Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässiger Angriff auf die Beweiswürdigung der Vorinstanz

 

Orientierungssatz

Es handelt sich um einen unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung der Vorinstanz, wenn der Revisionskläger eine eigene andere Würdigung der Tatumstände als das Tatsachengericht vornimmt und diese eigene Würdigung der des Tatsachengerichts als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten; es würde hierdurch im Ergebnis entgegen §§ 162, 163 SGG eine eigene Beweiswürdigung vornehmen und Tatsachen feststellen.

 

Normenkette

SGG § 128 Abs 1 S 1 Fassung: 1953-09-03, § 162 Fassung: 1974-07-30, § 163 Fassung: 1953-09-03, § 164 Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 04.03.1980; Aktenzeichen L 5/Ar 308/78)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 31.05.1978; Aktenzeichen S 4/Ar 237/76)

 

Tatbestand

In Streit ist, in welchem Umfang Beschäftigungszeiten anzurechnen sind.

Dem 1912 geborenen, aus Rumänien stammenden Kläger, Inhaber des Vertriebenenausweises A, hat die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) mit dem streitigen Bescheid vom 20. Dezember 1975 ab Oktober 1975 Altersruhegeld bewilligt. Darin sind die vom Kläger in den Jahren von 1952 bis 1963 im Herkunftsland zurückgelegten Versicherungszeiten mit fünf Sechsteln angerechnet. Der Widerspruch des Klägers hiergegen blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14. April 1976, ausgefertigt am 21. April 1976).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die dem Kläger nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zuzuordnenden Beitrags- und Beschäftigungszeiten voll anzurechnen (Entscheidung vom 31. Mai 1978). Die Berufung der Beklagten hiergegen hat das Landessozialgericht (LSG) mit dem angefochtenen Urteil vom 4. März 1980 zurückgewiesen und ausgeführt: Die Angaben des Klägers bei Zusammenhalt mit den Eintragungen in seinem Arbeitsbuch führten zwar nicht den vollen Beweis, daß er in seiner Heimat Beitragszeiten iS von § 15 Abs 1 FRG zurückgelegt habe; sie erbrächten aber den Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit gemäß § 16 FRG. Es bestünde daher im Anschluß an BSGE 41, 1ö3 = SozR 5050 § 15 Nr 4 keine Bedenken, "das restliche Sechstel" neben der glaubhaften, zu fünf Sechsteln anzurechnende Beitragszeit im Herkunftsland als Beschäftigungszeit iS der letztgenannten Vorschrift anzurechnen.

Mit der zugelassenen Revision ficht die Beklagte dieses Urteil an und bringt vor: Ihrer Meinung nach bringe das Arbeitsbuch des Klägers keinen vollen Nachweis über lückenlose Arbeitszeiten; trotz der Eintragungen darin könnten beim Kläger weitere Fehlzeiten nicht ausgeschlossen werden. Bestünden in bezug auf etwaige Arbeitsunterbrechungen Zweifel, so sei nicht nur die Entrichtung von Beiträgen, sondern auch die zugrundeliegende Beschäftigung nicht in vollem Umfange nachgewiesen. Dieser Nachweis könne auch nicht unter Hinzunahme der Angaben des Klägers geführt werden. Diesem sei also nur die Glaubhaftmachung, nicht der Nachweis der streitigen Zeiten gelungen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts

vom 4. März 1980 und des Sozialgerichts Nürnberg

vom 31. Mai 1978 aufzuheben und die Klage gegen den

Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 1975 in

der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1976

(richtig: 14. April 1976) abzuweisen.

Der Kläger ist im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unzulässig.

Nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist das BSG als Rechtsinstanz (§ 162 SGG) an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden; eine Ausnahme gilt, wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind, dh Verfahrensmängel in der von § 164 Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form innerhalb der für die Begründung der Revision nach § 164 Abs 2 Satz 1 SGG geltenden Frist gerügt werden. Hat das LSG Tatsachen aufgrund seiner nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG freien Überzeugung vom Gesamtergebnis des Verfahrens festgestellt, so kann das BSG diese Feststellung nur auf formgerechte und zulässige Verfahrensrüge überprüfen, also zB auf die vom Revisionskläger innerhalb der Begründungsfrist konkret belegte Behauptung, das Tatsachengericht habe die Grenzen des Rechts freier Beweiswürdigung durch Verletzung zB von Denkgesetzen oder allgemeiner Erfahrungssätze überschritten. Unbeachtlich ist es dagegen, wenn der Revisionskläger eine eigene andere Würdigung der Tatumstände als das Tatsachengericht vornimmt und diese eigene Würdigung der des Tatsachengerichts als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten; es würde hierdurch im Ergebnis entgegen §§ 162, 163 SGG eine eigene Beweiswürdigung vornehmen und Tatsachen feststellen.

Auch die Beklagte hat sich im vorliegenden Fall innerhalb der Frist zur Begründung der Revision darauf beschränkt, dem BSG eine vom LSG abweichende andere Beweiswürdigung anzubieten. Es hat nämlich den Eintragungen im Arbeitsbuch des Klägers und dessen Angaben geringeres Gewicht für die Feststellung des Umfangs der in der Heimat zurückgelegten Beschäftigungszeiten (§§ 16, 19 Abs 2 FRG) beigemessen. Dieser abweichenden Beweiswürdigung kann der Senat aus den dargelegten Gründen nicht nähertreten (vgl für einen vergleichbaren Fall auch die Entscheidung des 5. Senats des BSG vom 24. Juli 1980 - 5 RJ 38/79 -). Dazu hätte es, wie ausgeführt, zulässiger, form- und fristgerechter Rügen der Verletzung von Normen des Verfahrensrechts bedurft.

Die unzulässige Revision der Beklagten war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zu verwerfen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652189

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge