Leitsatz (amtlich)

1. Die aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausscheidende Person ist iS von AVG § 125 Abs 1 Buchst d DBuchst aa (= RVO § 1403 Abs 1 Buchst d DBuchst aa) dann spätestens "ein Jahr nach dem Ausscheiden" in eine andere in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfreie Beschäftigung übergetreten, wenn der Übertritt spätestens "nach Ablauf eines Jahres" (= " binnen Jahresfrist", = "innerhalb eines Jahres") nach dem Ausscheiden stattgefunden hat.

2. Die Jahresfrist läuft vom Beginn (0.00 Uhr) des Tages an, der auf den Tag des Ausscheidens folgt; sie endet mit dem Ablauf (24.00 Uhr) des Tages des nächsten Kalenderjahres, welcher dem Tag vorhergeht, der nach seiner Benennung oder Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht.

 

Normenkette

AVG § 9; RVO § 1232; AVG § 124; RVO § 1402; AVG § 125 Abs 1 Buchst d DBuchst aa Fassung: 1957-02-23; RVO § 1403 Abs 1 Buchst d DBuchst aa Fassung: 1957-02-23; AVG § 205; RVO § 124; BGB § 187 Fassung: 1896-08-18, § 188 Fassung: 1896-08-18

 

Verfahrensgang

SG Darmstadt (Entscheidung vom 23.01.1981; Aktenzeichen S - 6/An - 89/79)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung der Angestellten (AV) aufgeschoben ist.

Die Beigeladene Sabine F war vom 1. August 1975 bis 31. Januar 1977 als Studienreferendarin Beamtin auf Widerruf des klagenden Landes und als solche ua in der AV versicherungs- und beitragsfrei (vgl § 6 Abs 1 Nr 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG). Ab 1. April 1977 beschäftigte sie der Kläger als Lehrkraft im Angestelltenverhältnis versicherungspflichtig weiter. Im Juni 1977 versicherte er Sabine F deshalb nach (§9 aaO) und überwies der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) für deren Referendarzeit Beiträge in Höhe von 5.105,58 DM (§ 124 aaO).

Mit Wirkung vom 1. Februar 1978 berief der Kläger die Beigeladene als Studienrätin zur Anstellung (zA) wieder in das - versicherungsfreie - Beamtenverhältnis auf Probe.

Unter dem 3. Juli 1978 verlangte der Kläger von der Beklagten die für die Beigeladene geleisteten Beiträge zurück und führte aus, diese sei "nach Ablauf eines Jahres" wieder in eine versicherungsfreie Beschäftigung übergetreten, so daß die Nachversicherung gemäß §125 Abs 1 Buchst d) Doppelbuchst aa) AVG aufgeschoben sei.

Mit Bescheid vom 6. Februar 1979 lehnte dies die Beklagte ab: Das Ereignis, nach dem sich der Beginn der Jahresfrist nach § 125 Abs 1 Buchst d) Doppelbuchst aa) AVG richte, sei das Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung. Die Beigeladene sei am 31. Januar 1977 ausgeschieden; nach § 2O5 AVG iVm §§ 124, 125 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ende die Jahresfrist mit dem 31. Januar 1978. Die Beigeladene sei am 1. Februar 1978, also erst nach Ablauf der Jahresfrist in die neue versicherungsfreie Beschäftigung übergetreten. Den Widerspruch des Klägers hiergegen wies die Beklagte zurück (Widerspruchsentscheidung vom 16. Mai 1979, ausgefertigt unter dem 30. Mai 1979).

Mit dem angefochtenen Urteil vom 23. Januar 1981 hat das Sozialgericht (SG) die vom Kläger hiergegen erhobene Klage zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Jahresfrist habe vorliegend mit dem 31. Januar 1978 geendet; eine andere Auslegung lasse § 125 RVO nicht zu.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom SG - nach Einwilligung der Beklagten - zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er führt aus, nach dem eindeutigen Wortlaut des § 125 Abs 1 Buchst d) Doppelbuchst aa) AVG müsse der Übertritt in eine neuerlich versicherungsfreie Beschäftigung nicht innerhalb eines Jahres geschehen; vielmehr dürfe zwischen den beiden versicherungsfreien Beschäftigungen höchstens ein ganzes Jahr liegen. Unmittelbar freilich am folgenden Tage müsse wieder eine versicherungsfreie Tätigkeit aufgenommen werden. Zu verlangen, daß die Beigeladene am 31. Januar 1978 eine versicherungsfreie Beschäftigung als Beamtin hätte beginnen müssen, sei ein lebensfremdes Postulat.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Februar 1979 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 1979 (richtig: 16. Mai 1979) zu verurteilen, an ihn 5.105,58 DM nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zurückzuzahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, für die Berechnung von Fristen und Terminen seien die §§ 187 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzuwenden. Die Jahresfrist habe vorliegend mit der Beendigung des Vorbereitungsdienstes am 31. Januar 1977 begonnen. Die Jahresfrist des § 125 Abs 1 Buchst d) Doppelbuchst aa) AVG sei nach § 188 Abs 2 BGB mit dem 31. Januar 1978 abgelaufen gewesen. Nach dem Gesetz solle entgegen der Meinung des Klägers gerade nicht der "versicherungspflichtige Zeitraum" längstens ein volles Jahr betragen, sondern es solle der Wiedereintritt in eine solche Beschäftigung mit dem Ende der vollen Jahresfrist abgeschlossen sein. Der Beginn eines neuen Dienstverhältnisses am 31. Januar 1978 sei zwar nicht praktikabel, ändere aber nichts an der Rechtslage. Die Beigeladene ist im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig, aber sachlich nicht begründet.

Rechtsgrundlage des Anspruchs des Klägers auf Erstattung der im Juni 1977 für die Beigeladene an die Beklagte zur AV nachentrichteten Beiträge ist der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der in bezug auf die Erstattung von Beiträgen ua zur gesetzlichen Rentenversicherung durch § 26 Abs 1 iVm § 1 Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 4), in Kraft ab 1. Juli 1977 (Art II § 21 Abs 1 aaO), gesetzlich konkretisiert worden ist (vgl zB Meydam, BlStSozArbR 1977, 92, 96 = SGB IV 1 mit einführenden Aufsätzen, 93, 106). Hiernach sind ohne Rechtsgrund entrichtete Beiträge ua zur gesetzlichen AV zu erstatten, es sei denn, der Versicherungsträger habe aus ihnen bereits Leistungen erbracht oder noch zu erbringen (vgl § 26 Abs 2 Satz 2 SGB 4). Da das klagende Land Rechte ausschließlich als Arbeitgeber im Bereich des Rechts der Nachversicherung in der AV geltend macht, als solcher der Regelungsbefugnis der Beklagten aus §§ 9, 124, 125 AVG (= §§ 1232, 1402, 1403 RVO) unterliegt (vgl den erkennenden Senat in SozR 2200 § 1403 Nr 2), hat die Beklagte diesen Anspruch zutreffend durch Verwaltungsakt verbeschieden und der Kläger diesen richtig mit der mit der Aufhebungsklage verbundenen Leistungsklage angegriffen (§ 54 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Der Kläger hat entgegen seiner Annahme für die Zeit, in der er die Beigeladene vom 1. August 1975 bis 31. Januar 1977 als Studienreferendarin, also als Beamtin auf Widerruf versicherungsfrei beschäftigte, Beiträge zur AV an die Beklagte nicht zu Unrecht nachentrichtet.

Scheiden Beamte, die - wie Referendare - für ihren Beruf ausgebildet werden und nach § 6 Abs 1 Nr 2 AVG in der AV versicherungsfrei sind, aus dieser versicherungsfreien Beschäftigung ohne beamtenrechtliche Versorgung aus, so sind sie nach § 9 Abs 1 AVG nachzuversichern. Dies geschieht in der Weise, daß der Arbeitgeber die Beiträge gemäß § 124 AVG für die ursprünglich versicherungsfreie Beschäftigung nachentrichtet. Indessen kennt § 125 AVG als Ausnahmen hiervon einige Fälle des Aufschubs der Nachentrichtung von Beiträgen. Es handelt sich dabei durchgängig um Fälle, in denen der Ausscheidende in der weiteren Folge Dienstverhältnisse eingeht, deren Ausgestaltung es zumindest möglich erscheinen läßt, daß der an sich Nachzuversichernde eine Versorgungsanwartschaft auch für Zeiten des vorhergehenden versicherungsfreien Dienstverhältnisses erwirbt (vgl dazu etwa Zweng/Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Auflage, § 1403 RVO Anm I A). Nach § 125 Abs 1 Buchst d) Doppelbuchst aa) AVG, der im vorliegenden Fall einschlägig ist, wird die Nachentrichtung der Beiträge ua dann aufgeschoben, wenn die aus einer versicherungsfreien Beschäftigung ausscheidende Person nicht unmittelbar, aber spätestens ein Jahr nach dem Ausscheiden in eine andere in der AV oder der Rentenversicherung der Arbeiter versicherungsfreie Beschäftigung übertritt.

Entgegen der Annahme des Klägers läßt sich der genannten Vorschrift nicht entnehmen, daß für eine aus der versicherungsfreien Tätigkeit ausscheidende Person die Nachentrichtung von Beiträgen zur AV auch dann noch aufgeschoben ist, wenn sie nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung von höchstens einem Jahr am nächstfolgenden Tag, dh nach einem Jahr und einem Tag in eine andere versicherungsfreie Beschäftigung übertritt. Zwar kann dem Kläger eingeräumt werden, daß der Wortlaut des § 125 Abs 1 Buchst d) Doppelbuchst aa) AVG - "wenn die ausscheidende Person spätestens ein Jahr nach dem Ausscheiden ... übertritt" - nicht ohne weiteres klar ist. Fristen, dh Zeiträume pflegt der Gesetzgeber in der Regel nicht mit "ein Jahr", "einen Monat", "eine Woche", sondern genauer mit "innerhalb eines Jahres" (§ 66 Abs 2 Satz 1 SGG), "binnen eines Monats" (§§ 87 Abs 1 Satz 1 SGG), "innerhalb eines Monats" (§ 151 Abs 1 SGG), "später als drei Monate nach ..." (§ 129O Abs 2 RVO; § 67 Abs 2 AVG) uä so zu kennzeichnen, daß der genaue Umfang der Frist nicht zweifelhaft ist. Indessen kann ein "Übertritt" in eine andere versicherungsfreie Beschäftigung "spätestens ein Jahr nach dem Ausscheiden" aus der ersten versicherungsfreien Beschäftigung nicht die Bedeutung von Übertritt "spätestens an dem Tag, der dem Ablauf eines Kalenderjahres unmittelbar folgt" beigemessen werden; eine derartige, relativ anspruchsvolle Regelung bedürfte einer differenzierteren als der aaO niedergelegten Formulierung. In der hier auszulegenden Gesetzesstelle kann ein Übertritt "spätestens ein Jahr nach dem Ausscheiden" nur den Sinn haben, daß der Übertritt spätestens "nach Ablauf eines Jahres", "binnen Jahresfrist", "innerhalb eines Jahres" nach dem Ausscheiden zu geschehen habe.

Dabei ist der Beginn der Jahresfrist im Gesetz unmißverständlich auf den Zeitpunkt "nach dem Ausscheiden" aus der ersten versicherungsfreien Beschäftigung festgelegt, dh auf den Beginn des Tages, der auf den Tag des Ausscheidens folgt. Da die Beigeladene aus der versicherungsfreien Beschäftigung als Referendarin mit Ablauf des 31. Januar 1977 ausgeschieden ist, begann die gesetzliche Jahresfrist vorliegend mit Beginn (0,00 Uhr) des 1. Februar 1977; von da ab gerechnet war ein Jahr mit dem 31. Januar 1978 (24,00 Uhr) abgelaufen, und zwar sowohl nach "natürlicher Betrachtung" allein an Hand des Kalenders, wie auch nach den §§ 187 Abs 2 Satz 1, 188 Abs 2 BGB. Zwar gelten diese Vorschriften nach § 26 Abs 1 des Zehnten Buches des SGB/Verwaltungsverfahren vom 18. August 1980 - SGB 10 - und Art II § 37 Abs 2 aaO ausdrücklich nur für ab 1. Januar 1981 laufende Fristen. Indessen stellen die §§ 187 Abs 2 Satz 1, 188 Abs 2 BGB als Auslegungshilfe (§ 186 BGB) allein klar, daß dann, wenn der Beginn eines Tages für den Anfang einer Frist maßgebend ist, "zwangsläufig nach vollen Tagen zu rechnen ist, und zwar unter Einbeziehung des ersten" (v. Feldmann in Münchener Kommentar, § 187 BGB, RdNr 3). Insofern ergänzen sie §§ 124 ff RVO iVm § 2O5 AVG in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung.

Am 1. Februar 1978 war die gesetzliche Jahresfrist nach § 125 Abs 1 Buchst d) Doppelbuchst aa) AVG daher bereits abgelaufen. Der Übertritt der Beigeladenen in eine andere versicherungsfreie Beschäftigung an diesem Tag konnte daher keinen Aufschub der Nachentrichtung von Beiträgen bewirken.

Dem Einwand des Klägers, dieses Ergebnis sei völlig lebensfremd, ist nicht näherzutreten; auf Grund dieses Arguments läßt sich der Ablauf einer gesetzlichen Frist nicht anders beurteilen.

Daß andere Fälle eines möglichen Aufschubs der Nachentrichtung von Beiträgen im Sinne von § 125 Abs 1 AVG einschlägig wären, hat der Kläger selbst in der Revisionsbegründung nicht mehr behauptet.

Das angefochtene Urteil trifft zu, so daß die Revision des Klägers hiergegen zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659678

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