Leitsatz (amtlich)

1. Zum Begriff des "Verschweigens" iS des VersorgVerfG § 66 Abs 1 Nr 5 bzw KOV-VfG § 42 Abs 1 Nr 3.

2. Zum Begriff der nachträglich aufgefundenen Urkunde, die eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würde (VersorgVerfG § 66 Abs 1 Nr 11, KOV-VfG § 42 Abs 1 Nr 9).

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat das LSG fehlerhaft die Zulassung der Revision auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränkt, so wird dadurch nicht die Zulassung als solche zu Fall gebracht, da anzunehmen ist, daß das LSG, wenn es sich der Unzulässigkeit der von ihm ausgesprochenen Beschränkung der Zulassung bewußt gewesen wäre, die Zulassung unbeschränkt ausgesprochen hätte (Vergleiche BSG 1962-04-25 3 RK 21/58 = SozR Nr 170 zu § 162 SGG).

 

Normenkette

KOVVfG § 42 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1955-05-02, Nr. 9 Fassung: 1955-05-02; SGG § 162 Fassung: 1953-09-03; VersorgVfG § 66 Abs. 1 Nrn. 5, 11

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Oktober 1961 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger war vom 2. November 1938 bis 25. März 1939 beim Reichsarbeitsdienst und leistete vom 28. August 1939 bis 25. September 1942 Wehrdienst. Er beantragte am 17. März 1947 bei dem damals für die Kriegsopferversorgung zuständigen Landrat des Kreises St. G Versorgung wegen "Granatsplitterverletzung am rechten Becken, rechten Oberschenkel und rechten Fuß, Quetschung und Verschiebung des Beckens und der Hüfte durch anschließenden Unfall, Diphtherie, Mittelohrentzündung". Er gab hierzu an, er sei bei einem Fliegerangriff auf seine marschierende Einheit am 11. Mai 1940 durch Granatsplitter verwundet worden, als er im Straßengraben lag. Durch den Fliegerangriff seien die Pferde des Schmiedewagens scheu geworden und mit dem Wagen davongerannt. Dieser Wagen sei ihm über Becken und Hüften gefahren. Wegen seiner Verletzungen sei er vom 11. Mai 1940 bis 25. September 1942 in den Reservelazaretten B, K und H in Behandlung gewesen. Auf dem Antragsformular, das von dem Angestellten N ausgefüllt wurde, befindet sich ein in Rotstift geschriebener Vermerk: "Hatte bereits in K Antrag gestellt, der nicht mehr entschieden wurde." Nach Untersuchung durch den Kreisarzt von St. G am 15. April 1947, der eine fast vollkommene Lähmung der gesamten unteren Körperhälfte als Folge der bei dem Unfall am 11. Mai 1940 erlittenen Verletzungen diagnostizierte und Wehrdienstbeschädigung bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. annahm, erkannte der Landrat des Kreises St. G in der Benachrichtigung vom 22. April 1947 als Dienstbeschädigung "Zustand nach Verletzung des knöchernen Beckens mit fast völliger Lähmung der unteren Körperhälfte" bei einer MdE um 100 v. H. an. Durch Bescheid vom 31. Mai 1948 erhielt der Kläger rückwirkend vom 1. August 1947 an Versorgungsbezüge nach einer MdE um 100 v. H. Die Versorgungsbezüge wurden mit Bescheid vom 30. Mai 1950 nach dem Landesversorgungsgesetz von Rheinland-Pfalz vom 18. Januar 1949 neu festgestellt.

Auf Anfrage des Landesversorgungsamts (LVersorgA) Rheinland-Pfalz teilte die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen in B mit Schreiben vom 7. August 1950 folgende Lazarettmeldungen über den Kläger mit:

"10.5.1940

S/Lux. le. verwundet d. st. Gew. Bombe Beckenbruch, abgegeben an Tr. V. Platz Sandweiler

17.5.40

Res. Laz. 111 B: Beckenbruch (Quetsch. re. Gluturs)

27.6.40

Res. Laz. 105 B: Beckenquetschung

29.10.40

Res. Laz. 113 B: Quetschung Becken

 u. Hüfte

19.11.40

Res. Laz. 102 P: Beckenprellung

8.8.41

Res. Laz. K: Folge nach Beckenprellung

17.2.42

Res. Laz. H: 11.5.40 Hyster . Reaktion

31.3.42

" " ": Di.

25.4.42

" " ": Psych. Gehstörung

26.9.42

- 4.6.43 ": " "."

Das Versorgungsamt (VersorgA) K holte ferner einen ärztlichen Bericht von der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik der Universität H vom 8. Februar 1951 über den Kläger ein, der sich in der Zeit vom 17. Februar 1942 bis 4. Juni 1943 in stationärer Behandlung in der Lazarettabteilung dieser Klinik befand. Die Ärzte dieser Klinik Dr. M und Dr. Sch teilten mit, daß röntgenologisch an der Wirbelsäule und am Becken kein krankhafter Befund festzustellen gewesen sei. Am 4. August 1942 sei ein Dienstunfähigkeitszeugnis ausgestellt worden, das zur Entlassung aus der Wehrmacht am 25. September 1942 wegen schwerer seelischer Abartigkeit von Krankheitswert geführt habe. Da der Kläger wegen seiner psychogenen Körperstörungen noch fachärztlicher stationärer Behandlung bedurft habe, sei er als Versorgungskranker weiterhin im Lazarett geblieben.

Die damals vorhandenen Störungen seien als auf einer abnormen seelischen Abartigkeit beruhend angesehen und ihr Zusammenhang mit dem Wehrdienst verneint worden.

Mit Bescheid vom 12. März 1951 hob das VersorgA die Benachrichtigung vom 22. April 1947 und die folgenden Bescheide nach § 84 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) i. V. m. § 66 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen idF vom 20. März 1928 (VersorgVerfG) auf, da der Kläger Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, bei der Antragstellung verschwiegen und wissentlich falsche Angaben gemacht habe. Die bei ihm vorhandenen Gesundheitsstörungen seien nicht eine Folge der am 11. Mai 1940 erlittenen Beckenprellung, sondern beruhten auf einer angeborenen schweren seelischen Abartigkeit.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Berufung beim Versorgungsgericht Koblenz eingelegt, die nach § 215 Abs. 2 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) Koblenz übergegangen ist. Während des Klageverfahrens gelangte eine Reihe von Krankenunterlagen aus den Jahren 1941/42 zu den Rentenakten des VersorgA. Nach einem wehrmachtsärztlichen Zeugnis über Dienstunfähigkeit, Wehrdienstbeschädigung, Fürsorge und Versorgung vom 4. August 1942 bestand bei dem Kläger eine schwere seelische Abartigkeit von Krankheitswert. Er habe am 11. Mai 1940 bei einem Fliegerangriff eine Beckenprellung erlitten, für die Wehrdienstbeschädigung anzunehmen sei. Objektive Zeichen dieser Schädigung seien jedoch nicht mehr nachweisbar. Das sonstige Zustandsbild sei Ausdruck einer neurotisch-hysterischen Reaktionsbereitschaft, die anlagemäßig bedingt sei. Ein durch den Wehrdienst erworbener oder verschlimmerter Körperschaden sei nicht mehr festzustellen. Auf Antrag des Klägers nach § 104 VersorgVerfG hat das Versorgungsgericht ein Gutachten der Nervenklinik der Universität F vom 22. November 1954 eingeholt. Der Oberarzt dieser Klinik, Prof. Dr. J, ist in einem sehr eingehenden und umfangreichen Gutachten zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, daß das Leiden des Klägers nicht in direktem ursächlichem Zusammenhang mit einer Wehrdienstbeschädigung entstanden sei. Auch sei eine Verschlimmerung durch die am 11. Mai 1940 erlittene Verwundung nicht eingetreten. Eine Berentung könne daher nicht erfolgen; es erscheine aber als unbillige Hörte, die zu Unrecht erhaltenen Leistungen zurückzufordern. Durch Urteil vom 15. Februar 1955 hat das SG Koblenz die Klage abgewiesen; es hat den auf § 66 Abs. 1 Nr. 5 VersorgVerfG gestützten Bescheid vom 12. März 1951 als rechtmäßig angesehen, weil der Kläger bei der Antragstellung am 17. März 1947 verschwiegen habe, daß er in der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik der Universität H in den Jahren 1942/43 wegen einer psychogenen Haltungsanomalie behandelt worden sei. Er habe weiterhin verschwiegen, daß ihm bei der Entlassung mitgeteilt wurde, sein Leiden sei keine Schädigungsfolge und er könne deswegen auch keine Rente erhalten. Hierbei sei es von keiner rechtserheblichen Bedeutung, daß der Kläger angeblich bis Kriegsende keinen formellen Bescheid erhalten habe. In sachlicher Hinsicht hat das SG den ursächlichen Zusammenhang der psychogenen Störungen mit der Verwundung oder dem Unfall des Klägers im Mai 1940 auf Grund der vorliegenden ärztlichen Beurteilungen verneint.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) diesen zunächst in der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1956 persönlich gehört. Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger ein Gutachten des Psychotherapeuten Dr. K vom 12. März 1957 vorgelegt, in dem dieser zu dem Ergebnis gelangt ist, daß es sich bei den vom Kläger angegebenen Beschwerden nicht um ein körperliches Leiden, sondern um die Auswirkung einer seelischen Störung handle, die bis in die frühe Kindheit zurückgehe. Die Verwundung am 11. Mai 1940 habe für den Kläger eine traumatische Wiederholung der gesamten neurotisierenden Kindheitssituation bedeutet, so daß die Kriegseinwirkung in einem in psychischem Sinne ursächlichen Zusammenhang mit dem jetzigen Zustandsbild stehe. Ohne die traumatische Kriegseinwirkung hätte für den Kläger eine durchaus reale Chance für die positive Überwindung seiner Lebenskonflikte bestanden. Die Frage, ob der Wehrdienst bei der Entstehung der Schädigung mitgewirkt habe, sei zu bejahen, da die Gesundheitsstörung ohne diese wesentliche Mitwirkung nicht oder nicht in der gleichen Art, dem gleichen Maße oder der gleichen Zeit eingetreten wäre. Diesem Gutachten des Dr. K ist der Beklagte mit einer Stellungnahme des Neurologen Dr. St vom 1. Juli 1957 entgegengetreten. Das LSG hat daraufhin auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG noch das Gutachten der Universitäts-Nervenklinik T vom 17. Dezember 1958 eingeholt. Der Sachverständige Dr. L hat die vom Gericht gestellten Fragen dahin beantwortet, daß es sich bei dem Kläger um eine durch krankhafte Muskelspannung bedingte Sperrung der Beweglichkeit der Beine handle. Diese Muskelspannung sei als Folge einer abnormen seelischen Reaktion entstanden und werde mehr und mehr durch ungünstige prospektive Tendenzen unterhalten. Gleichzeitig spiele für das Zustandekommen dieser Reaktion die abnorme Charaktervariante eine Rolle. Die Erscheinungen seien nicht eine Folge des Wehrdienstes oder der während desselben erlittenen Verletzung im Mai 1940.

Nachdem das LSG in der mündlichen Verhandlung am 29. April 1960 auf rechtliche Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 42 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) hingewiesen und den Beteiligten aufgegeben hatte, sich zu diesen Rechtsfragen binnen eines Monats schriftlich zu äußern, hat der Beklagte weitere Ermittlungen eingeleitet und in den Akten des Landratsamts St. G (Fürsorgestelle) ein Schreiben des Landrats vom 4. August 1944 an die Kreisamtsleitung der NSKOV in B gefunden, in dem folgendes mitgeteilt wird: "Der bei Sch vorliegende Körperschaden ist bis heute noch nicht als Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden. S hat durch die NSKOV Gaudienststelle in K nichts unversucht gelassen, seinen Anspruch durchzudrücken. Es haben sich hiermit schon sämtliche höheren Stellen befaßt, jedoch ist der Erfolg bis heute immer negativ gewesen. Erreicht wurde nur, daß Sch ab 1.11.1942 eine Zuwendung von monatlich 58,- RM erhält, außerdem wird ihm im Bedarfsfalle und auf Antrag Heilfürsorge gewährt."

In der mündlichen Verhandlung am 20. Oktober 1961 hat das LSG noch den Verwaltungsangestellten N, der den Versorgungsantrag des Klägers am 17. März 1947 aufgenommen hatte, als Zeuge vernommen. Er hat u. a. ausgesagt, der Zusatz in Rotstift auf diesem Antrag: "hatte bereits in K Antrag gestellt, der nicht mehr entschieden wurde", stamme der Schrift nach von dem inzwischen verstorbenen Oberinspektor M. Durch Urteil vom 20. Oktober 1961 hat das LSG Rheinland-Pfalz auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG Koblenz vom 15. Februar 1955 und den Bescheid des VersorgA K vom 12. März 1951 aufgehoben; es hat die Revision zugelassen. Das LSG hat den Bescheid vom 12. März 1951 nicht für rechtmäßig gehalten, weil weder § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG noch § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG Anwendung finden könnten. Der Kläger habe keine Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, verschwiegen, da der handschriftliche Zusatz auf dem Antragsformular nach der Aussage des Zeugen N nicht von dem Kläger stamme. Es könne auch dahingestellt bleiben, ob der Kläger über die Ansichten der ihn behandelnden Ärzte der H Klinik, es liege Wehrdienstbeschädigung nicht vor, informiert gewesen sei und ob er bereits im Kriege einen ablehnenden Bescheid der damaligen Versorgungsverwaltung erhalten habe. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ändere dies an der rechtlichen Beurteilung, ob der Kläger Tatsachen wissentlich verschwiegen habe, nichts. Das Antragsformular enthalte keine Frage darüber, welcher Ansicht die Lazarettärzte über sein Leiden gewesen seien. Er habe die Lazarette, in denen er behandelt worden sei, angegeben, so daß die Versorgungsbehörde hätte wenigstens versuchen können, die Lazarettunterlagen beizuziehen. Auch hätte die Behörde bei dem Kläger nach früheren Versorgungsanträgen und Bescheiden rückfragen können. Die Mitwirkungspflicht eines Antragstellers im Versorgungsverfahren bedeute nicht, daß er von sich aus von vornherein alle für eine Entscheidung möglicherweise wesentlichen Angaben zu machen habe. Erst wenn der Antragsteller auf Befragen ihm bekannte Tatsachen nicht mitteile, könne von einem "Verschweigen" i. S. des Gesetzes gesprochen werden. Im übrigen habe der Kläger im Jahre 1947 berechtigterweise der Meinung sein können, daß die während des Dritten Reiches ergangenen Versorgungsgesetze durch die Kontrollratsgesetzgebung der Alliierten aufgehoben gewesen und damit alle während des Krieges erlassenen Bescheide rechtsunwirksam seien.

Das LSG führt in dem angefochtenen Urteil weiter aus, der Bescheid vom 12. März 1951 könne auch nicht darauf gestützt werden, daß nachträglich eine zur Zeit der Entscheidung bereits vorhandene Urkunde, die eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würde, gefunden worden ist. Als derartige Urkunden kämen die Lazarettunterlagen der Neurologischen und Psychiatrischen Klinik der Universität H, das DU-Zeugnis vom 4. August 1942 und die den Kläger betreffenden Akten der Kriegsopferfürsorgestelle des Landratsamts St. G aus dem Jahre 1944/45 in Betracht. Alle diese Urkunden hätten jedoch, wenn sie vor der Erteilung der Benachrichtigung vom 22. April 1947 vorgelegen hätten, nicht zu einer anderen Entscheidung geführt. Zwar sei dies möglicherweise der Fall gewesen, die bloße Möglichkeit einer anderen Entscheidung genüge jedoch nach der Rechtsprechung des früheren Reichsgerichts (RGZ 151, 203) nicht. In § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG heiße es nicht, die aufgefundene Urkunde müsse zur Herbeiführung einer anderen Entscheidung geeignet sein, sondern vielmehr, die Urkunde müsse eine andere Entscheidung herbeigeführt haben. Es sei hiernach für die Wiederaufnahme des Versorgungsverfahrens erforderlich, daß die aufgefundene oder verwertbar gewordene Urkunde unmittelbar und für sich allein - auf den damaligen Verfahrensstand bezogen - zu einer anderen Entscheidung geführt haben würde. Im vorliegenden Falle wäre die Versorgungsbehörde ohne die Einholung eines ärztlichen Gutachtens schon deshalb nicht ausgekommen, weil die medizinische Beurteilung der Gesundheitsstörungen des Klägers unbestrittenermaßen besonders schwierig sei. Es könne daher nicht gesagt werden, die aufgefundenen Urkunden hätten nach Lage der Dinge ohne weitere Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung geführt. Ferner sei eine Urkunde nur dann aufgefunden und verwertbar i. S. des § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG, wenn sie einem Beteiligten bislang für jede Art des Urkundenbeweises unbekannt und unzugänglich gewesen sei. Dafür fehle aber jeder Anhaltspunkt, weil die Versorgungsbehörde die Krankenunterlagen ebenso wie im Jahre 1951 auch schon im Jahre 1947 hätte beiziehen können. Erst recht wäre es der Versorgungsbehörde möglich gewesen, die den Kläger betreffenden Unterlagen der Kriegsopferfürsorgestelle des Landratsamts St. G aus dem Jahre 1944/45 zu erlangen.

Gegen das ihm am 27. Dezember 1961 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Januar 1962, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 12. Januar 1962, Revision eingelegt und beantragt,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20. Oktober 1961 aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte hat die Revision innerhalb der bis zum 27. März 1962 verlängerten Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 21. März 1962, eingegangen beim BSG am 23. März 1962, begründet. Er rügt zunächst, das LSG habe zu Unrecht die Vorschriften der §§ 42, 43 VerwVG für anwendbar gehalten, da der angefochtene Bescheid vom 12. März 1951 vor Inkrafttreten des VerwVG ergangen sei. Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides komme lediglich § 66 VersorgVerfG in Betracht. Allerdings könne dem Kläger nach erneuter Prüfung der Vorwurf des Verschweigens von für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen nicht gemacht werden, so daß der Bescheid vom 12. März 1951 nicht mehr auf § 66 Abs. 1 Nr. 5 VersorgVerfG gestützt werde. Dagegen habe das LSG zu Unrecht die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG nicht als gegeben angesehen. Er - der Beklagte - sei mit Rücksicht auf die Zeitumstände nicht in der Lage gewesen, die wehrmachtärztlichen Unterlagen schon früher zu benutzen. Auch sei es bei dem klaren Inhalt dieser Urkunden nicht verständlich, wenn das Berufungsgericht für den Fall des rechtzeitigen Vorliegens der Krankenunterlagen nur von der Möglichkeit einer gegenteiligen Entscheidung spreche. Selbst wenn man der Ansicht des LSG zustimmen wolle, daß der angefochtene Bescheid nicht auf § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG gestützt werden kann, sei die Rentenentziehung durch den während des Revisionsverfahrens ergangenen, auf § 41 VerwVG gestützten Bescheid vom 20. Februar 1962 rechtmäßig. Dieser Bescheid gelte nicht nach § 171 Abs. 2 SGG als mit der Klage vor dem SG angefochten, weil er die gleiche Rechtsfolge wie der streitige Bescheid ausspreche (BSG in SozR SGG § 171 Bl. Da 1 Nr. 3). Der Berichtigungsbescheid vom 20. Februar 1962 sei trotz seiner Form und seines Wortlauts eigentlich nur die richtige rechtliche Begründung für den angefochtenen Bescheid, die auch schriftsätzlich hätte nachgeschoben werden können. Das BSG habe daher den Berichtigungsbescheid vom 20. Februar 1962 in seine Prüfung einzubeziehen. Dieser Bescheid sei auch sachlich gerechtfertigt, da jede entfernt liegende Möglichkeit, daß die Gesundheitsstörungen des Klägers durch Feindeinwirkung oder Unfall im Jahre 1940 verursacht oder nur zu geringsten Teilen mitverursacht werden konnten, ausgeschlossen erscheine. Im übrigen würden nach dem Berichtigungsbescheid die überzahlten Versorgungsbezüge nicht zurückgefordert, da dem Kläger der Vorwurf eines Verschweigens wesentlicher Tatsachen i. S. des § 66 Abs. 1 Nr. 5 VersorgVerfG nicht gemacht werden könne.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Er trägt in der Revisionserwiderung vom 5. Mai 1962, auf die Bezug genommen wird, insbesondere noch vor, der Beklagte sei durch das von ihm angefochtene Urteil nicht beschwert, weil er in der Revisionsbegründung selbst vorgetragen habe, daß dem Kläger nach erneuter Überprüfung der Vorwurf einer wissentlich falschen Angabe oder des Verschweigens von für die frühere Entscheidung wesentlichen Tatsachen nicht gemacht werden kann. Der Beklagte sei auch insoweit nicht beschwert, als er neuerdings sein Begehren auf § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG stütze; denn das LSG habe die Revision nur hinsichtlich der Frage zugelassen, ob der Kläger als Antragsteller im Jahre 1947 verpflichtet war, der Versorgungsbehörde, ohne danach gefragt zu sein, von dem Inhalt eines ablehnenden Bescheides während des Krieges Mitteilung zu machen. Liege damit eine beschränkte Zulassung der Revision vor, so könne der Beklagte das Urteil des LSG nur mit der Rüge von Verfahrensmängeln oder damit angreifen, daß er sein Begehren auf § 66 Abs. 1 Nr. 5 VersorgVerfG gestützt hätte. Da dies nicht der Fall sei, habe die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, die zur Zulassung der Revision geführt habe, keine Bedeutung mehr. Der auf § 41 VerwVG gestützte Berichtigungsbescheid vom 20. Februar 1962 sei entgegen der Ansicht des Beklagten im Hinblick auf § 171 Abs. 2 SGG nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden und könne daher vom BSG nicht nachgeprüft werden. Das LSG habe dem Beklagten durch den Auflagebeschluß vom 29. April 1960 die Möglichkeit gegeben, durch Nachschieben von Gründen den angefochtenen Bescheid vom 12. März 1951 auch auf § 41 VerwVG zu stützen. Darauf sei der Beklagte nicht eingegangen. Das Einführen des Berichtigungsbescheides vom 20. Februar 1962 in das Revisionsverfahren stelle somit eine unzulässige Klageänderung i. S. des § 168 SGG dar. Vorsorglich werde hinsichtlich des Berichtigungsbescheides die Einrede der Verwirkung erhoben, weil der Beklagte 14 Jahre gewartet habe, um einen Berichtigungsbescheid zu erlassen.

Die durch Zulassung statthafte Revision des Beklagten (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Die Revision des Beklagten ist auch begründet.

Das LSG ist in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, daß sich die Voraussetzungen für die Wideraufnahme des Versorgungsverfahrens im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 12. März 1951 nach den §§ 66 bis 69 Versorg-VerfG richteten. Da diese Vorschriften am 1. April 1955 mit dem Inkrafttreten des VerwVG außer Kraft getreten sind, seien nunmehr als Grundlage für den angefochtenen Bescheid die Vorschriften des § 42 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 9 VerwVG maßgebend, die sich mit dem Wortlaut der Nrn. 5 und 11 des § 66 Abs. 1 VersorgVerfG fast völlig deckten. Der Beklagte rügt insoweit zutreffend, daß das LSG seiner Entscheidung die Vorschriften der §§ 42, 43 VerwVG zugrunde gelegt hat. Nach § 84 Abs. 3 des am 1. Oktober 1950 in Kraft getretenen BVG verblieb es hinsichtlich des Verwaltungs- und Spruchverfahrens bis zu einer anderweiten gesetzlichen Regelung bei den bisherigen Vorschriften. Für die Prüfung der Frage, ob der Bescheid vom 12. März 1951 rechtmäßig ist, sind daher nach § 15 des Landesversorgungsgesetzes von Rheinland-Pfalz vom 18. Januar 1949 (GVBl 1949 S. 11) die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen idF vom 20. März 1928 (RGBl I S. 71) maßgebend. Die Vorschriften der §§ 42, 43 VerwVG sind im vorliegenden Falle auch nicht für die Zeit vom Inkrafttreten des VerwVG an (1. April 1955) anzuwenden, da diese Vorschriften nicht über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des VerwVG zurückwirken. Der angefochtene Bescheid vom 12. März 1951 ist ein Bescheid ohne Dauerwirkung, durch den die vorangegangenen Bescheide mit Dauerwirkung aufgehoben worden sind. Seinem Wesen nach konnte dieser Bescheid durch eine spätere Änderung der maßgebenden gesetzlichen Vorschriften nicht betroffen werden (vgl. hierzu BSG 6, 288, 290, 291 und 13, 232, 237, 238). Die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12. März 1951 ist daher auf der Grundlage des § 66 Abs. 1 Nr. 5 und 11 VersorgVerfG zu prüfen. Nach § 66 Abs. 1 Nr. 5 VersorgVerfG kann ein durch rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenes Verfahren auf Antrag oder von Amts wegen wieder aufgenommen werden, wenn Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen worden sind. Unter "rechtskräftige Entscheidung" sind die nach der damaligen Rechtslage verbindlich gewordenen und durch den angefochtenen Bescheid vom 12. März 1951 aufgehobenen Bescheide des Landrats von St. G vom 22. April 1947 und 31. Mai 1948 zu verstehen. Eine Prüfung der Voraussetzungen dieser Vorschrift erübrigt sich nicht etwa deswegen ohne weiteres, weil - wie der Kläger meint - der Beklagte in der Revisionsbegründung ausgeführt hat, daß dem Kläger der Vorwurf der wissentlich falschen Angabe oder des Verschweigens von Tatsachen, die für die frühere Entscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen wären, nicht gemacht werden kann. Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. BSG 1, 52, 56; 3, 180, 186), sind bei einer nach § 162 Abs. 1 SGG statthaften Revision Verletzungen des materiellen Rechts in vollem Umfange und unabhängig von etwaigen Rügen der Beteiligten nachzuprüfen (vgl. hierzu auch Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur SGb Anm. 2 zu § 162).

Zu dem Begriff des "Verschweigens" i. S. des § 66 Abs. 1 Nr. 5 VersorgVerfG kann die Rechtsprechung des BSG zu dem damit wörtlich übereinstimmenden § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG unbedenklich übernommen werden. Der erkennende Senat hat hierzu bereits in seinem Urteil vom 14. Dezember 1960 - 10 RV 405/57 - Stellung genommen. Er hat dort ausgeführt, daß ein "Verschweigen" jedenfalls begrifflich mehr voraussetzt als lediglich ein Nichtmitteilen, ein objektiv feststellbares Nichttätigwerden. Unter Verschweigen ist das bewußte Vorenthalten einer Tatsache zu verstehen, die als wesentlich für die Entscheidung "erkannt" worden ist. Das Verschweigen erfordert also über die äußere Tatsache des Nichtmitteilens hinaus die Feststellung der inneren Tatsache, daß der Empfänger der Versorgungsbezüge wesentliche Tatsachen in dem Bewußtsein nicht mitgeteilt hat, etwas zu verheimlichen, was zu offenbaren seine Pflicht gewesen wäre. Im vorliegenden Falle ist das LSG in dem angefochtenen Urteil zu der Überzeugung gelangt, es könne dem Kläger nicht nachgewiesen werden, daß der auf dem formularmäßigen Antrag vom 17. März 1947 mit Rotstift geschriebene Zusatz "hatte bereits in Koblenz Antrag gestellt, der nicht mehr entschieden wurde" auf Angaben des Klägers selbst beruht. Ob der Kläger über die Ansichten der ihn behandelnden Ärzte der Heidelberger Klinik zur Frage der Wehrdienstbeschädigung informiert war und ob er nach der Entlassung am 25. September 1942 einen ablehnenden Bescheid der damaligen Versorgungsbehörde erhalten hat, hat das LSG dahingestellt gelassen, weil es nach seiner Rechtsauffassung nicht darauf ankam. Es hat aber in diesem Zusammenhang festgestellt, daß der Kläger damit rechnen konnte und mußte, die Versorgungsbehörde werde auf Grund seiner Antragstellung eingehende Ermittlungen anstellen und die Unterlagen der von ihm benannten Lazarette beiziehen. Es hat ferner ausgeführt, daß der Kläger im Jahre 1947 durchaus berechtigterweise der Meinung sein konnte, die während des Dritten Reiches ergangenen Versorgungsgesetze seien durch die Kontrollratsgesetzgebung der Alliierten aufgehoben und damit alle während des Krieges erlassenen Bescheide der Versorgungsbehörde rechtsunwirksam geworden. Damit hat das LSG festgestellt, daß der Kläger nicht erkannt hat, die von ihm nicht angegebenen Tatsachen könnten für die Entscheidung der Versorgungsbehörde wesentlich sein. Es fehlt somit nach den Feststellungen des LSG zumindest an dem Vorliegen der "inneren" Tatsache, daß sich der Kläger bewußt war, etwas zu verheimlichen, was er hätte mitteilen müssen. Das BSG ist nach § 163 SGG an diese tatsächliche Feststellung des LSG gebunden, sofern insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht sind. Da der Beklagte, der den Vorwurf des Verschweigens von Tatsachen in der Revisionsbegründung fallengelassen hat, Verfahrensrügen gegen die Feststellung des LSG nicht mehr erhoben hat, ist somit das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden, soweit das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 5 VersorgVerfG verneint hat.

Dagegen kann dem LSG insoweit nicht beigepflichtet werden, als es die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG, der inhaltlich dem § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG entspricht, für nicht gegeben angesehen hat. Nach § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG kann ein durch rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenes Verfahren wieder aufgenommen werden, wenn eine Partei nachträglich eine zur Zeit der Entscheidung bereits vorhandene Urkunde, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, auffindet oder zu benutzen instand gesetzt wird. Der Kläger meint, der Beklagte sei durch das angefochtene Urteil nicht beschwert, soweit er den angefochtenen Bescheid vom 12. März 1951 im Berufungsverfahren noch auf § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG gestützt habe, weil das LSG die Revision nur wegen der Frage zugelassen habe, ob der Kläger im Jahre 1947 verpflichtet war, der Versorgungsbehörde, ohne danach gefragt zu sein, von dem Inhalt eines ablehnenden Bescheides während des Krieges Mitteilung zu machen. Durch diese Beschränkung der Revisionszulassung könne das BSG nicht mehr in eine Prüfung der Frage eintreten, ob das LSG die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG zutreffend als nicht gegeben angesehen hat. Der Kläger verkennt hierbei jedoch bereits, daß eine Beschwer immer dann vorliegt, wenn dem Rechtsmittelkläger durch die angefochtene Entscheidung etwas versagt worden ist, was er beantragt hat. Hierbei ergibt sich die Beschwer des Rechtsmittelklägers aus dem Urteilsspruch, durch den der Bescheid des Beklagten vom 12. März 1951 und das die Klage abweisende Urteil des SG Koblenz vom 15. Februar 1955 aufgehoben worden sind. Der Beklagte ist also dadurch beschwert, daß das LSG die Aufhebung der Vorentscheidungen auch darauf gestützt hat, daß die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG nicht gegeben seien. Auch kann der Auffassung des Klägers nicht beigepflichtet werden, es liege eine Beschränkung der Revisionszulassung durch das LSG auf die Frage vor, ob der Kläger verpflichtet war, der Versorgungsbehörde - ohne danach gefragt zu sein - von dem Inhalt eines ablehnenden Bescheides während des Krieges Mitteilung zu machen. Zwar kann die Zulassung der Revision auf einen bestimmten "Anspruch" beschränkt werden (vgl. BSG 3, 135, 138), dagegen ist es nicht zulässig, die Revision auf bestimmte Rechtsfragen zu beschränken. Dies ergibt sich daraus, daß im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit nicht Rechtsfragen als solche Gegenstand des Rechtsstreits sein können und auch das Revisionsgericht über den konkreten Rechtsstreit, nicht aber über eine abstrakte Rechtsfrage entscheidet (BSG 3, 135, 139). Hat das LSG fehlerhaft die Zulassung der Revision auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränkt, so wird dadurch nicht die Zulassung als solche zu Fall gebracht, da anzunehmen ist, daß das LSG, wenn es sich der Unzulässigkeit der von ihm ausgesprochenen Beschränkung der Zulassung bewußt gewesen wäre, die Zulassung unbeschränkt ausgesprochen hätte (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Bl. Da 51 Nr. 170). Selbst wenn also das LSG die Zulassung der Revision tatsächlich hätte auf die angegebene Rechtsfrage beschränken wollen, wäre eine solche Beschränkung der Zulassung unwirksam. Das angefochtene Urteil ist daher in vollem Umfange durch den erkennenden Senat nachzuprüfen.

Das LSG hat zu § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG - dasselbe muß für den inhaltsgleichen § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG gelten - die Auffassung vertreten, daß die nachträglich aufgefundenen Urkunden, nämlich die Lazarettunterlagen der Neurologischen und Psychiatrischen Klinik der Universität H, das DU-Zeugnis vom 4. August 1942 und die den Kläger betreffenden Akten der Kriegsopferfürsorgestelle des Landratsamts St. G aus den Jahren 1944/45, nicht "zu einer anderen Entscheidung" geführt haben würden. Ob diese Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG vorliegt, ist nicht eine Tatfrage, deren Beantwortung von der Auffassung der Versorgungsbehörde abhängt, sondern Gegenstand der rechtlichen Prüfung durch das Gericht, das über den Bestand des angefochtenen Verwaltungsakts zu entscheiden hat. Nach Ansicht des LSG genügt die bloße Möglichkeit einer anderen Entscheidung nach den im Zivilprozeßrecht aufgestellten Grundsätzen, die es auch für das Verwaltungsverfahren im Versorgungsrecht anwenden will, nicht. Das LSG verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Reichsgerichts (RG) in RGZ 151, 203. In dieser Entscheidung handelte es sich um die Bedeutung von nachträglich aufgefundenen Urkunden einer Firma, aus denen sich der Bezug von Platin ergeben sollte. Das RG hat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht angenommen, daß der Platinbezug von der betreffenden Firma keine entscheidende Rolle im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits gespielt hat. Es hat anschließend daran ausgeführt: "Daß das dennoch "möglicherweise" der Fall gewesen wäre, würde, entgegen der Meinung der Revision, nicht genügen. Denn das Gesetz verlangt, daß die Urkunde eine günstigere Entscheidung "herbeigeführt haben würde", nicht nur "möglicherweise herbeigeführt haben würde". Es kann dahingestellt bleiben, ob § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG insoweit ebenso auszulegen ist wie § 580 Nr. 7 b der Zivilprozeßordnung (ZPO). Auch wenn man davon ausgeht, daß es nicht genügt, wenn eine nachträglich aufgefundene Urkunde "möglicherweise" für die betreffende Partei eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, ist ein solcher Sachverhalt im vorliegenden Falle nicht gegeben. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist für die Wiederaufnahme des Versorgungsverfahrens nach § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG erforderlich, daß die aufgefundene Urkunde unmittelbar und für sich allein - auf den damaligen Verfahrensstand bezogen - zu einer anderen Entscheidung geführt haben würde. In dem Versorgungsverfahren, das zu der Benachrichtigung vom 22. April 1947 mit der Anerkennung einer Schädigungsfolge bei einer MdE um 100 v. H. geführt hat, waren lediglich die Angaben des Klägers selbst in seinem Antrag vom 17. März 1947 vorhanden. Schon der Arzt, der den Kläger am 15. April 1947 untersucht hat, hätte in Kenntnis der nachträglich aufgefundenen Urkunden nicht die Auffassung vertreten, daß es sich bei den Gesundheitsstörungen des Klägers um Folgen der Verwundung und des Unfalls am 11. Mai 1940 gehandelt hat. Auch der über den Versorgungsantrag entscheidende Landrat von St. G hätte bei Kenntnis der aufgefundenen Urkunden sicher eine Wehrdienstbeschädigung verneint. Entgegen der Auffassung des LSG sind die genannten Urkunden so umfangreich und eingehend, daß die damalige Versorgungsbehörde, die ohnehin mit Versorgungsanträgen stark überlastet war, ohne weitere Beweiserhebung den Versorgungsantrag abgelehnt hätte. Insbesondere die Lazarettunterlagen des Reservelazaretts H und das DU-Zeugnis vom 4. August 1942 ergeben eine völlige Übereinstimmung der seinerzeit behandelnden Wehrmachtsärzte, daß die Granatsplitterverletzung im rechten Gesäß und die Beckenprellung oder Quetschung keine Folgen hinterlassen haben und daß bei dem Kläger eine schwere seelische Abartigkeit von Krankheitswert vorliegt, die zu der psychogenen Haltungsanomalie geführt hat. Bei der Prüfung, ob die aufgefundenen Urkunden im Jahre 1947 eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würden, ist - wie das LSG an sich zutreffend erkannt hat - von dem damaligen Verfahrensstand auszugehen. Das LSG hat aber seine Ansicht, daß die Versorgungsbehörde ohne Einholung eines ärztlichen Gutachtens auch damals nicht ausgekommen wäre, offenbar weitgehend aus der Kenntnis des heutigen Verfahrensstandes gewonnen; denn es führt hierzu aus: "Im vorliegenden Falle wäre die Versorgungsbehörde ohne die Einholung eines ärztlichen Gutachtens schon deshalb nicht ausgekommen, weil die medizinische Beurteilung der Gesundheitsstörung des Klägers unbestrittenermaßen besonders schwierig ist." Diese Schwierigkeit der Beurteilung hat sich aber erst durch die sehr umfangreichen Gutachten, die während des vorliegenden Gerichtsverfahrens erhoben oder eingereicht worden sind, ergeben. Es kann dem LSG auch insoweit nicht beigepflichtet werden, als es seine Entscheidung offenbar damit begründen will, daß auch bei Kenntnis der aufgefundenen Urkunden in dem früheren Verwaltungsverfahren eine weitere Beweiserhebung notwendig gewesen wäre. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zutreffend in seinem Urteil vom 26. Juni 1952 zu § 580 Nr. 7 b ZPO (BGHZ 6, 354, 358) ausgeführt, daß es nicht darauf ankommt, ob in dem früheren Verfahren Beweise erhoben oder nicht erhoben worden sind; es kommt vielmehr allein darauf an, ob die aufgefundenen Urkunden i. V. m. den Ergebnissen des früheren Verfahrens eine andere - für die betreffende Partei günstigere - Entscheidung herbeigeführt haben würden. Das ist aber hier nach Ansicht des erkennenden Senats der Fall, weil zumindest, wie sich das RG in RGZ 151, 203, 210 ausgedrückt hat, die aufgefundenen Urkunden eine "entscheidende Rolle" gespielt hätten.

Das LSG hat ferner die Auffassung vertreten, daß eine Urkunde nur dann aufgefunden und verwertbar geworden ist, wenn sie einem Beteiligten bislang für jede Art des Urkundenbeweises unbekannt oder unzugänglich gewesen ist. Dem ist zunächst zuzustimmen. Es kann dem LSG aber nicht gefolgt werden, wenn es meint, es fehle im vorliegenden Falle jeder Anhaltspunkt dafür, daß die fraglichen Urkunden während des im Jahre 1947 in Gang gesetzten Verfahrens der Versorgungsbehörde unbekannt und unzugänglich gewesen sind. Daran, daß die Urkunden der damaligen Versorgungsbehörde unbekannt gewesen sind, kann kein Zweifel bestehen, denn sie sind erst durch spätere, im Jahre 1950 und 1951 einsetzende Ermittlungen aufgefunden worden. Es könnte höchstens fraglich sein, ob sie dem Beklagten unzugänglich gewesen sind. Das LSG meint anscheinend, Urkunden seien nicht unzugänglich, wenn nach ihrem Verbleib auch schon im Jahre 1947 durch Rückfrage bei der Neurologischen und Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg hätte nachgeforscht werden können. Das LSG verkennt hierbei jedoch, daß die Möglichkeit, eine Urkunde zu benutzen, nur bei solchen Urkunden in Betracht kommt, die der Versorgungsbehörde schon bei Erlaß der Benachrichtigung vom 22. April 1947 bekannt waren (vgl. hierzu auch Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 18. Aufl., 1956 Anm. IV 3 zu § 580). Allerdings ist im Zivilprozeß nach § 582 ZPO die Restitutionsklage nur zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Einspruch oder Berufung geltend zu machen. Es kann jedoch im vorliegenden Falle dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 582 ZPO auf die Wiederaufnahme eines Versorgungsverfahrens nach § 66 VersorgVerfG, das eine derartige Vorschrift nicht kennt, entsprechende Anwendung finden kann; denn ein Verschulden i. S. des § 582 ZPO setzt regelmäßig voraus, daß die Partei Kenntnis von dem Restitutionsgrund, d. h. ein auf sicherer tatsächlicher Grundlage beruhendes Wissen gehabt hat. Das traf aber im vorliegenden Falle nicht zu, da die Versorgungsbehörde vor Erlaß der Benachrichtigung vom 22. April 1947 keine sichere Kenntnis von dem Vorhandensein der Krankenunterlagen des Reservelazaretts H hatte (vgl. hierzu auch Stein/Jonas aaO Anm. I 2 zu § 582 ZPO). Zwar könnte die Unkenntnis der nachträglich aufgefundenen Urkunden dann auf einem Verschulden beruhen, wenn die Versorgungsbehörde es unterlassen hätte, nach diesen Urkunden zu forschen, wenn ihr diese Urkunden wenigstens der Existenz nach bekannt waren (vgl. Stein/Jonas aaO Anm. I 3 zu § 582 ZPO). Aber auch das ist nicht der Fall, wie bereits oben ausgeführt worden ist. Jedenfalls würde auch bei Anwendung des § 582 ZPO ein Verschulden der Versorgungsbehörde i. S. dieser Vorschrift nicht daraus hergeleitet werden können, daß sie nicht schon vor Erlaß der Benachrichtigung vom 22. April 1947 nach den erst später aufgefundenen Urkunden geforscht hat, weil dies voraussetzen würde, daß das Vorhandensein derartiger Urkunden wenigstens ihrer Existenz nach bekannt war. Das LSG hat somit die Vorschrift des § 66 Abs. 1 Nr. 11 VersorgVerfG dadurch verletzt, daß es das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift verneint hat. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, weil das LSG entsprechend seiner Rechtsauffassung keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Bescheid vom 12. März 1951 auch in sachlicher Hinsicht gerechtfertigt ist. Das LSG wird nunmehr noch zu prüfen haben, ob bei der erneuten Entscheidung über den Versorgungsanspruch der ursächliche Zusammenhang der bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen mit schädigenden Einwirkungen seines Wehrdienstes wahrscheinlich ist.

Über den während des Revisionsverfahrens ergangenen Berichtigungsbescheid vom 20. Februar 1962 hatte der Senat entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zu entscheiden, da es sich insoweit um einen neuen Verwaltungsakt i. S. des § 171 Abs. 2 SGG handelt. Daran ändert auch nichts das Urteil des BSG vom 20. September 1961 (BSG 15, 105). In dem dort vom 7. Senat des BSG entschiedenen Falle handelte es sich um einen Bescheid, durch den einem früheren Bescheid eine andere rechtliche Begründung gegeben wurde. Der 7. Senat hat hierzu ausgeführt: "Während sonst im Laufe des Verfahrens ergangene Verwaltungsakte, soweit sie den angefochtenen abändern oder ersetzen, in erster und zweiter Instanz nach §§ 96, 153 SGG Gegenstand des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens werden und vom SG und LSG in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachgeprüft werden, mußte für das BSG eine Sonderregelung getroffen werden, weil dieses einen neuen Bescheid nur in rechtlicher Hinsicht nachprüfen könnte. Eine Nachprüfung muß aber auch in tatsächlicher Hinsicht möglich sein; deshalb gilt ein während des Revisionsverfahrens ergangener Bescheid als vor dem SG angefochten. Diese Sicherung ist jedoch entbehrlich, wenn der neue Bescheid sich nur als eine andere rechtliche Begründung des alten darstellt. Denn das BSG hat ohnehin unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen." Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Entscheidung des 7. Senats des BSG zuzustimmen ist. Im vorliegenden Falle handelt es sich jedenfalls im Gegensatz zu dem vom 7. Senat entschiedenen Falle nicht allein um eine andere rechtliche Begründung des früheren Verwaltungsakts bei Zugrundelegung desselben Sachverhalts. Der angefochtene Bescheid vom 12. März 1951 beruht in tatsächlicher Hinsicht darauf, daß der Kläger Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, verschwiegen haben soll, bzw. daß nachträglich zur Zeit der Entscheidung bereits vorhandene Urkunden aufgefunden worden sind, die eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Bei einem Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG kommt es demgegenüber in tatsächlicher Hinsicht darauf an, ob es außer Zweifel steht, daß die Benachrichtigung vom 22. April 1947 im Zeitpunkt ihres Erlasses tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen ist. Auch nach Ansicht des 7. Senats in dem angeführten Urteil muß bei einem neuen Verwaltungsakt i. S. des § 96 SGG jedoch eine Prüfung in tatsächlicher Hinsicht möglich sein, was dem BSG als Revisionsgericht verwehrt ist. Der erkennende Senat kann schon aus diesem Grunde über den Berichtigungsbescheid vom 20. Februar 1962 nicht entscheiden, so daß an sich die Vorschrift des § 171 Abs. 2 SGG eingriffe. Da das Urteil des LSG aber aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß, ist der Berichtigungsbescheid vom 20. Februar 1962 nunmehr ebenso zu behandeln, wie wenn er während des Berufungsverfahrens erlassen worden wäre (vgl. BSG 9, 79). Das LSG wird bei der erneuten Entscheidung auch zu beachten haben, daß der Beklagte in dem Berichtigungsbescheid vom 20. Februar 1962 von der Rückforderung der überzahlten Versorgungsbezüge Abstand genommen hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379916

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