Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung unterschiedlicher Leistungen für 2 Zeiträume

 

Leitsatz (redaktionell)

Aus der Tatsache, daß in einem Bescheid über wiederkehrende Leistungen (hier: Umstellung der Versorgungsbezüge nach dem früheren saarländischen Recht auf das BVG im Mai 1963) die Höhe der Leistungen für 2 Zeiträume unterschiedlich festgesetzt ("gestaffelt") und dabei die Leistung für den ersten Zeitraum (Juni 1960 bis Februar 1963) zu hoch festgesetzt worden ist, kann kein Anspruch darauf abgeleitet werden, daß auch für den zweiten Zeitraum (ab März 1963) diese höhere Leistung gewährt wird. Die Leistung für den zweiten Zeitraum ist vielmehr allein nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen in diesem - zweiten, auf die Zukunft gerichteten - Zeitraum zu bemessen.

 

Normenkette

BVGSaarEG Art. 1 § 3

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. Dezember 1972 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger bezog nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes aufgrund des Bescheides des Fürsorgeamtes für Kriegsopfer und deren Familien in M vom 20. Februar 1948 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v. H., u. a. wegen "Narbe am rechten Scheitelbein, Kopfschmerzen und Schwindelgefühl". Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) im Saarland vom 16. August 1961 (BGBl I S. 1292) holte die Versorgungsverwaltung ein Gutachten der Universitäts-Nervenklinik in H vom 17. Januar 1963 und ein versorgungsärztliches Gutachten vom 8. Februar 1963 ein. Beide Gutachten kamen zu dem Ergebnis, daß die jetzt noch geklagten Beschwerden nicht mehr als Folge der Hirnerschütterung angesehen werden könnten. Der Versorgungsarzt Dr. M fügte hinzu, daß Kopfschmerzen und Schwindelgefühl bei der Umstellung nach dem BVG zu "eliminieren" seien. Alsdann erging der Umanerkennungsbescheid vom 22. Mai 1963. Darin wurden die bisherige Leidensbezeichnung und der bisherige MdE-Grad (40 v. H.) für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis Ende Februar 1963 übernommen; für die Zeit ab 1. März 1963 wurde nur noch ein MdE-Grad um 10 v. H. angenommen; "Kopfschmerzen und Schwindelgefühl nach Schußverletzung" wurden nicht mehr als Schädigungsfolgen anerkannt. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes für das Saarland - LVersorgA - vom 7. August 1963).

Das Sozialgericht (SG) holte ein Gutachten ein von Dr. W/Dr. L. Diese kamen zu dem Ergebnis, seit der Untersuchung 1948 sei eine wesentliche Änderung nicht mehr eingetreten, Hirnerschütterungsfolgen hätten bereits 1948 nicht mehr bestanden; die wehrdienstbedingte MdE liege unter 25 v. H.. Durch Urteil vom 23. September 1968 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab 1. März 1963 weiterhin eine Rente nach einer MdE um 40 v. H. zu gewähren. Die Berufung wurde zugelassen.

Das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) hat durch Urteil vom 14. Dezember 1972 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, schon bei Erteilung des Bescheides vom 20. Februar 1948 seien keine Wehrdienstfolgen in rentenberechtigendem Grade mehr vorhanden gewesen. Wenn das VersorgA in dem Umanerkennungsbescheid dennoch zunächst die MdE auf 40 v. H. festgesetzt und erst ab 1. März 1963 eine MdE von nur noch 10 v. H. angenommen habe, so beruhe dies auf dem versorgungsärztlichen Gutachten vom 8. Februar 1963. Das VersorgA sei offenbar davon ausgegangen, daß erst durch die jetzt eingeholten Gutachten der volle Nachweis erbracht sei, daß die MdE nicht mehr 40 v. H. sondern nur noch 10 v. H. betrage. Das VersorgA habe im Umanerkennungsbescheid die MdE für den Feststellungszeitraum ab 1. Juni 1960 staffeln müssen. Eine solche Maßnahme sei zulässig und in entsprechenden Fällen auch üblich. Es handele sich nicht um zwei Entscheidungen, sondern um eine einheitliche Entscheidung mit differenzierter Aussage. Daher habe auch die Festsetzung der MdE auf zunächst 40 v. H. für die Zeit ab 1. Juni 1960 für sich allein nicht bindend werden können. Die Herabsetzung der MdE mit Wirkung ab 1. März 1963 habe infolgedessen nicht vorausgesetzt, daß nach dem 1. Juni 1960 eine wesentliche Änderung eingetreten sein müßte. Da die MdE des Klägers ab 1. März 1963 tatsächlich nur noch 10 v. H. betragen habe, sei der Bescheid des VersorgA nicht zu beanstanden.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat am 23. Februar 1973 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 26. April 1973 durch einen weiteren Schriftsatz vom 23. März, eingegangen beim BSG am 26. März 1973, ... begründet.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 23. September 1968 zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, die Auffassung des LSG, daß die Staffelung der MdE zulässig und in entsprechenden Fällen auch üblich sei, könne nur insoweit richtig sein, als in dem Zeitraum, auf den sich die Entscheidung erstrecke, auch eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Der Umanerkennungsbescheid enthalte zwei Entscheidungen, nämlich einmal die Übernahme der MdE im Sinne einer Erstfeststellung für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis zum 28. Februar 1963 und weiterhin die Herabsetzung der MdE ab 1. März 1963 wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne einer Besserung. Um eine einheitliche Entscheidung mit differenzierter Aussage könne es sich nur dann handeln, wenn eine Besserung des Leidens in diesem Zeitraum eingetreten wäre. Dies sei aber hier nicht der Fall.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. Dezember 1972 als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Kläger hat die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist daher zulässig, sie ist jedoch unbegründet.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei dem Umanerkennungsbescheid vom 22. Mai 1963 um eine "einheitliche Entscheidung mit differenzierter Aussage" handelt, durch die das Versorgungsrechtsverhältnis des Klägers auf die Vorschriften des BVG umgestellt und nicht nur für den Zeitraum vom 1. Juni 1960 bis 28. Februar 1963, sondern auch für die Zukunft geregelt werden sollte. Der gegenteiligen Auffassung der Revision, wonach der Bescheid vom 22. Mai 1963 in eine Erstfeststellung nach dem BVG - mit eigener Bindungswirkung - für den Zeitraum bis zum 28. Februar 1963 und in eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse nach § 62 BVG aufzuspalten sei, kann nicht gefolgert werden. Nach Art. III § 1 EGBVG-Saar traten mit der Einführung des BVG im Saarland am 1. Juni 1960 alle dem BVG entgegenstehenden oder inhaltsgleichen Rechtsvorschriften des Saarlandes außer Kraft. Wie der erkennende Senat bereits wiederholt entschieden hat, ist damit den nach früherem Versorgungsrecht im Saarland ergangenen Entscheidungen vom 1. Juni 1960 an die Rechtsgrundlage und damit auch die rechtliche Grundlage für die Bindung gemäß § 77 SGG entzogen worden, so daß diese Entscheidungen ihre Wirkung für die Zukunft - mit der in Art. I § 2 Abs. 1 EGBVG-Saar bestimmten Ausnahme - verloren haben (vgl. Urteile vom 29. April 1969 - 10 RV 825/67 - und vom 18. Februar 1970 - 10 RV 183/68 - mit weiteren Hinweisen; s. auch BSG in SozR EGBVG-Saar Nr. 1 und 2 zu Art. I § 2). Gemäß Art. I § 3 Satz 1 EGBVG-Saar mußten nunmehr neue "Bescheide über die Umstellung" erteilt werden Hierfür waren nach Art. I § 2 Abs. 1 EGBVG-Saar nur solche nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes getroffenen Entscheidungen verbindlich, in denen über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 1 BVG entschieden war. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung sämtlicher für die Kriegsopferversorgung (KOV) zuständiger Senate des BSG (vgl. BSG 25, 153; SozR EGBVG-Saar Nr. 2 zu Art. I § 2; Urteile vom 18. Juni 1968 - 9 RV 206/68 -; vom 29. April 1969 - 10 RV 825/67 -; vom 18. Februar 1970 - 10 RV 183/68 -), daß die Versorgungsverwaltung im übrigen befugt und verpflichtet war, bei der "Umanerkennung", also bei der Umstellung der Versorgungsgebührnisse nach dem früheren saarländischen Recht auf das BVG, den Sachverhalt erneut zu prüfen und nach den im Zeitpunkt der Umanerkennung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse neu festzustellen. Das galt insbesondere für den Grad der MdE (vgl. BSG in SozR EGBVG-Saar Nr. 1 zu Art. I § 3; Urteil des erkennenden Senats vom 18. Februar 1970 aaO), aber auch für die Frage, ob eine Gesundheitsstörung inzwischen abgeklungen und somit im Zeitpunkt der Umanerkennung nicht mehr vorhanden war (vgl. BSG in SozR BVG Nr. 1, 3 und 5 zu § 85). Die erstmalige anderweitige Beurteilung des Versorgungsanspruchs nach dem BVG ist sonach weder von den Voraussetzungen des § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) noch des § 62 BVG abhängig (vgl. Urteil vom 9. Juli 1968 - 10 RV 753/67 -).

Nach den Feststellungen des LSG, die vom Kläger mit Revisionsrügen nicht angegriffen und daher gemäß § 163 SGG für das Revisionsgericht bindend sind, waren im Zeitpunkt der Umanerkennung (Mai 1963) die ursprünglich als Folgen einer Gehirnerschütterung anerkannten "Kopfschmerzen und Schwindelgefühl" nicht mehr vorhanden; die schädigungsbedingte MdE betrug nur noch 10 v. H.. Die Versorgungsverwaltung war daher grundsätzlich befugt, das Versorgungsrechtsverhältnis den nunmehr bestehenden tatsächlichen Verhältnissen anzupassen und ohne Bindung an frühere Feststellungen neu zu regeln. Dieser Verpflichtung ist das VersorgA auch gerecht geworden, indem es im Bescheid vom 22. Mai 1963 mit Wirkung vom 1. März 1963 die Gehirnerschütterung und die darauf bezogenen Kopfschmerzen und Schwindelgefühl als inzwischen folgenlos abgeheilt angesehen (vgl. BSG in SozR BVG Nr. 41 zu § 62) und die MdE mit 10. v. H. bewertet hat. Wie sich aus der diesem Bescheid beigefügten Berechnung ergibt, hat das VersorgA auch Art. I § 3 Satz 1 und 2 EGBVG-Saar beachtet, wonach die nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes festgestellten Versorgungsgebührnisse - unter Anrechnung auf die nach dem BVG festzustellenden Versorgungsbezüge - bis zum Ablauf des Monats weiterzuzahlen waren, in dem der Bescheid über die Umstellung erteilt wird. Dem Kläger sind nämlich die bisherigen Versorgungsbezüge sogar bis Monat Juni 1963 einschließlich gezahlt und belassen worden.

Wenn das VersorgA in dem Umanerkennungsbescheid für die Zeit bis zum 28. Februar 1963 die bisher anerkannten Schädigungsfolgen und die dadurch bedingte MdE um 40 v. H. als fortbestehend angenommen hat, so kann dahinstehen, von welchen Erwägungen sich das VersorgA dabei hat leiten lassen (vgl. Bl. 4 des LSG-Urteils); denn jedenfalls hat das LSG ausdrücklich festgestellt, daß bereits zum Zeitpunkt der Erteilung des Erstbescheides vom 20. Februar 1948 keine Wehrdienstfolgen in rentenberechtigendem Grade mehr vorlagen. Der Umanerkennungsbescheid vom 22. Mai 1963 entsprach daher, soweit er einen Ausspruch für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 28. Februar 1963 enthält, nicht den tatsächlichen Verhältnissen und war insoweit materiell unrichtig. Aus der Tatsache, daß in einem Bescheid über wiederkehrende Leistungen die Höhe der Leistungen für zwei Zeiträume unterschiedlich festgesetzt ("gestaffelt") und dabei die Leistung für den ersten Zeitraum zu hoch festgesetzt worden ist, kann jedoch kein Anspruch darauf hergeleitet werden, daß auch für den zweiten Zeitraum diese höhere Leistung gewährt wird. Die Leistung für den zweiten Zeitraum ist vielmehr allein nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen in diesem - zweiten, auf die Zukunft ausgerichteten - Zeitraum zu bemessen (vgl. BSG in SozR BVG Nr. 6 zu § 86; Urteil BSG vom 23. Juli 1970, nur teilweise abgedruckt in SozR Nr. 41 zu § 62 BVG).

Die erstgenannte Entscheidung ist zwar zu einem Umanerkennungsbescheid nach § 86 BVG ergangen; die gleichen Überlegungen müssen jedoch auch für einen Umanerkennungsbescheid der hier vorliegenden Art angewandt werden. Abgesehen davon, daß Art. I § 3 EGBVG-Saar in seinem Wortlaut und seiner Zielsetzung weitgehend mit § 86 BVG übereinstimmt (vgl. BSG 25, 153 und insbesondere BSG in SozR EGBVG-Saar Nr. 2 zu Art. I § 2), ist in beiden Fällen davon auszugehen, daß das VersorgA bei der erstmaligen Neufeststellung der Versorgungsbezüge nach dem BVG ("Umanerkennung") nicht an die Bewertung der MdE in dem ursprünglichen Rentenbewilligungsbescheid aufgrund früherer -reichsrechtlicher, zonenrechtlicher oder saarländischer - versorgungsrechtlicher Vorschriften gebunden war (vgl. BSG 2, 263; 3, 251, 257), sondern daß allein maßgeblich die nunmehr bestehenden tatsächlichen Verhältnisse sind. Haben sich diese Verhältnisse seit dem Inkrafttreten des Gesetzes bzw. dem Beginn des Bewilligungszeitraumes nicht mehr geändert, so ist der Umstellungsbescheid, soweit er eine "differenzierte" Feststellung enthält und die MdE für einen bestimmten Zeitraum entsprechend der früheren Bewilligung zu hoch festsetzt, teilweise rechtswidrig. Insoweit ist der Kläger jedoch nicht beschwert, sondern - abgesehen von der Übergangsregelung des Art. I § 3 EGBVG-Saar - zu Unrecht begünstigt. Diesen Teil des Bescheides hat der Kläger mit der Klage auch nicht angefochten. Das Verlangen des Klägers, ihm die Rente auch für die Zeit vom 1. März 1963 an nach einer MdE um 40 v. H. weiter zu gewähren, wäre nur dann begründet, wenn der Bescheid vom 22. Mai 1963 insoweit unrichtig und damit rechtswidrig wäre (vgl. BSG in SozR BVG Nr. 6 zu § 86; s. auch Urteil BSG vom 23. Juli 1970, aaO). Das aber ist nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht der Fall.

Der Kläger vermag sich auch nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berufen. Dem Kläger sind nicht zwei Bescheide mit verschiedenem Datum und verschiedenen Regelungen, sondern ein einheitlicher Bescheid erteilt worden. Der Kläger ersah aus diesem Bescheid und der dem Bescheid beigefügten Abrechnung, daß ihm zwar für die Vergangenheit die bereits gewährten Versorgungsgebührnisse in der früheren Höhe verblieben, daß ihm aber für die Zukunft eine Rente nicht mehr gewährt wurde. Irgendwelche Zweifel konnten insoweit bei dem Kläger nicht geweckt werden; irgendwelche auf die Dauer gerichteten Vermögensdispositionen konnten von ihm aufgrund dieses Bescheides nicht getroffen werden.

Bei dieser Rechtslage sind der Umstellungsbescheid der Versorgungsverwaltung und das Urteil des LSG nicht zu beanstanden Die Revision des Klägers war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650602

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