Leitsatz (amtlich)

Die Vorschriften in AGBGB BY Art 124 sind auf Rückforderungsansprüche des Landes Bayern iS des KOV-VfG § 47 wegen der bundeseinheitlichen Durchführung der Kriegsopferversorgung nicht anwendbar (GG Art 3 Abs 1).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rückforderung einer auf Grund wahrheitswidriger Abgabe zu Unrecht bewilligten Rentenleistung kann nur für einen Zeitraum von 4 Jahren, von dem Jahr ab gerechnet, in dem der Rückforderungsbescheid erging, geltend gemacht werden.

2. Rückforderungsansprüche (Kriegsopferversorgung) verjähren grundsätzlich in 30 Jahren.

Die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen, die mehr als 4 Jahre seit dem Beginn des Jahres zurückliegen, in dem der Rückforderungsbescheid ergangen ist, stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar. Dies gilt auch gegenüber dem arglistigen Versorgungsempfänger, jedenfalls dann, wenn die Versorgungsbehörde bei Mitteilung der Höhe der Überzahlung dem Schuldner mitgeteilt hat, daß von einer Rückforderung vorerst abgesehen werde.

3. KOV-VfG § 47 Abs 1 gibt keine selbständige Grundlage für einen Rückerstattungsanspruch der Versorgungsverwaltung.

Die Frage, ob zu Unrecht gewährte Leistungen vom Leistungsempfänger zurückzuzahlen sind, ist grundsätzlich für die Masse der Überzahlungen in KOV-VfG § 47 Abs 2 und 3 geregelt.

Daneben können andere selten vorkommende Fälle zu Unrecht empfangener Leistungen durch die Rechtsprechung einer entsprechenden Regelung zugeführt werden.

 

Normenkette

BVG § 86 Fassung: 1956-06-06; GG Art. 3 Abs. 1; KOVVfG § 47 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02, Abs. 2 Fassung: 1955-05-02, Abs. 3 Fassung: 1955-05-02; BGB §§ 195, 197; BGBAG BY Art. 124

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Mai 1966 aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Februar 1963 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Kläger verpflichtet wird, DM 47,- dem Beklagten zurückzuzahlen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

Der Beklagte hatte dem Kläger auf seinen Antrag vom Juni 1947 wegen amtsärztlich bescheinigter "hochgradiger" Hörnervenerkrankung und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit sowie Herzmuskelschadens" vom 1. Januar 1949 an einen laufenden Rentenvorschuß nach dem Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) bewilligt und dabei darauf hingewiesen, daß die endgültige Rentenfeststellung, insbesondere für die zurückliegende Zeit, zu einem späteren Zeitpunkt erfolge. Mit Bescheid vom 4. Februar 1954 lehnte der Beklagte den Versorgungsrentenantrag des am 7. Juni 1909 geborenen Klägers ab, weil dieser die Ertaubung des rechten Ohres auf eine Kriegseinwirkung zurückgeführt, während er in Wirklichkeit die Ertaubung rechts schon im Kindesalter als Folge einer fieberhaften Erkrankung erworben und dies verschwiegen hätte. Die Herzbeschwerden seien keine Schädigungsfolge; die durch Innenohrschwerhörigkeit links kriegsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage nur 20 v. H. Eine Rente nach dem KBLG und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) stände daher nicht zu. Von der Rückforderung des überzahlten Betrages in Höhe von 2.135,50 DM werde vorerst abgesehen. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 14. Oktober 1954). Mit weiterem Bescheid vom 4. Februar 1958, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1958, forderte der Beklagte vom Kläger diesen zu Unrecht geleisteten, vorgeschossenen Betrag zurück.

Im Klageverfahren ermäßigte der Beklagte die Rückforderung von 2.135,50 DM um 647,- DM auf 1.488,50 DM, da dem Kläger für das Versorgungsleiden für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis 28. Februar 1954 eine Rente nach einer MdE um 30 v. H. zustehe.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 14. Februar 1963 die Verwaltungsbescheide aufgehoben, da der Anspruch auf Rückforderung nach Art. 124 des Bayer. Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (AG-BGB) erloschen sei. Auf die Berufung des Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 4. Mai 1966 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Kläger habe die Leistungen zu Unrecht empfangen. Dies sei dem bindend gewordenen, eine Rente ablehnenden Bescheid vom 4. Februar 1954 zu entnehmen, aber auch daraus, daß der Kläger die Ertaubung rechts im Kindesalter der Versorgungsverwaltung verschwiegen habe. Schließlich habe sich der Beklagte auch den Widerruf der Vorschußzahlung sinngemäß vorbehalten. Der Kläger habe daher den der Höhe nach unbestrittenen Betrag nach § 47 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) zurückzugewähren. Der Anspruch sei nicht gemäß Art. 124 AG-BGB erloschen, weil diese Vorschrift keine Anwendung finde. Ihm stehe nicht die Einrede der Verjährung entgegen; denn der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Versorgungsgebührnisse verjähre in entsprechender Anwendung des § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erst in 30 Jahren. Dies habe bereits das Reichsversorgungsgericht in Bd. 13 S. 152 entschieden. Auch das im Ergebnis abweichende Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in 21, 27 habe anerkannt, daß für den Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung nicht die kurze Verjährungsfrist des § 197 BGB von vier Jahren vorgesehen sei, während sich die Entscheidung in BSG 19, 88 zwar mit Rückständen von Versorgungsrenten, nicht aber mit Rückzahlungsansprüchen der Versorgungsverwaltung befasse. Im übrigen habe das Urteil in BSG 21, 27 nur über den Tatbestand des § 47 Abs. 2 VerwVG zu entscheiden gehabt. Schließlich sei die Rückforderung auch keine unzulässige Rechtsausübung, möge auch die Forderung mehr als vier Jahre seit dem Jahr zurückliegen, in dem der Rückforderungsbescheid ergangen sei.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 47 VerwVG, Art. 124, 125 AG-BGB, § 197 BGB sowie § 242 BGB (Grundsätze über eine unzulässige Rechtsausübung).

Der Leistungsbescheid vom 4. Februar 1954, der die Leistung entzogen habe, enthalte auch in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 1954 keinen Hinweis darauf, daß die Leistungen zu Unrecht bezogen worden seien. Der Widerruf des Vorschußbescheids sei rechtlich unwirksam, da er auf einer unzutreffenden Sachprüfung beruhe. Nach den für richtig gehaltenen Ausführungen von Kaub in KOV 1964, 101 sei der Rückforderungsanspruch nach Art. 124, 125 AG-BGB verjährt. Aber auch der Entscheidung des BSG in Band 19, 88 zufolge verjährten Rückstände von Versorgungsrenten in entsprechender Anwendung des § 197 BGB in vier Jahren. Die Verwaltung verstoße gegen den Gleichheitssatz, wenn sie für sich die lange Verjährungsfrist des § 195 BGB beanspruche und zum Nachteil des Versorgungsberechtigten die kurze Verjährungsfrist des § 197 BGB anwende. Schließlich sei die Rückforderung eine unzulässige Rechtsausübung, weil die Verwaltung eine der Verjährungsfrist entsprechend lange Zeit mit der Einziehung der Rückforderung gewartet habe (BSG 21, 27). Die Rechtsgrundsätze über Verjährung, jedenfalls aber über eine unzulässige Rechtsausübung, wie sie in dieser Entscheidung in BSG 21, 27 ausgesprochen seien, seien nicht auf einen Tatbestand des § 47 Abs. 2 VerwVG beschränkt, sondern auf jeden Fall eines unrechtmäßigen Bezugs von Versorgungsleistungen anzuwenden.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 14. Februar 1963 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

als unbegründet zurückzuweisen.

Nach Ansicht des Beklagten entspreche der Widerruf des Vorschußbescheids pflichtgemäßem Verwaltungsermessen. Das Bayer. AG-BGB könne nicht angewendet werden, weil der Rückforderungsanspruch dem Bund zustehe. Für vermögensrechtliche Ansprüche und Schuldverhältnisse des öffentlichen Rechts seien die Verjährungsvorschriften des BGB anzuwenden, falls das Gesetz nichts anderes bestimmt habe. Auch nach dem Beamtenrecht verjährten Ansprüche auf Rückerstattung zu Unrecht geleisteter Bezüge in 30 Jahren. Eine andere Ansicht vertrete nur das Urteil des 10. Senats des BSG vom 17. April 1964 (10 RV 1299/61 = BSG 21, 27). Die Rückforderung sei auch keine unzulässige Rechtsausübung, weil sich der Kläger wegen seines pflichtwidrigen Verhaltens nicht auf § 242 BGB berufen dürfe.

Die Revision des Klägers ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Sie ist auch überwiegend sachlich gerechtfertigt.

Streitig ist eine Rückforderung des Beklagten in Höhe von 1.488,50 DM, die sich aus später widerrufenen Rentenvorschußzahlungen in der Zeit vom 1. Januar 1949 bis 28. Februar 1954 zusammensetzt. Diese Zahlungen sind für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis 30. September 1950 nach den Vorschriften des Bayer. KBLG, für die übrige Zeit nach denen des BVG geleistet worden.

Für die Beurteilung der Rückforderung ist allein § 47 VerwVG maßgebend, weil die Verwaltung am Tag des Inkrafttretens des VerwVG (1. April 1955) noch nicht abschließend, also auch noch nicht im Widerspruchsverfahren entschieden hatte (SozR VerwVG § 52 Nr. 1). Denn der Rückforderungsbescheid des Versorgungsamts (VersorgA) München II vom 4. Februar 1958 und der Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts (LVersorgA) Bayern vom 30. Juni 1958 sind unter der Geltung des VerwVG ergangen. Das LSG hat indes die Rückforderung zu Unrecht auf § 47 Abs. 1 VerwVG allein gestützt.

Maßgebend für eine etwaige Rückerstattungspflicht des Klägers ist § 47 VerwVG in der ursprünglichen, vor dem Ersten Neuordnungsgesetz (1. NOG) ergangenen Fassung, weil das Verwaltungsverfahren mit dem Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1958 beendet war. Im übrigen hat § 47 VerwVG idF des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) die Vorschrift sachlich nicht geändert; sie hat vielmehr lediglich die Wortfassung genauer bestimmt und die Voraussetzungen für eine Rückforderung übersichtlicher gegliedert. Da die Überzahlung nicht auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (§ 62 BVG), auch nicht auf einem Berichtigungsbescheid (§§ 41, 42 VerwVG), sondern auf dem Widerruf eines Rentenvorschußbescheids beruht, weil der Kläger wegen seiner falschen Angaben keinen Anspruch auf Rente nach einer MdE um 50 v. H. gehabt habe, hat das LSG die Rückforderung auf die allgemeine Vorschrift des § 47 Abs. 1 VerwVG gestützt.

Diese Vorschrift gibt indes keine selbständige Grundlage für einen Rückerstattungsanspruch der Versorgungsverwaltung. Schon der erkennende Senat hat in seinem. Urteil vom 13. November 1958 (SozR VerwVG § 47 Nr. 4) ausgesprochen, daß § 47 Abs. 1 VerwVG nicht allein angewendet werden kann. Dem sind der 10. Senat und der 9. Senat des BSG gefolgt (SozR VerwVG § 47 Nr. 19; BSG 23, 47). Die Frage, ob zu Unrecht gewährte Leistungen vom Leistungsempfänger zurückzuzahlen sind, ist grundsätzlich für die Masse der Überzahlungen in Abs. 2 und 3 des § 47 aaO geregelt. Daneben können aber auch andere selten vorkommende Fälle zu Unrecht empfangener Leistungen durch die Rechtsprechung einer entsprechenden Regelung zugeführt werden (s. BSG 23, 47; SozR VerwVG § 47 Nr. 19). Im vorliegenden Fall ist der Rückforderung zwar kein ausdrücklicher Berichtigungsbescheid vorausgegangen, weil sich die Verwaltung die Rücknahme des Vorschußbescheids vorbehalten hatte; das Ergebnis ist aber einem Rücknahmebescheid nach § 41 VerwVG gleichartig. Denn die Verwaltung hatte auf Grund der unzutreffenden Angaben des Klägers die Ertaubung des rechten Ohrs zu Unrecht als Folge einer Kriegseinwirkung vorläufig anerkannt. Dieser Sachverhalt entspricht den im § 47 Abs. 3 Nr. 1 VerwVG aF festgelegten Tatbeständen, wonach die Rückforderung nicht ausgeschlossen ist, wenn die Unrichtigkeit eines Bescheids darauf beruht, daß der Empfänger Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen sind, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen hat. Die Rückforderung des Beklagten läßt sich mithin entsprechend auf § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG stützen; denn auf sinngemäß gleichartige Tatbestände kann eine im Gesetz bestimmte Rechtsfolge durch Analogieschluß angewendet werden (BSG 14, 241). Danach war der Beklagte auf Grund des § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG grundsätzlich zur Rückforderung befugt, sofern die Forderung nicht durch Zeitablauf erloschen war, die Einrede der Verjährung nicht durchgreift oder die Rückforderung keine unzulässige Rechtsausübung darstellt.

Zu Unrecht vertritt die Revision die Auffassung, daß der Rückforderungsanspruch nach Art. 124 AG-BGB erloschen sei, im übrigen aber auch verjährt sei.

Der Unterschied in der Anwendung dieser Vorschriften ist wesentlich, weil nach Art. 124 AG-BGB die Rückstände öffentlich-rechtlicher Ansprüche mit dem Ablauf von drei Jahren - das laufende Jahr nicht mitgerechnet - erlöschen, während schon die Verjährungsfrist des § 197 BGB länger dauert und dem Verpflichteten auch nur ein Leistungsverweigerungsrecht einräumt. Eine entsprechende Anwendung des § 852 BGB mit einer Verjährungsfrist von drei Jahren ist nicht möglich; denn es handelt sich hier nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um eine Rechtsfolge aus dem Institut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (s. Urteil vom 22. Oktober 1968 - 9 RV 418/65).

Der Senat hat daher zuerst geprüft, ob Art. 124 aaO das Rückforderungsrecht des Beklagten zum Erlöschen gebracht hat. Das Bayer. AG-BGB ist zwar landesrechtlicher Natur, ist aber revisibles Recht; denn es ist in Ausführung zu einem bundeseinheitlichen Gesetz, dem BGB, erlassen worden und hat nicht nur im rechtsrheinischen Bayern (Freistaat Bayern) Geltung, sondern ist auch für die ehemalige Bayer. Pfalz erlassen worden (so BSG 3, 80 und 187). Der Anwendung dieser Vorschrift als revisibles Recht steht daher § 162 Abs. 2 SGG nicht entgegen.

Der Senat hat die Frage, ob Gläubiger des Rückforderungsanspruchs der Bund oder der Freistaat Bayern ist, dahingestellt lassen können, weil Art. 3 des Grundgesetzes (GG) die bundeseinheitliche Durchführung des § 47 VerwVG verlangt und eine entgegenstehende Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen würde.

Nach Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG hat der Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung das Gesetzgebungsrecht, wenn die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus erforderlich ist. Er hat von der Befugnis des Art. 74 Nr. 10 GG mit Erlaß des BVG Gebrauch gemacht und auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung eine erschöpfende Regelung getroffen. Auf der gleichen Rechtsgrundlage ist das VerwVG ergangen. Auch dieses regelt in § 47 aaO bundeseinheitlich die Rückerstattung zu Unrecht empfangener Leistungen. Ein Land ist daher insoweit an einer selbständigen Regelung gehindert (BVerfGE 1, 296; 2, 236). Bei dieser Rechtslage können Rückforderungen nur bundeseinheitlich innerhalb eines bestimmten gleichen Zeitraumes geltend gemacht werden, zumal ein zum Vollzug eines Bundesgesetzes gemäß Art. 83 GG von einem Land in eigener Angelegenheit erlassener Verwaltungsakt im ganzen Bundesgebiet Geltung hat (BVerfG 11, 19). Es ist somit mit der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) nicht vereinbar und um des Rechtsfriedens willen nicht zu vertreten, wenn Rückforderungsansprüche in einem Land bereits nach drei Jahren erlöschen würden, während in allen anderen Ländern der Bundesrepublik eine Rechtsgrundlage für ein Erlöschen des Rechts nicht gegeben ist, sondern zur Abwehr von Rückforderungsansprüchen nach einer unangemessen langen Zeit lediglich die Verjährungsvorschrift oder die Grundsätze von Treu und Glauben in Gestalt einer unzulässigen Rechtsausübung herangezogen werden müßten und diese Rechtsbehelfe erst nach frühestens vier Jahren (§ 197 BGB) gegeben sind. Die unterschiedliche Wirkung (Erlöschen gegenüber einem Leistungsverweigerungsrecht) und die unterschiedlichen Fristen (drei Jahre gegenüber mindestens vier Jahren) verletzen den nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen allgemeinen Gleichheitssatz. Hiernach können für das Gebiet der Kriegsopferversorgung im Bundesgebiet nicht verschiedene Vorschriften für die Zulässigkeit der Rückforderung gelten (Erlöschen nach Art. 124 des Bayer. AG-BGB und Verjährung nach den Vorschriften des BGB), so daß insoweit landesrechtliche Vorschriften wie Art. 124 aaO nicht anwendbar sind. Besteht aber keine rechtliche Möglichkeit für eine rechtliche Differenzierung unter den Ländern, so bleibt zu prüfen, ob die Verjährungsvorschriften des BGB auch im Versorgungsrecht anzuwenden sind, wie dies die bisherige Rechtsprechung des BSG auch getan hat (BSG 19, 88; 21, 27; Urteil vom 17. November 1967 - 10 RV 342/65). Der Senat schließt sich im Grundsatz dieser Rechtsprechung an, da im Versorgungsrecht eine besondere Regelung der Verjährung nicht getroffen ist. Er folgt der Auffassung des 10. Senats in BSG 19, 88, wonach die Ansprüche der nach dem BVG Versorgungsberechtigten in entsprechender Anwendung des § 197 BGB in vier Jahren verjähren. Diese kurze Verjährungsfrist gilt aber, wie der 10. Senat in BSG 21, 34 und in SozR VerwVG § 47 Nr. 22 ausgesprochen hat, nicht für den Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung. Dies hat zur Folge, daß für diese Rückforderungsansprüche aus dem Gesichtspunkt arglistiger Täuschung in entsprechender Anwendung des § 195 BGB grundsätzlich eine Verjährungsfrist von 30 Jahren anzunehmen ist. Der Senat ist jedoch - in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der angeführten Entscheidungen des 10. Senats - der Auffassung, daß es eine unzulässige Rechtsauübung darstellt, wenn die Versorgungsbehörde Rückforderungsansprüche geltend macht, die mehr als vier Jahre seit dem Beginn des Jahres zurückliegen, in dem der Rückforderungsbescheid ergangen ist. Wie der 10. Senat in BSG 21, 34 ausgeführt hat, verjähren Rentenansprüche nach dem BVG nach dem entsprechend anzuwendenden § 197 BGB in vier Jahren (BSG 19, 88). Wenn auch für den Rückforderungsanspruch der Versorgungsbehörde keine derart kurze Verjährungsfrist vorgesehen ist, so stellt es nach Auffassung auch des 8. Senats eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn die Versorgungsbehörde Rückforderungsansprüche nach § 47 VerwVG für einen Zeitraum geltend macht, der mehr als vier Jahre seit Beginn des Jahres zurückliegt, in dem der Rückforderungsbescheid ergangen ist, und der Versorgungsberechtigte der Auffassung sein konnte, der Rückforderungsanspruch werde nicht mehr geltend gemacht werden. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben muß sich für beide Beteiligten eine gleiche Rechtslage aus einer Untätigkeit ergeben.

In Fortführung dieser Rechtsprechung ist der Senat darüber hinaus der Auffassung, daß diese Grundsätze über die Verwirkung vorliegend auch auf die Tatbestände des § 47 Abs. 3 VerwVG anzuwenden sind. In den Fällen einer Berichtigung nach § 41 oder 42 aaO ist eine Rückforderung nur möglich, wenn die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 Buchst. a und b VerwVG gegeben sind. Diese Voraussetzungen (Buchst. a) treffen beim Kläger zu, der pflichtwidrig (§ 12 Abs. 1 Satz 2 VerwVG) verschwiegen hat, daß sein rechtes Ohr schon vor dem Wehrdienst taub war. Dieses Verschweigen eines für die Feststellung des Versorgungsanspruchs wesentlichen Umstandes ist arglistig, so daß zweifelhaft sein kann, ob der Beschädigte den Schutz von § 242 BGB (Treu und Glauben) und damit das daraus abgeleitete Rechtsinstitut der Verwirkung für sich beanspruchen darf. Das LSG hat aus dem Verschweigen zu Unrecht gefolgert, daß dem Kläger deshalb kein Vertrauensschutz zustehe. Der Vertrauensschutz ist zwar auch ein aus § 242 BGB abgeleitetes Rechtsinstitut. Der Streit geht aber nicht darum, ob dieses Institut nur den gutgläubigen Versorgungsempfänger schützt. Zu entscheiden ist vielmehr darüber, ob die Verwaltung mit dem Rückforderungsbescheid vom 4. Februar 1958 noch Versorgungsbezüge zurückfordern durfte, die bis Ende Februar 1954 geleistet worden waren. Es fragt sich, ob auch der schuldhafte (= dolose) Versorgungsempfänger ebenso wie der gutgläubige Leistungsempfänger Anspruch darauf hat, daß die Versorgungsbehörde innerhalb angemessener Frist ihren Rückforderungsanspruch geltend macht. Dies ist zu bejahen, weil die Verwaltung auch im Verhältnis zu einem arglistigen Schuldner ohne allzulange Säumnis einen etwaigen Anspruch geltend zu machen hat. Ein solches Verhalten der Verwaltung darf jeder Schuldner zumindest dann erwarten, wenn ihm die Höhe einer Überzahlung zwar mitgeteilt, dann aber ausgesprochen worden ist, daß von einer Rückforderung der überzahlten Bezüge vorerst abgesehen werde. Hier darf auch der bösgläubige Versorgungsempfänger damit rechnen, daß die Rückforderung in einer angemessenen Zeit geltend gemacht wird. Auch das bürgerliche Recht hat diesem Gedanken in § 852 BGB Rechnung getragen und läßt den Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens grundsätzlich in drei Jahren verjähren. Die Verwaltung darf daher ihre Pflicht, das Rechtsverhältnis mit dem Rentenempfänger abschließend zu gestalten, nicht beliebig hinausschieben. In diesem Zusammenhang ist im vorliegenden Rechtsstreit auch die Einlassung des Klägers bedeutsam, daß er wohl seit der Kindheit am rechten Ohr taub sei, daß aber für die Beurteilung der Höhe der MdE die beiderseitige Schwerhörigkeit entscheidend sei; beiderseitig sei er aber erst als Folge der Kriegseinwirkung schwerhörig. Aus all diesen Erwägungen heraus hat der Senat keine Bedenken, die Rechtsprechung über die unzulässige Rechtsausübung im Sinne von BSG 21, 27 auch gegenüber diesem teilweise arglistig handelnden Versorgungsempfänger anzuwenden. Im vorliegenden Fall ist der Rückforderungsbescheid vom 4. Februar 1958 dem Kläger noch im Februar 1958 mittels Einschreiben zugestellt worden (§ 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes). Der Beklagte hat daher die Rückforderung der Versorgungsbezüge verwirkt, die mehr als vier Jahre seit Beginn des Jahres zurückliegen, in dem der Rückforderungsbescheid vom 4. Februar 1958 ergangen ist. Danach sind die vor dem 1. Januar 1954 geleisteten Versorgungsbezüge nicht mehr zurückforderbar; ihre Rückforderung ist unzulässige Rechtsausübung (BSG 21, 27). Die Rückforderung beschränkt sich daher auf die vorgeschossenen Versorgungsbezüge vom 1. Januar 1954 bis Ende Februar 1954, und zwar auf den Unterschiedsbetrag einer MdE von 50 v. H. (33,50 DM) zu einer dem Kläger von der Verwaltung zugestandenen MdE von 30 v. H. (10,- DM) = zweimal 23,50 DM = 47,- DM. Dementsprechend war auf die Revision des Klägers das Urteil des Bayerischen LSG vom 4. Mai 1966 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 14. Februar 1963 mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Kläger verpflichtet bleibt, dem Beklagten aus der Überzahlung für die Zeit vom 1. Januar bis Ende Februar 1954 DM 47,- zurückzuzahlen.

Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits waren dem Beklagten in vollem Umfang aufzuerlegen, da der Kläger nur geringfügig im Rechtsstreit unterlegen ist (§ 193 Abs. 1 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2285178

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