Leitsatz (amtlich)

Hat bei einem Urteil des LSG als Landessozialrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber ein ehrenamtlicher Richter mitgewirkt, der nicht die Voraussetzungen des SGG § 16 Abs 4 erfüllte, so kann seine Mitwirkung als wesentlicher Verfahrensmangel des LSG (unrichtige Besetzung) mit der Revision auch dann gerügt werden, wenn die Voraussetzungen für das Richteramt erst nach der Berufung zum Landessozialrichter entfallen sind und ein Amtsenthebungsverfahren noch nicht durchgeführt worden ist.

 

Normenkette

SGG § 12 Fassung: 1953-09-03, § 16 Abs. 4 Fassung: 1954-09-10, § 22 Fassung: 1953-09-03, § 162 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 27. November 1963 aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Kläger beanstandet die Berechnung des Altersruhegeldes, das ihm die Beklagte seit Dezember 1961 gewährt. Für ihn sind ua von Juli 1942 bis März 1944 Beiträge sowohl im Lohnabzugsverfahren als auch in Beitragsmarken entrichtet worden. Die Beklagte hat die Marken-Beiträge als Überversicherungsbeiträge behandelt. Der Kläger will dagegen alle Beiträge "einheitlich" als Pflichtbeiträge zur Handwerkerversorgung bewertet haben.

Das Sozialgericht (SG) Itzehoe hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. März 1963), das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. November 1963).

Mit der nicht zugelassenen Revision beantragt der Kläger,

das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Er rügt, daß das LSG in der Sitzung vom 27. November 1963 nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei; als Landessozialrichter aus dem Kreise der Arbeitgeber habe der Bäckermeister K K mitgewirkt, obgleich er seit längerer Zeit keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer mehr beschäftigt habe (Verletzung der §§ 33, 12 Abs. 2, 35 Abs. 1, 16 Abs. 4 Nr. 1, 22 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Außerdem habe das LSG bei der Feststellung, daß die Beiträge nicht vom Kläger, sondern von der Finanzverwaltung als damaligem Arbeitgeber entrichtet worden seien, die Auskunft der Oberfinanzdirektion K vom 17. Juli 1963 nicht berücksichtigt (Verstoß gegen § 128 SGG).

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers zur ersten Verfahrensrüge den Präsidenten des LSG dienstlich gehört und den Landessozialrichter gerichtlich vernehmen lassen.

II.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Sie ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, weil der Kläger ordnungsgemäß (§ 164 Abs. 2 SGG) und mit Recht einen wesentlichen Mangel in dem Verfahren des LSG, nämlich die Verletzung der §§ 12 Abs. 2 Satz 1, 16 Abs. 4 Nr. 1, 33, 35 SGG rügt. Das LSG mußte über die Berufung unter Mitwirkung je eines Landessozialrichters aus den Kreis der Versicherten und aus dem Kreis der Arbeitgeber entscheiden (vgl. auch § 16 Abs. 2 SGG). Als Landessozialrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber hat es den Bäckermeister K K (K) herangezogen. K. durfte am 27. November 1963 aber nicht mehr als Landessozialrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber tätig werden, weil er zu dieser Zeit nicht mehr Arbeitgeber im Sinne des § 16 Abs. 4 SGG war.

Von den Alternativen dieser Vorschrift kommt hier nur Nr. 1 in Betracht. Sozialrichter (Landessozialrichter) aus Kreisen der Arbeitgeber können danach Personen sein, die regelmäßig mindestens einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Hierzu hat der Senat folgenden Sachverhalt festgestellt:

K. wurde im März 1961 mit Wirkung vom 1. April 1961 an (wieder) zum Landessozialrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber berufen. Er betrieb damals in R, Ballee ... eine Bäckerei (mit Cafe und Schankwirtschaft), die er im Dezember 1961 aufgab. Dort beschäftigte er zuletzt im Mai 1961 einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer.

Im April 1962 übernahm K. Wieder eine seit 1960 verpachtete Bäckerei in R, R.-straße .... Dieser Betrieb befaßte sich überwiegend mit dem Verkauf von Backwaren; er wurde im wesentlichen von der Ehefrau geführt, besonders in der Zeit von August 1962 bis Juni 1963, in der K. selbst werktags außerhalb von R bei einem Kriegsopferverband als Angestellter arbeitete. In dem Geschäft waren gelegentlich stundenweise Aushilfskräfte tätig, die nicht als versicherungspflichtig angesehen wurden. Am 1. April 1964 meldete K. auch dieses Geschäft beim Gewerbeamt ab. Im Juli 1964 beantragte K. beim LSG seine Entlassung aus dem Amt des Landessozialrichters.

Aus diesem Sachverhalt ergibt sich, daß K. am 27. November 1963 nicht mehr eine Person gewesen ist, die - wie es in § 16 Abs. 4 Nr. 1 SGG heißt - regelmäßig mindestens einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt. Dabei kann dahinstehen, ob die in den Jahren 1962 und 1963 stundenweise für ihn tätigen Aushilfskräfte - etwa, weil sie in der Unfallversicherung (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) pflichtversichert waren - "versicherungspflichtige Arbeitnehmer" i. S. des § 16 Abs. 4 Nr. 1 SGG gewesen sind; die Arbeitgebereigenschaft i. S. dieser Vorschrift hat ihre Beschäftigung jedenfalls deshalb nicht begründen (aufrechterhalten) können, weil solche Aushilfskräfte bei K. nur gelegentlich, also nicht regelmäßig gearbeitet haben. Die letzte "regelmäßige" Beschäftigung von versicherungspflichtigen Arbeitnehmern hat am 27. November 1963 vielmehr schon fast 2 1/2 Jahre zurückgelegen. So ist es selbst dann gewesen, wenn man berücksichtigt, daß § 16 Abs. 4 Nr. 1 SGG (vgl. auch § 22 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz) keine ununterbrochene Beschäftigung von Arbeitnehmern voraussetzt und sonach eine vorübergehende Nichtbeschäftigung unschädlich sein läßt; denn eine Zeitdauer von über 2 Jahren, die die Hälfte der gesamten Amtsperiode übersteigt, kann nicht mehr als ein bloß vorübergehender Zustand angesehen werden; im übrigen spricht aber auch die Feststellung, daß K. von Dezember 1961 bis März 1962 überhaupt keinen Betrieb geführt und daß er von August 1962 bis Juni 1963 sogar selbst in abhängiger Beschäftigung gestanden hat, gegen die Annahme, daß K. in dieser Zeit noch die Absicht gehabt hätte, weiterhin regelmäßig versicherungspflichtige Arbeitnehmer zu beschäftigen.

Daß K. am Sitzungstage des LSG noch nicht - nach den §§ 35, 22 SGG wegen Wegfalls einer Voraussetzung für seine Berufung - seines Amtes als Landessozialrichter enthoben war, macht seine Mitwirkung weder rechtmäßig noch schließt das die hier erhobene Revisionsrüge aus. Die Rüge der unvorschriftsmäßigen Besetzung des LSG haben ohne Rücksicht auf ein Amtsenthebungsverfahren - seine Einleitung und seinen Ausgang - der 6. und der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits zugelassen, wenn der Landessozialrichter überhaupt nicht in sein Amt hätte berufen werden dürfen (BSG 4, 242; SozR Nr. 9 zu § 33 SGG). Der Fall, daß die Voraussetzungen des Amtes - wie hier - erst im Laufe der Amtsperiode, also nachträglich, weggefallen sind, ist vom BSG noch nicht entschieden, vielmehr bewußt offengelassen worden. Die Antwort auf diese Frage kann aber nicht anders lauten.

Die Frage hat früher schon das Reichsversicherungsamt beschäftigt (An 1888, 207 und EuM 26, 74); es ist dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Die Frage kann heute in allen Gerichtsverfahren aufkommen, in denen - wie in der Sozialgerichtsbarkeit - ehrenamtliche Richter mitwirken (vgl. die Zusammenstellung bei Gerner-Decker-Kauffmann, Deutsches Richtergesetz 1963, § 44 Anm. 3). Bisher sind aber die Auffassungen auch dort offenbar nicht einheitlich (vgl. Eyermann-Froehler, 2. Aufl., Anm. 3 zu § 24 VwGO und Pritsch, Das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen, 1955, § 4 Anm. V d); immerhin gilt jedoch im Strafverfahren als herrschende Meinung, daß die Unfähigkeit für das Amt des Schöffen (§ 32 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG -) im Revisionsverfahren gerügt werden kann, selbst wenn die Streichung aus der Schöffenliste in dem besonderen Verfahren des § 52 GVG noch nicht eingeleitet oder sogar schon abgelehnt worden ist (Loewe-Rosenberg, 20. Aufl., § 52 GVG, Anm. 10; Schmitt, Lehrkomm. zur Strafprozeßordnung und zum GVG, Randnr. 4 u. 9 zu § 52 GVG und 14 zu § 338 StPO; Schwarz-Kleinknecht, Anm. 5 zu § 52 GVG). Ausdrücklich geregelt war die Frage in § 2 Abs. 5 der VO über das Verfahren vor den auf Grund des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichten vom 1. Dezember 1890 (AN 1891 S. 11); dort war bestimmt, daß, wenn ein Beisitzer im Laufe der Wahlperiode die Wählbarkeit verliert, seine Fähigkeit an den Sitzungen teilzunehmen erst mit der Amtsenthebung erlischt. Das gleiche Ergebnis führt jetzt die Vorschrift des § 65 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) dadurch herbei, daß sie bestimmt, die Berufung könne auf Mängel des Verfahrens bei der Berufung der Arbeitsrichter oder auf "Umstände, die die Berufung eines Arbeitsrichters zu seinem Amte ausschließen", nicht gestützt werden; damit ist zugleich gesagt, daß die Berufung auch nicht auf einen nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen gestützt werden kann. Die Revisionsgründe dagegen hat das ArbGG nicht in gleicher Weise eingeschränkt; § 73 Abs. 2 ArbGG schließt nur "Mängel des Verfahrens bei der Berufung der Beisitzer" als Revisionsgründe aus, so daß der Wegfall der Voraussetzungen, der erst während der Amtsperiode eintritt, mit der Revisionsrüge geltend gemacht werden kann.

Der Senat ist der Überzeugung, daß es entscheidend darauf ankommt, ob das Gesetz die Voraussetzungen für das Amt des ehrenamtlichen Richters nur als Bedingungen der Berufung (Ernennung) bzw. der Entlassung gestaltet oder ob es von dem Fortbestand der Voraussetzungen außerdem die gesamte Amtsausübung abhängig gemacht hat. Soweit es sich um das Amt des Sozialrichters (Landessozialrichters, Bundessozialrichters) handelt, ist aus den §§ 12 ff SGG zu folgern, daß für die Ausübung des Amtes während der ganzen Amtsdauer das Vorhandensein der positiven und das Fehlen der negativen Voraussetzungen für die Berufung in das Amt unerläßlich ist.

Als positive Voraussetzungen kennt das SGG allgemeine und besondere. Nach § 16 Abs. 1 "kann das Amt des Sozialrichters nur ausüben", wer die dort genannten allgemeinen Voraussetzungen erfüllt. Die besonderen Voraussetzungen enthalten die §§ 12 und 16 in ihren Absätzen 2 bis 4; hier ist in mehrfacher Differenzierung bestimmt, welche Personen den verschiedenen Spruchkörpern "angehören", in ihnen "mitwirken" und Sozialrichter aus bestimmten Kreisen und in bestimmten Spruchkörpern "sein können". Die negativen Voraussetzungen faßt § 17 SGG zusammen, auch hier gibt es allgemeine und besondere. Die allgemeinen (§ 17 Abs. 1) bewirken, daß der Betroffene "vom Amt des Sozialrichters ausgeschlossen ist"; die besonderen (Abs. 2 bis 5) führen dazu, daß die hierunter fallenden Personen "nicht Sozialrichter sein können". Hiernach zeigt schon der Wortlaut dieser Vorschriften, daß bei jeder Amtsausübung des Sozialrichters (Landessozialrichters, Bundessozialrichters) die positiven Voraussetzungen erfüllt sein, gleichzeitig aber die negativen Voraussetzungen fehlen müssen. Das folgt im übrigen aus dem Ziel, dem das Gesetz nachstrebt, wenn es für das Amt des ehrenamtlichen Richters in der Sozialgerichtsbarkeit bestimmte Voraussetzungen fordert; das Gesetz hat dabei nicht nur das Amt schlechthin im Auge; es will vielmehr sicherstellen, daß in jedem einzelnen Rechtsstreit vor den Sozialgerichten Personen als ehrenamtliche Richter mitwirken, die sowohl dieses Richteramtes würdig sind, als auch auf Grund ihrer Stellung im Arbeits- und Wirtschaftsleben besonders geeignet erscheinen, an der Entscheidung bestimmter Gruppen sozialgerichtlicher Streitigkeiten mitzuwirken. Gerade diese Bedeutung der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter rechtfertigt es aber, die Voraussetzungen für das Amt des Sozialrichters (Landessozialrichters, Bundessozialrichters) für jede Amtsausübung zu fordern und den Beteiligten eines Rechtsstreits nicht mit Rücksicht auf das im Gesetz vorgesehene Amtsenthebungsverfahren (§ 22 SGG) die Revisionsrüge der unvorschriftsmäßigen Besetzung zu versagen. Das gilt um so mehr, als die Beteiligten der einzelnen Streitigkeiten auf das Amtsenthebungsverfahren keinen Einfluß haben und es nicht selten dem Zufall unterliegt, wann der Wegfall der Voraussetzungen für das ehrenamtliche Richteramt bekannt wird und wann dies dann zu einer Enthebung vom Amt führt.

Da das LSG somit bei der angefochtenen Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 551 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 202 SGG) und dieser Verfahrensmangel einen absoluten Revisionsgrund darstellt (BSG 9, 153, 158 und SozR Nr. 2 zu § 31 SGG), ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG) ist nicht möglich, weil der Verfahrensmangel sämtliche tatsächlichen Feststellungen des LSG betrifft und das BSG selbst keine tatsächlichen Feststellungen zur Sache treffen kann. Der Rechtsstreit ist daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, ohne daß noch auf die zweite Verfahrensrüge eingegangen zu werden braucht.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2325504

BSGE, 26

NJW 1965, 1550

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