Entscheidungsstichwort (Thema)

Hippotherapie

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Träger der Sozialhilfe nach § 1531 RVO den Ersatz seiner Aufwendungen für Behandlungskosten beansprucht, darf die Krankenkasse zur Zahlung der Kosten an den Versicherten nicht mehr verurteilt werden; der Versicherte kann jedoch die Erstattung des Kostenbetrages an den Träger der Sozialhilfe verlangen, wenn er ein schutzwürdiges Interesse daran hat, auf diese Weise von dessen Rückgriff auf ihn freigestellt zu werden (Fortentwicklung von BSG 1961-06-06 3 RK 36/58 = BSGE 14, 229).

2. Die Krankenpflege in der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht von vornherein auf Leistungen beschränkt, deren Wissenschaftlichkeit voll abgesichert, Wirksamkeit allgemein festgestellt und Heilerfolg allgemein geklärt ist.

3. Weder die § 182 Abs 2 RVO, § 13 Abs 2 KVLG noch der sie präzisierende und ergänzende § 368e RVO enthalten Erfordernisse, die vor der Beanspruchung, Verordnung oder Bewilligung einer neuen Behandlungsmethode die allgemeine Feststellung ihrer Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit verlangen.

 

Orientierungssatz

Ist der Anspruch auf Gewährung der Hippotherapie für eine vergangene Zeit zu beurteilen, ist es geboten nur auf den Versicherten abzustellen und entsprechend dem Gesetz konkret zu fragen, ob die vorgenommene Behandlung bei ihm ausreichend und zweckmäßig war und das Maß des Notwendigen nicht überstieg (§ 13 Abs 2 KVLG, § 368e RVO) sowie ferner, ob diese Behandlung zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgte und zur Erzielung des Erfolges nicht unwirtschaftlich war (§ 368e RVO).

 

Normenkette

RVO § 1531 Fassung: 1945-03-29, § 368e Fassung: 1975-08-28, § 182 Abs. 2 Fassung: 1930-07-26; KVLG § 13 Abs. 2 Fassung: 1972-08-10

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 20.04.1979; Aktenzeichen L 1 Kr 26/78)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 29.06.1978; Aktenzeichen S 4 Kr 1/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Kosten für die hippotherapeutische Behandlung des Sohnes des Klägers zu erstatten hat.

Der Kläger ist als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten nach dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) versichert. Sein 1972 geborener Sohn ist wegen einer Cerebralparese mit Anfallsleiden geistig und körperlich behindert. Im Januar und Februar 1977 verordnete der behandelnde Kassenarzt dem Kind 22 hippotherapeutische Behandlungen. Die Beklagte lehnte es ab, hierfür Kosten zu übernehmen, weil das therapeutische Reiten keine Kassenleistung sei. Im Bescheid vom 20. April 1977 führte sie ergänzend an, der verfolgte Zweck könne mit weniger kostenaufwendigen Mitteln, insbesondere krankengymnastischen Übungen, erreicht werden; auch sei das therapeutische Reiten aus orthopädischer Sicht nicht unbedenklich; Leistungen der Kasse kämen unter diesen Umständen grundsätzlich nicht in Betracht. Im Widerspruchsbescheid vom 17. November 1977 berief sie sich weiter darauf, daß über die Eignung eines Mittels iS von § 368e der Reichsversicherungsordnung (RVO) der "Ausschuß für Untersuchungs- und Heilmethoden" bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entscheide; er habe sich zur Hippotherapie am 2. Februar 1977 dahin geäußert, daß er eine Stellungnahme zur Erfüllung der Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht abgeben könne; bis zu einer anderen Beurteilung des Ausschusses sei damit eine Anerkennung des therapeutischen Reitens ausgeschlossen.

Im Februar und September 1978 bewilligte der Kreis S -Sozialamt- gem § 44 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) dem Kläger für seinen Sohn nachträglich insgesamt 60 vom behandelnden Arzt für 1977 und das erste Halbjahr 1978 verordnete krankengymnastische Behandlungen auf neurophysiologischer Grundlage (Pos I Buchst b - Hippotherapie -), meldete insoweit bei der Beklagten gem §§ 1531 ff RVO Ersatzansprüche an und bezahlte die Rechnungen der Krankengymnastin (Hippotherapeutin) über 644,-- DM bzw 441,60 DM.

Der vom Kläger gegen die Beklagte erhobenen Klage mit dem Antrag, festzustellen, daß die Bescheide vom 20. April und 17. November 1977 rechtswidrig waren und die Beklagte verpflichtet war, die verordnete Hippotherapie als Kassenleistung zu tragen, hat das Sozialgericht (SG) nach Beiladung des Kreises S zum Verfahren stattgegeben.

Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Feststellungsklage abgewiesen, weil eine solche weder nach § 55 noch nach § 131 Abs 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig sei; die Bescheide der Beklagten hätten sich nicht wegen der Kostenübernahme durch die Beigeladene erledigt. Auf die Anschlußberufung des Klägers hat das LSG diese Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Kosten der hippotherapeutischen Behandlung ab Januar 1977 zu erstatten (Urteil vom 20. April 1979). Die Erstattung sei nicht durch § 13 Abs 2 KVLG ausgeschlossen. Nach der überzeugenden Ansicht der in beiden Rechtszügen gehörten medizinischen Sachverständigen sei die hippotherapeutische Behandlung bei einer infantilen Cerebralparese eine zweckmäßige, aber auch notwendige Behandlungsform, die die üblichen krankengymnastischen Behandlungen ergänze; sie gehöre damit zu den Kassenleistungen, welche die Beklagte gewähren müsse. Die Auffassung des Ausschusses für Untersuchungs- und Heilmethoden, über die Validität der Hippotherapie als Behandlungsmethode lägen bisher keine eine Gesamtbeurteilung erlaubenden Nachweise vor, sei nicht bindend und werde durch die eingeholten Gutachten widerlegt. Die Beweisaufnahme habe die Richtigkeit der Verordnung für das Kind bestätigt. Die seit 1976 durchgeführte hippotherapeutische Behandlung habe bei ihm in den letzten zwei Jahren geistig wie körperlich zu deutlichen Fortschritten geführt. Der Kläger habe sonach einen Anspruch auf die Gewährung dieser die Beschwerden des Kindes lindernden Behandlung. Soweit die Beklagte die Sachleistungen bisher verweigert habe, bestehe ein Erstattungsanspruch.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte (sinngemäß),

das Urteil des LSG zu ändern und die Anschlußberufung

des Klägers zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Sie erhebt Bedenken wegen der Aktivlegitimation und des Rechtsschutzinteresses des Klägers und rügt im weiteren Verletzung formellen und materiellen Rechts. Zum einen hätte angesichts der Bedenken des Ausschusses gegen die Hippotherapie das LSG weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere die Äußerungen der ärztlichen Sachverständigen dem Ausschuß vorlegen müssen. Zum anderen habe es die das Recht der kassenärztlichen Versorgung beherrschenden Grundsätze verkannt. Sie schlössen es aus, in das in sich geschlossene System ohne weiteres neue Leistungen einzuführen.

Der Kläger und der Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist in dem Sinne begründet, daß das Urteil des LSG in dem von der Beklagten angefochtenen Umfang, dh soweit es der Anschlußberufung des Klägers stattgegeben hat, aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückzuverweisen ist.

Bei der Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Behandlungskosten an den Kläger ist das LSG davon ausgegangen, daß ein Versicherter, dem die Krankenkasse eine Sachleistung zu Unrecht verweigert, von ihr die Erstattung der Kosten der deshalb selbst beschafften Leistung verlangen kann (BSGE 46, 179; SozR 2200 § 182 Nrn 47 und 48). Nach dem Inhalt des Berufungsurteils handelt es sich dabei hier um die Kosten der Behandlung in der Zeit vom 1. Januar 1977 bis zum 30. Juni 1978, obgleich der Urteilsspruch nur den ersten Zeitpunkt nennt; anderenfalls wäre das Urteil auch zu unbestimmt und würde es sogar zu künftiger Kostenerstattung verpflichten, was die Natur des Kostenerstattungsanspruchs verbietet.

Nach dem festgestellten Sachverhalt das LSG die Beklagte in keinem Falle verurteilen dürfen, diese Behandlungskosten dem Kläger zu erstatten. Zu Unrecht meint das LSG, dem Erstattungsanspruch des Klägers stehe nicht entgegen, daß der beigeladene Träger der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (Eingliederungshilfe für Behinderte) die Kosten getragen und gem § 1531 RVO (hier iVm § 82 Nr 1 KVLG) hierfür Ersatz von der Beklagten gefordert habe. Wenn der beigeladene Sozialhilfeträger und nicht der Kläger die Behandlungskosten bezahlt hat, kann der Kläger schon deswegen keinen Erstattungsanspruch haben. Davon abgesehen sagt das LSG selbst, daß mit der Entstehung des Ersatzanspruchs des Sozialhilfeträgers der Anspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse "beschränkt" werde. Bereits in BSGE 14, 229, 231f hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hierzu bemerkt, daß die Krankenkasse nicht in die Gefahr geraten dürfe, zweimal leisten zu müssen, der Ersatzanspruch nach § 1531 RVO müsse deshalb dazu führen, daß "die Geltendmachung der Ansprüche des Versicherten gegenüber der Kasse tatsächlich ausgeschlossen" werde, was einem Leistungsverweigerungsrecht der Kasse gleichkommt (BSGE 24, 16, 17). Somit darf die Krankenkasse nicht mehr zur Zahlung von Behandlungskosten an den Versicherten verurteilt werden, wenn ein Träger der Sozialhilfe nach § 1531 RVO Ersatz seiner Aufwendungen hierfür beansprucht.

Deswegen ist die Anschlußberufung des Klägers jedoch nicht schon im Sinne der Zurückweisung entscheidungsreif. Der 3. Senat hat in BSGE 14 aaO offengelassen, ob der Versicherte in einem solchen Falle die Freistellung von einem Rückgriff des Sozialhilfeträgers auf ihn - heute: nach dem BSHG (vgl §§ 79 ff, insbesondere auch 91) - verlangen kann. Diese Freistellung erstrebt der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit dadurch, daß er in der Anschlußberufung ferner hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung an den Beigeladenen (dessen "Freistellung" von den Kosten) beantragt hat. Da der Kläger mit dem Hauptantrag der Anschlußberufung nicht durchdringen kann, bedarf der Hilfsantrag noch der Entscheidung. Der Kläger macht damit nicht im eigenen Namen den Ersatzanspruch des Beigeladenen (vgl BSGE 14 aaO, Leitsatz Nr 3), sondern einen eigenen Freistellungsanspruch geltend, der mit der Befriedigung des Beigeladenen durch die Krankenkasse sein Ziel erreichen würde, weil dann ein Rückgriff des Beigeladenen auf den Kläger entfiele. Der erkennende Senat bejaht die vom 3. Senat noch offengelassene Möglichkeit eines solchen Freistellungsanspruchs, wenn - was auch der 3. Senat in Betracht gezogen hat - ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Dieses wäre zu bejahen, wenn der Kläger wegen der streitigen Behandlungskosten einen Rückgriff des Beigeladenen auf sich befürchten müßte. Darüber erlauben jedoch die vom LSG unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten getroffenen tatsächlichen Feststellungen dem Senat kein Urteil. Der Senat muß deshalb zur Klärung des Interesses am Hilfsantrag den Rechtsstreit an das LSG zurückverweisen.

Die Zurückverweisung hätte nur dann vermieden werden können, wenn der Hilfsantrag auch bei einem schutzwürdigen Interesse des Klägers keinen Erfolg haben könnte. Nach dem vom LSG bisher festgestellten Sachverhalt läßt sich jedoch nicht ausschließen, daß der Kläger in der streitigen Zeit von der Beklagten die Gewährung hippotherapeutischer Behandlung für den Sohn beanspruchen konnte, die das LSG offenbar als Teil einer ärztlichen Behandlung angesehen hat, wie der Hinweis auf den über § 82 Nr 1 KVLG anwendbaren § 122 Abs 1 RVO zeigt (vgl SozR Nr 1 zu § 122 RVO, Nr 46 zu § 182 RVO).

Zu Unrecht meint die Beklagte hierzu allgemein, nach den Grundsätzen der kassenärztlichen Versorgung dürften in dieses umfassend geregelte und in sich geschlossene System nicht ohne weiteres neue Leistungen eingeführt werden, ohne daß deren Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit über den Einzelfall hinaus feststünden. Dem hat der 9. Senat (SozR 3100 § 11 Nr 13) zutreffend ua schon entgegengehalten, daß dem Versicherten neue Behandlungsmethoden nicht (allein) deswegen vorenthalten werden dürfen, weil sie die Schulmedizin noch nicht allgemein anerkannt habe. Auch nach der Auffassung des erkennenden Senats ist die Krankenpflege in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht von vornherein auf Leistungen beschränkt, deren Wissenschaftlichkeit voll abgesichert, deren Wirksamkeit allgemein festgestellt und deren Heilerfolg allgemein geklärt ist.

Im Verhältnis des Versicherten zur Krankenkasse gilt in erster Linie die Bestimmung in den §§ 182 Abs 2 RVO, 13 Abs 2 KVLG, daß die Krankenpflege ausreichend und zweckmäßig sein muß, jedoch das Maß des Notwendigen nicht übersteigen darf; sie enthält keine Erfordernisse der genannten allgemeinen Art. Der Beklagten ist allerdings zuzustimmen, daß auch Vorschriften des sogenannten Kassenarztrechtes (§§ 368 bis 369 RVO iVm § 74 KVLG) für das Verhältnis des Versicherten zur Krankenkasse Rechtswirkungen haben können. In diesem Bereich sollen die §§ 368a bis 368s RVO gem § 368 Abs 1 Satz 2 RVO zwar die Beziehungen zwischen den Ärzten und den Krankenkassen regeln; da sie aber die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten und deren Angehörigen (die sogenannte kassenärztliche Versorgung) bezwecken (§ 368 RVO), kann der gebotene Umfang der Krankenpflege dort kein anderer als in § 182 RVO sein. Das zeigt besonders § 368e RVO, bei dem schon die bisherige Rechtsprechung (BSGE 17, 79, 84; SozR 3100 § 11 Nr 13) einen "untrennbaren inneren Zusammenhang" mit § 182 Abs 2 RVO (= § 13 Abs 2 KVLG) bejaht hat. Er besagt in Satz 1, daß der Versicherte Anspruch auf die ärztliche Versorgung hat, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist, wobei er in einer Klammer auf die §§ 182 Abs 2 RVO, 13 Abs 2 KVLG Bezug nimmt; Satz 2 fügt hinzu, daß Leistungen, die zur Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, der Versicherte nicht beanspruchen kann und sie ebensowenig der Arzt bewirken bzw verordnen oder die Kasse nachträglich bewilligen darf. Hieran wird zum einen die Verknüpfung der Rechte des Versicherten mit den Rechten und Pflichten des Arztes und der Krankenkasse deutlich; zum anderen werden hier Ansprüche des Versicherten inhaltlich festgelegt. Dabei zeigt der Vergleich mit den §§ 182 Abs 2 RVO, 13 Abs 2 KVLG, daß das in jenen Vorschriften Bestimmte in § 368e RVO nicht lediglich wiederholt, sondern darüber hinaus präzisiert und ergänzt wird. Indessen enthält auch § 368e RVO keine Erfordernisse, die vor der Beanspruchung, Verordnung oder Bewilligung einer neuen Behandlungsmethode die allgemeine Feststellung ihrer Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit verlangen; die angesprochenen "Regeln der ärztlichen Kunst" schließen ein solches Erfordernis nicht ein.

Dieses kann entgegen der Auffassung der Beklagten ferner nicht aus den Vorschriften abgeleitet werden, die auf eine "gleichmäßige" ärztliche Versorgung der Versicherten hinwirken sollen (§§ 368 Abs 3, 368g Abs 1 RVO). Als Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vertretene Meinung könnte daher nur § 14 des ab 1. Oktober 1959 und noch in der streitigen Zeit wirksam gewesenen früheren Bundesmantelvertrages für Ärzte (BMV-Ä) in Betracht kommen, dem § 23 BMV-Ä vom 28. August 1979 entspricht. Er beruht auf § 368g RVO; danach ist die kassenärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und etwaiger Richtlinien der nach § 368o RVO gebildeten Bundesausschüsse durch schriftliche Verträge (Gesamtverträge) der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Verbände der Krankenkassen zu regeln; gem Abs 2 vereinbaren die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesverbände der Krankenkassen den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge in Mantelverträgen (Bundesmantelverträgen). § 14 BMV-Ä aF (§ 23 BMV-Ä nF) ist hiernach eine Bestimmung, die zum allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge gehört.

Nach Abs 1 dieser Vorschrift wird bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein "Ausschuß für Untersuchungs- und Heilmethoden" gebildet. Abs 2 Satz 1 legt seine Aufgabe fest: Er nimmt auf Antrag dieser Vereinigung oder eines Bundesverbandes der Krankenkassen dazu Stellung, ob für eine Untersuchungs- oder Heilmethode, insbesondere für eine neue Methode, die in § 368e RVO bezeichneten Voraussetzungen vorliegen Gem Satz 2 sind diese Stellungnahmen von den Ärzten und den Krankenkassen zu beachten. Nach Abs 3 schließlich sollen die Ärzte eine neue Untersuchungs- oder Heilmethode nicht anwenden, die Kassen die Kosten nicht übernehmen, solange der Ausschuß zu der neuen Methode nicht Stellung genommen hat.

Hieraus ergibt sich zunächst, daß schon die in Abs 2 Satz 1 festgelegte Aufgabenstellung keinen Raum für die von der Beklagten vertretenen Auffassung läßt, das LSG habe die eingeholten Gutachten dem Ausschuß vorlegen müssen. Des weiteren folgt aus § 14 BMV-Ä aF bzw § 23 BMV-Ä nF aber ferner nicht, ein Anspruch des Versicherten auf Gewährung einer neuen Behandlungsmethode dürfe nur bejaht werden, wenn der Ausschluß allgemein deren Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit festgestellt habe. Dafür läßt sich weder Abs 2 Satz 1 noch Abs 3 anführen. Abs 2 Satz 1 besagt nur, daß der Ausschuß zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 368e RVO bei Untersuchungs- und Heilmethoden Stellung nimmt (soweit dies generell möglich ist); damit wird ihm nicht die "Feststellung" dieser Voraussetzungen oder die "Entscheidung" über sie (vgl § 6 Abs 2 AVG) übertragen. Zu der Hippotherapie hat sich der Ausschuß am 2. Februar 1977 im übrigen bisher nur dahin geäußert, daß er nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht in der Lage sei, eine Stellungnahme zur Erfüllung der Voraussetzungen von § 368e RVO gem § 14 Abs 2 und 3 BMV-Ä abzugeben. Damit dürfte zwar der Tatbestand des § 14 Abs 3 erfüllt sein, der seinem Sinn und Zweck nach wohl stets eingreift, solange der Ausschuß zu der neuen Methode keine positive Stellung genommen, dh das Vorliegen der Voraussetzungen des § 368e RVO bejaht hat. Abs 3 gibt jedoch lediglich Sollvorschriften für Ärzte und Krankenkassen, denen im Verhältnis des Versicherten zur Krankenkasse keine verbindliche Rechtswirkung beigemessen wird und auch nicht zukommt. Dementsprechend hat der 3. Senat in seinem Urteil vom 22. Juli 1981 (3 RK 50/79) im Falle des § 14 Abs 3 (§ 23 Abs 3) BMV-Ä die Krankenkasse dem Versicherten gegenüber zur Leistung für verpflichtet erachtet, wenn die Versorgungs-Voraussetzungen (die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen) gegeben sind. Dem schließt sich der erkennende Senat an; er läßt offen, ob er auch den übrigen Ausführungen des 3. Senats für die Fälle positiver oder negativer Stellungnahme des Ausschusses folgen könnte.

Der Anspruch auf die Gewährung der Hippotherapie für den Sohn des Klägers in der streitigen Zeit ist daher allein nach den in § 13 Abs 2 KVLG und § 368e RVO aufgeführten Leistungskriterien zu beurteilen. Dabei mag es sein, daß an den Nachweis dieser Kriterien hohe Anforderungen zu stellen sind, wenn der Ausschuß sich zur Bejahung nicht in der Lage gesehen hat und die Leistungsvoraussetzungen für die Zukunft festzustellen sind (vgl Urteil des 3. Senats). Im vorliegenden Falle geht es jedoch allein um die Feststellung dieser Voraussetzungen für eine vergangene Zeit. In einem solchen Falle ist es geboten, nur auf den Versicherten abzustellen und entsprechend dem Gesetz konkret zu fragen, ob die vorgenommene Behandlung bei ihm ausreichend und zweckmäßig war und das Maß des Notwendigen nicht überstieg (§ 13 Abs 2 KVLG, § 368e RVO) sowie ferner, ob diese Behandlung zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgte und zur Erzielung des Erfolges nicht unwirtschaftlich war (§ 368e RVO).

Die bisherigen Ausführungen des LSG sind insoweit noch nicht konkret genug. Zwar werden aus den Gutachten allgemeine Vorzüge der Hippotherapie herausgestellt, in bezug auf das behandelte Kind ist aber nur von deutlichen "Fortschritten" geistig wie körperlich in den letzten zwei Jahren die Rede, ohne daß diese näher beschrieben werden. Es wäre darum gegenüberzustellen, was im einzelnen bei dem Kind des Klägers mit der früheren Methode erreicht worden war (bzw weiter erreicht worden wäre) und mit welchen Kosten, und was die Hippotherapie in der streitigen Zeit bei dem Kind mit den durch sie verursachten Kosten bewirkt hat. Der Vergleich dieser Wirkungen und Kosten in der Zeit vor 1977 und in der streitigen Zeit von Januar 1977 bis Juni 1978 müßte iS einer "Gesamtbilanz" die Grundlage für die Feststellung der gesetzlich geforderten Leistungsvoraussetzungen im vorliegenden Falle bilden können.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1658947

BSGE, 134

Breith. 1982, 559

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