Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung eines Honorarbescheids. Ringversuche bei Laborleistungen. Vertrauensschutz

 

Orientierungssatz

1. Von der Geltung des § 45 SGB 10 im Kassenarztrecht kann insoweit ausgegangen werden, als sich die Regelungen im einzelnen nicht aus dem besonderen Charakter der Sozialleistungen iS des § 11 SGB 1 erklären.

2. Nach § 12 Nr 3 EKV ist es Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung, die Rechnungen des Arztes gebührenordnungsmäßig zu prüfen. Ist aber eine Abrechnungsfähigkeit nur gegeben, wenn ihr die Zertifikate über durchgeführte Ringversuche zur Qualitätskontrolle von Laborleistungen vorliegen, so gehört zur gebührenordnungsmäßigen Prüfung, daß sie das Vorliegen der Zertifikate kontrolliert.

3. Zur Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Bestand des Verwaltungsakts bei erheblichem Verschulden der Kassenärztlichen Vereinigung an der Fehlerhaftigkeit von Abrechnungsbescheiden.

 

Normenkette

EKV-Ä § 12 Nr 6, § 13 Nr 4; SGB 10 § 45 Abs 2 S 1 Fassung: 1980-08-18; EKV-Ä § 12 Nr 3; SGB 10 Art 2 § 40 Abs 2 S 3 Fassung: 1980-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 03.03.1983; Aktenzeichen L 5 Ka 31/82)

SG Mainz (Entscheidung vom 20.10.1982; Aktenzeichen S 2 Ka 77/81)

 

Tatbestand

Der Kläger ficht einen Bescheid an, mit dem die Beklagte von ihm 25.301,90 DM zurückfordert, weil er im Jahr 1980 nicht an den Ringversuchen zur Qualitätskontrolle bestimmter Laborleistungen teilgenommen habe.

Der Kläger ist als Facharzt für innere Medizin an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Zur Sicherung der Qualität bestimmter Laborleistungen verlangt die Beklagte, daß die Vertragsärzte jährlich einmal an einem vom Institut für Standardisierung und Dokumentation im medizinischen Laboratorium - Instand - eV durchgeführten Ringversuchen teilnehmen und ihr über die erfolgreiche Teilnahme ein Zertifikat vorlegen. Für die in mehreren Quartalen des Jahres 1980 abgerechneten ringversuchspflichtigen Laborleistungen, für die der Kläger das streitige Honorar erhalten hat, konnte er keine Zertifikate vorlegen, auch nachdem die Beklagte ihn mit Schreiben vom 4. März 1981 dazu aufgefordert hatte. Die Beklagte forderte deshalb vom Kläger Honorare für 1980 abgerechnete Laborleistungen in Höhe von 25.301,90 DM zurück (Bescheid vom 1. Juli 1981; Widerspruchsbescheid vom 25. November 1981).

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe 1980 für insgesamt 25.301,90 DM ringversuchspflichtige Laborleistungen ohne rechtzeitigen Nachweis der erfolgreichen Teilnahme an den Ringversuchen gegenüber der Beklagten abgerechnet. Ohne diesen Nachweis seien aber die Leistungen nach Abschnitt M II Ziffer 7 E-GO nicht abrechnungsfähig. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Beklagte das Verfahren zur Berichtigung mit ihrem Schreiben vom 4. März 1981 rechtzeitig eingeleitet habe. Jedenfalls könne sie den streitigen Betrag nach §§ 45, 50 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - vom 18. August 1980 -BGBl I, 1469 (SGB X) zurückfordern. Der Kläger habe ihr bei den Abrechnungen im Jahr 1980 erklärt, die für Laborleistungen vorgeschriebenen Kontrollen würden gemäß den geltenden Bestimmungen durchgeführt. Diese Erklärung sei unrichtig gewesen, weil der Kläger jedenfalls der Beklagten nicht rechtzeitig die entsprechenden neuen Zertifikate vorgelegt habe. Dazu sei er nach den für 1980 gültigen Richtlinien verpflichtet gewesen. Der Kläger habe mit der Erklärung grob fahrlässig falsche Angaben gemacht, weil er nicht die geringste Vorsorge für die Überwachung des Eingangs der Zertifikate von Instand und deren Weiterleitung an die Beklagte getroffen habe. Die Rückforderung habe nicht nach dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auf die jeweils erste Abrechnung ringversuchspflichtiger Laborleistungen ohne gültiges Zertifikat beschränkt werden können. Allerdings hätte die Beklagte aus den ihr vorliegenden früheren Zertifikaten die jeweilige Gültigkeitsdauer ersehen und deshalb bereits bei der ersten Quartalsabrechnung nach Ablauf der Gültigkeitsdauer die zu Unrecht abgerechneten Laborleistungen streichen können. Die Zurückstellung der Prüfung bis Anfang 1981 könne entgegen der Auffassung der Beklagten nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, daß der Kläger die Abrechnungsvoraussetzungen noch bis zum Ende des Jahres 1980 nachträglich durch Vorlage neuer Zertifikate über spätestens im vierten Quartal erfolgreich durchgeführte Ringversuche hätte erfüllen können. Die Anschlußzertifikate müßten nämlich jeweils spätestens im ersten Quartal erworben werden, das auf den Ablauf der Gültigkeit der vorangegangenen Zertifikate folge. Nach Sinn und Zweck der Bestimmungen über die externe Qualitätskontrolle genüge es nicht, wenn in jedem Kalenderjahr einmal ein Zertifikat für jede ringversuchspflichtige Leistung vorgelegt werde. Die Beklagte habe aber trotzdem nicht pflichtwidrig gehandelt, denn sie habe den Kläger jährlich über die Bedeutung seiner mit den Quartalsabrechnungen abzugebenden Erklärung über die bestimmungsgemäße Durchführung der Kontrollen hingewiesen.

Der Kläger hat Revision eingelegt und macht geltend, er habe Beweis dafür angetreten, daß er auch 1980 an den Ringversuchen teilgenommen habe. Das zurückgeforderte Honorar habe er verbraucht. Er habe mehrere Jahre vor 1980 und wieder bereits vor Empfang des Schreibens vom 4. März 1981 an den Ringversuchen teilgenommen. Deshalb dränge sich die Schlußfolgerung auf, daß auch 1980 die Voraussetzungen des Eichgesetzes erfüllt gewesen seien. Das LSG habe auch die Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verkannt. Bereits bei der Abrechnung des ersten Quartals 1980 hätte die Beklagte ohne weiteres das Fehlen der Zertifikate erkennen können und den Kläger entsprechend unterrichten müssen. Die allgemeine Regelung der §§ 45 und 50 SGB X, auf die das LSG die Rückforderung stütze, sei wegen der Spezialregelung der §§ 13 Abs 4 Satz 2 iVm 12 Abs 3 Arzt/Ersatzkassenvertrag (EKV) nicht anwendbar.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. März 1983 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 20. Oktober 1982 sowie die Bescheide vom 1. Juli 1981 und 25. November 1981 aufzuheben.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Die Beklagte war zur Rückforderung nicht nach § 12 Ziffer 6 EKV berechtigt. Danach werden Forderungen eines Vertragsarztes gegen die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) erst fällig, nachdem gegebenenfalls die rechnerische Prüfung gemäß § 13 Ziffer 4 sowie gegebenenfalls die Prüfung gemäß §§ 14, 15 und 17 oder ein Verfahren nach § 18 durchgeführt und das Ergebnis rechtswirksam geworden ist. Zahlungen der KÄV an die Vertragsärzte bis zu diesem Zeitpunkt sind aufrechnungsfähige und gegebenenfalls rückzahlungspflichtige Vorschüsse. Nach § 13 Ziffer 4 EKV sind Berichtigungen von Rechenfehlern, von Fehlern bei der Anwendung der Gebührenordnung und sonstiger derartiger Fehler spätestens binnen fünf Monaten nach Rechnungslegung - jeweils nach Kalendervierteljahren getrennt - geltend zu machen (Abs 1). Ist die Gebührenordnung in einer aus der Abrechnung nicht erkennbaren Weise falsch angewendet worden, so können nachträglich Berichtigungen binnen drei Monaten nach Kenntnis des Berichtigungsgrundes geltend gemacht werden, jedoch nicht länger als ein Jahr zurück (Abs 2).

Die hier streitigen Berichtigungen sind nicht nach § 13 Ziffer 4 EKV geltend gemacht worden und auch sonst nicht unter dem Vorbehalt des § 12 Ziffer 6 EKV berechtigt. In § 13 EKV geht es nach der Überschrift der Bestimmung um den Abrechnungsverkehr zwischen KÄV und Vertragskassen. Die Geltendmachung von Fehlern bei der Anwendung der Gebührenordnung nach § 13 Ziffer 4 EKV ist als ein Recht der Kasse gegenüber der KÄV gestaltet. Ziel dieser Regelung ist es dagegen nicht, der KÄV das gleiche Recht wie der Kasse einzuräumen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß die KÄV die Rechnungen des Arztes vorher bereits gemäß § 12 Ziffer 3 EKV rechnerisch und gebührenordnungsmäßig geprüft hat. Ein (Selbst-) Berichtigungsrecht entsprechend dem Vorbehalt aus § 12 Ziffer 6 EKV mag der KÄV allerdings zustehen, wenn sie einen Abrechnungsfehler auch bei sorgfältiger Prüfung nicht erkennen konnte. In der erwähnten Bestimmung des § 13 Ziffer 4 Abs 2 EKV sind der Kasse längere Fristen eingeräumt worden, wenn die Gebührenordnung in einer aus der Abrechnung nicht erkennbaren Weise falsch angewendet worden ist. Ob und in welcher Frist die KÄV ein entsprechendes Berichtigungsrecht hat, kann aber im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Die Beklagte hätte jedenfalls bei sorgfältiger Prüfung feststellen können, daß die Abrechnungsvoraussetzungen nicht gegeben waren, denn die dafür zu verlangenden Zertifikate lagen ihr nicht vor.

Der geltend gemachte Anspruch steht der Beklagten auch nicht nach den allgemeinen Regeln über die Rückforderung öffentlich-rechtlicher Leistungen zu. Nach diesen Regeln setzt die Rückforderung, soweit die erbrachte Leistung auf einem Verwaltungsakt beruht, dessen Aufhebung voraus (vgl § 50 Abs 1 SGB X).

Die Beträge, deren Rückforderung die Beklagte geltend macht, sind dem Kläger aufgrund von Verwaltungsakten gezahlt worden, nämlich aufgrund von Abrechnungsbescheiden, die den Honoraranspruch des Kassenarztes regeln. Nach § 12 Ziffer 4 EKV gibt die KÄV dem Vertragsarzt vierteljährlich eine Abrechnung über sein Honorar aus dem Vertrag. Die KÄV hat vorher die Rechnungen des Vertragsarztes rechnerisch und bezüglich der ordnungsgemäßen Anwendung der Gebührenordnung sowie der vertraglichen Bestimmungen richtigzustellen (§ 12 Ziffer 3 EKV). Allerdings enthalten die Abrechnungsbescheide - wie dargelegt - nur eine vorläufige Regelung. Das ändert aber nichts an der Qualifikation der Abrechnung als begünstigender Verwaltungsakt.

Mit Recht hat das LSG den angefochtenen Rückforderungsbescheid dahin ausgelegt, daß die Beklagte damit gleichzeitig die Abrechnungsbescheide in Höhe des Rückforderungsbetrages zurückgenommen hat. Grundlage für die Rücknahme ist die am 1. Januar 1981 in Kraft getretene Bestimmung des § 45 SGB X. Es wird angenommen, daß grundsätzlich das SGB X auch auf das Verwaltungsverfahren aufgrund des Kassenarztrechts anwendbar sei und nur nicht aufgehobene Verfahrensvorschriften, die inhaltlich vom SGB X abweichen, als besondere Regelungen fortgelten (Schirmer KrV 1983, 49, 51). Von der Geltung des § 45 SGB X im Kassenarztrecht kann jedenfalls insoweit ausgegangen werden, als sich die Regelungen im einzelnen nicht aus dem besonderen Charakter der Sozialleistungen iS des § 11 SGB I erklären. Die Rücknahmebestimmung des § 45 SGB X ist zeitlich anwendbar, weil zwar die Abrechnungsbescheide vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden sind, der aufhebende Verwaltungsakt aber erst am 1. Juli 1981 ergangen ist (Art II § 49 Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB X). Zu den Verwaltungsakten in der Sozialversicherung, für die die besondere Regelung des Art II § 40 Abs 2 Satz 3 SGB X gilt, gehört der Abrechnungsbescheid der KÄV nicht. Darüber hinaus können Verwaltungsakte nicht nach § 45 SGB X aufgehoben werden, wenn sie vor dem 1. Januar 1981 erlassen waren und nach den bisherigen Rechtsvorschriften einen größeren Bestandsschutz hatten als nach § 45 SGB X (Schroeder-Printzen, Kommentar zum SGB X Art II § 40 Anm 3; Pappai KrV 1984, 181, 189). Für die Abrechnungsbescheide der KÄV'en gab es aber keinen größeren Bestandsschutz. Sie konnten nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zurückgenommen werden. Nach diesen Grundsätzen kam es darauf an, ob im Einzelfall des schutzwürdigen Interesse des Begünstigten am Bestand oder das öffentliche Interesse an der Aufhebung des Verwaltungsakts überwiegt (BSGE 31, 190, 195 f).

Nach § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Vom - subjektiven - Vertrauen des Klägers in den Bestand der Abrechnungsbescheide kann ausgegangen werden. Das Vertrauen ist bei Fehlen entgegenstehender Anhaltspunkte zu bejahen (Schroeder-Printzen/Wiesner aaO § 45 Anm 3.1); an solchen Anhaltspunkten fehlt es hier.

Dieses Vertrauen des Klägers ist auch unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an der Rücknahme - objektiv - schutzwürdig.

Ein schwerwiegender Grund für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist im vorliegenden Fall das erhebliche Verschulden der Beklagten an der Fehlerhaftigkeit der Abrechnungsbescheide. Bei diesen Bescheiden ist die Beklagte von einer falschen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Rechtswidrigkeit der Bescheide hat das LSG angenommen, weil die streitigen Laborleistungen nach Abschnitt M II Ziffer 7 der Ersatzkassengebührenordnung (EGO) nicht berechnungsfähig gewesen seien. Laborleistungen eines Vertragsarztes sind nach dieser Bestimmung nur dann berechnungsfähig, wenn die Richtigkeit der Analysen nach den Methoden der geforderten statistischen Qualitätskontrolle und durch die Teilnahme an Ringversuchen mit positivem Ergebnis gegenüber der KÄV nachgewiesen ist. Die Durchführung der Qualitätssicherung erfolgt nach den hierfür geltenden Bestimmungen der für den abrechnenden Vertragsarzt zuständigen KÄV. Zur berechnungsfähigen Leistung gehört auch die Vorlage der Anschlußzertifikate jeweils spätestens im ersten Quartal, das auf den Ablauf der Gültigkeit der vorausgegangenen Zertifikate folgt. Nach den Richtlinien der Beklagten für 1980 war der Kläger verpflichtet, die entsprechenden neuen Zertifikate rechtzeitig der Beklagten vorzulegen. Die Zertifikate für die streitigen Leistungen haben aber der Beklagten nicht vorgelegen. Trotzdem hat sie die Leistungen abgerechnet.

Diese Rechtswidrigkeit der Abrechnungsbescheide fällt damit in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Allerdings hat der Kläger seine Pflicht zur Vorlage der Zertifikate nicht erfüllt. Er hat aber nicht die Rechtswidrigkeit der Abrechnungsbescheide verursacht. Ursache dafür, daß die Beklagte die streitigen Leistungen abgerechnet hat, ist vielmehr ihre eigene falsche Beurteilung der Rechtslage gewesen. Daß keine Zertifikate über erfolgreich durchgeführte Ringversuche vorlagen, hat die Beklagte in Kauf genommen. Nach § 12 Ziffer 3 EKV wäre es indessen ihre Aufgabe gewesen, die Rechnungen des Arztes gebührenordnungsmäßig zu prüfen. Ist aber eine Abrechnungsfähigkeit nur gegeben, wenn die Zertifikate ihr vorliegen, so gehört zur gebührenordnungsmäßigen Prüfung, daß sie das Vorliegen der Zertifikate kontrolliert.

Die Beklagte ist allerdings der Meinung, daß die Vorlage neuer Zertifikate über spätestens im vierten Quartal durchgeführte Ringversuche genügt hätte. Nach dieser Rechtsansicht kam es auf die Vorlage in den vorangegangenen Quartalen nicht an. Aber auch die Abrechnung des vierten Quartals durfte die Beklagte nicht ohne die Zertifikate vornehmen, zumal da nach ihrer eigenen Auffassung die Ringversuche jedenfalls im vierten Quartal erfolgreich durchgeführt sein mußten. Wegen dieser Versäumnisse der Beklagten ist ein Verschulden des Klägers nicht wirksam geworden, so daß die Beklagte den Fehler allein verursacht hat. Dies spricht für ein Überwiegen des Vertrauensschutzes gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme des Verwaltungsakts (vgl BSGE 10, 72, 76 f; zur Frage der Interessenabwägung nach § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X s auch Urteil des BSG vom 14. Juni 1984 - 10 RKg 5/83 -).

Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger wissen mußte, daß die Zertifikate der Beklagten nicht vorlagen (vgl insoweit BVerwG DVBl 1982, 795, 798). Zwar bewirkte dieser Umstand nach der objektiven Rechtslage die Rechtswidrigkeit der Bescheide, aber nach der eigenen Auffassung der Beklagten war die Rechtslage anders zu beurteilen. Hinzu kommt die Verantwortung der Beklagten für die Kontrolle der Zertifikate, der eine besondere Bedeutung beizumessen ist. Es geht nämlich bei der Vorlage der Zertifikate nicht nur um die Abrechnungsfähigkeit der erbrachten Leistungen, sondern vielmehr auch darum, daß die Leistungen, insbesondere auch die in Zukunft noch zu erbringenden, den Anforderungen der Qualitätssicherung entsprechen. Die Beklagte ist nach ihrem Auftrag, die kassenärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen, verpflichtet, insoweit auch die Qualität der Leistungen zu überwachen. Diese besondere Verantwortung der Beklagten hat sich andererseits auch auf das Vertrauen des Klägers in den Bestand der Abrechnungsbescheide ausgewirkt, denn er bekam mit jedem neuen Bescheid einen zusätzlichen Grund für die Annahme, daß seine Leistungen kontrolliert sind und den Anforderungen der Qualitätskontrolle entsprechen.

Allerdings kann nach der Bestimmung des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X - die hier allein in Frage kommt - sich der Begünstigte auf Vertrauen dann nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Die Abrechnungsbescheide der Beklagten beruhen indessen nicht auf Angaben des Klägers. Für das Beruhen müssen die Angaben gerade für die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes ursächlich gewesen sein (Schroeder-Printzen/Wiesner aaO § 45 Anm 4.4). Die Abrechnungsbescheide der Beklagten sind zwar fehlerhaft gewesen, weil ihr die Zertifikate nicht vorlagen. Nach ihrer eigenen Auffassung war aber deren objektiv rechtzeitige Vorlage nicht einmal Voraussetzung für die Abrechnungsfähigkeit der Leistungen. Sie hat deshalb noch im März 1981 nach den Zertifikaten gefragt. Aus diesem Grund kann die Erklärung des Klägers bei den jeweiligen Abrechnungen, die für die Laborleistungen vorgeschriebenen Kontrollen würden gemäß den geltenden Bestimmungen durchgeführt, nicht Ursache für die Fehlerhaftigkeit der Bescheide sein. Es fehlt überdies an der Unrichtigkeit der Erklärungen, denn sie können nicht dahin ausgelegt werden, daß der Kläger damit die rechtzeitige Vorlage der Zertifikate erklärt hätte. Bei dieser Auslegung hätten nämlich die Erklärungen keinen Sinn, denn vorzulegen waren die Zertifikate der Beklagten. Die Beklagte, die die Zertifikate der pflichtgemäß handelnden Ärzte in Besitz haben müßte, braucht sich die Vorlage nicht von den Ärzten bestätigen zu lassen.

Aus allen diesen Gründen führt die Revision zum Erfolg. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663077

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