleistende, die innerhalb von zwei Monaten nach dem Ende einer vorangegangenen Ausbildung einberufen würden, in aller Regel nicht eine Arbeit tatsächlich gesucht hätten. Zum anderen ist das Gericht an die Vorstellung des Verordnungsgebers, daß ein bestimmter Wille des Gesetzgebers im Gesetzeswortlaut einen ausreichenden Niederschlag gefunden habe, nicht gebunden.

Letztlich nicht durchgreifend ist auch der Einwand, es verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz, einen Schüler, der innerhalb von zwei Monaten zum Dienst einberufen werde, für seine Dienstzeit als versicherungspflichtig anzusehen, wenn er in der Zwischenzeit arbeitslos war, aber als nicht versicherungspflichtig, wenn er in der Zwischenzeit beschäftigt war. Zumindest im Grundsatz ist es im Hinblick auf den Sozialstaatsgedanken nicht von vornherein sachwidrig, an eine Zeit der Arbeitslosigkeit günstigere Rechtsfolgen zu knüpfen als an eine entsprechende Beschäftigungszeit, auch wenn das im vorliegenden Zusammenhang wenig zweckmäßig erscheint. Überdies hatte der Senat zu berücksichtigen, daß an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten ist, wenn nicht wirklich durchgreifende - dh in aller Regel neue - Gründe vorgebracht werden (BSGE 40, 292, 296; 44, 151, 163). Das gilt in verstärktem Maße, wenn eine Regelung durch eine Neufassung ersetzt wird und nur noch für eine Übergangszeit von Bedeutung ist, insbesondere, wenn sie wegen ihrer - nunmehr nur noch begrenzten - Auswirkungen bekämpft wird. Der Gesetzgeber hat mit seiner Entscheidung, die Neufassung nicht rückwirkend in Kraft zu setzen, diese Auswirkungen für die Übergangszeit hingenommen. Endlich hat der Senat berücksichtigt, daß selbst bei der Annahme eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz im Rechtsstreit eines Angehörigen der begünstigten Gruppe, hier der Arbeitsuchenden, eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art 100 GG unzulässig ist, da das Bundesverfassungsgericht nur im Rechtsstreit eines Angehörigen der benachteiligten Gruppe, also der in der Zwischenzeit Beschäftigten, angerufen werden kann (vgl BVerfGE 66, 100 und BVerfG SozR 2200 § 176c Nr 5).

Die Revision der Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665930

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