Leitsatz (amtlich)

Die Witwe eines Versicherten, die im Jahre 1950 (vor dem 1959-01-01) in der SBZ wohnte und dort wiederheiratete, zur Zeit der Wiederheirat aber keine Witwenrente bezog, weil sie die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des sowjetzonalen Rechts nicht erfüllte, hat nach der Auflösung der zweiten Ehe in der Bundesrepublik keinen Anspruch auf eine (wiederaufgelebte) Witwenrente.

 

Normenkette

SVFAG § 1 Fassung: 1953-08-07, § 2 Fassung: 1953-08-07; FRG § 14 Fassung: 1960-02-25; AVG § 68 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Urteile des Sozialgerichts Frankfurt vom 15. April 1959 und des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 1962 werden aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt eine nach ihrer Ansicht wiederaufgelebte Witwenrente aus der Angestelltenversicherung (AnV) ihres im Mai 1945 gefallenen ersten Ehemannes (§ 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Sie wohnte bis 1951 in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und heiratete dort 1950 wieder. Die zweite Ehe wurde ohne ihre Schuld 1958 in der Bundesrepublik geschieden. Vor der Wiederheirat bezog die Klägerin keine Witwenrente; sie erfüllte nicht die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des sowjetzonalen Rechts (§§ 56, 48 der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947 - Arbeit- und Sozialfürsorge 1947 S. 92 -).

Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 2. September 1958). Das Sozialgericht Frankfurt sprach die Witwenrente vom März 1958 an zu (Urteil vom 15. April 1959). Das Hessische Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück: Die Klägerin habe bis zur Wiederheirat einen im Gebiet der Bundesrepublik niemals untergegangenen und nun wiederaufgelebten Witwenrentenanspruch nach früherem Reichsrecht gehabt; verneine man dies, müsse man sie - insbesondere nach dem Fremdrentenrecht - wenigstens so behandeln, als ob sie zur Zeit der Wiederheirat im Bundesgebiet gewohnt und hier einen nicht an persönliche Anspruchsvoraussetzungen geknüpften Rentenanspruch des Bundesrechts besessen hätte (Urteil vom 20. September 1962).

Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügte, § 68 Abs. 2 AVG sei verletzt.

Die Klägerin beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig und auch begründet.

Läßt man das Fremdrentenrecht vorerst außer Betracht, so kommen als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin nur § 68 Abs. 2 AVG und Art. 2 § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes in Frage. Wie das Bundessozialgericht (BSG) schon zu den gleichlautenden Vorschriften der Arbeiterrentenversicherung entschieden hat (BSG 14, 238), setzen diese Vorschriften voraus, daß durch die Wiederheirat ein Rentenanspruch weggefallen ist, im Zeitpunkt der Wiederheirat also ein Anspruch auf Witwenrente bestanden hat. Damals - im Jahre 1950 - hatte die Klägerin aber auf eine Witwenrente keinen Anspruch.

Das ist unbestritten und nicht zweifelhaft, soweit es sich um das sowjetzonale Recht handelt; ob ein Anspruch dieser Art in der Bundesrepublik nach § 68 Abs. 2 AVG überhaupt "wiederaufleben" könnte, kann daher offenbleiben. Entgegen der Ansicht des LSG konnte die Klägerin zur Zeit ihrer Wiederheirat aber auch im Bundesgebiet keine Witwenrente beanspruchen. Im Jahre 1950 war die Klägerin noch von dem Sozialversicherungssystem der SBZ erfaßt (BSG 3, 286; 5, 60); solange sie dort wohnte, konnte sie nicht nur keine Ansprüche im Bundesgebiet nach dem damaligen Bundesrecht erwerben; vielmehr bewirkte die Aufsplitterung Deutschlands nach 1945 in mehrere sich organisatorisch und materiell-rechtlich unterscheidende Sozialversicherungssysteme außerdem den Untergang der nach dem früheren Reichsrecht entstandenen Ansprüche, wenn das am Wohnsitz herrschende neue System - wie hier das sowjetzonale Recht - die Ansprüche nicht gegen ihm angehörende Versicherungsträger fortbestehen ließ; die Ansprüche waren alsdann in allen Teilen des früheren Reichsgebietes untergegangen. Es bedarf daher keiner Klärung, ob die Klägerin beim Tode ihres ersten Mannes eine Witwenrente nach früherem Reichsrecht beanspruchen konnte, weil ein solcher Anspruch jedenfalls im Zeitpunkt der Wiederheirat - auch in der Bundesrepublik - nicht mehr vorhanden war.

Eine "wiederaufgelebte" Witwenrente kann die Klägerin aber auch unter Berücksichtigung des Fremdrentenrechts nicht erreichen. Für sie galt nach der Übersiedlung in das Bundesgebiet zunächst noch das Fremd- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1953 (FAG), während vom 1. Januar 1959 das Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 (FANG) in Betracht zu ziehen ist.

Weder das FAG noch das FANG kennen eine Vorschrift, die besagt, daß das hier fehlende Tatbestandsmerkmal des Witwenrentenanspruchs im Zeitpunkt der Wiederheirat zu unterstellen wäre. Das kann auch nicht aus den Vorschriften herausgelesen werden, die auf das allgemeine Rentenversicherungsrecht verweisen (§§ 2 FAG, 14 Fremdrentengesetz - FRG - = Art. 1 FANG). Es bliebe darum nur die Möglichkeit einer Gesetzeslücke (vgl. BSG 14, 241 ff); aber auch eine solche ließe sich nicht im Wege der Analogie zugunsten der Klägerin schließen.

Es ist schon zweifelhaft, ob die dem FAG oder dem FANG (FRG) zugrunde liegenden Prinzipien sich für eine analoge Anwendung im vorliegenden Falle eignen. Beide Gesetze stellen ihre Berechtigten den übrigen Versicherten nicht in allen Leistungsvoraussetzungen gleich, sondern im wesentlichen nur in den Versicherungszeiten (§§ 4 FAG, 15 ff FRG) und in den die Versicherungsfälle auslösenden Ereignissen (nicht aber beispielsweise bei den früheren Beiträgen, die an Fremdrentner nicht erstattungsfähig sind); soweit sie gleichstellen, knüpfen sie dazu stets an Umstände an, die in anderen Rechtsbereichen tatsächlich eingetreten sind (vgl. auch § 90 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG -). Weder das FAG noch das FANG (FRG) enthalten somit einen allgemeinen Grundsatz, der die Berechtigten in allen versicherungsrechtlich bedeutsamen Beziehungen schlechthin so behandelt, als ob sie immer im Gebiet der Bundesrepublik gelebt hätten. Einer ergänzenden Rechtsfindung in dem von der Klägerin gewünschten Sinne stehen aber vor allem die Grundsätze entgegen, die im allgemeinen Rentenversicherungsrecht für das Wiederaufleben eines Witwenrentenanspruchs maßgebend sind. Die Klägerin hatte im Jahre 1950 allenfalls eine Aussicht auf Witwenrente. Sie steht somit den Witwen gleich (§ 90 Abs. 1 BVFG), die im Bundesgebiet wiedergeheiratet haben, damals jedoch keinen Anspruch, sondern höchstens eine Aussicht auf Witwenrente gehabt haben. Die bloße Aussicht auf eine Rente im Zeitpunkt der Wiederheirat wollte der Gesetzgeber aber in keinem Falle für das Wiederaufleben eines Witwenrentenanspruchs nach Auflösung der zweiten Ehe genügen lassen (BSG 14, 238). Der Klägerin könnte somit auch nicht im Wege der Analogie eine wiederaufgelebte Witwenrente nur deshalb zugesprochen werden, weil sie vor der Wiederheirat in der Bundesrepublik eine Witwenrente hätte beanspruchen können, sofern sie damals schon hier gewohnt hätte. Sie kann keine Gleichstellung mit den ehemaligen Witwen verlangen, die durch ihre Wiederheirat in der Bundesrepublik einen tatsächlich vorhandenen Rentenanspruch eingebüßt haben. Da sie im Gegensatz zu diesen bei der Wiederheirat noch nicht auf einen Rentenbezug eingestellt sein konnte, liegt in der Versagung der Witwenrente schließlich auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (BSG aaO, 244).

Ob die Rechtslage derjenigen Witwen, die die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen einer Witwenrente des sowjetzonalen Rechts ebenfalls nicht erfüllten, in der SBZ aber erst nach dem 31. Dezember 1958 wiedergeheiratet haben, anders zu beurteilen ist - wie die Beklagte meint -, brauchte der Senat nicht zu prüfen, da die Klägerin schon im Jahre 1950 wiedergeheiratet hat.

Hiernach sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 97

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