Leitsatz (amtlich)

1. Ein Dauerausscheider von Erregern einer übertragbaren Krankheit (zB Salmonellenbazillen) ist - ungeachtet der Begriffsbestimmungen in BSeuchG § 2 - krank iS des RVO § 182.

2. Die KK kann sich ihrer eigenen Verpflichtung zur Gewährung von Krankenhilfe an einen Bazillenausscheider nicht dadurch entziehen, daß sie ihn an die nach dem BSeuchG für die Durchführung von Entseuchungsmaßnahmen zuständige Stelle verweist.

3. Im Falle eines Kassenwechsel (RVO § 212) haftet die neue Kasse nicht für Leistungsrückstände der alten.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Krankenhauspflege war auch schon nach RVO § 184 aF eine besondere Leistungsform der Krankenpflege.

2. Die Tatsache, daß die Krankenhauspflege gemäß RVO § 184 auch öffentlichen Interessen dienst, berührt nicht die Leistungspflicht der KK. Zur Leistungspflicht der KK bei Ausscheidung von Krankheitserregern: 2. Die Ausscheidung von Krankheitserregern (wie zB Salmonellenbazillen) ist, jedenfalls soweit sie einer ärztlichen Behandlung zugänglich ist, eine Krankheit is des RVO § 182 Abs 1. 3. Krankenpflege (RVO § 182 Abs 1 Nr 1) und Krankenhauspflege (RVO § 184) sind auch dann zu gewähren, wenn sie - neben der Heilung der Krankheit oder Linderung der Beschwerden - zugleich der Erfüllung öffentlicher Interessen dienen.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Fassung: 1961-07-12, § 184 Fassung: 1911-07-19, § 212 Fassung: 1911-07-19; BSeuchG § 2 Fassung: 1961-07-18, § 34 Fassung: 1961-07-18

 

Tenor

Die Revision der beklagten Krankenkasse gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. Februar 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Im übrigen sind Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die beklagte Krankenkasse weigert sich, der früher bei ihr versichert gewesenen Klägerin - einer Dauerausscheiderin von Salmonellenbazillen - Krankenhauspflege zu gewähren, weil die Behandlung von Bazillenausscheidern in erster Linie der "Entseuchung" diene, dafür aber das beigeladene Land zuständig sei.

Im Oktober 1963 ergab eine Routineuntersuchung des Gesundheitsamtes, daß die Klägerin, die damals als Verkäuferin in einem Lebensmittelgeschäft tätig war, Salmonellenbazillen mit dem Stuhl ausschied. Darauf wurde ihr mit Wirkung vom 21. November 1963 nach § 17 des Bundes-Seuchengesetzes (BSeuchG) vom 18. Juli 1961 die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit untersagt; wegen des Verdienstausfalls erhielt sie für ein halbes Jahr eine Geldentschädigung nach § 49 BSeuchG. Der behandelnde Arzt, der sie vom Tage des Beschäftigungsverbots für arbeitsunfähig erklärt hatte, beantragte im Januar 1964 ihre Krankenhausaufnahme, da eine ambulante Behandlung keinen Erfolg gehabt habe.

Die ablehnende Entscheidung der Beklagten (Bescheid vom 6. Februar 1964 und Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 1964) wurde von der Klägerin angefochten. Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens zur Gewährung der beantragten Krankenhauspflege; es stellte ferner antragsgemäß fest, daß die Klägerin trotz des Beschäftigungsverbotes bis zum 14. Oktober 1965 Mitglied der Beklagten geblieben sei (Urteil vom 26. September 1966).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die auf Feststellung der Mitgliedschaft gerichtete Klage abgewiesen, im übrigen jedoch das erstinstanzliche Urteil bestätigt: Die Klägerin sei krank im Sinne des § 182 der Reichsversicherungsordnung (RVO), denn als Dauerausscheiderin von Salmonellenbazillen - alle bis jetzt vorgenommenen Untersuchungen hätten einen positiven Befund ergeben - liege bei ihr ein regelwidriger Körperzustand vor, der ärztlicher Behandlung bedürfe und einer solchen nach dem Gutachten der Sachverständigen auch zugängig sei; der Klägerin stehe deshalb seit dem Beginn der Krankheit Krankenpflege zu, und zwar in der besonderen Form der Krankenhauspflege, weil der Heilerfolg nur durch stationäre Behandlung erreicht werden könne, wie die Sachverständigen ausgeführt hätten. Das beigeladene Land sei nach dem BSeuchG grundsätzlich nur zu Absonderungsmaßnahmen und lediglich bei Impfschäden (§§ 51 ff BSeuchG) auch zur Gewährung von Heilbehandlung verpflichtet. Da der Versicherungsfall bei der Klägerin noch während ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten, d. h. vor dem 21. November 1963, eingetreten sei, habe sie die Krankenhauspflege zu gewähren, nicht die Landkrankenkasse (LKK) Verden, bei der die Klägerin seit dem 15. Oktober 1965 als Hausgehilfin versichert sei; diese hafte nicht für den Leistungsrückstand der Beklagten (Urteil vom 27. Februar 1968).

Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt, mit der sie geltend macht: Entgegen der Ansicht des LSG sei das beigeladene Land nach dem BSeuchG auch verpflichtet, einen Bazillenträger der Heilbehandlung zuzuführen und damit die Ursache einer Verseuchung zu beseitigen ("Herdsanierung"). Diese - den §§ 51 ff iVm § 36 BSeuchG zu entnehmende - Verpflichtung gehe einer entsprechenden Leistungspflicht der Beklagten vor. Diese beantragt, das Urteil des LSG zu ändern und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Die Klägerin und das beigeladene Land halten die Revision für unbegründet.

Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist unbegründet. Das LSG hat sie mit Recht für verpflichtet gehalten, der Klägerin - als einer Dauerausscheiderin von Salmonellenbazillen - Krankenhauspflege zu gewähren.

Nach § 2 BSeuchG ist "im Sinne dieses Gesetzes" krank, wer an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist (Buchst. a), krankheitsverdächtig, wer unter Erscheinungen erkrankt ist, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbarer Krankheit vermuten lassen (Buchst. b), und Ausscheider, wer Erreger einer übertragbaren Krankheit dauernd oder zeitweilig ausscheidet, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein (Buchst. d iVm Buchst. c). Diese Begriffsbestimmungen, die zwischen Krankheit und Krankheitsverdacht einerseits, Ausscheidung von Krankheitserregern andererseits unterscheiden, gelten grundsätzlich nur für die Anwendung des BSeuchG ("dieses Gesetzes") und die besonderen mit ihm verfolgten Zwecke. Für die soziale Krankenversicherung haben sie jedenfalls insofern keine Bedeutung, als es sich um die inhaltliche Abgrenzung des Versicherungsfalls der Krankheit und damit um die Leistungszuständigkeit der Krankenkassen handelt. Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist vielmehr jeder regelwidrige Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und, was hier nicht weiter in Betracht kommt, zugleich oder ausschließlich Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (vgl. BSG 26, 288, 289). Als behandlungsbedürftig hat der Senat dabei einen Zustand angesehen, der nach den Regeln der ärztlichen Kunst einer Behandlung mit dem Ziele der Heilung, der Besserung, der Verhütung einer Verschlimmerung oder der Linderung von Schmerzen zugänglich ist (BSG 26, 240, 243), der also ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg geheilt, gebessert, gelindert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann (BSG 30, 131, 153). In diesem Sinne ist auch eine - dem Leitbild eines gesunden Menschen nicht entsprechende und insofern regelwidrige - Ausscheidung von Krankheitserregern eine Krankheit, wenn sie, was nach den Feststellungen des LSG für eine Ausscheidung von Salmonellenbazillen zutrifft, durch ärztliche Maßnahmen und nur durch sie mit Aussicht auf Erfolg behandelt werden kann (das LSG hat im Anschluß an die ärztlichen Sachverständigen von einer Heilungsquote von über 50% gesprochen).

Das LSG hat ferner zutreffend entschieden, daß die Klägerin als Dauerausscheiderin von Salmonellen nicht nur einen Anspruch auf Krankenpflege, d. h. auf ambulante ärztliche Behandlung und Versorgung mit Medikamenten, sondern auch auf Krankenhauspflege hat, wenn und soweit eine stationäre Behandlung medizinisch erforderlich ist, um die Erkrankung der Klägerin erfolgversprechend zu bekämpfen. Dies ist nach den von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des LSG der Fall. Dieses hat ausgeführt, daß eine Behandlung von Dauerausscheidern eine massive Dosierung bestimmter Arzneimittel erfordert und deshalb nur stationär durch besonders erfahrene Ärzte in einer Abteilung für Infektionskrankheiten durchgeführt werden kann.

An der Leistungspflicht der Beklagten würde sich auch dann nichts ändern, wenn die Klägerin für die fragliche Zeit keinen Anspruch auf Krankengeld gehabt hätte. Die Gewährung von Krankenhauspflege setzt keinen Anspruch auf Krankengeld voraus. Schon vor der Neufassung des § 184 RVO durch das Zweite Krankenversicherungs-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1970 (vgl. dessen Art. 1 Nr. 7) war Krankenhauspflege nur eine besondere Leistungsform der Krankenpflege (vgl. BSG 13, 134, 138 und 18, 257, 259). Sollte also die Klägerin nach Erlaß des gegen sie ergangenen Beschäftigungsverbots und für die Dauer des Bezugs einer Geldentschädigung nach § 49 BSeuchG keinen Krankengeldanspruch gehabt haben (vgl. dazu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., S. 3901), hätte dies einer Gewährung von Krankenhauspflege an sie nicht entgegengestanden.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, daß für die Behandlung von Bazillenausscheidern in erster Linie das beigeladene Land zuständig sei. Ob dieses überhaupt, außer bei Impfschäden (vgl. §§ 51 ff BSeuchG), Heilbehandlung gewähren darf - nach der Auffassung der Beklagten sollen die §§ 51 ff BSeuchG insoweit entsprechend anwendbar sein -, braucht hier nicht entschieden zu werden. Selbst wenn auch das beigeladene Land der Klägerin Heilbehandlung gewähren dürfte, was anscheinend zunächst erwogen worden ist, würde dies die eigene, nach §§ 182, 184 RVO begründete Leistungspflicht der Beklagten nicht berühren. Die Gewährung von Krankenpflege oder Krankenhauspflege durch die Beklagte dient hier zwar - neben dem im Vordergrund stehenden Zweck, die Klägerin von ihrer Krankheit zu heilen - zugleich der Beseitigung einer Ansteckungsquelle und liegt damit auch im öffentlichen Interesse. Indessen kommt es auch sonst vor, daß die von den Trägern der sozialen Krankenversicherung zu gewährenden Sachleistungen gleichzeitig der Erfüllung öffentlicher Interessen dienen, zB. bei der Tuberkulosebekämpfung oder bei der Unterbringung von Geisteskranken oder Süchtigen in einer Heilanstalt (vgl. BSG 31, 112, 117 f mit weiteren Nachweisen). Auch in solchen Fällen kann sich die Krankenkasse ihrer eigenen Leistungspflicht nicht dadurch entziehen, daß sie den Versicherten an einen anderen Leistungsträger verweist.

Das LSG hat schließlich mit Recht für unerheblich gehalten, daß die Klägerin am 15. Oktober 1965 eine neue Beschäftigung aufgenommen und dadurch Mitglied einer anderen Krankenkasse, der LKK Verden, geworden ist. Auch wenn darin ein Kassenwechsel im Sinne des § 212 RVO zu sehen wäre, hätte die LKK als neue Kasse lediglich die "weiteren Leistungen" zu übernehmen, nicht jedoch für den "Leistungsrückstand" der Beklagten aufzukommen; anderenfalls könnte die bisher zuständig gewesene Krankenkasse allein durch eine unrechtmäßige Leistungsverweigerung die Erfüllung ihrer Verpflichtungen auf die neue Kasse abwälzen. Eine Krankenkasse, die Leistungen mit begrenzter Bezugsdauer wie die Krankenhauspflege zu gewähren hat, tatsächlich aber bei Eintritt der Fälligkeit nicht gewährt, haftet, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, für den "Leistungsrückstand", auch wenn der Versicherte später Mitglied einer anderen Krankenkasse wird.

Die Vorinstanzen haben somit die Beklagte mit Recht zur Gewährung von Krankenhauspflege verurteilt. Ihre Revision ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669025

BSGE, 9

NJW 1971, 1908

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