Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 17.04.1980; Aktenzeichen L 9/Al 167/78)

SG Bayreuth (Urteil vom 05.07.1978)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. April 1980 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 5. Juli 1978 wird zurückgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit nach § 119 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).

Die 1926 geborene Klägerin war seit 15. April 1941 bei der K. Spinnerei, Zweigbetrieb M., beschäftigt. Für ihr Beschäftigungsverhältnis galt, wie das Landessozialgericht (LSG) festgestellt hat, der Rationalisierungsschutzvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Textilindustrie im Bundesgebiet vom 30. April 1969. Dieser Vertrag sah ua bei Entlassung infolge von Rationalisierungsmaßnahmen besondere Kündigungsfristen vor, die von der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter des einzelnen Arbeitnehmers abhingen. Außerdem räumte er dem Arbeitnehmer das Recht ein, anstelle einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf dieser Kündigungsfristen die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung zu verlangen, wobei in diesem Falle das Arbeitsverhältnis 21 Tage nach Zugang der Kündigung endete. Nach den Feststellungen des LSG betrug für die Klägerin danach – abweichend von der allgemeinen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende – bei einer Kündigung infolge von Rationalisierungsmaßnahmen die Kündigungsfrist 26 Wochen.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 22. Juli 1977 aus Rationalisierungsgründen iS des oa Vertrages. Daraufhin verlangte die Klägerin die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung, schied mit einer solchen in Höhe von 4.118,40 DM am 12. August 1977 aus dem Arbeitsverhältnis aus und beantragte am 17. August 1977 bei der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Mit Bescheid vom 12. September 1977 stellte die Beklagte für die Zeit vom 13. August bis 9. September 1977 den Eintritt einer vierwöchigen Sperrzeit fest, weil sich die Klägerin ohne wichtigen Grund mit der vorzeitigen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses einverstanden erklärt habe. Demzufolge bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg erst ab 10. September 1977. Der Widerspruch der Klägerin gegen die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 1977).

Durch Urteil vom 5. Juli 1978 hat das Sozialgericht (SG) die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Auf die vom SG zugelassene Berufung der Klägerin hat das Bayerische LSG durch Urteil vom 17. April 1980 das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 12. September 1977 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 1977 aufgehoben. Das LSG hat die Revision zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nach § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG seien insoweit erfüllt, als die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis zum 12. August 1977 vorzeitig selbst gelöst habe. Die Kündigung des Arbeitgebers habe eine Kündigungsfrist von 26 Wochen ausgelöst. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund dieser Kündigung bereits zum 12. August 1977 sei nur deshalb eingetreten, weil die Klägerin in Ausübung des ihr durch § 7 Nr. 2 des Rationalisierungsschutzvertrages eingeräumten Rechts anstelle der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung verlangt habe. Durch dieses Verhalten der Klägerin sei das Arbeitsverhältnis bereits nach Ablauf von 21 Tagen beendet worden. Daraus ergebe sich, daß die Lösung des Arbeitsverhältnisses dem Verhalten der Klägerin zuzurechnen sei.

Durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe die Klägerin ihre Arbeitslosigkeit ab 13. August 1977 zumindest grob fahrlässig iS von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG herbeigeführt. Hierfür reiche es aus, daß sie, wie der Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit bestätige, die vorzeitige Beendigung verlangte, obwohl sie keine Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz gehabt habe.

Der Eintritt einer Sperrzeit scheitere jedoch daran, daß die Klägerin für ihr Verhalten einen wichtigen Grund gehabt habe. Nach dem mit § 119 AFG verfolgten Zweck solle eine Sperrzeit allgemein nur dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Einzelfalles ein anderes Verhalten zuzumuten sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liege ein wichtiger Grund zur Arbeitsaufgabe dann vor, wenn Umstände ersichtlich sind, die nach verständigem Ermessen dem Arbeitslosen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheinen ließen, weil sonst seine Interessen in unbilliger Weise geschädigt würden. So sei nach der Rechtsprechung ein wichtiger Grund gegeben, wenn der Arbeitnehmer auf Anregung des Arbeitgebers und im Interesse einer notwendigen allgemeinen Personaleinsparung seinen unkündbaren Arbeitsplatz aufgegeben habe und gegen Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Im Falle der Klägerin lägen ähnliche Verhältnisse vor. Bei ihr sei zu berücksichtigen, daß nicht sie das Arbeitsverhältnis freiwillig aufgegeben habe, sondern ihr vom Arbeitgeber, wenn auch unter Einhaltung einer 26-wöchigen Kündigungsfrist aus Rationalisierungsgründen gekündigt worden sei, ihr Ausscheiden aus dem Betrieb, in dem sie seit 1941 angestellt war, somit festgestanden habe. Wenn sie auch bei Weiterarbeit bis zum Ende der Kündigungsfrist keine Lohneinbußen hinzunehmen gehabt hätte, so mußte sie in ihrem fortgeschrittenen Lebensalter und in ihrer Lage im Hinblick auf die Regelung in § 7 Nr. 3 des Rationalisierungsschutzvertrages doch befürchten, während der restlichen Zeit andere als die bisher ausgeübten Arbeiten verrichten zu müssen, oder, falls sie dies ablehnen würde, den Schutz dieses Vertrages zu verlieren. Gerade um solche mit Härten verbundene und den Betriebsfrieden störende Umstände zu vermeiden, habe der Rationalisierungsschutzvertrag erkennbar diesen von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmern die Möglichkeit zur vorzeitigen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung einräumen wollen. Dieser Zweck würde jedoch vereitelt, wenn sich der von ihr Gebrauch machende Arbeitnehmer der Gefahr des Eintritts einer Sperrzeit ausgesetzt sähe. Verhalte sich deshalb ein Arbeitnehmer so wie die Klägerin, könne nicht von einem Unterstützungsmißbrauch, der die Anwendung des § 119 AFG rechtfertigen würde, gesprochen werden. Vielmehr sei ein wichtiger Grund iS dieser Vorschrift anzuerkennen.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor: Das LSG leite zu Unrecht die von ihm angenommene Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch die Klägerin aus ihrer – angeblichen – Befürchtung her, eine andere Arbeit als bisher verrichten zu müssen. Einen konkreten Anlaß für diese Befürchtung habe das LSG nicht festgestellt. Infolgedessen handele es sich dabei um nicht mehr als ein allgemeines Motiv, wie es der in dem Rationalisierungsschutzvertrag enthaltenen Vereinbarung einer Wahlmöglichkeit zugrunde liegen möge. Es sei jedoch nicht vertretbar, praktisch das Vorhandensein einer Wahlmöglichkeit bereits genügen zu lassen, um die eine Wahl als zumutbar und die andere als unzumutbar ansehen zu können; denn es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien eine Wahlmöglichkeit auch dann vereinbart hätten, wenn neben Zumutbarem auch Unzumutbares zur Wahl gestellt worden wäre. Vielmehr müßten die beiden Möglichkeiten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich als gleichwertig angesehen werden. Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der halbjährigen Kündigungsfrist könne sich somit nur aus den Umständen des konkreten Einzelfalles ergeben. Solche Umstände, die die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch die Klägerin ergeben könnten, seien aber weder vom LSG festgestellt noch ersichtlich oder auch nur behauptet.

Die Entscheidung des LSG erscheine auch nicht mit der Erwägung haltbar, durch den Eintritt einer Sperrzeit würde der Zweck des Rationalisierungsschutzvertrages vereitelt. Der Eintritt einer – selbst vierwöchigen – Sperrzeit bilde, gemessen an den Vorteilen, die ein Arbeitnehmer aus der Verkürzung der Kündigungsfrist ziehen könne, und den Nachteilen, die der Versichertengemeinschaft durch den vorzeitigen, vermeidbaren Eintritt der Arbeitslosigkeit erwachsen könnten, ein angemessenes Mittel, um die Interessen der Versichertengemeinschaft in pauschalierter Form zu wahren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. April 1980 aufzuheben, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 5. Juli 1978 zurückzuweisen sowie zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor; Es sei richtig, daß die Klägerin aufgrund ihrer langen Betriebszugehörigkeit und ihres Alters nach den Bestimmungen des Rationalisierungsschutzvertrages nur mit einer Frist von 26 Wochen gekündigt werden konnte. Unstreitig sei ferner, daß sie durch die Inanspruchnahme des tarifvertraglich gesicherten Rechts, gegen Zahlung einer Abfindung vorzeitig – nämlich schon nach 21 Tagen, gerechnet vom Tage der Kündigung an – aus ihrem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Eine Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „gelöst” iS von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG sei auch darin zu sehen, wenn das Arbeitsverhältnis zwar ohnehin zu einem späteren Zeitpunkt infolge Kündigung beendet worden wäre, der Arbeitslose aber vor dem Beendigungszeitpunkt aus dem Arbeitsverhältnis scheide.

Die Beklagte verkenne jedoch, daß die Klägerin einen wichtigen Grund gehabt habe, ihr Arbeitsverhältnis vorzeitig zu lösen. Der erkennende Senat habe bereits entschieden (BSG SozR Nr. 2 zu § 80 AVAVG), daß ein wichtiger Grund nur objektiv vorliegen müsse. Der infolge Rationalisierungsmaßnahmen bestehende Zwang der Arbeitgeberin der Klägerin, die Anzahl der Beschäftigten ohne große Härten für die Betroffenen zu verringern, sei ein objektiver wichtiger Grund in diesem Sinne. Der auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses der Klägerin wirkende wirtschaftliche und organisatorische Druck durch die Arbeitgeberin sei noch dadurch erheblich verstärkt, daß die Klägerin wegen ihres Lebensalters habe befürchten müssen, zu den Arbeitnehmern gezählt zu werden, die nach der Kündigung wegen Wegfall ihres Arbeitsplatzes mit anderen als bisher beschäftigten Arbeiten während der Dauer der Kündigungsfrist beschäftigt zu werden. Eine Ablehnung dieser „sozial” weniger geachteten Arbeiten hätte zum Verlust des tairfvertraglichen Schutzes geführt. Zutreffend habe das LSG festgestellt, gerade um diese vielfach mit Härten für den Einzelnen und mit den Betriebsfrieden störenden Streitigkeiten verbundenen Umsetzung älterer, langjährig beschäftigt gewesener Arbeitskräfte zu vermeiden, habe der Vertrag erkennbar diesen von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmern die Möglichkeit zur vorzeitigen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung einräumen wollen. Die Beklagte verkenne darüber hinaus die Zwänge einer Betriebsbelegschaft als wichtigen Grund. Die Klägerin wäre, hätte sie nicht im Rahmen des ihr eingeräumten Rechts des vorzeitigen Ausscheidens das Arbeitsverhältnis gelöst, den Sanktionen der Betriebsbelegschaft ausgesetzt gewesen, die jede Kündigung eines jüngeren Arbeitskollegen – wenn nicht gerade aus triftigen Gründen – als Verschulden der Klägerin gewertet hätten. Sie hätte sich dem nicht entziehen können, ohne nicht irgendwann selbst das Arbeitsverhältnis – dann aber unter diesem Druck – zu beenden. Insoweit müsse der Klägerin auch ein wichtiger Grund iS des § 119 AFG zugestanden werden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG war aufzuheben, das des SG zu bestätigen.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten haben zutreffend den Eintritt einer Sperrzeit zum Nachteil der Klägerin festgestellt. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG tritt eine Sperrzeit von vier Wochen ein, wenn der Arbeitslose ua das Arbeitsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben.

Dem LSG ist darin beizupflichten, daß die Klägerin das Arbeitsverhältnis iS von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG zum 13. August 1977 gelöst hat. Das Arbeitsverhältnis wurde zwar am 22. Juli 1977 von Seiten des Arbeitgebers gekündigt. Gemäß den Feststellungen des LSG betrug die Kündigungsfrist nach Maßgabe von § 6 des für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Rationalisierungsschutzvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Textilindustrie im Bundesgebiet vom 30. April 1969 im Falle der Klägerin 26 Wochen. Danach wäre das Arbeitsverhältnis der Klägerin erst in der zweiten Hälfte des Monats Januar 1978 beendet worden; es endete jedoch wegen ihres Verhaltens bereits mit Ablauf des 12. August 1977; denn sie hatte gegenüber dem Arbeitgeber von ihrem Recht aus § 7 des Rationalisierungsschutzvertrages Gebrauch gemacht, die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung zu verlangen. Dies hatte zur Folge, daß das Arbeitsverhältnis 21 Tage nach Zugang der Kündigung sein Ende fand. Der Sinn des § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG gebietet es, wie das LSG richtig ausgeführt hat und auch die Klägerin nicht in Abrede stellt, einen solchen Geschehensablauf dem Fall gleichzuachten, in dem der Arbeitnehmer selbst die Kündigung ausgesprochen hat; denn § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG knüpft die Sperrzeitfolge ersichtlich an die Frage, ob der Arbeitnehmer die wesentliche Ursache für den Eintritt seiner Arbeitslosigkeit gesetzt hat oder nicht. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitslosigkeit an. Die Arbeitslosigkeit der Klägerin ab 13. August 1977 ist aber allein darauf zurückzuführen, daß sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 12. August 1977 begehrt hat. Der Eintritt dieser Arbeitslosigkeit lag somit ausschließlich im Verantwortungsbereich der Klägerin; sie hat sie mithin als unmittelbare Folge ihres Verhaltens zu vertreten (vgl. in diesem Sinne auch BSG SozR 4100 § 119 Nr. 11).

Aus den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ergibt sich ferner, daß die Klägerin ihre ab 13. August 1977 eingetretene Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hat. Danach hatte die Klägerin keine Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz. Dies umfaßt sowohl das Fehlen konkreter Aussichten auf einen Anschlußarbeitsplatz als auch das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für die Annahme, daß sie ab 13. August 1977 einen für sie in Betracht kommenden Arbeitsplatz finden würde. Eine von beiden Sachlagen wäre aber ua Voraussetzung dafür, grobe Fahrlässigkeit iS von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG verneinen zu können (vgl. BSG SozR 4100 § 119 Nr. 2).

Entgegen der Auffassung des LSG hatte die Klägerin keinen wichtigen Grund für ihr Verhalten iS von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG, Ein wichtiger Grund zur Verursachung von Arbeitslosigkeit iS von § 119 Abs. 1 AFG liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann (vgl. Urteil des Senats vom 17. Februar 1981 – 7 RAr 90/79 – mwN). Nach den vom LSG festgestellten Umständen war es der Klägerin zuzumuten, den Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit ab 13. August 1977 zu vermeiden. Danach hatte sie allenfalls zu befürchten, während der Kündigungsfrist von 26 Wochen andere als die bisher ausgeübten Arbeiten verrichten zu müssen. Es hätte sich jedoch um zumutbare Arbeiten handeln müssen, ferner brauchte sie Lohneinbußen nicht zu befürchten, wie das LSG aus dem Inhalt des § 7 Nr. 3 des Rationalisierungsschutzvertrages festgestellt hat. Die Erwägung des LSG, daß die Klägerin den Schutz des Rationalisierungsschutzvertrages verloren hätte, wenn sie selbst zumutbare andere Arbeiten abgelehnt hätte (§ 7 Nr. 3 des Vertrages), muß in diesem Zusammenhang unbeachtlich bleiben; denn eine solche Folge hätte sich nicht aus der Kündigung, sondern aus eigenen, vom Schutzzweck des Vertrages nicht gedeckten Verhalten der Klägerin selbst ergeben.

Wie der Senat schon entschieden hat, kann zwar der Verzicht auf das Recht zur Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter Inanspruchnahme einer Abfindung bei – insbesondere älteren – Arbeitnehmern unter bestimmten Umständen die Verursachung von Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Inanspruchnahme von Leistungen zu Lasten der Versichertengemeinschaft gerechtfertigt erscheinen und als wichtiger Grund zur Lösung des Arbeitsverhältnisses iS von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG anerkannt werden. Insoweit hat das LSG zu Recht auf die Entscheidung des Senats in BSGE 21, 98 ff verwiesen. Dies setzt jedoch besondere, das bloße Abwägen der wirtschaftlichen Interessen des Arbeitnehmers überlagernde Sachzwänge in der betrieblichen Situation des Arbeitgebers und den daraus folgenden Bedingungen für den betroffenen Arbeitnehmer voraus. Der Senat hat dies angenommen, wenn beim Arbeitgeber der Zwang zu einem drastischen Abbau der Belegschaft besteht und die deshalb drohende Arbeitslosigkeit durch den örtlichen Arbeitsmarkt nicht ohne weiteres aufgefangen werden kann; ferner müssen Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Arbeitnehmer durch sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Betrieb einem anderen Mitarbeiter die Entlassung und damit die Arbeitslosigkeit erspart (vgl. BSG vom 17. Februar 1981 – 7 RAr 90/79 –). Verstärkt würde eine solche, die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhellende Sachlage dann, wenn der Arbeitnehmer bei anderem Verhalten damit rechnen müßte, sonstigen Belastungen als der einer Versetzung auf einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz bei gleichem Lohn ausgesetzt zu sein (vgl. BSGE 21, 98, 100). Nur wenn derartige Umstände vorliegen, kann davon ausgegangen werden, daß der Arbeitnehmer statt der möglichen Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses einen wichtigen Grund iS von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG dafür haben kann, unter Mitnahme einer Abfindung vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden und folglich ungeschmälert die Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen zu dürfen.

Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt sich für keinen dieser Gesichtspunkte im vorliegenden Falle ein Anhaltspunkt. Sie sind auch von der Klägerin nicht vorgebracht worden, so daß der Senat hiervon auszugehen hat (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–). Die Klägerin stand nach dem festgestellten Sachverhalt allein vor der Wahl, bis in die zweite Hälfte Januar 1978 mit gleichem Lohn in der Beschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber zu verbleiben – und sich in dieser langen Zeit rechtzeitig um einen daran anschließenden Arbeitsplatz zu bemühen – oder bereits zum 13. August 1977 auszuscheiden, gut die Hälfte ihres für die 26wöchige Kündigungsfrist anfallenden Lohnes als Abfindung zu erhalten (§ 7 Nr. 2 des Rationalisierungsschutzvertrages) und zusätzlich auf zunächst nicht absehbare Zeit Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen zu dürfen. Die Entscheidung der Klägerin, vorzeitig auszuscheiden, mag vom wirtschaftlichen Standpunkt aus verständlich sein; dies allein rechtfertigt aber nicht die ungeschmälerte Belastung der Versichertengemeinschaft mit den Folgen dieser Entscheidung und damit nicht die Annahme eines wichtigen Grundes iS von § 119 Abs. 1 AFG.

Von seinem Standpunkt aus zutreffend hat sich das LSG nicht mit der Rechtsfrage befaßt, ob die festgestellte Sperrzeit von vier Wochen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeutet, so daß die Sperrzeit nur zwei Wochen umfaßt (§ 119 Abs. 2 AFG). Die die Verhältnisse und Vorgänge im Zusammenhang mit dem Ausscheiden der Klägerin zum 13. August 1977 vollständig erfassenden tatsächlichen Feststellungen des LSG ergeben hierfür jedoch keinen Anhaltspunkt. Sie werden von der Klägerin in dieser Richtung auch nicht angegriffen. Infolgedessen bedarf es deswegen nicht einer Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Auf die Revision der Beklagten ist deshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI925867

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