Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.04.1977)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. April 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der 1948 geborene Kläger leistete vom 9. Januar 1967 bis zum 30. April 1968 zur Erfüllung seiner Wehrpflicht Polizeivollzugsdienst im Bundesgrenzschutz (BGS). Das am 1. April 1968 begonnene Studium der Physik an der Universität Tübingen beendete der Kläger mit dem Erwerb des Diploms am 18. Dezember 1975; am 19. Januar 1976 wurde er exmatrikuliert. Am 13. Januar 1976 meldete er sich arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alhi. Ab 1. Mai 1976 war der Kläger als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Tübingen teilzeitbeschäftigt. Seit dem 16. August 1976 ist er Studienreferendar.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Alhi ab, weil er die Voraussetzungen für den Erwerb einer Anwartschaft auf Alhi nicht erfülle (Bescheid vom 16. Februar 1976; Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1976). Durch Urteil vom 26. Oktober 1976 hat das Sozialgericht (SG) Reutlingen die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger vom 13. Januar bis zum 30. April 1976 Alhi zu gewähren.

Die Berufung der Beklagten hiergegen hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 19. April 1977 unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi nach § 134 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) idF des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des AFG und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S. 3113). Der Kläger sei in der strittigen Zeit arbeitslos gewesen, er habe sich arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt, ferner mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg); er sei auch bedürftig, da er nur ein geringes eigenes Einkommen und Vermögen besitze. Im übrigen gründe sich die Anwartschaft des Klägers auf Alhi auf die Bestimmung des § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG. Der Kläger habe eine Hochschule besucht und diese Ausbildung mit dem Ablegen der Diplomprüfung abgeschlossen. Daran ändere es nichts, daß der Kläger ab 16. August 1976 als Studienreferendar ein Lehramt anstrebe; denn mit dem Physikdiplom hätten ihm außer dem Lehramt alle dafür infragekommenden beruflichen Tätigkeiten als Physiker, z.B. in der freien Wirtschaft, offengestanden. Die Regelung der o.a. Vorschrift, wonach eine Ausbildung nicht als abgeschlossen gelte, wenn im Anschluß daran für den angestrebten Beruf eine noch zu leistende zusätzliche Ausbildung oder praktische Tätigkeit vorgeschrieben sei, treffe somit hier nicht zu. Der Kläger habe zwar innerhalb des letzten Jahres vor Beginn seines Hochschulstudiums nicht mindestens 26 Wochen in einer entlohnten Beschäftigung iS von Buchst. b des § 134 Abs. 1 Nr. 4 AFG gestanden. An deren Stelle trete jedoch der Polizeivollzugsdienst, den der Kläger in diesem Zeitraum im BGS geleistet habe. Dies ergebe sich aus § 1 Ziff. 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (Alhi-VO) vom 7. August 1974 (BGBl I S. 1929). § 1 der Alhi-VO beziehe sich zwar ausdrücklich nur auf Ersatztatbestände einer entlohnten Beschäftigung iSd § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AFG. Da § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG jedoch ausdrücklich auf die Bestimmung des Buchst. b der gleichen Vorschrift verweise, müßten auch die Ersatztatbestände der Alhi-VO bei Buchst. c Anwendung finden. Das ergebe sich aus Sinn und Zweck des Gesetzes; an eine Einschränkung des bezugsberechtigten Personenkreises, auf welchen die Bestimmung des § 1 der Alhi-VO Anwendung findet, sei nicht gedacht worden.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG. Sie trägt im wesentlichen vor: Der Anspruch des Klägers scheitere schon daran, daß seine Ausbildung an der Hochschule nicht als abgeschlossen gelten könne. Er habe den Beruf eines Lehrers an Gymnasien angestrebt. Er sei, wie das LSG festgestellt habe, seit dem 16. August 1976 Studienreferendar. Wann er den Entschluß hierzu gefaßt habe, sei zwar nicht festgestellt; darauf komme es jedoch nicht an. Für diesen vom Kläger angestrebten Beruf sei die Referendarzeit als eine vorgeschriebene praktische Tätigkeit iS des § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG anzusehen. Infolgedessen könne die Ausbildung des Klägers erst nach Zurücklegung der Referendarzeit und mit der Ablegung der 2. Staatsprüfung als abgeschlossen gelten.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Oktober 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend auf folgendes hin: Mit dem Physikdiplom hätte der Kläger, außer dem Lehramt, alle für einen Physiker in Betracht kommenden beruflichen Tätigkeiten in der freien Wirtschaft ausüben können. Dies habe der Kläger mit seiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Tübingen ab 1. Mai 1976 auch tatsächlich getan. Wenn er sich später entschlossen habe, ab 16. August 1976 eine Beschäftigung als Studienreferendar aufzunehmen, so stehe dies dem Tatbestandsmerkmal der abgeschlossenen Hochschulausbildung iS des § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG nicht entgegen. Ereignisse, die jenseits der Zeit eingetreten seien, für die eine Leistung begehrt werde, könnten nicht zur nachträglichen Verneinung der Anspruchsvoraussetzungen herangezogen werden.

Soweit es die Voraussetzung der entlohnten Beschäftigung anbelange, falle hierunter auch die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Widerrufsbeamter beim BGS. Das LSG habe zu Unrecht den Begriff der entlohnten Beschäftigung mit dem Begriff des Arbeitsverhältnisses gleichgesetzt. Hierunter sei im Recht der Arbeitslosen- und Sozialversicherung die nichtselbständige Arbeit schlechthin zu verstehen. Eine entlohnte Beschäftigung liege auch dann vor, wenn sie im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses ausgeübt werde. Beschäftigung sei ein Grundbegriff des Sozialversicherungsrechts. Zu seinem Wesensmerkmal gehöre die persönliche Abhängigkeit des Dienstleistenden von seinem Arbeitgeber (Dienstgeber). Der Kläger habe als Widerrufsbeamter beim BGS Anspruch auf Besoldung nach dem Bundesbesoldungsgesetz gehabt; diese Tätigkeit sei daher unmittelbar als eine entlohnte Beschäftigung iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG anzusehen, so daß hier nicht auf die Regelung des § 1 der Alhi-VO zurückgegriffen zu werden brauche.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Alhi zu.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG idF des HStruktG-AFG iVm § 1 Ziff. 2 der Alhi-VO.

Nach § 134 Abs. 1 Nr. 4 AFG der genannten Fassung hat Anspruch auf Alhi, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosenhilfe beantragt hat, keinen Anspruch auf Alg hat, bedürftig ist und innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht,

  • Arbeitslosengeld bezogen hat, ohne daß der Anspruch nach § 119 Abs. 3 erloschen ist, oder
  • mindestens 10 Wochen, sofern der letzte Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe nach § 119 Abs. 3 erloschen ist, danach mindestens 26 Wochen oder 6 Monate in entlohnter Beschäftigung gestanden hat, oder
  • mindestens 26 Wochen oder 6 Monate oder ein Semester im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine allgemeinbildende oder berufliche Schule oder eine Hochschule besucht und diese Ausbildung abgeschlossen oder nicht nur vorübergehend aufgegeben hat und innerhalb des letzten Jahres vor Beginn der Ausbildung mindestens 26 Wochen in entlohnter Beschäftigung i.S. des Buchstaben b gestanden hat; eine Ausbildung gilt nicht als abgeschlossen, wenn im Anschluß daran eine weitere Ausbildung an einer allgemeinbildenden oder beruflichen Schule oder Hochschule angestrebt wird oder für den angestrebten Beruf eine noch zu leistende zusätzliche Ausbildung oder praktische Tätigkeit vorgeschrieben ist.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger, wie sich aus den unangegriffenen Festststellungen des LSG ergibt (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Danach war der Kläger in der Zeit vom 13. Januar bis 30. April 1976 arbeitslos und bedürftig; er hatte sich rechtzeitig arbeitslos gemeldet und mangels eines Anspruchs auf Alg Antrag auf Alhi gestellt. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Zu Recht hat das LSG angenommen, daß der Kläger, der einen Alg-Bezug iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a oder b AFG nicht nachweisen kann, innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG mindestens 26 Wochen eine Hochschule besucht und diese Ausbildung abgeschlossen hat und innerhalb des letzten Jahres vor Beginn der Ausbildung mindestens 26 Wochen in einer der entlohnten Beschäftigung iS des Buchst. c des § 134 Abs. 1 Nr. 4 AFG gleichstehenden Tätigkeit gestanden hat.

Der Kläger hat vom 1. April 1968 bis 18. Dezember 1975 an der Universität Tübingen Physik studiert und diese Ausbildung durch Ablegung des vorgesehenen Examens am 18. Dezember 1975 abgeschlossen. Daß er erst am 19. Januar 1976 exmatrikuliert wurde, hindert diese Annahme nicht; denn mit der Ablegung der für den Studiengang vorgesehenen Prüfung war die Hochschulausbildung des Klägers beendet (vgl BSGE 42, 76, 79 = SozR 4100 § 101 Nr. 2).

Der Annahme der mit der bestandenen Prüfung abgeschlossenen Hochschulausbildung des Klägers steht es ferner nicht entgegen, daß er vom 16. August 1976 an als Studienreferendar beim Oberschulamt Stuttgart tätig war; denn die vom Kläger damit angestrebte weitere Ausbildung zum Gymnasiallehrer ist nicht als eine zusätzliche Ausbildung oder praktische Tätigkeit iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c letzter Halbsatz AFG anzusehen, die zur Folge hätte, daß die Ausbildung des Klägers zum Physiker mit dem bestandenen Hochschulexamen nicht als abgeschlossen zu gelten hätte.

Es ist bereits zweifelhaft, ob die Referendarausbildung des Klägers hier nicht bereits deshalb unbeachtet bleiben muß, weil sie nicht “im Anschluß” an die abgeschlossene Hochschulausbildung erfolgt ist. Zwischen dem Ende der Hochschulausbildung (18. Dezember 1975) und dem Beginn der Referendarausbildung (16. August 1976) liegen fast acht Monate. Wollte man jeder weiteren Ausbildung nach Abschluß einer vorangehenden Ausbildung, auch wenn beide inhaltlich im Zusammenhang stehen, ohne Rücksicht auf die Dauer einer dazwischenliegenden Zeit die Wirkung beimessen, daß dadurch die erste Ausbildung iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c letzter Halbsatz AFG als nicht abgeschlossen gälte, zumal auch dann, wenn der Arbeitslose – wie hier – in dieser Zeit entsprechend seiner Erstausbildung beruflich tätig war, dann wäre diese Vorschrift kaum anwendbar. Die Beklagte müßte bei der Entscheidung über jeden Alhi-Antrag nach einer einmal abgeschlossenen Ausbildung in Erwägung ziehen, ob der Arbeitslose später einmal mit einer Ausbildung für einen irgendwann – etwa im Rahmen beruflicher Fortbildung – angestrebten Beruf, der auf der ersten Ausbildung aufbaut, noch eine vorgeschriebene “zusätzliche Ausbildung oder praktische Tätigkeit” durchlaufen wird. Es liegt auf der Hand, daß dies zu sinnwidrigen Ergebnissen führen müßte, um so mehr, wenn man der Auffassung der Beklagten folgt, daß es für die Frage, welchen Beruf ein ausgebildeter Arbeitsloser letztlich anstrebt, nicht darauf ankomme, zu welchem Zeitpunkt er den Entschluß für die “weitere” Ausbildung gefaßt hat.

Letztlich bedarf es aber keiner Entscheidung, welche zeitliche Bedeutung dem Wortlaut des Gesetzes “im Anschluß daran” beizumessen ist. Ausbildungsgänge, die ein Arbeitsloser für die Zeit nach Erreichung eines regelförmigen und auf dem Arbeitsmarkt ohne weiteres verwertbaren Berufsabschlusses i.S. von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c erster Halbsatz AFG ins Auge faßt oder die er danach zukünftig besucht, sind keine “zusätzliche Ausbildung oder praktische Tätigkeit” iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c letzter Halbsatz AFG. Das ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift.

§ 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG wurde – wie schon erwähnt – durch das HStruktG-AFG in das Gesetz eingefügt. Es sollte dadurch erreicht werden, daß “Schul- und Hochschulabsolventen nur dann Alhi erhalten, wenn sie bereits beruflich tätig waren” (vgl BT-Drucks. 7/4127, Begründung zu Art. 20, I Allg. Teil, Nr. 2, S. 48), sie “kurz vor der Schulausbildung mindestens ein halbes Jahr lang in entlohnter Beschäftigung gestanden haben” (vgl. BT-Drucks. 7/4127, Begründung zu Art. 20, II Besonderer Teil, zu § 1 Nr. 31, S. 53). Eine besondere Begründung für den letzten Halbsatz des § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG ist den Motiven des HStruktG-AFG nicht zu entnehmen. Seine Regelung entspricht der am 1.1.1976 außer Kraft getretenen Bestimmung in § 2 Nr. 2 der Alhi-VO (vgl. Art. 1 § 2 Abs. 12 HStruktG-AFG). Als der wesentliche Sinn der Gesamtregelung muß es deshalb angesehen werden, den Zugang von Arbeitslosen zur Alhi, die eine Anwartschaft darauf wegen einer zum Abschluß gebrachten Berufsausbildung nicht erreichen konnten, von einer vor Beginn dieser Ausbildung zurückgelegten entlohnten Beschäftigung bestimmten Ausmaßes abhängig zu machen. Liegt diese vor, soll der Berufsausbildungsabschluß als solcher die Anwartschaft auf Alhi auslösen. Auf diesem Hintergrund findet der Inhalt des letzten Halbsatzes zu § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG, seine Bedeutung. Sofern für den endgültigen Berufsausbildungsabschluß eine zusätzliche Ausbildung oder praktische Tätigkeit vorgeschrieben ist, soll aus vorangegangenen Ausbildungsgängen allein die (ersatzweise) Anwartschaft auf Alhi nicht entstehen, offenbar aus der Erwägung, daß Alhi in diesen Fällen nur derjenige erhalten soll, der seine Ausbildung endgültig abgeschlossen hat und damit dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung steht, aber keinen freien Arbeitsplatz findet. Ohne den letzten Halbsatz des § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG würde jeder Hochschulabschluß, dem die entsprechende entlohnte Beschäftigung fristgerecht vorausgegangen ist, den Zugang zur Alhi eröffnen. So war es – sogar ohne vorgängige Beschäftigung – unter der Geltung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vor Inkrafttreten des AFG (vgl. § 145 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AVAVG). Nach § 3 Nr. 1 der zu diesen Vorschriften ergangenen Fünften Verordnung zur Durchführung des AVAVG (5. DVO) idF vom 10. Dezember 1963 (BGBl I S. 872) war außerdem auch die nichtentlohnte unselbständige Tätigkeit, die im Anschluß an eine abgeschlossene Ausbildung auf Hoch- oder anerkannten Fachschulen ausgeübt und im Rahmen der Berufsausbildung vorgeschrieben oder üblich ist, anwartschaftsbegründend für die Alhi. Diese Regelungen galten sogar nach Inkrafttreten des AFG noch bis zum 31. August 1974 einschließlich fort, denn erst am 1. September 1974 trat die Alhi-Verordnung in Kraft (vgl. § 242 Abs. 37 AFG). § 2 Nr. 2 der Alhi-Verordnung sah den Hochschulabschluß allein in allen Fällen nicht mehr als anwartschaftsbegründend vor; denn er führte erstmals die Regelung ein, daß dann, wenn für den angestrebten Beruf eine zusätzliche Ausbildung oder praktische Tätigkeit vorgeschrieben war, die Ausbildung erst nach Beendigung dieser zusätzlichen Ausbildung oder praktischen Tätigkeit als abgeschlossen gelte. Damit war der Alhi-Bezug zwischen zwei (oder mehreren) Ausbildungsabschnitten ausgeschlossen (vgl. Hennig/Kühl/Heuer, Komm. z. AFG, Anm. 6d zu § 134 – 11. Erg.Lfg. –). Die Regelung des § 2 Nr. 2 Alhi-Verordnung stellt erkennbar auf solche zusätzliche Ausbildungen und praktische Tätigkeiten ab, die für den mit der in dieser Vorschrift angesprochenen Ausbildung an (u.a.) Hochschulen angestrebten Beruf vorgeschrieben sind. Sie wurde durch die Einfügung des Buchst. c in § 134 Abs. 1 Nr. 4 AFG durch das HStruktG-AFG abgelöst. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, daß der Gesetzgeber in dieser Hinsicht die Regelung des § 2 Nr. 2 Alhi-Verordnung abändern, also über das Ziel, zwischen zwei für sich unvollständigen Ausbildungsabschnitten Alhi nicht zu gewähren, hinausgehen wollte. Es sollte lediglich der Grundsatz beibehalten werden, daß (u.a.) ein Hochschulabschluß, der für sich allein aufgrund bestehender Berufsregelungen das damit angestrebte Berufsziel (den Berufsausbildungsabschluß) nicht vermittelt, die Anwartschaft auf Alhi nicht begründet.

Daraus folgt aber, daß es für die Frage, wann ein derartiger Abschluß der Berufsausbildung erreicht ist, auf objektive Gesichtspunkte ankommt. § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c letzter Halbsatz AFG bezeichnet als maßgeblich zwar den “angestrebten Beruf”.

Daraus kann aber nicht entnommen werden, daß für die Ausfüllung dieses Merkmals die subjektive Auffassung des Arbeitslosen entscheidend ist, gleichgültig wie sie während der (ersten) Ausbildung oder nach deren Abschluß war. Dies würde den Anspruch auf Alhi lediglich von der Absichtserklärung des Arbeitslosen abhängig machen, welches Berufsziel er mit seiner bisherigen Berufsausbildung angestrebt hat. Auch die damit verbundene Gefahr unzulässiger Manipulation rechtfertigt es, nach objektiven Maßstäben zu beurteilen, ob mit einem erfolgreich beendeten Hochschulstudium die Ausbildung für den damit angestrebten Beruf abgeschlossen ist oder ob hierfür – ebenfalls nach objektiver Sicht – noch eine zusätzliche Ausbildung oder praktische Tätigkeit vorgeschrieben ist.

Dies entspricht im übrigen der Rechtsprechung des Senats zur Förderung der beruflichen Bildung nach den Vorschriften des AFG. So wurde entschieden, daß es für die Frage, ob eine berufliche Umschulung nach § 47 AFG vorliegt, darauf ankommt, ob die jeweilige Maßnahme für sich zu einem für die Aufnahme einer auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Berufstätigkeit ausreichenden beruflichen Abschluß führt. Dabei sind nicht die subjektiven Zielvorstellungen des Umschülers selbst von Bedeutung; vielmehr kommt es auf die objektiven Gegebenheiten des Arbeitsmarktes an (vgl. BSGE 37, 223, 226 = SozR 4100 § 47 Nr. 2; zur Abgrenzung zwischen beruflicher Ausbildung, Fortbildung und Umschulung nach dem AFG vgl. auch BSG SozR 4100 § 40 Nr. 12 m.w.N.). Der Senat hat ferner entschieden, daß die Förderung einer beruflichen Fortbildung nach § 41 AFG nicht davon abhängt, welche Veränderung seiner beruflichen Situation der Einzelne erreichen möchte, sondern daß (objektiv) von ausschlaggebender Bedeutung ist, welche Veränderungen er durch die Maßnahme erreichen kann, soll und – im Erfolgsfall – wird (BSGE 38, 292, 294 = SozR 4100 § 45 Nr. 3). In Bezug auf die Frage, ob mit der Ablegung der ersten juristischen Prüfung (Referendarexamen) eine abgeschlossene Berufsausbildung iS des § 41 Abs. 1 AFG gegeben ist, hat der Senat als abgeschlossene Berufsausbildung eine Ausbildung angesehen, die aufgrund der auf dem Arbeitsmarkt herrschenden Anschauungen und Verhältnisse eine Person befähigt, unmittelbar aufgrund des Abschlusses eine berufliche Tätigkeit auszuüben, die nicht lediglich in einem organisierten Ausbildungsgang besteht, der erst seinerseits zu einem vollwertigen Arbeitsmarktberuf führen soll (BSG vom 21. Juni 1977 – 7/12/7 RAr 54/75 –).

Der Senat ist der Auffassung, daß diese Grundsätze auch für die Frage des Ausbildungsabschlusses iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c letzter Halbsatz AFG entscheidend sind. Die Frage, wann die Bundesanstalt für Arbeit (BA) Förderungsleistungen zu erbringen hat, um einen für den Arbeitsmarkt verwertbaren Beruf (mit Ausbildungsabschluß) zu vermitteln, steht in einem unverkennbaren sachlichen Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung, daß Alhi zu gewähren ist, wenn ein entsprechender Abschluß (die Berufsausbildung) erreicht worden ist.

Für die Auslegung dieser Regelung nach objektiven Gesichtspunkten spricht auch das Bedürfnis nach Praktikabilität, auf das es der Beklagten berechtigterweise stets besonders ankommt. Wie schon ausgeführt, wäre sie nämlich in sehr vielen Fällen gehindert, über Alhi-Ansprüche, die sich auf § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG stützen, zügig abschließend zu entschieden, wenn auch zeitlich erheblich später beginnende weitere Ausbildungsgänge einen schon vorhandenen Ausbildungsabschluß (rückwirkend) zu einer unvollendeten Ausbildung machen würden. Auf die Absichtserklärung des Antragstellers allein abzustellen, hält der Senat aus den bereits dargelegten Gründen für nicht vertretbar. Es sind auch keine sachgerechten Merkmale erkennbar, etwa einen bestimmten zeitlichen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen später aufgenommene weitere Ausbildungsgänge eine bereits beendete Ausbildung als nicht abgeschlossen charakterisieren könnten.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der Kläger mit der erfolgreichen Beendigung seines Hochschulstudiums der Physik den von ihm damit angestrebten Beruf eines ausgebildeten Physikers erreicht, er diese Berufsausbildung iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c letzter Halbsatz AFG abgeschlossen hatte; denn für den Beruf des Physikers, der auch nach den Feststellungen des LSG einen vollwertigen Arbeitsmarktberuf darstellt, ist weder eine zusätzliche Ausbildung noch eine zusätzliche praktische Tätigkeit vorgeschrieben. Die vom Kläger später angestrebte Ausbildung zum Gymnasiallehrer ist hierauf ohne Einfluß, ohne daß es darauf ankommt, ob der Kläger etwa schon während des Studiums (subjektiv) eine entsprechende Absicht gehabt haben sollte.

Das LSG hat ferner zutreffend entschieden, daß der Kläger die Voraussetzung einer entlohnten Beschäftigung von mindestens 26 Wochen innerhalb des letzten Jahres vor Beginn seines Hochschulstudiums iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG erfüllt. Der Kläger hat nach den Feststellungen des LSG vom 9. Januar 1967 bis 30. April 1968 aufgrund der Grenzschutzdienstpflicht den Polizeivollzugsdienst beim BGS geleistet (§§ 49 ff Bundesgrenzschutzgesetz vom 18. August 1972 – BGBl I S. 1834). Es kann offen bleiben, ob dieser Polizeivollzugsdienst als solcher eine entlohnte Beschäftigung iS von § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c (bzw. Buchst. b) darstellt, wie der Kläger meint. Dieser Dienst ist der entlohnten Beschäftigung durch § 1 Nr. 2 der Alhi-VO jedenfalls gleichgestellt. Die Vorschrift bezieht sich zwar ausdrücklich nur auf § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AFG. Wie der Senat aber bereits entschieden hat, bezieht § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AFG mittelbar auch die unmittelbar für § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AFG vorgesehenen Ersatztatbestände aus § 1 Nr. 1 der Alhi-VO in seinen Geltungsbereich ein (vgl. BSG vom 30. Mai 1978 – 7 RAr 21/77 –). Nichts anderes gilt für die Ersatztatbestände des § 1 Nr. 2 der Alhi-VO, da insoweit kein rechtlicher Unterschied besteht.

§ 1 Nr. 2 Alhi-VO ist hier – ebenso wie für § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AFG – nicht etwa deshalb unanwendbar, weil der Verordnungsgeber mit dieser Regelung seine Ermächtigung zur Gleichstellung “anderer Erwerbstätigkeiten” mit einer entlohnten Beschäftigung, wie § 134 Abs. 3 AFG vorsieht, überschritten hat. Erwerbstätigkeit ist hier nicht im Sinne des Arbeitsrechts zu verstehen. Nach dem Zweck der Ermächtigung in § 134 Abs. 3 AFG sollte der Verordnungsgeber in die Lage versetzt werden, solche Personengruppen in den Schutz der Arbeitslosenhilfe gegen Arbeitslosigkeit einzubeziehen, die aus besonderen, objektiv gerechtfertigten Gründen die Voraussetzung einer entlohnten Beschäftigung von mindestens 10 Wochen im letzten Jahr vor der Arbeitslosmeldung nicht erfüllen konnten, deren Schutz gegen vorübergehende Arbeitslosigkeit aber sozialpolitisch zweckmäßig und damit erwünscht ist. Wenn der Gesetzgeber entsprechende Lebenssachverhalte mit “anderen Erwerbstätigkeiten” bezeichnet, so ist dies deshalb nicht in einem engen, sondern in einem weiten Sinne zu verstehen. Darunter sind jedenfalls nicht nur Tätigkeiten zu verstehen, deren Hauptbestimmung die Existenzsicherung durch Erwerb von Einkommen ist, sondern auch solche wie die des Wehrdienstes oder Polizeivollzugsdienstes aufgrund besonderer staatsbürgerlicher Pflichten, während deren Ausübung die Existenzsicherung gewährleistet ist.

Das LSG hat damit zu Recht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, so daß die Revision keinen Erfolg haben kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 264

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