Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige echte Leistungsklage. Verwaltungsakt als Prozeßvoraussetzung

 

Orientierungssatz

1. Es kann kein begründeter Zweifel daran bestehen, daß der Rentenversicherungsträger jedenfalls dann, wenn der Versicherte Leistungen zur Rehabilitation ausdrücklich verlangt, er diesen Anspruch nach RVO § 1631 Abs 1 S 1 Alt 2 nur durch einen schriftlichen Verwaltungsakt ("Bescheid") ablehnen kann. Denn diese ablehnende Entscheidung des Trägers regelt mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (vgl VwVfG § 35 S 1). Schon deshalb "hat" in bezug auf das von einem Versicherten nach RVO §§ 1237a, 1241e beanspruchte Übergangsgeld "ein Verwaltungsakt zu ergehen"; das aber genügt, um die Leistungsklage nach SGG § 54 Abs 5 auszuschließen.

2. Die echte Leistungsklage ist gemäß SGG § 54 Abs 5 unzulässig, wenn der Rentenversicherungsträger bezüglich des vom Versicherten beanspruchten Übergangsgeldes zunächst ein Verwaltungsverfahren durchzuführen und mit einem Verwaltungsakt abzuschließen hat, gegen den der Versicherte im Ablehnungsfalle die Widerspruchsstelle des Versicherungsträgers anrufen kann (SGG §§ 78, 85). Erst gegen den Übergangsgeld versagenden Bescheid - ggf in der Gestalt des nicht abhelfenden Widerspruchsbescheides (vgl SGG § 95) - steht dem Versicherten die mit der Aufhebungsklage verbundene Leistungsklage nach SGG § 54 Abs 4 zu.

3. Die echte Leistungsklage nach SGG § 54 Abs 5 ist nur möglich, wo der eine Beteiligte dem anderen gegenüber schlechthin nicht von hoher Hand einseitig und mit Anspruch auf Rechtsverbindlichkeit entscheiden kann, wo also in bezug auf den streitigen Anspruch Gleichordnung zwischen den Beteiligten besteht.

 

Normenkette

RVO §§ 1237a, 1241e, 1631 Abs 1 S 1 Alt 2; SGG § 54 Abs 4 Fassung: 1953-09-03; SGG § 54 Abs 5 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.10.1978; Aktenzeichen L 3 J 1374/77)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 14.06.1977; Aktenzeichen S 6 J 1049/76)

 

Tatbestand

I.

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld für einige Wochen.

Der 1927 geborene, an Tuberkulose erkrankt gewesene Kläger bezog nach Abschluß einer stationären Behandlung ua Krankengeld bis 29. März 1976. Am 10. Mai 1976 nahm er aus eigener Initiative eine versicherungspflichtige Beschäftigung wieder auf.

Seinen bereits 1975 gestellten Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit dem - ursprünglich streitigen - Bescheid vom 20. April 1976 ab: Der Kläger sei wieder vollschichtig einsatzfähig; wegen der Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes erhalte er weitere Nachricht.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger nur zunächst den Rentenanspruch weiterverfolgt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) am 14. Juli 1977 hat er nur noch Übergangsgeld für die Zeit vom 30. März bis 9. Mai 1976 begehrt. Entsprechend hat das SG die Beklagte verurteilt (Urteil vom 14. Juni 1977). Mit der angefochtenen Entscheidung vom 11. Oktober 1978 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten hiergegen zurückgewiesen und ausgeführt: § 1244a Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) stütze den Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld. Die diesem am 20. April 1976 schriftlich kundgegebene Bereitschaft der Beklagten, eine Vermittlung des Klägers in einen Arbeitsplatz zu prüfen, rechtfertige gemäß §§ 1237a, 1241e RVO die Gewährung von Übergangsgeld.

Das LSG hat gegen dieses Urteil die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat die Revision eingelegt. Sie führt aus, bloße "Hilfen" zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach § 1237a Abs 1 Nr 1 RVO stellten keine den Anspruch auf Übergangsgeld auslösende berufsfördernde Maßnahmen dar. Diesen Hilfen mangele der Zeitraum, der durch Beginn und Abschluß umschlossen sei. Überdies könne der Versicherte trotz einer solchen Maßnahme ganztägig arbeiten. Schließlich trage die Bundesanstalt für Arbeit (BA) das Risiko, damit aber auch die Last der Arbeitslosigkeit. Überdies habe der Kläger eine berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation nicht beantragt, das Arbeitsamt habe keinen Eingliederungsvorschlag gemacht und der Kläger einem solchen Vorschlag auch nicht zugestimmt oder gar daran mitgewirkt. Der Kläger sei nicht einmal der Einladung zu einem Beratungsgespräch gefolgt.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juni 1977 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. Oktober 1978 aufzuheben und die Klage gegen ihren Bescheid vom 20. April 1976 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Beklagte sei nach § 5 Abs 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) verpflichtet gewesen, die nach Lage des Falles erforderlichen Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen, daß die Leistungen eines anderen Trägers nicht erforderlich gewesen seien. Schließlich habe er von der Beklagten jahrelang eine medizinische Maßnahme der Rehabilitation mit Anspruch auf Übergangsgeld bis 27. Januar 1976 bezogen und außerdem einen Rentenantrag gestellt gehabt. Der Eingliederungsvorschlag des Arbeitsamts stelle nur eine verwaltungsinterne Angelegenheit dar. Wäre ihm - was nur wegen der Rehabilitation nicht geschehen sei - vor Beginn der Heilbehandlung Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt worden, hätte diese Rente frühestens mit Ablauf des Monats April 1976 wirksam entzogen werden können (§ 1286 Abs 2 RVO). Die Beklagte habe ihm keinen Weg aufgezeigt, von wem er bis zur endgültigen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben eine angemessene Unterstützung bekommen könne.

Beide Beteiligte haben erklärt, daß sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

Der Kläger hatte das gegenwärtige Streitverfahren mit einer Klage auf Aufhebung des Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit versagenden Bescheides der Beklagten vom 20. April 1976 eingeleitet, die er gemäß § 54 Abs 4 SGG mit einer entsprechenden Leistungsklage verbunden hatte. An dieser Klage hat der Kläger schon in erster Instanz nicht festgehalten. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Karlsruhe am 14. Juni 1977 seinen Bevollmächtigten nur noch beantragen lassen, die Beklagte "unter Abänderung des Bescheides vom 20. April 1976 zu verurteilen, Übergangsgeld für den Zeitraum vom 30. März bis 9. Mai 1976 zu gewähren". Da der genannte Bescheid der Beklagten kein Übergangsgeld versagt hat und der Kläger die mit diesem Bescheid abgelehnte Rente nicht - mehr - begehrt, handelt es sich bei der vom Kläger am 14. Juni 1977 neu erhobenen Klage um eine reine Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG, mit der er nur noch Übergangsgeld auf Zeit beansprucht. Es kann dahinstehen, ob das Fallenlassen der ursprünglichen Klage und das Geltendmachen eines nach Anspruchsgrundlage und Rechtsfolge neuen Anspruchs - der Anspruch auf Übergangsgeld nach §§ 1237a, 1241 e RVO hat insbesondere nichts mit dem ursprünglich geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit zu tun - eine zulässige Klageänderung im Sinne von § 99 SGG darstellt. Jedenfalls war das neue Klagebegehren auf befristetes Übergangsgeld aus prozeßrechtlichen Gründen unzulässig, was selbst eine zulässige Klageänderung nicht hätte verhindern können (vgl Urteil des 11. Senats des BSG vom 15. November 1979 - 11 RA 9/79). Die neue Leistungsklage des Klägers auf Übergangsgeld ist schon deswegen unstatthaft, weil die Beklagte über dessen Gewährung oder Versagung noch nicht durch Verwaltungsakt entschieden hat. Nur wenn in bezug auf das Übergangsgeld ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hätte, wäre nach § 54 Abs 5 SGG eine reine Leistungsklage zulässig und ein Verwaltungsakt der Beklagten entbehrlich. Vorliegend aber hätte ein Verwaltungsakt ergehen müssen. Dabei kann unentschieden bleiben, ob - wofür manches spricht (vgl zB die Darstellung des Schrifttums bei Götz, Mitt. LVA Ofr, 1972, 93, 94 und Jung/Preuß, Rehabilitation, 2. Aufl, § 4 RehaAnglG, Anm 4) - Leistungen zur Rehabilitation entgegen §§ 1545 Abs 1 Nr 2, 1613 Abs 1 RVO nicht ausschließlich auf Antrag, sondern auch von Amts wegen und außerdem entgegen § 1631 Abs 1 RVO ausnahmsweise auch ohne formellen Bescheid im Wege des schlichten Verwaltungshandelns gewährt werden könnten. Es kann kein begründeter Zweifel daran bestehen, daß der Rentenversicherungsträger jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - der Versicherte Leistungen zur Rehabilitation ausdrücklich verlangt, er diesen Anspruch nach § 1631 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 nur durch einen schriftlichen Verwaltungsakt ("Bescheid") ablehnen kann. Denn diese ablehnende Entscheidung des Trägers regelt mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (vgl § 35 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes -VwVfG). Schon deshalb "hatte" in bezug auf das vom Kläger beanspruchte Übergangsgeld "ein Verwaltungsakt zu ergehen"; das aber genügt, um die Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG auszuschließen (vgl dazu auch Kopp, VwGO, 4. Aufl, § 42 RdNr 9 und 10). Diese ist nur möglich, wo der eine Beteiligte dem anderen gegenüber schlechthin nicht von hoher Hand einseitig und mit Anspruch auf Rechtsverbindlichkeit entscheiden kann, wo also in bezug auf den streitigen Anspruch Gleichordnung zwischen den Beteiligten besteht (allgemeine Meinung, vgl zB Peters/Sautter/Wolff, Komm zur SGb, § 54 SGG, Anm 6 c; Meyer-Ladewig, SGG, § 54 Anm 41; vgl auch Eyermann/Fröhler, VwGO, § 42 Anm 4 a).

Es ist auch nicht möglich, in dem Antrag des Prozeßvertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 14. Juli 1977, die Klage auf Verurteilung zur Gewährung von Übergangsgeld abzuweisen, einen ablehnenden Verwaltungsakt zu erblicken, gegen den der Kläger in der Folge mit der kombinierten Aufhebungsklage und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG vorgegangen wäre. Dies scheitert, von einer Reihe anderer Bedenken ganz abgesehen, allein schon daran, daß die für den Ablehnungsbescheid des Rentenversicherungsträgers in § 1631 Abs 1 Satz 1 RVO vorgeschriebene Schriftform nicht eingehalten ist. Auch ein Schriftsatz der Beklagten im Berufungsverfahren kann den Verwaltungsakt, der schlechthin Voraussetzung einer zulässigen Anfechtungsklage ist (vgl statt vieler Meyer- Ladewig, SGG, § 54 RdNr 9), nicht statthaft nachgebracht haben; § 96 SGG setzt voraus, daß der Verwaltungsakt bei Klageerhebung bereits vorgelegen hat und bezieht allein nachträgliche Veränderungen und Ergänzungen in das zulässigerweise in Gang gesetzte Streitverfahren ein.

Die vom Kläger erhobene echte Leistungsklage war nach allem gemäß § 54 Abs 5 SGG unzulässig, weil die Beklagte bezüglich des vom Kläger beanspruchten Übergangsgeldes zunächst ein Verwaltungsverfahren durchzuführen und mit einem Verwaltungsakt abzuschließen hat, gegen den der Kläger im Ablehnungsfalle die Widerspruchsstelle der Beklagten anrufen kann (§§ 78, 85 SGG). Erst gegen den Übergangsgeld versagenden Bescheid - gegebenenfalls in der Gestalt des nicht abhelfenden Widerspruchsbescheides (vgl § 95 SGG) - steht dem Kläger die mit der Aufhebungsklage verbundene Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG zu.

Zu Unrecht haben die Vorinstanzen die geänderte Klage nicht - als unzulässig - abgewiesen. Die Beklagte mußte daher mit ihrer Revision durchdringen. Demgemäß war ferner zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind (§ 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651488

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