Leitsatz (amtlich)

Sind für einen Beamten, der am 1945-05-08 im öffentlichen Dienst eines Landes im Geltungsbereich des G131 gestanden und sein Amt aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen verloren hatte, für eine in der Zeit nach dem 1945-05-08 außerhalb des öffentlichen Dienstes ausgeübte Beschäftigung Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden und ist ein Antrag auf Beitragserstattung nicht gestellt worden, so gelten diese Beiträge als freiwillige Beiträge, selbst wenn der Beamte bei Inkrafttreten des GG (1949-05-23) schon wieder seiner früheren Stellung entsprechend verwendet worden war.

 

Normenkette

GG Art. 131 Fassung: 1949-05-23; G131 § 63 Fassung: 1957-09-11, § 74 Fassung: 1957-09-11; RVO § 1251 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Entscheidung vom 07.04.1978; Aktenzeichen L 1 J 26/77)

SG Bremen (Entscheidung vom 25.05.1977; Aktenzeichen S J 386/76)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 7. April 1978 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der im Jahr 1899 geborene Kläger war ab 1924 Beamter. Nachdem er von 1939 bis April 1945 Kriegsdienst geleistet hatte, wurde er durch die Entlassungsverfügung des Regierenden Bürgermeisters in B vom 25. Juni 1945 aus dem Amt entlassen. Von Oktober 1945 bis Dezember 1947 war er als Chemiearbeiter versicherungspflichtig beschäftigt; für diese Zeit wurden Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet. Seit Januar 1948 war er Angestellter und seit Mai 1948 wieder Beamter (Verwaltungsoberinspektor) bei den Städtischen Krankenanstalten in Bremen; seit März 1960 war er Verwaltungsdirektor. Im Jahr 1964 trat er in den Ruhestand. Einen Antrag auf Erstattung der Beiträge hat er nicht gestellt.

Im Januar 1975 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23. Januar 1976 den Antrag ab, weil nur eine Versicherungszeit von 27 Monaten nachgewiesen sei und die Kriegsdienstzeit nicht als Ersatzzeit angerechnet werden könne; die Versicherungsbeiträge 1945/47 gälten nach § 74 Abs 3 des Gesetzes zu Art 131 des Grundgesetzes (GG) - G 131 - als freiwillige Beiträge.

Das Sozialgericht (SG) Bremen hat mit Urteil vom 25. Mai 1977 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 7. April 1978). In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Beiträge für die Zeit von 1945 bis 1947 seien nach § 74 Abs 3 G 131 als freiwillige Beiträge zu behandeln, wenn auch der Wortlaut des Art 131 GG nicht unmittelbar anzuwenden sei, weil der Kläger bei Inkrafttreten des Grundgesetzes schon wieder als Verwaltungsinspektor tätig gewesen sei.

Mit der Revision rügt der Kläger die unrichtige Anwendung des Art 131 GG. Er trägt vor, er gehöre nicht zum Personenkreis dieses Artikels; das LSG habe sich über den eindeutigen Wortlaut dieser Verfassungsvorschrift hinweggesetzt.

Er beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Bremen vom 7. April 1978 und des Sozialgerichts Bremen vom 25. Mai 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Januar 1975 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält es für erforderlich, das G 131 über den vom Grundgesetz festgelegten Rahmen hinaus anzuwenden, um den Sinn des Gesetzes zu erfüllen und eine Gleichbehandlung des Personenkreises der Beamten zur Wiederverwendung zu gewährleisten.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Wie die Vorinstanzen zu Recht entschieden haben, steht ihm kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu, weil die Zeit des Kriegsdienstes nicht als Ersatzzeit angerechnet wird und deshalb die Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§ 1247 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO - idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -) nicht erfüllt ist. Die Voraussetzungen des § 1251 Abs 2 RVO liegen nicht vor. Die Tätigkeit des Klägers von 1945 bis 1947 war keine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" im Sinne des § 1251 Abs 2 Buchst a RVO; das ergibt sich aus § 74 des G 131.

§ 74 G 131 bestimmt in der am 1. April 1951 in Kraft getretenen Fassung des Zweiten Änderungsgesetzes (2. ÄndG) vom 11. September 1957 (BGBl I 1275), daß einem Beamten zur Wiederverwendung, der in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. März 1951 innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes beschäftigt gewesen ist und für den Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen entrichtet worden sind, auf seinen Antrag die Arbeitnehmeranteile aus diesen Beiträgen sowie etwaige freiwillig entrichtete Beiträge erstattet werden (Abs 1). Nach Abs 3 gelten, wenn ein Antrag nicht gestellt wird, die in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. März 1951 entrichteten Beiträge als freiwillige Beiträge. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.

Der Kläger ist in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. März 1951 ua außerhalb des öffentlichen Dienstes beschäftigt gewesen. Für ihn sind Beiträge zur Invalidenversicherung, einer gesetzlichen Rentenversicherung, entrichtet worden. Ein Antrag auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile aus diesen Beiträgen ist nicht gestellt worden.

Auf die Frage, ob der Kläger - zur Zeit der Beitragsentrichtung, vgl BSG SozR Nr 6 zu § 74 G 131 - Beamter zur Wiederverwendung war, kommt es an sich nicht an. Denn § 74 Abs 1 gilt entsprechend für die vor Inkrafttreten des G 131 endgültig übernommenen Personen, wie sich aus § 74 Abs 2 Satz 1 G 131 ergibt (vgl dazu auch Brosche, Gesetz zu Artikel 131 GG, 3. Aufl, 1962, Anm 8 k zu §§ 73 und 74; Anders/Jungkunz/Käppner, Gesetz zur Regelung der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen, 4. Aufl, 1959 Anm 4 Abs 3 zu § 74). Allerdings betrifft der in Klammern gesetzte Hinweis auf § 3 Nr 1 G 131 nur die verdrängten Beamten (Kapitel I des Gesetzes). Die nach § 63 Abs 1 Satz 1 G 131 - der Kläger gehört zum Personenkreis des § 63 G 131 - entsprechende Anwendung des Kapitels 1 auf die nichtverdrängten Beamten erfaßt von § 3 Satz 1 nur die Nrn 3a und 4, wobei die unterschiedliche Fassung des § 3 und des § 63 Abs 1 G 131 zu bedenken ist: § 3 Satz 1 Nr 1 betrifft nur die bereits zum Zwecke der Wiederverwendung übernommenen Personen, während § 63 Abs 1 Nr 1 von den noch nicht 65 Jahre alten und nicht versorgungsberechtigten Personen nur die noch nicht entsprechend wiederverwendeten öffentlich Bediensteten anführt. § 74 Abs 2 Satz 1 G 131 läßt jedoch mit genügender Deutlichkeit erkennen, daß die endgültige Übernahme des Beamten entsprechend seiner früheren Rechtsstellung vor dem Inkrafttreten des G 131 den Erstattungsanspruch und bei Fehlen eines Erstattungsantrages die Geltung der Beiträge als freiwillige Beiträge nicht hindert. In einem weiteren Sinn war jedenfalls auch der Kläger Beamter "zur Wiederverwendung", und sowohl Art 131 GG als auch das G 131 waren mindestens teilweise auf ihn anzuwenden. Wer als Beamter zur Wiederverwendung "gilt", ist zunächst in § 5 Abs 2 G 131 für die verdrängten Beamten beschrieben. Nach § 63 Abs 1 Nr 1 Buchst a G 131 idF des Dritten Änderungsgesetzes vom 21. August 1961 (BGBl I 1557) findet (ua) § 5 Anwendung auf Beamte der Länder und Gemeinden, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen, wenn sie ihr Amt aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen verloren haben und noch nicht entsprechend ihrer früheren Rechtsstellung wiederverwendet sind. Die in dem hier wesentlichen Teil gleichlautende Fassung des 2. ÄndG ist (wie schon die ursprüngliche Fassung des G 131) am 1. April 1951 in Kraft getreten. An diesem Tag war der Kläger schon seit längerem (Mai 1948) entsprechend seiner früheren Rechtsstellung wiederverwendet.

Art 131 GG, auf den das G 131 zurückgeht, bestimmt, daß die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen, aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, durch Bundesgesetz zu regeln sind. Das Grundgesetz ist am 23. Mai 1949 in Kraft verkündet worden und mit Ablauf dieses Tages in Kraft getreten.

Die Frage, ob Art 131 GG auch für diejenigen Beamten gilt, die zwar alle sonstigen Voraussetzungen erfüllen, aber am 23. Mai 1949 schon wieder ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet waren, ist von Rechtsprechung und Literatur weitgehend bejaht worden.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Urteil vom 27. September 1954 - III ZR 92/52 - (BGHZ 14, 325, 328 ff) ausgeführt, auch diejenigen Beamten, die zunächst ausgeschieden, bei Inkrafttreten des GG jedoch schon ihrer früheren Rechtsstellung entsprechend wiederverwendet gewesen seien, würden von Art 131 GG mitumfaßt, soweit es um die Regelung ihrer Rechtsverhältnisse aus der Zeit, während der sie ausgeschieden gewesen seien, gehe. Die Tatsache einer seiner früheren Rechtsstellung entsprechenden Wiederverwendung eines Beamten mache zwar eine Regelung seines Rechtsverhältnisses für die Zukunft überflüssig und gegenstandslos, für die Zeit seit dem 8. Mai 1945 bis zu seiner entsprechenden Wiederverwendung aber sei sein Rechtsverhältnis in gleicher Weise regelungsbedürftig geblieben wie das Rechtsverhältnis eines noch nicht oder noch nicht entsprechend wiederbeschäftigten Beamten (S. 328/329). Es sei auch nicht der Wille des Gesetzgebers des G 131 gewesen, denjenigen einheimischen Beamten, die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes bereits entsprechend wiederverwendet gewesen seien, ohne Rücksicht darauf, ob sie "betroffen" gewesen seien oder nicht, für die Zeit ihrer Nichtbeschäftigung ihre Bezüge zu lassen, sie allen anderen aber, selbst den "Nichtbetroffenen", zu nehmen (S. 330/331).

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat im Urteil vom 30. Januar 1957 - VI C 206.56 - (Buchholz BVerwG 234 § 6 G 131 Nr 3) entschieden, für die Zugehörigkeit zu dem Personenkreis des Art 131 GG komme es auf die Regelungsbedürftigkeit der am 8. Mai 1945 begründeten Rechtsverhältnisse an und nicht darauf, ob ein aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen aus dem öffentlichen Dienst ausgeschiedener Beamter am 1. April 1951 entsprechend wiederverwendet gewesen sei (S. 11). In einem späteren Urteil (vom 25. Juni 1959 - II C 106.57 - Buchholz 234 § 62 G 131 Nr 7) hat es für die Versorgungsempfänger die entsprechende Rechtsauffassung vertreten.

Allerdings meint Brosche (Gesetz zu Artikel 131 GG, Fortsetzungsband zur 3. Aufl nach dem Stand vom 1. Januar 1967, Einführung A), nach Art 131 GG könnten nur die Rechtsverhältnisse geregelt werden, die beim Inkrafttreten des G 131 noch regelungsbedürftig gewesen seien; damit schieden von vornherein die Personen aus, die bis zum 31. März 1951 eine ihrer Rechtsstellung am 8. Mai 1945 entsprechende Rechtsposition wieder erlangt hätten.

Ambrosius/Löns/Rengier (Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen 1952, Anm 2 zu §§ 77 G 131) meinen dagegen, Art 131 GG lasse die Auslegung nicht zu, daß er nur für Personen Geltung habe, die am 23. Mai 1949 oder am Tage des Inkrafttretens des G 131 (1.April 1951) noch nicht entsprechend wiederverwendet gewesen seien; auch die Personen, die am 1. April 1951 schon wiederverwendet gewesen seien, fielen unter den Personenkreis des Art 131 GG, weil durch die entsprechende Wiederverwendung die durch den Zusammenbruch in Unordnung geratenen Rechtsverhältnisse zwar für die Gegenwart und Zukunft geregelt seien, aber nicht für die Zeit ab 8. Mai 1945 bis zur entsprechenden Wiederverwendung.

Der Senat schließt sich der Auffassung des BGH und des BVerwG an. § 74 G 131 gilt, selbst wenn sein Abs 2 Satz 1 nicht deutlich genug sein sollte, auch für solche Beamte, die - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - am 23. Mai 1949 entsprechend ihrer früheren Rechtsstellung wiederverwendet waren. Denn zwischen diesen Beamten und den anderen, die erst später entsprechend wiederverwendet wurden, besteht hinsichtlich der rechtlichen Behandlung einer zwischen Kriegsende und Inkrafttreten des Grundgesetzes ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung kein ins Gewicht fallender Unterschied. Bei beiden Beamtengruppen ist die versorgungs- bzw versicherungsrechtliche Wirkung dieser Beschäftigung regelungsbedürftig. Sonst könnte die Beschäftigungszeit, die zugleich "amtlose Zeit" ist und als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt wird (jetzt: § 81 Abs 1 Satz 2 des Beamtenversorgungsgesetzes - BeamtVG - vom 24. August 1976, BGBl I 2485), zu einer Doppelversorgung führen, nämlich zusätzlich zu der ohnehin eintretenden Erhöhung sowohl des beamtenrechtlichen Ruhegehalts als auch der Versichertenrente zur doppelten Anrechnung zB der Kriegsdienstzeit (§ 9 Abs 1 Nr 1 BeamtVG und § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO).

Da die Beiträge für die Beschäftigung des Klägers zwar fristgerecht nach einer Ersatzzeit und aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichtet wurden, aber nach § 74 Abs 3 G 131 als freiwillige Beiträge gelten, sind sie keine Grundlage für eine Anrechnung der Ersatzzeit. Das hat der Senat bereits früher entschieden (Urteil vom 1. Dezember 1966 - 4 RJ 563/65 - SozR Nr 23 zu § 1251 RVO; vgl auch Urteil vom 25. Oktober 1966 - 11 RA 352/65 - Die Rentenversicherung 1967, 42; BSGE 10, 163, 165; Urteil vom 31. August 1978 - 4 RJ 102/76 -). Daran ist festzuhalten.

Die Revision des Klägers war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655362

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