Leitsatz (amtlich)

Ist der Empfänger von Renten aus der knappschaftlichen Rentenversicherung und aus der gesetzlichen Unfallversicherung davon überzeugt, daß er den gesetzlichen Tatbestand für eine Erhöhung der Rente aus der Unfallversicherung erfüllt, so kann er, wenn ihm ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit später unter Billigung seiner Rechtsauffassung die Rente aus der Unfallversicherung rückwirkend rechtskräftig erhöht, der Rückforderung der wegen Zusammentreffens mit dieser erhöhten Rente ruhenden und daher überzahlten knappschaftlichen Rente nicht entgegenhalten, er habe bei ihrem Empfang iS des RKG § 93 Abs 2 S 2 nicht gewußt oder nicht wissen müssen, daß sie ihm nicht (in dieser Höhe) zustehe.

 

Normenkette

RVO § 1301 Fassung: 1965-06-09; RKG § 93 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1968 aufgehoben, soweit es über die Rückforderung der der Klägerin ab 28. Oktober 1963 überzahlten knappschaftlichen Witwenrente entschieden hat. In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

 

Gründe

I

Unter den Beteiligten ist im Streit, ob die Beklagte von der Klägerin knappschaftliche Witwenrente im Betrag von 1.678,- DM zurückfordern kann, die wegen rückwirkender Erhöhung einer mit ihr zusammentreffenden Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die Zeit vom 1. August 1963 bis 30. November 1965 überzahlt worden ist.

Die 1923 geborene Klägerin ist die Witwe des am 11. August 1961 auf dem Weg zur Arbeit tödlich verunglückten Bergmanns E P. Ihr hat die Bergbau-Berufsgenossenschaft mit Bescheid vom 13. Juni 1962 Witwenrente in Höhe von zunächst einem Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes und mit Bescheid vom 19. Juli 1963 in Höhe von drei Zehnteln des Jahresarbeitsverdienstes bewilligt. Ihren Antrag vom 26./28. Oktober 1963, die Witwenrente auf zwei Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes zu erhöhen, lehnte die Berufsgenossenschaft unter dem 3. Juli 1964 ab, weil sie das waisenrentenberechtigte Kind ihres verstorbenen Mannes aus dessen erster Ehe nicht erziehe. Auf die Klage verpflichtete das Sozialgericht (SG) Münster die Berufsgenossenschaft am 29. Oktober 1965, der Klägerin ab 1. Juli 1963 die Witwenrente, wie beantragt, in Höhe von zwei Fünfteln des Jahresarbeitsverdienstes zu gewähren. Gegen dieses Urteil hat die Berufsgenossenschaft kein Rechtsmittel eingelegt und es am 23. Dezember 1965 ausgeführt.

Bereits mit Bescheid vom 18. Juli 1962 hatte auch die beklagte Knappschaft den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung dem Grunde nach anerkannt und Rentenvorschuß gewährt. Weder in diesem Bescheid noch in den weiteren, Rentenvorschüsse und schließlich knappschaftliche Witwenrente ab 1. August 1961 bewilligenden Bescheiden vom 12. November 1962 und 5. Oktober 1964 brachte die Beklagte ihre Leistungen wegen des Zusammentreffens mit der Unfallwitwenrente, deren Bewilligung und Änderung ihr die Bergbau-Berufsgenossenschaft angezeigt hatte, zum Ruhen, belehrte die Klägerin jedoch jeweils darüber, daß sie eine Änderung in der Höhe der Unfallrente unverzüglich mitzuteilen habe.

Nachdem die Bergbau-Berufsgenossenschaft der Beklagten am 3. Januar 1966 Durchschrift des das Urteil des SG Münster vom 29. Oktober 1965 ausführenden, höhere Unfallwitwenrente rückwirkend ab 1. Juli 1963 gewährenden Bescheides vom 23. Dezember 1965 übersandt hatte, setzte diese ihrerseits mit Bescheid vom 6. Januar 1966 die ab 1. August 1963 zu zahlende knappschaftliche Witwenrente unter Anwendung der Bestimmungen über deren Ruhen bei Zusammentreffen mit einer Rente aus der Unfallversicherung neu auf wesentlich niedrigere Beträge fest und errechnete eine Überzahlung von 1.737,- DM. Zugleich stellte die Beklagte "über die Kürzung des überhobenen Betrages" einen weiteren Bescheid in Aussicht. Gegen den Neufeststellungsbescheid brachte die Klägerin am 31. Januar 1966 vor, sie sei zu einer Rückzahlung gesetzlich nicht verpflichtet.

Unter dem 13. April 1966 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie könne "von der Möglichkeit, das Rückforderungsrecht nicht auszuüben, keinen Gebrauch" machen, weil sie - die Beklagte - an der Überzahlung kein Verschulden treffe und der Klägerin bei Empfang der Knappschaftsrente ab 1. August 1963 bekannt gewesen sei, daß sich diese bei Erhöhung der Unfallwitwenrente ermäßigen müsse und die Rückforderung in Form einer Kürzung der laufenden Rente um 40,- DM monatlich bei einem Renteneinkommen von 421,60 DM pro Monat wirtschaftlich vertretbar sei. Den dagegen erhobenen Rechtsbehelf wies die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1966 zurück.

Auf die Klage hat das SG Münster die Beklagte am 9. Dezember 1966 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, "von der Rückforderung der bis Ende November 1965 überzahlten Witwenrente Abstand" zu nehmen; im übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Es war der Auffassung, die Klägerin habe bezüglich des überzahlten Betrages erst mit Verkündung des höhere Unfallrente zusprechenden Urteils des SG Münster vom 29. Oktober 1965 wissen können, daß ihr ab 1. Juli 1963 höhere Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustünden. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 19. März 1968 zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In der Begründung heißt es: Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Rückforderung nach § 93 Abs. 2 Satz 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe bei Empfang der Knappschaftsrente nicht gewußt, daß ihr die Leistung in der gewährten Höhe nicht zugestanden habe; sie habe dies i.S. des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG auch nicht wissen müssen. Die Klägerin habe auch nicht damit rechnen müssen, daß die erstrebte höhere Unfallwitwenrente zu einer Minderung der knappschaftlichen Rente führen werde, nachdem wiederholte Erhöhungen ihrer Unfallwitwenrente keinen Einfluß auf die Höhe der knappschaftlichen Rentenleistungen gehabt hätten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bringt vor, entscheidend sei, daß die Klägerin für den Fall des positiven Ausgangs des seinerzeitigen Streitverfahrens hätte wissen müssen, daß eine rückwirkend zuerkannte Unfallrente ggf. auch rückwirkend ein Ruhen der Rente aus der Rentenversicherung bewirken werde. Deshalb habe sie sich auf eine Rente im seinerzeit tatsächlich gewährten Ausmaß redlich nicht einrichten dürfen. Eine andere Betrachtungsweise erscheine schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil sonst Berechtigte, deren Ansprüche von der Berufsgenossenschaft sofort anerkannt würden, gegenüber Berechtigten, die ihren Anspruch erst im Rahmen eines Verfahrens durchsetzen könnten, benachteiligt seien. Zwar hätte die Klägerin ein sicheres Wissen von der Erhöhung der Unfallrente erst durch das Urteil des SG Münster vom 29. Oktober 1965 bzw. durch den Ausführungsbescheid der Bergbau-Berufsgenossenschaft vom 23. Dezember 1965 erlangen können; auch das Wissenmüssen setze ein Wissenkönnen voraus. Es müsse aber auch die Kenntnis vom Vorliegen der Erhöhungsvoraussetzungen genügen, um das Wissenmüssen um die rechtlichen Folgen zu begründen. Diese Kenntnis müsse sich zurechnen lassen, wer auf Grund entsprechender Behauptungen einen Erhöhungsantrag stelle. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit der Rentenhöhe könne dann nicht mehr vorliegen. Die Rückforderung sei auch nach den im Zeitpunkt der Erteilung des Rückforderungsbescheides gegeben gewesenen wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin vertretbar.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Münster vom 9. Dezember 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, einer Bergmannswitwe gehe jegliche Kenntnis im Renten- und Unfallversicherungswesen ab. Sie sei auch nicht in der Lage, auf Grund der ihr erteilten Bescheide die gegenseitige Abhängigkeit von Renten- und Unfallversicherungsleistungen zu überblicken. Unzumutbar sei es, grundsätzlich davon auszugehen, daß der Staatsbürger die Gesetze mit ihrer Verkündung kennen müsse. Die Beklagte gehe an der Tatsache vorbei, daß die Fachleute von der Bergbau-Berufsgenossenschaft die Erhöhung der Unfallwitwenrente abgelehnt und es auf einen mehrjährigen Rechtsstreit hätten ankommen lassen, wogegen ihr - der Klägerin - gleichwohl Kenntnis vom Vorliegen der Erhöhungsvoraussetzungen und deshalb ein begründetes Wissenmüssen um die rechtlichen Folgen unterstellt werde. Der Nachweis über die Begründetheit eines Erhöhungsantrages werde erst mit dem Urteilsspruch erbracht. Der Auffassung der Beklagten, die Rückforderung sei angesichts ihrer, der Klägerin, wirtschaftlichen Verhältnisse vertretbar gewesen, werde entschieden entgegengetreten. Kurz vor dem tödlichen Unfall ihres Ehemannes habe sie ein kleines Häuschen errichten lassen, dessen finanzielle Belastungen sie nun abtragen müsse.

II

Die Berufung ist zulässig und teilweise auch begründet.

Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG darf die Beklagte unter bestimmten Voraussetzungen eine überzahlte Leistung zurückfordern. Im einzelnen muß es sich dabei, wie aaO näher bestimmt, um eine Leistung handeln, die "dem Kläger nicht oder nicht in dieser Höhe zustand", die die Beklagte also - so § 93 Abs. 2 Satz 1 aaO "zu Unrecht gezahlt hat".

Daß die Beklagte der Klägerin in der Zeit vom 1. August 1963 bis 30. November 1965 knappschaftliche Witwenrente im - jetzt noch streitigen - Betrag von 1.678,- DM zu Unrecht gezahlt hat, steht unter den Beteiligten auf Grund des nicht angefochtenen, eine entsprechende Überzahlung feststellenden Neufeststellungsbescheides der Beklagten vom 6. Januar 1966 bindend fest (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin keinen Rechtsbehelf eingelegt, sondern unter dem 24. Januar 1966 allein vorgebracht, daß sie zu einer - von der Beklagten damals noch gar nicht geforderten - Rückzahlung nicht verpflichtet sei.

Die Beklagte darf von der Klägerin die zu Unrecht erbrachten Leistungen gem. § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG nur zurückfordern, wenn sie an der Überzahlung kein Verschulden trifft, soweit die Klägerin bei Empfang der Leistung wußte oder wissen mußte, daß sie ihr nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist.

Daß die Beklagte an der Überzahlung kein Verschulden trifft, liegt auf der Hand. Erst das Urteil des SG Münster vom 29. Oktober 1965 hat der Klägerin rückwirkend ab 1. Juli 1963 Unfallwitwenrente in einer Höhe zugesprochen, die erstmals zum teilweisen Ruhen der Witwenrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung gemäß § 76 RKG führte; von der Erhöhung der Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat die Bergbau-Berufsgenossenschaft die Beklagte erst am 3. Januar 1966 unterrichtet.

Die weitere Voraussetzung für die Rückforderung, daß die Klägerin bei Empfang der knappschaftlichen Witwenrente ab 1. August 1963 gewußt hat oder hätte wissen müssen, ihr stehe diese in der gewährten Höhe nicht zu, ist dem Wortlaut des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG nach nicht erfüllt; gleichwohl scheitert der Rückforderungsanspruch der Beklagten hieran nicht. Das ergeben die folgenden Überlegungen:

Das teilweise Ruhen einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung tritt bei Zusammentreffen mit einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Erfüllung des gesetzlichen Ruhenstatbestandes unmittelbar kraft Gesetzes - und nicht erst mit dem Erlaß eines das Ruhen feststellenden Bescheides - ein; eine knappschaftliche Witwenrente ruht gemäß § 76 Abs. 1 RKG bereits dann, wenn die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung - in einer zum Ruhen führenden Höhe - mit ihr "zusammentrifft". Da § 75 Abs. 4 RKG das rückwirkende Ruhen einer Rente nur bei erstmaliger Feststellung, nicht aber bei Erhöhung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließt (BSG 27, 253 = SozR RKG § 75 Nr. 5), war der Klägerin die knappschaftliche Witwenrente bereits ab 1. August 1963 überzahlt; der bindend gewordene Bescheid vom 6. Januar 1966 stellt dies zutreffend fest.

Einem Wissen oder Wissenmüssen um die Unrechtmäßigkeit des Leistungsbezuges in der streitumfaßten Zeit vom 1. August 1963 bis 30. November 1965 steht nicht entgegen, daß die Klägerin damals Leistungen in der Höhe empfing, die ihr durch die - in ihrer Rechtmäßigkeit seinerzeit noch nicht in Frage stehenden - Bescheide der Beklagten vom 18. Juli 1962, 12. November 1962 und 5. Oktober 1964 zugebilligt worden war. Die formale Rechtsposition, die Bewilligungsbescheide einem Leistungsempfänger einräumen, vermag Bösgläubigkeit im Sinne des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG nicht auszuschließen. Gegenstand des Wissens oder Wissenmüssens ist nach dieser Bestimmung die Unrechtmäßigkeit der empfangenen Leistung. Das Gesetz versteht dabei als unrechtmäßig das, was dem Empfänger im Widerspruch zum objektiven, sachlichen Recht, nicht dagegen, was ihm im Widerspruch zu der im Bewilligungsbescheid eingeräumten Rechtsposition zugeflossen ist (vgl. Langkeit in DOK 1971, 341, 343). Wäre es anders, so würde der Anwendungsbereich des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG auf die wenigen, in der Praxis kaum zu Buche schlagenden Fälle eingeengt, in denen der Versicherungsträger irrtümlich eine höhere als im Bewilligungsbescheid festgelegte Summe ausgezahlt hat. Es kann insbesondere nicht angenommen werden, daß die Vorschrift eine Rückforderung denen gegenüber nicht gestatte, denen die durch Bescheid bewilligten Leistungen nach § 162 Abs. 2 RKG iVm § 1744 RVO bindend entzogen sind. Vielmehr muß angenommen werden, daß der Gesetzgeber dem Versicherungsträger durch § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG gerade auch diesem Personenkreis gegenüber die Möglichkeit der Rückforderung zu Unrecht gewährter Leistungen eröffnen wollte.

Ein böser Glaube der Klägerin in bezug auf die überzahlte knappschaftliche Witwenrente scheidet auch nicht schon deswegen aus, weil ihr die Wechselwirkung zwischen rückwirkender Erhöhung der Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und Minderung der zu zahlenden knappschaftlichen Rente nicht bekannt war oder nicht bekannt sein konnte. Der erkennende Senat hat bereits im Urteil vom 25. März 1971 (5 RKn 64/68) ausgesprochen, daß Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung jedenfalls grundsätzlich Kenntnis von der Abhängigkeit der Höhe der knappschaftlichen Rente von einer gleichzeitig zustehenden Rente der gesetzlichen Unfallversicherung haben. Inwieweit diese Feststellung bei Empfängern von Witwenrenten zu modifizieren wäre, kann dahinstehen; im Falle der Klägerin ist dies jedenfalls nicht veranlaßt. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin von der Beklagten wiederholt schriftliche Verlautbarungen erhalten, denen sie auch bei Anwendung nur geringer Sorgfalt entnehmen mußte, daß eine Erhöhung der Unfallwitwenrente zum teilweisen Ruhen der knappschaftlichen Witwenrente führen könne. In allen den Bescheiden vom 18. Juli 1962, 12. November 1962 und 5. Oktober 1964 hat die Beklagte die Klägerin ausdrücklich verpflichtet, Erhöhungen der Unfallwitwenrente unverzüglich anzuzeigen; im letztgenannten Bescheid hat die Beklagte die Klägerin zudem belehrt, daß, sobald sie - die Beklagte - von einer "Änderung der Unfallbezüge" erfahren habe, "eine weitere Umrechnung unter Beachtung der Ruhensvorschriften des § 75 RKG" erfolgen werde. Unter dem 25. November 1963 hat die Beklagte der Klägerin überdies einen die Waise C P betreffenden Rentenbescheid zugesandt, in dem es heißt, daß die Änderung der Höhe der Unfallrente eine Umrechnung der Waisenrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung erforderlich mache. Diesem Bescheid ist ferner eine Berechnung über das Ruhen bei Zusammentreffen mit einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung beigefügt, in welcher ua eine Überzahlung der knappschaftlichen Waisenrente festgestellt ist. Hiernach ist davon auszugehen, daß die Klägerin bereits in der streitumfaßten Zeit wußte oder hätte wissen müssen, daß eine Erhöhung ihrer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu einer Verminderung der ihr aus der knappschaftlichen Rentenversicherung zu zahlenden Witwenrente führen könnte.

Der Klägerin ist allerdings, was ihren guten oder bösen Glauben in Ansehung des Überempfangs betrifft, einzuräumen, daß sie bei Empfang der unrechtmäßigen Leistung nicht wissen konnte, ob sie die von ihr beantragte höhere Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auch tatsächlich zugebilligt erhalten werde. Die 1923 geborene, persönlich kinderlose Klägerin hatte die Erhöhung ihrer Unfallwitwenrente von drei Zehntel auf zwei Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes wegen Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes beantragt (vgl. § 590 Abs. 2 Satz 1 - 2. Alternative - RVO in der ab 1. Juli 1963 in Kraft getretenen Fassung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - UVNG -). Diesen Antrag hat die Bergbau-Berufsgenossenschaft im Bescheid vom 3. Juli 1964 abgelehnt, weil die Klägerin das 1946 geborene Kind C P aus der ersten Ehe ihres verstorbenen Mannes im Sinne des § 590 Abs. 2 RVO nF nicht erziehe; die Erziehung besorge der Vormund des Kindes. Die Klägerin war daraufhin genötigt, den Rechtsweg zu beschreiten. Nach Art der zu klärenden Rechtsfrage stand ein positiver Ausgang des Streitverfahrens für die Klägerin nicht von vornherein und mit Sicherheit fest. Erst mit der Rechtskraft des Urteils des SG Münster vom 29. Oktober 1965 war verbindlich geklärt, daß die Klägerin als Erzieherin des Kindes angesehen werden könne und ihr daher eine höhere Unfallwitwenrente schon ab Inkrafttreten des UVNG, also ab 1. Juli 1963, zustand.

Trotz des Umstandes, daß ein Wissen - und demgemäß auch ein Wissenmüssen -ein Wissenkönnen voraussetzt, kann die Beklagte die überzahlte knappschaftliche Rente von der Klägerin auf Grund des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG zurückfordern. Die Klägerin war nämlich bereits während des gesamten streitbefangenen Zeitraumes der Überzeugung, daß ihr als Erzieherin des waisenrentenberechtigten Kindes C P höhere Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab 1. Juli 1963 zustehe. Sie hat dieser Überzeugung augenfällig dadurch Ausdruck verliehen, daß sie am 28. Oktober 1963 höhere Unfallwitwenrente beantragt und gegen den ablehnenden Bescheid der Berufsgenossenschaft den Rechtsweg beschritten hat. Ihrer subjektiven Überzeugung entsprechend hätte die Klägerin nunmehr folgern müssen, daß ihr die Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung in der empfangenen Höhe möglicherweise gar nicht mehr zustehe. Dies ist zumindest wie ein Wissenmüssen um den unrechtmäßigen Leistungsbezug zu werten: Die Interessenlage, die der Gesetzgeber in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG offenkundig als regelungsbedürftig angesehen hat, gleicht der des vorliegenden Falles in so hohem Maße, daß eine rechtsergänzende Anwendung der Bestimmung gerechtfertigt und geboten erscheint. Es muß in einem Falle der vorliegenden Art genügen, daß die subjektive Überzeugung, es lägen die Voraussetzungen für die rückwirkende Gewährung einer höheren Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung vor, erst später mit der Rechtskraft eines die Rechtslage klärenden Urteils von der positiven Kenntnis, daß dem so sei, abgelöst wird.

Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin ihre Überzeugung, ihr stehe höhere Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu, durch Einbringung eines entsprechenden Antrages bei der Berufsgenossenschaft erkennbar betätigt hat, kann ihr - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - böser Glaube im Sinne des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG nicht angelastet werden. Die Revision war daher zurückzuweisen, soweit das LSG die Rückforderung für eine Zeit vor dem 28. Oktober 1963 für unrechtmäßig erklärt hat. Im übrigen konnte das Urteil des LSG jedoch keinen Bestand haben.

Zu der Frage, ob die Rückforderung, wie dies § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG weiter fordert, wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin - was sie ausdrücklich bestreitet - vertretbar ist, fehlt es im Urteil des LSG an jeglichen tatsächlichen Feststellungen. Der Senat ist daher gehindert, über den streitigen Anspruch abschließend zu entscheiden. Das angefochtene Urteil war daher im übrigen aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669822

BSGE, 36

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