Leitsatz (amtlich)

Hat ein Kassenarzt gegen einen Bescheid über die Verteilung der Gesamtvergütung Anfechtungsklage erhoben, weil bestimmte ärztliche Leistungen nicht entsprechend der - nach dem Honorarverteilungsmaßstab anzuwenden - Preugo berechnet seien, so werden auch die nach Klageerhebung im Anschluß an den angefochtenen Bescheid in gleicher Weise berechneten weiteren Honorarbescheide Gegenstand des Verfahrens (entsprechende Anwendung des SGG § 96).

 

Normenkette

SGG § 96 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Januar 1959 und des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. März 1957 aufgehoben.

Die dem Kläger für die Zeit seit dem 1. Januar 1955 erteilten Abrechnungsbescheide werden insoweit aufgehoben, als darin Blasenspiegelungen mit Blaufunktionsprüfung nach den Positionen 62 b und 25 c der Preugo als zwei selbständige Grundleistungen behandelt worden sind.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten darüber, in welcher Weise die von dem Kläger, einem zur Kassenpraxis zugelassenen Facharzt für Urologie, durchgeführten "Blasenspiegelungen mit Blauausscheidung" im Rahmen der Honorarverteilung zu berechnen sind. Der seit dem 1. Januar 1953 anzuwendende vorläufige Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten, der für die RVO-Kassen gilt, die eine Pauschvergütung zahlen, gliedert die ärztlichen Leistungen ua in "Grundleistungen" (zu ihnen gehören alle Verrichtungen, deren Gebührenansatz geringer ist als 12,- DM der Amtlichen Gebührenordnung für approbierte Ärzte und Zahnärzte - Preugo -, mit Ausnahme der ärztlichen Sachleistungen und der dringlichen Nachtbesuche) und in "große Sonderleistungen" (zu ihnen gehören alle Verrichtungen mit einem Gebührenansatz von 12,- DM und mehr der Preugo). Dieselbe Unterscheidung macht auch der vom 1. Januar 1956 an geltende HVM, während der seit dem 1. Oktober 1957 geltende HVM die Grenze zwischen den "Grundleistungen" und den "großen Sonderleistungen" von 12,- DM auf 16,- DM erhöht hat. Die Grundleistungen werden im Gegensatz zu den großen Sonderleistungen bei der Verteilung der Gesamtvergütung quotenmäßig gekürzt.

Der Kläger vertritt die Auffassung, bei der von ihm durchgeführten ärztlichen Leistung (Einspritzung eines Kontrastmittels - Methylenblau - in die Blutader am Arm mit anschließender Blasenspiegelung und Beobachtung der Blauausscheidung) handele es sich um eine einheitliche Gesamtverrichtung, die, da sie in der "Preugo nicht ausgeworfen" sei, nach § 10 Preugo mit den für eine gleichwertige Leistung vorgesehenen Sätzen vergütet werden müßte. Die von ihm durchgeführten Leistungen seien der unter Nr. 62 c Preugo aufgeführten Verrichtung ("Spiegelung der Blase als selbständiger Eingriff mit Katheterismus der Harnleiter") gleichwertig. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KV) sei daher verpflichtet, die von ihm vorgenommenen Blasenspiegelungen mit Blauausscheidung nach Nr. 62 c Preugo zu vergüten und bei der Honorarverteilung mit der Mindestgebühr von 12,- DM (seit 1.10.1957 von 16,- DM) zu berücksichtigen. Demgegenüber vertritt die Beklagte die Auffassung, bei den vom Kläger erbrachten Leistungen handele es sich um zwei selbständige Verrichtungen, von denen in Anwendung des § 10 Preugo die Blasenspiegelung mit Beobachtung der Blauausscheidung nach Nr. 62 b Preugo ("Spiegelung der Blase als selbständiger Eingriff") mit der Mindestgebühr von 9,- DM (seit 1.10.1957 12,- DM) zu vergüten sei, während die Einspritzung des Kontrastmittels in die Blutader nach Nr. 25 c Preugo ("Einspritzung von Heilmitteln in die Blutader") mit einer Mindestgebühr von 3,20 DM (das sind zwei Drittel der Mindestgebühr von 4,80 DM gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Preugo) zu berechnen sei. Bei dieser Berechnungsweise würden die Leistungen des Klägers bei Verteilung der von den Krankenkassen gezahlten Gesamtvergütung als "Grundleistungen" der quotenmäßigen Kürzung unterliegen.

Der Prüfungsausschuß der Bezirksstelle M der beklagten KV teilte dem Kläger durch Schreiben seines Vorsitzenden vom 1. Juli 1955 mit, die Honorarkommission habe festgestellt, daß die Untersuchung des Harnapparates mit Blauausscheidung nach Nr. 62 b Preugo mit 9,- DM sowie nach Nr. 25 c Preugo mit 3,20 DM zu berechnen sei; die Berechnung nach Nr. 62 c Preugo sei unzulässig, weil sich diese Position ausdrücklich auf den Katheterismus der Harnleiter beziehe. Dem Kläger wurde in diesem Schreiben eröffnet, daß die Abrechnung für das erste Quartal 1955 (I/1955) entsprechend berichtigt worden sei, die irrtümliche Berechnung der schon abgeschlossenen Quartale solle auf sich beruhen. Nachdem der Kläger dem Prüfungsausschuß am 5. Juli 1955 schriftlich mitgeteilt hatte, er werde sich in Zukunft nach der "Anweisung vom 1. Juli 1955" richten, er bitte jedoch, es für das zweite Quartal bei der bisherigen Abrechnung zu belassen, wandte er sich mit Schreiben vom 6. Dezember 1955 nochmals an den Prüfungsausschuß und erhob "Einspruch" gegen die Berechnungsweise der Beklagten, da nach urologischer Auffassung die fragliche Leistung der Spiegelung der Blase mit Katheterismus der Harnleiter (Nr. 62 c Preugo) gleichwertig sei. Der Vorstand der beklagten KV wies den "Einspruch" des Klägers in seiner Sitzung vom 7. Januar 1956 zurück, da die Auffassung des Prüfungsausschusses richtig sei; er erteilte dem Kläger darüber am 18. Januar 1956 einen schriftlichen Bescheid.

Der Kläger erhob darauf am 20. Februar 1956 Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 18. Januar 1956 aufzuheben und die Beklagte anzuweisen, die Blasenspiegelung mit Blauausscheidung vom 1. Januar 1955 an nach Nr. 62 c Preugo zu berechnen. Das Sozialgericht Karlsruhe wies die Klage nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Leiters der Urologischen Klinik an den Städtischen Krankenanstalten K, Prof. Dr. H Sch, ab, weil die hier streitige ärztliche Verrichtung nicht ohne weiteres als eine der Nr. 62 c Preugo gleichwertige Leistung angesehen werden könne und die Berechnung der Beklagten jedenfalls nicht auf einem Ermessensmißbrauch beruhe (Urteil vom 13.3.1957).

Im Berufungsverfahren hat der Kläger die Klage mit Einwilligung der Beklagten geändert und die Feststellung beantragt, daß die Beklagte verpflichtet sei, die von ihm vorgenommenen Blasenspiegelungen mit Blauausscheidung als Verrichtungen im Sinne der Nr. 62 c Preugo zu vergüten, hilfsweise den Beschluß vom 18. Januar 1956 aufzuheben.

Das Landessozialgericht hat durch Urteil vom 15. Januar 1959 die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger erstrebe mit seiner zulässigerweise geänderten Klage die Feststellung einer bestimmten Abrechnungsverpflichtung der Beklagten; diese Klage sei nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, weil sie auch auf die Feststellung einzelner Berechtigungen aus einem Rechtsverhältnis gerichtet sein könne. An der Feststellung habe der Kläger auch ein berechtigtes Interesse, weil ihm nicht zugemutet werden könne, jedes Vierteljahr gegen die Berichtigung seiner Abrechnung vorzugehen oder gegen die Honorarfestsetzungen Anfechtungsklage zu erheben. Der Feststellungsklage stehe auch § 3 Buchst. c HVM ("soweit für bestimmte Leistungen in der Preugo und im Röntgentarif keine entsprechenden Ziffern angesetzt sind oder die Auslegung strittig ist, gilt die Auslegung, die der Vorstand der KV, Landesstelle N, gibt"), nicht entgegen. Diese Bestimmung gebe nach Wortlaut und Sinnzusammenhang dem Vorstand nicht das Recht, die Berechnung der fraglichen Leistung dem Kläger gegenüber nach billigem Ermessen festzusetzen; sie wolle nur in Zweifelsfällen die einheitliche Auslegung der maßgebenden Gebührenordnung im Bereich der beklagten KV sicherstellen und damit verhindern, daß die untergeordneten Bezirksstellen die gleiche Leistung unterschiedlich berechnen. Der Vorstand werde deshalb nur zu einer Auslegung ermächtigt, die allein die Abrechnungsstellen binde. Stehe dem Vorstand danach aber nur das Recht der Auslegung zu, so könne er nicht nach Ermessen verfahren. Die Klage sei jedoch unbegründet, weil die in vollem Umfang nachprüfbare Auslegung der Beklagten nicht zu beanstanden sei. Auch im Fachschrifttum werde allerdings die Blasenspiegelung mit Blauausscheidung verschieden berechnet; teilweise werde sie sogar nach Nr. 62 c und Nr. 25 c berechnet. Diese Meinungen seien jedoch alle nicht näher begründet. Die Entscheidung hänge im wesentlichen davon ab, ob die Aufteilung der Leistung in zwei getrennt zu vergütende Verrichtungen zulässig sei. Nach § 5 Preugo könne eine Gebühr nur für solche Verrichtungen in Ansatz gebracht werden, die eine selbständige Leistung darstelle. Aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der §§ 5, 7 und 9 Preugo sei zu entnehmen, daß einzelne von mehreren Verrichtungen nicht schon dann unselbständige Leistungen seien, wenn sie durch ein und denselben Krankheitsfall bedingt und (oder) in zeitlichem Zusammenhang vorgenommen würden. Entscheidend sei vielmehr, ob die eine Verrichtung die regelmäßig notwendige Voraussetzung oder regelmäßige Begleiterscheinung der anderen sei. Für die gebührenrechtliche Beurteilung sei es daher unerheblich, daß die beiden Verrichtungen letztlich ein und demselben Zweck dienten, nämlich der Ergründung der Nierenfunktion und der Motilität der Nieren und Harnwege. Diesem Zweck seien beide Verrichtungen gleichermaßen untergeordnet. Deshalb berechne die Beklagte und übrigens auch der Fachverband der Urologen beide Verrichtungen zu Recht gesondert. Für die Einspritzung des Kontrastmittels sei dabei - ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Fachverband der Urologen - gemäß § 10 Preugo zutreffend die Gebühr nach Nr. 25 c Preugo anzusetzen; denn diese Bestimmung verlange nicht Gleichartigkeit, sondern Gleichwertigkeit der anderen Leistung. Entgegen der Ansicht des Fachverbandes der Urologen könne aber auch die Blasenspiegelung mit Beobachtung der Blauausscheidung nicht schon für sich allein nach Nr. 62 c Preugo berechnet werden. Die in dieser Position genannte Leistung (Blasenspiegelung mit Katheterismus der Harnleiter) nehme der Kläger unstreitig nicht vor; die von ihm durchgeführte Blasenspiegelung sei zudem als besondere Verrichtung in Nr. 62 b Preugo genannt. Dabei umfasse die Blasenspiegelung alle Beobachtungen in der Blase einschließlich des Auswolkens der Blauflüssigkeit aus den Harnleitern. Es sei daher nicht nötig, eine gleichwerte Leistung im Sinne des § 10 Preugo zu ermitteln.

Zur Begründung der frist- und formgerecht eingelegten Revision trägt der Kläger vor: Das Berufungsgericht habe seinem Antrag vom 25. Mai 1957, den Sachverständigen Prof. Dr. Sch zu vernehmen, nicht stattgegeben und dadurch die §§ 106, 109, 112 SGG verletzt. Das Landessozialgericht habe auch, da es nicht mit einem Facharzt für Urologie besetzt gewesen sei, zu Unrecht seine eigene Sachkunde angenommen und gegen die ihm obliegende Aufklärungspflicht verstoßen. In sachlicher Hinsicht rügt der Kläger, das Landessozialgericht habe die §§ 368 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) und die Bestimmungen der Preugo unrichtig ausgelegt. Die Blasenspiegelung mit Funktionsprüfung der Nieren nach intravenöser Einspritzung eines Kontrastmittels (Methylenblau) sei der Verrichtung nach Nr. 62 c Preugo gleichwertig, weil "diese Bestimmung über die Blase hinausgehe". Dagegen betreffe die vom Landessozialgericht angewandte Nr. 62 b Preugo nur die Spiegelung der Blase, nicht aber die Funktionsprüfung der Nieren. Wenn man die Einspritzung des Kontrastmittels als selbständige Leistung ansehe, so wäre seine Leistung mit dem Fachverband der Urologen nach Nr. 62 c und 25 c Preugo zu berechnen. Nr. 25 regele aber nur die Einspritzung von Heilmitteln und Transfusionen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, daß er seinen Klagantrag dahin klarstelle und beschränke, daß die für die Zeit seit dem 1. Januar 1955 erteilten Abrechnungsbescheide der Beklagten insoweit angefochten werden, als darin die für ihn abgerechneten Blasenspiegelungen mit Blaufunktionsprüfung nicht nach Nr. 62 c Preugo bewertet worden sind. Die Beklagte hat gegen diese Fassung des Klagantrags keine Einwendungen erhoben.

II.

Die Revision ist, nachdem der Kläger seine Klage auf die Anfechtung der ihm für die Zeit seit dem 1. Januar 1955 erteilten Abrechnungsbescheide - soweit sie die Vergütung der Blasenspiegelungen mit Blaufunktionsprüfung betreffen - beschränkt hat, teilweise begründet.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß Gegenstand der Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG auch einzelne Berechtigungen sein können, die sich aus einem Rechtsverhältnis ergeben, ist zwar zutreffend (vgl. BSG 11, 198), das Landessozialgericht hat jedoch übersehen, daß die Feststellungsklage nur insoweit zulässig ist, als ihr nicht ein bindend gewordener Verwaltungsakt (§ 77 SGG) entgegensteht (vgl. BSG 12, 44, 47). Die Beklagte hat in ihren Abrechnungsbescheiden, die sie dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1955 an erteilt hat, die hier streitigen Blasenspiegelungen mit Blaufunktionsprüfung entsprechend dem Beschluß des Vorstands vom 7. Januar 1956 - entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung - als Grundleistungen nach Nr. 62 b und Nr. 25 c Preugo vergütet. Ob die den Kassenärzten erteilten vierteljährlichen Honorarabrechnungen auch in Fällen, in denen sie mit der Berechnung des Arztes übereinstimmen, als Verwaltungsakte anzusehen sind, kann dahinstehen. Jedenfalls liegt ein den Honoraranspruch des Arztes regelnder Verwaltungsakt, der der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegt, dann vor, wenn die Abrechnung von dem "Honorarantrag" des Arztes abweicht, wenn z. B. - wie im vorliegenden Fall - bestimmte ärztliche Verrichtungen abweichend von der Forderung des Arztes nicht als große Sonderleistungen, sondern als Grundleistungen berechnet oder im Prüfungsverfahren die Leistungen auf einen Durchschnittswert begrenzt oder Einzelabstriche vorgenommen sind (vgl. BSG 11, 102, 108). Der Kläger hat, wie sich aus dem Schreiben des Prüfungsausschusses vom 1. Juli 1955 ergibt, die Abrechnung der Beklagten für das erste Quartal 1955, die in gleicher Weise wie die späteren Vierteljahresabrechnungen keine Belehrung über den einzulegenden Rechtsbehelf enthielt, innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG, also rechtzeitig, angefochten. Auf das Schreiben vom 6. Dezember 1955, mit dem der Kläger die Berechnung der hier streitigen Verrichtungen beanstandet hatte, wurde ihm durch Bescheid vom 18. Januar 1956 eröffnet, daß der Vorstand der KV seinen "Einspruch" auf Veranlassung des Prüfungsausschusses der Bezirksstelle Mannheim geprüft und abgelehnt habe, weil die Entscheidung des Prüfungsausschusses als richtig bestätigt werden müsse. Ob der Prüfungsausschuß, der jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes über Kassenarztrecht (GKAR) nur die Aufgabe hat, die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung zu überwachen (§ 368 n Abs. 4 RVO), nach § 4 des hier maßgebenden HVM der Beklagten berufen war, sich mit den vom Kläger gegen die Berechnung seiner Leistungen vorgebrachten rechtlichen Einwendungen zu befassen (Rüge des unrichtigen Ansatzes der Leistungen nach den Positionen der Preugo), bedarf keiner Entscheidung. Denn es gehörte jedenfalls zu den Aufgaben des Vorstands der beklagten KV, die Einwendungen des Klägers gegen die von der Abrechnungsstelle vorgenommene und vom Prüfungsausschuß gebilligte Berechnungsweise zu prüfen und dem Kläger über das Ergebnis dieser Prüfung einen Bescheid zu erteilen. Gegen diesen Bescheid, der einen Verwaltungsakt darstellt, hat der Kläger rechtzeitig Anfechtungsklage erhoben, die er auch im Berufungsverfahren - jedenfalls durch seinen Hilfsantrag - aufrechterhalten hat. Zugleich hat er aber durch den Antrag auf Aufhebung des Beschlusses vom 7./18. Januar 1956 zum Ausdruck gebracht, daß sich die Klage auch gegen die ihn belastenden Abrechnungsbescheide richte, soweit in ihnen nämlich die hier streitigen Verrichtungen entsprechend dem Vorstandsbeschluß vom 7. Januar 1956 berechnet worden sind. Der Kläger hat nun zwar nach Erhebung der Klage die ihm später erteilten Vierteljahresabrechnungen nicht im einzelnen mit einem Rechtsbehelf angegriffen, wohl aber ergibt sich aus seinem gesamten Vorbringen in den Tatsacheninstanzen (vgl. auch die Formulierung des Klagebegehrens im Berufungsverfahren als Feststellungsantrag), daß er mit seiner Klage auch die Aufhebung der ihm für die Zeit seit dem 1. Januar 1955 erteilten Abrechnungsbescheide erstrebt, soweit sie die Vergütung für die hier streitigen Leistungen betreffen. Gegen den im Revisionsverfahren gestellten Antrag, der das Klageziel nur verdeutlicht und eine Begrenzung der Klage auf die Anfechtung der Abrechnungsbescheide darstellt, bestehen verfahrensrechtlich keine Bedenken, insbesondere liegt keine Klageänderung vor, die im Revisionsverfahren nicht zulässig wäre (§ 168 SGG).

Die dem Kläger nach Erhebung der Klage erteilten Abrechnungsbescheide sind Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden. Zwar betrifft § 96 SGG seinem Wortlaut nach nicht den vorliegenden Fall, wohl aber erfordert der in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke ihre entsprechende Anwendung auf Fälle der vorliegenden Art. Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt, der nach Erhebung der Klage ergeht und den mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, Gegenstand des Verfahrens. Durch diese Vorschrift, die die schon bestehende Rechtshängigkeit des Streits über den ersten Verwaltungsakt auf den neuen Verwaltungsakt ausdehnt, wird eine neue Klage unnötig; sie ermöglicht im Rahmen einer sinnvollen Prozeßökonomie ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren (vgl. BSG 11, 146, 147). Außerdem soll diese Regelung, die in ihrem Grundgedanken dem früheren § 1608 RVO entspricht, den Betroffenen davor schützen, daß ihm Rechtsnachteile erwachsen, wenn er im Vertrauen auf den von ihm eingelegten Rechtsbehelf weitere Schritte unterläßt (vgl. RVA in AN 1915, 609; 1916, 314; EuM 12, 263). Die Vorschrift bezieht sich grundsätzlich auf Verwaltungsakte, die den streitbefangenen Sachverhalt neu regeln. Es muß sich deshalb bei dem neuen Verwaltungsakt grundsätzlich um einen solchen handeln, der "den anhängigen Prozeßstoff beeinflussen kann" (vgl. die Begründung zu § 43 des RegEntw. zur Sozialgerichtsordnung, BT-Drucks. Nr. 4357/53). Die dem Kläger nach Erhebung der Klage erteilten Honorarabrechnungsbescheide ändern die ihm bis zur Klageerhebung erteilten Bescheide zwar nicht ab und treten auch nicht an ihre Stelle, weil sie die Honoraransprüche des Klägers für spätere Zeiträume regeln. Wohl aber sind sie alle auf Grund desselben Rechtsverhältnisses ergangen und ergänzen alle unter Aufrechterhaltung des vom Kläger beanstandeten Rechtsstandpunkts den von ihm ursprünglich angefochtenen Bescheid insofern, als sie seine Honoraransprüche im Anschluß an die für das erste Vierteljahr 1955 getroffene Regelung auch für die spätere Zeit regeln. Bei der nach dem Zweck und der Entstehungsgeschichte gebotenen weiten Auslegung des § 96 SGG (vgl. BSG 5, 162; 11, 147) erscheint es daher geboten, die dem Vertrauensschutz und der Prozeßökonomie dienende Vorschrift auch auf neue Verwaltungsakte auszudehnen, die sich zwar nicht auf den Streitgegenstand im engeren Sinne beziehen, die aber im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses ergehen und ein streitiges Rechtsverhältnis - hier die Honoraransprüche aus der Gesamtvergütung - für einen weiteren Zeitraum regeln, der sich an den von dem angefochtenen Verwaltungsakt erfaßten Zeitraum anschließt.

In der Sache selbst ist der Senat an die Rechtsauffassung des Landessozialgerichts insoweit gebunden, als es davon ausgegangen ist, daß § 3 Buchstabe c des HVM dem Vorstand der beklagten KV nicht das Recht einräumt, in Fällen, in denen in der Preugo für bestimmte Leistungen keine entsprechenden Ziffern angesetzt sind oder in denen die Auslegung streitig ist, nach seinem Ermessen zu verfahren. Denn bei dem HVM der beklagten KV handelt es sich um autonomes Recht (vgl. Hess-Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 199), dessen Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt und das daher nicht revisibel ist (§ 162 Abs. 2 SGG).

Grundlage für die Berechnung der Honoraransprüche des Klägers ist, wie das Landessozialgericht zutreffend ausgeführt hat, nach dem HVM der beklagten KV die Preugo. Denn diese bestimmt in § 10, daß Verrichtungen, für die sie selbst "Gebühren nicht auswirft", nach Maßgabe der Sätze zu vergüten seien, die für gleichwertige Leistungen gewährt werden. Die hier streitigen Leistungen des Klägers werden nach der Feststellung des Landessozialgerichts in zwei Phasen erbracht, nämlich a) der Einspritzung des Kontrastmittels in die Blutader und b) der Beobachtung der Blauausscheidung durch Spiegelung der Blase mit dem Zystoskop (einem katheterähnlichen Instrument). Beide Verrichtungen dienen einem einheitlichen Zweck, nämlich der Ergründung der Nierenfunktion und der Motilität der oberen Harnwege. Diese tatsächlichen Feststellungen hat die Revision nicht angegriffen. Sie rügt zwar, das Landessozialgericht habe dem Antrag des Klägers, den Sachverständigen Prof. Dr. Sch zu vernehmen, nicht stattgegeben und dadurch § 109 SGG verletzt. Diese Rüge greift jedoch nicht durch, weil sich die genannte Vorschrift, nach der ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden muß, nur auf Anträge eines Versicherten, Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen bezieht, also in einem Rechtsstreit anwendbar ist, der Leistungen aus der Sozialversicherung oder Kriegsopferversorgung zum Gegenstand hat und dessen Entscheidung von der Beurteilung des Gesundheitszustandes eines am Verfahren beteiligten Versicherten, Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen abhängt. Um eine solche Streitigkeit handelt es sich aber nicht im vorliegenden Honorarstreit, in dem ärztliche Leistungen in ihrer Auswirkung auf die Honorarverteilung rechtlich zu beurteilen sind.

Im Hinblick auf die vom Sozialgericht eingeholte schriftliche Stellungnahme des Prof. Dr. Sch kann dem Landessozialgericht auch nicht der Vorwurf gemacht werden, es habe gegen die ihm von Amts wegen obliegende Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) verstoßen. Der Sachverständige hatte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 29. Dezember 1956 im wesentlichen ausgeführt, daß zwar die Adgo, nicht aber die hier maßgebende Preugo eine klare Entscheidung zulasse, er hatte sich aber einer Stellungnahme, wie die vom Kläger erbrachten Leistungen nach der Preugo zu berechnen seien, mit Recht enthalten; denn diese unter den Beteiligten streitige Frage hatte das Gericht unter Auslegung der Vorschriften der Preugo allein nach rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Bei dieser Entscheidung hat das Landessozialgericht im übrigen auch den von dem Sachverständigen hervorgehobenen Gesichtspunkt, daß die Blauprobe ohne Zystoskopie nicht ausführbar sei und daß Zystoskopie und Blauprobe ein untrennbares Ganzes darstellen, berücksichtigt.

Bei der rechtlichen Beurteilung der vom Kläger erbrachten Leistungen, deren Durchführung, Zweck und Bedeutung sich aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils klar ergeben, ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, daß es sich um diagnostische Verrichtungen handelt, für die in der Preugo keine besondere Position vorgesehen ist. Die Verrichtungen sind daher gemäß § 10 Preugo nach Maßgabe der Sätze zu vergüten, die für gleichwertige Leistungen gewährt werden. Der Auffassung der Revision, die von dem Kläger erbrachte Leistung sei der in Nr. 62 c Preugo vorgesehenen Verrichtung gleichwertig, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die unter dieser Position aufgeführte Verrichtung betrifft die Spiegelung der Blase "mit Katheterismus der Harnleiter". Diese Leistung erfordert aber nicht nur die Einführung eines Katheters in die Harnblase, sondern darüber hinaus in die Harnleiter. Um eine solche Verrichtung, die - wie es in der Revisionsbegründung heißt - "über die Blase hinausgeht", handelt es sich aber nicht bei der vom Kläger angewandten Untersuchungsmethode. Diese dient zwar auch der Ergründung der Nierenfunktion und der Motilität der oberen Harnwege. Die dazu notwendigen Feststellungen werden aber nicht durch das Katheterisieren der Harnleiter getroffen, sondern auf dem Wege der Blasenspiegelung, nämlich durch das Beobachten der Vorgänge in der Blase, wobei aus dem Auswolken der Blauflüssigkeit aus den Harnleitern Schlüsse auf die Funktion der oberen Harnwege und der Nieren gezogen werden. Das Katheterisieren der Harnleiter gehört zum Wesen der unter Nr. 62 c aufgeführten Leistung; deshalb kann die vom Kläger durchgeführte besondere Art der Blasenspiegelung mit der genannten Verrichtung nicht als gleichwertig angesehen werden. Da die Preugo auch keine andere gleichwertige Leistung vorsieht, ist dem Landessozialgericht darin beizutreten, daß die an sich einheitliche Leistung des Klägers nach zwei Positionen zu bewerten ist, und zwar soweit die Spiegelung der Blase mit Beobachtung der Blasenausscheidung in Betracht kommt, als Verrichtung im Sinne der Nr. 62 b Preugo (Spiegelung der Blase als selbständiger Eingriff) und soweit es sich um das Einspritzen des Kontrastmittels in die Blutader handelt, nach Nr. 25 c Preugo. Zwar bezieht sich Nr. 25 c Preugo auf das Einspritzen von Heilmitteln in die Blutader. Diese Verrichtung ist aber dem Einspritzen eines Kontrastmittels, das in der Preugo nicht aufgeführt ist, gleichwertig, wie das Landessozialgericht zutreffend ausgeführt hat.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Preugo ergibt sich hiernach bei den nach den Mindestsätzen der Preugo zu berechnenden Leistungen des Klägers für die Blasenspiegelung mit Beobachtung der Blauausscheidung (Nr. 62 b Preugo) ein Betrag von 9,- DM. Dieser Betrag erhöht sich infolge Änderung der Mindestsätze der Preugo durch die Verordnung PR Nr. 10/57 vom 8. Juli 1957 (BAnz 1957 Nr. 130 S. 1) auf 12,- DM. Die nach Nr. 25 c Preugo zu bewertende weitere Leistung (Einspritzung des Kontrastmittels in die Blutader) ist mit zwei Drittel des Mindestsatzes, d. h. 4,80 x 2 : 3 = 3,20 DM zu berechnen. Durch diese rechnerische Aufteilung verliert die Tätigkeit des Klägers (Blasenspiegelung mit Blaufunktionsprüfung) aber nicht den Charakter einer einheitlichen und selbständigen Leistung im Sinne des § 5 Preugo; denn das Einspritzen des Kontrastmittels wäre ohne die folgende Blasenspiegelung ohne Sinn, sie ist also nur ein Teil einer einheitlichen, über das Einspritzen hinausgehenden Leistung. Beide Tätigkeiten können nur in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang ausgeführt werden und dienen zusammen als besondere urologische Untersuchungsmethode einem einheitlichen Zweck, nämlich der Funktionsprüfung der Nieren. Die Verrichtung ist daher bis zum Inkrafttreten der VO PR Nr. 10/57 mit 9,- + 3,20 = 12,20 DM und danach mit 12,- + 3,20 = 15,20 DM zu bewerten. Sie stellt hiernach, da der Gebührensatz für die einheitliche Leistung den Betrag von 12,- DM übersteigt, eine große Sonderleistung im Sinne des bis zum 30. September 1957 geltenden HVM der Beklagten dar, während sie vom 1. Oktober 1957 an als Grundleistung zu vergüten ist, weil sie den von diesem Zeitpunkt an nach dem veränderten HVM geltenden Grenzwert von 16,- DM nicht erreicht.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben. Zugleich sind die dem Kläger für die Zeit vom Januar 1955 bis Ende September 1957 erteilten Abrechnungsbescheide insoweit aufzuheben, als darin die hier streitigen Leistungen nach den Positionen Nr. 62 b und Nr. 25 c Preugo als zwei selbständige Grundleistungen im Sinne der HVM behandelt worden sind. Dagegen können die vom Kläger erbrachten Leistungen nicht nach Nr. 62 c Preugo berechnet werden, so daß die Klage insoweit abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324761

NJW 1961, 990

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