Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch bei Internatsbesuch in Portugal. Voraussetzungen der Aufrechterhaltung des Wohnsitzes. Kindergeldanspruch bei Übersiedlung der Kinder zum Schulbesuch im Heimatland

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird die Zustellung eines sozialgerichtlichen Urteils um weniger als ein Jahr verzögert, so ist das Urteil nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn festgestellt wird, daß es infolge der Verzögerung der Absetzung der Entscheidung die Verhandlungs- und Beratungsergebnisse nicht zutreffend wiedergibt.

2. Ändern sich die tatsächlichen und/oder rechtlichen Voraussetzungen für das Kindergeld (hier: Übersiedlung der Kinder zum Schulbesuch im Heimatland) so darf das Kindergeld nur voll entzogen werden, wenn auch nach dem mit dem Heimatland geschlossenen Sozialversicherungsabkommen kein Anspruch besteht (Fortführung von BSG 1981-12-17 10 RKg 12/81 = BSGE 53, 49 = SozR 5870 § 2 Nr 25).

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Wohnsitz im Bundesgebiet geht allerdings dann verloren, wenn die Dauer des Aufenthalts des Kindes im Ausland zum Zweck des Schulbesuchs zeitlich nicht absehbar ist. Das gilt insbesondere dann, wenn ein in Deutschland nur mit beschränkter Aufenthaltsberechtigung lebender Ausländer seine Kinder auf unbestimmte Zeit zur Einschulung und zum Schulbesuch in sein Heimatland verbringt. Daran ändert die Beibehaltung eines Zimmers für den Ferienaufenthalt der Kinder nichts.

 

Orientierungssatz

1. Für Kinder von Gastarbeitern, die sich zur Schul- oder Berufsausbildung in ihren Heimatländern aufhalten, besteht in der Regel mangels eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland während dieser Zeit kein Anspruch auf Kindergeld nach den Sätzen des § 10 BKGG, sondern allenfalls in der Höhe, die in mit den Heimatländern geschlossenen Sozialversicherungsabkommen vorgesehen ist (vgl BSG 1981-12-17 10 RKg 12/81 = BSGE 53, 40 = SozR 5870 § 2 Nr 25).

2. Die Inhaltsbestimmung des nach § 2 Abs 5 S 1 BKGG maßgeblichen Begriffes "Wohnsitz" richtet sich nach der in § 30 Abs 3 S 1 SGB 1 getroffenen Definition (Festhaltung an BSG 1981-12-17 10 RKg 12/81 = BSGE 53, 49 = SozR 5870 § 2 Nr 25).

3. Besonderes Gewicht für die Inhaltsbestimmung des Wohnsitzbegriffes iS des § 30 Abs 3 S 1 SGB 1 hat die beabsichtigte Dauer des Aufenthalts an einem Ort, insbesondere wenn dieser im Ausland liegt. Ein von vornherein auf einen kürzeren, bestimmten Zeitraum angelegter Auslandsaufenthalt eines Kindes zu Ausbildungszwecken läßt in der Regel nicht den Schluß darauf zu, daß es die Wohnung in Deutschland nicht beibehalten und benutzen wird.

 

Normenkette

ZPO § 551 Nr. 7; SGB 1 § 30 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1975-12-11, S. 2 Fassung: 1975-12-11; BKGG § 2 Abs. 5 S. 1, §§ 10, 20 Abs. 5; SGG § 202

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 29.03.1982; Aktenzeichen L 1 Kg 1357/81)

SG Kassel (Entscheidung vom 06.10.1981; Aktenzeichen S 5 Kg 21/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für Zeiten, während derer sich die Kinder des Klägers zur Schulausbildung in einem Internat in Portugal aufhielten.

Der Kläger ist portugiesischer Staatsangehöriger. Er lebt seit Oktober 1972 mit seiner Ehefrau und seinen beiden im Juli 1972 geborenen Söhnen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Seit Herbst 1978 besuchten die Kinder eine Internatsschule in Portugal. Während dieser Zeit hielten sie sich nur während der Ferien bei ihren Eltern in Deutschland auf. Im November 1979 zeigte der Kläger der Beklagten diesen Sachverhalt an. Die Beklagte entzog dem Kläger daraufhin durch Bescheid vom 7. Januar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1980 das Kindergeld ab November 1979 mit der Begründung, das Kindergeld könne nicht mehr in Höhe des in § 10 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) festgelegten Satzes gewährt werden; für die Entscheidung darüber, ob dem Kläger ein Kindergeld nach dem deutsch-portugiesischen Sozialversicherungsabkommen zustehe, bedürfe es noch weiterer Erklärungen des Klägers. Diesen Bescheid hat der Kläger nicht angefochten.

Im Juni 1980 wandte sich der Kläger unter Hinweis auf das vorgenannte Widerspruchsverfahren erneut wegen der Gewährung des Kindergeldes an die Beklagte. Diese erteilte ihm daraufhin den ablehnenden Bescheid vom 22. Juli 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1980, in dem sie zur Begründung auf den Gesetzeswortlaut des § 2 Abs 5 BKGG sowie auf den Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 1980 verwies; ferner führte sie aus, die dem Kläger zugesandten Antragsvordrucke für das Kindergeld nach dem deutsch-portugiesischen Abkommen seien bei der Beklagten bisher nicht eingegangen.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 6. Oktober 1981 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Kindergeld ab Dezember 1979 verurteilt. Das LSG hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 29. März 1982 zurückgewiesen: Die angefochtenen Bescheide seien voll überprüfbare neue Sachentscheidungen. Die Beklagte habe das Kindergeld nach den Sätzen des § 10 BKGG über Oktober 1979 hinaus zu leisten. Der Kläger habe seine Kinder nur für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum nach Portugal gesandt, so daß sie ihre Bindung an den deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereich beibehalten hätten, zumal da sie im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG bereits für den Besuch eines Gymnasiums in Deutschland fest angemeldet gewesen seien.

Das am 29. März 1982 verkündete Urteil ist der Beklagten am 14. März 1983 zugestellt worden.

Die Beklagte stützt ihre - vom LSG zugelassene - Revision darauf, das erst knapp ein Jahr nach der Verkündung zugestellte LSG-Urteil lasse nicht erkennen, welche Gründe für die Überzeugungsbildung maßgeblich gewesen seien. In der Sache selbst habe das LSG bei der Beurteilung des Wohnsitzes der Kinder des Klägers die vom Bundessozialgericht (BSG) getroffene Abgrenzung des für das Kindergeldrecht maßgeblichen Wohnsitzbegriffes nicht beachtet.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. März 1982 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 6. Oktober 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. März 1982 zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits.

Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung ist das angefochtene Urteil nicht wegen eines Verstoßes gegen § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 551 Nr 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO) aufzuheben. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird zwar überwiegend anerkannt, daß die verspätete Absetzung eines Urteils dem Fehlen von Gründen gleichstehen kann (vgl dazu die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise in dem Urteil des 7. Senats des BSG vom 18. März 1982 - 7 RAr 56/81 -, BSGE 53, 186, 188 = SozR 1750 § 551 Nr 10). Ein solcher Verfahrensmangel ist von Amts wegen zu beachten, und es ist auch unerheblich, ob das Urteil auf der verspäteten Absetzung beruht (erkennender Senat, Urteil vom 22. Januar 1981 - 10/8b RAr 1/80 -, BSGE 51, 122, 125 mwN = SozR 1750 § 551 Nr 9; BSGE 53, 186, 188). In dem Urteil vom 22. Januar 1981 (aaO) sind auch bereits die Gründe im einzelnen dafür dargelegt, daß die Grenze der hinnehmbaren Verzögerung bei einem Jahr zu ziehen ist. Eine damit übereinstimmende Zeitgrenze haben auch der 8. Senat (SozR 1750 § 551 Nr 8) und der 7. Senat (Urteil vom 20. März 1984 - 7RAr 35/83 -, nicht veröffentlicht) gezogen. Kürzere Verzögerungszeiten sind hingegen vom BSG als unschädlich angesehen worden (BSGE 33, 161; 53, 186, 188). Auch das Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - (NJW 1983, 466) und das Bundesarbeitsgericht - BAG - (BAGE 38, 55; Urteil vom 9. Mai 1983 - 4 AZR 350/81 -) haben in letzter Zeit auf den Einjahreszeitraum abgehoben. Der Senat hält es für mit den Interessen des Rechtsuchenden noch vereinbar, im Einzelfall eine derartig lange Verzögerung dann hinzunehmen, wenn gesichert ist, daß in den verspätet niedergelegten Urteilsgründen die Ergebnisse der Verhandlung und Beratung noch ihren zutreffenden Niederschlag gefunden haben (7. Senat des BSG aaO; BVerwG, BVerwGE 50, 278 und Buchholz, 427.2 § 13 FG Nr 94). Diese Grenze muß im Verfahren der Tatsacheninstanzen umso mehr gelten, als die ehrenamtlichen Richter an der Abfassung des Urteils nicht mitwirken.

In dem hier entschiedenen Fall ist die Absetzung des Urteils um etwas über elf Monate verzögert worden. Die Akten des LSG weisen zwar den Zeitpunkt der Übergabe des Urteils an die Geschäftsstelle (§ 134 SGG) nicht aus, diese muß aber bis zum 7. März 1983 erfolgt sein, da die Zustellung des Urteils bereits an diesem Tage verfügt worden ist. Anhaltspunkte dafür, daß das LSG-Urteil infolge der Verzögerung der Absetzung der Entscheidung die Verhandlungs- und Beratungsergebnisse nicht zutreffend wiedergibt, sind nicht ersichtlich; auch die Revision führt solche nicht an. Dementsprechend liegt ein Verfahrensmangel iS des § 202 SGG iVm § 551 Nr 7 ZPO nicht vor.

Die angefochtenen Bescheide sind nur teilweise sachlich richtig.

Das mit dem im Juni 1980 gestellten Antrag vom Kläger verfolgte Begehren war - wie das LSG zutreffend angenommen hat - auf die Rücknahme des bindend gewordenen Bescheides vom 7. Januar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1980 sowie auf die rückwirkende Gewährung des Kindergeldes ab November 1979 gerichtet. Das LSG ist im Ergebnis auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte mit dem Bescheid vom 22. Juli 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1980 eine vom Gericht voll zu überprüfende neue Sachentscheidung getroffen hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das LSG meint - die Beklagte mit diesem Bescheid einen sogenannten Zweitbescheid erlassen wollte; bis zum Inkrafttreten des 1./2. Kapitels des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) wurde weitgehend angenommen, daß der Versicherungsträger befugt war, unter Durchbrechung der Bindungswirkung eines gemäß § 77 SGG bindend gewordenen Verwaltungsaktes erneut in die Sachprüfung einzutreten und durch einen anfechtbaren, vom Gericht in vollem Umfange nachzuprüfenden Verwaltungsakt zu entscheiden (vgl im einzelnen die Nachweise bei Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, RdNr 9 nach § 54 SGG). Diesen Rechtsgrundsatz konnte das LSG jedoch nicht mehr anwenden, nachdem er gemäß Art II § 40 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) mit Wirkung vom 1. Januar 1981 durch §§ 44 f SGB X sowie durch die gleichzeitig durch Art II § 24 Nr 2 des Gesetzes vom 18. August 1980 eingefügte spezialgesetzliche Regelung des § 20 Abs 5 BKGG abgelöst worden ist. Wie der Große Senat des BSG (Beschluß vom 15. Dezember 1982 - GS 2/80 -, BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3) entschieden hat, findet diese erschöpfende Neuregelung der Durchbrechung der Bindungswirkung eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß Art II § 37 Abs 1 des Gesetzes vom 18. August 1980 auch auf Verwaltungsakte Anwendung, die vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden sind, wenn das Verfahren sich am 1. Januar 1981 noch im Stadium der gerichtlichen Anfechtungs- und Leistungsklage befunden hat.

Die mit dem Bescheid vom 22. Juli 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1980 erfolgte Ablehnung des Begehrens des Klägers stellt sich sachlich als die Ablehnung der Rücknahme des belastenden Bescheides vom 7. Januar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1980 sowie die Ablehnung der Wiedergewährung der Leistung rückwirkend ab November 1979 dar; gegen diesen Bescheid hat der Kläger eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben, so daß die Begründetheit dieses Begehrens bereits vom LSG unter Zugrundelegung der Vorschriften des § 44 Abs 1 SGB X iVm der spezialgesetzlichen Regelung des § 20 Abs 5 BKKG zu prüfen gewesen wäre.

Die Beklagte hat in dem Bescheid vom 7. Januar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1980 im Ergebnis das Recht unrichtig angewendet. Zwar ist - wie der erkennende Senat in dem Urteil vom 17. Dezember 1981 - 10 RKg 12/81 - (BSGE 53, 49 = SozR 5870 § 2 Nr 25) entschieden hat - in der Regel davon auszugehen, daß für die Kinder von Gastarbeitern, die sich zur Schul- oder Berufsausbildung in ihren Heimatländern aufhalten, mangels eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland während dieser Zeit kein Anspruch auf Kindergeld nach den Sätzen des § 10 BKGG besteht. Der erkennende Senat hält insbesondere daran fest, daß sich die Inhaltsbestimmung des nach § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG maßgeblichen Begriffes "Wohnsitz" nach der in § 30 Abs 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) getroffenen Definition richtet, die mit der in §§ 8 f der Abgabenordnung vom 16. März 1976 - A0 1977 - (BGBl I 613) übereinstimmt (BSGE 53, 49, 52). Nach § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er diese Wohnung beibehalten und benutzen wird. Der Wohnsitz richtet sich danach allein nach den objektiv zu beurteilenden tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten desjenigen, für den dieses Tatbestandsmerkmal rechtserheblich ist. Maßgeblich sind dabei die Verhältnisse, wie sie sich im Beurteilungszeitpunkt bei vorausschauender Betrachtung mutmaßlich ergeben. Hingegen ist der Umstand, daß sich bei späterer rückschauender Betrachtung eine andere Beurteilung rechtfertigen kann, nicht rechtserheblich. Deshalb kommt es entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung auch nicht darauf an, ob die Rückkehr der Kinder des Klägers in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG schon hinreichend sicher abzusehen war.

Besonderes Gewicht für die Inhaltsbestimmung des Wohnsitzbegriffes iS des § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I hat die beabsichtigte Dauer des Aufenthalts an einem Ort, insbesondere wenn dieser im Ausland liegt. Hierzu ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß ein von vornherein auf einen kürzeren, bestimmten Zeitraum angelegter Auslandsaufenthalt eines Kindes zu Ausbildungszwecken in der Regel nicht den Schluß darauf zuläßt, daß es die Wohnung in Deutschland nicht beibehalten und benutzen wird. Daß der Aufenthalt der Kinder des Klägers in Portugal im Zeitpunkt des Beginnes ihrer Schulausbildung von vornherein auf einen kürzeren und bestimmten Zeitraum bemessen war, hat das LSG nicht festgestellt.

Anders zu beurteilen ist aber die Sachlage, wenn die Dauer des Aufenthaltes der Kinder im Ausland zum Zwecke des Schulbesuches zeitlich nicht absehbar ist (BSG aaO). Denn dann wird die familiäre Wohn- und Lebensgemeinschaft mit den Eltern auf unbestimmte Zeit so weit gelockert, daß der Schluß darauf, daß das Kind gleichwohl seine Wohnung im Inland beibehält und benutzt, in der Regel nicht mehr gezogen werden kann. Das muß insbesondere in den Fällen gelten, in denen ein in Deutschland nur mit beschränkter Aufenthaltsberechtigung lebender Ausländer seine Kinder auf unbestimmte Zeit zur Einschulung und zum Schulbesuch in sein Heimatland verbringt. Hier liegt es nahe, daß die Kinder auf unbestimmte Zeit in das Heimatland zurückkehren und nicht mehr beabsichtigen, die Wohnung in Deutschland beizubehalten und zu benutzen. Der Fall unterscheidet sich von dem Aufenthalt eines Inländers in dem für ihn fremden Ausland zum Zwecke der Erlernung einer Fremdsprache. Im letztgenannten Fall liegt es eher nahe, die Beibehaltung der Bindung an die Familie und damit des Wohnsitzes im Heimatstaat iS des § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I anzunehmen. Demgegenüber ist die Begründung eines Aufenthalts für unbestimmte Zeit im Herkunftsland der nicht ständig in Deutschland ansässigen Eltern ein sicheres Zeichen dafür, daß die Kinder für unbestimmte Zeit in die Heimat der Familie zurückkehren und daß die inländische Wohnung, auch wenn es sich um die elterliche Wohnung minderjähriger Kinder handelt, nicht beibehalten und benutzt werden soll. Deshalb ändert es im Falle des Klägers auch nichts, daß er die Wohnung unverändert beibehalten und für die Dauer der Ferien ein Zimmer für seine Kinder bereitgehalten hat, weil der Aufenthalt während der Ferien von vornherein nur vorübergehend ist.

Diese Abgrenzung verstößt auch nicht, wie der Kläger meint, gegen Art 3, 6 und 20 des Grundgesetzes -GG- (BSGE 53, 49, 50 ff). Insbesondere führt sie nicht zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 3 GG) oder in sonstiger Weise zu einer Diskriminierung der in Deutschland nur mit befristeter Aufenthaltsberechtigung lebenden Ausländer. Denn es besteht ein sachlicher Unterschied zwischen dem Schulbesuch von Inländern in dem für sie fremden Ausland und dem Schulbesuch der Kinder von Ausländern in ihrer Heimat.

Dementsprechend hat die Beklagte auch zutreffend entschieden, daß das dem Kläger ab November 1979 zu zahlende Kindergeld nicht nach den Sätzen des § 10 BKGG zu bemessen war.

Möglicherweise ist aber die völlige Entziehung des Kindergeldes mit Ablauf des Monats Oktober 1979 rechtswidrig. Der erkennende Senat hat bereits in dem vorgenannten Urteil vom 17. Dezember 1981 (aaO) darauf hingewiesen - und auch die Beklagte geht in diesem Rechtsstreit davon aus -, daß die Zahlung des Kindergeldes, wenn sie nicht nach § 10 BKGG zu erfolgen hat, nach den Bestimmungen des mit dem Heimatland geschlossenen Sozialversicherungsabkommens in Betracht kommen kann. Als Konsequenz daraus, daß sich der Wohnsitz und der gewöhnliche Aufenthaltsort der Kinder des Klägers ab Ende 1978 in Portugal befand, ergibt sich, daß dem Kläger das Kindergeld möglicherweise im Rahmen der Familienbeihilfe gemäß Artikel 27 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über Soziale Sicherheit vom 6. November 1964 (BGBl II 1968, 474) über den Monat Oktober 1979 hinaus - wenn auch nur in geringerer Höhe nach Artikel 25 Abs 2 des Abkommens - zu zahlen war. Dieses Abkommen erstreckt sich gemäß Artikel 1 Nr 12 auch auf das in Artikel 2 Abs 1 Nr 1 Buchst e des Abkommens erfaßte Kindergeld für Arbeitnehmer. Da jedoch mit der im deutsch-portugiesischen Abkommen getroffenen Regelung kein eigenständiger Kindergeldanspruch begründet worden, sondern nur die Zahlung des nach deutschem Recht zustehenden Kindergeldes für in Portugal lebende Kinder speziell und modifiziert geregelt worden ist, durfte die Beklagte das Kindergeld nur dann mit Ablauf des Monats Oktober 1979 in vollem Umfange entziehen, wenn die Voraussetzungen des Anspruches auch unter Berücksichtigung des vorgenannten Abkommens nicht mehr bestanden. Denn der Aufenthaltswechsel der Kinder in das Heimatland führte nicht von vornherein zum Erlöschen des kindergeldrechtlichen Dauerleistungsverhältnisses. Vielmehr trat dadurch nur eine wesentliche Änderung der für die Leistung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ein, die eine entsprechende Neufeststellung der Leistung erforderte. Hingegen wird es dem Wesen des kindergeldrechtlichen Dauerrechtsverhältnisses nicht gerecht, die Leistung nur wegen der Änderung einzelner Voraussetzungen des Leistungsanspruches zunächst gänzlich zu entziehen und alsdann erst nach Prüfung der geänderten Sach- und Rechtslage teilweise neu zu bewilligen. Deshalb hätte die Beklagte bereits im Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides vom 7. Januar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1980 entscheiden müssen, ob dem Kläger über den Monat Oktober 1979 hinaus das Kindergeld in der im deutsch-portugiesischen Sozialversicherungsabkommen geregelten Höhe weiterhin zustand. Die statt dessen erfolgte Entziehung des Kindergeldes in voller Höhe war daher materiell fehlerhaft, so daß auch die mit dem Bescheid vom 22. Juli 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1980 erfolgte Ablehnung der Rücknahme der erstgenannten Bescheide auf einer fehlerhaften Beurteilung der Sach- und Rechtslage beruht, soweit die Beklagte dem Kläger das Kindergeld ab November 1979 gänzlich entzogen hat. Die Entziehung war auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger nicht alle von der Beklagten geforderten Erklärungen abgegeben und auch die gewünschten Unterlagen nicht bis zur Erteilung des Bescheides vom 7. Januar 1980 vorgelegt hat. Die Beklagte kann für sie nachteilige Folgen einer unterlassenen Mitwirkung im Neufeststellungsverfahren nicht durch die Ablehnung des Anspruches, sondern nur durch die einstweilige Leistungsverweigerung gemäß § 66 SGB I abwenden.

Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden. Das LSG hat - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend - tatsächliche Feststellungen über die Leistungsvoraussetzungen nach dem deutsch-portugiesischen Sozialversicherungsabkommen für die Zeit ab November 1979 nicht getroffen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß die Rücknahme des Bescheides vom 7. Januar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1980 sich in zeitlicher Hinsicht nach § 20 Abs 5 BKGG richtet.

Das LSG wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659705

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